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Morgenblatt für gebildete Leser. Nr. 47. Stuttgart/Tübingen, 23. November 1856.

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[Beginn Spaltensatz] eine größere Figurenfülle, eine freiere psychologische
Charakteristik möglich, und wie wohl die Maler solche
Zeichnungen vor der Ausführung eines Bildes in Far-
ben als Carton zu entwerfen pflegen, so haben Cornelius
und Kaulbach ihre Compositionen zu den Nibelungen,
zum Faust, zum Shakespeare in dieser Weise ausgeführt.

Der menschliche Erfindungsgeist hat Mittel gefun-
den, solche Zeichnungen zu vervielfältigen, indem sie in
Kupfer eingegraben, in Holz geschnitten, auf Stein
geätzt werden und sich dann abdrucken lassen. Jn der
eigentlichen Malerei herrscht nicht die Linie, sondern
die Fläche, die Gegenstände unterscheiden sich als far-
bige Flächen von einander; die Zeichnung hat dieß nach-
geahmt und die Formen nicht durch scharfe Umrißlinien
begrenzt, sondern nur durch hellere oder dunkle Schatten-
töne von einander unterschieden und abgehoben, und
Kupferstich, Stahlstich, Lithographie sind auf diese Bahn
eingegangen. Die Stimmung eines Gemäldes läßt sich
allerdings so auf eine weiche Art wiedergeben, und wo
sie vorwiegt, wie z. B. bei Correggio, bei niederlän-
dischen Genrebildern, ist diese Weise am Ort; minder
aber scheint sie da berechtigt, wo die Form Hauptsache
ist, und da diese durch die Zeichnung ihren Ausdruck
findet, hat seit Cornelius auch die sogenannte Carton-
manier, welche die Umrisse bestimmt zeichnet und dann
innerhalb derselben modellirt, ohne die ganze Figur mit
Strichen zu decken, durch Amsler, Schäffer, Thäter,
Keller, Eichens und andere ihre Pflege gefunden, wie
sie zur Zeit der großen Meister früherer Jahrhunderte
durch Dürer selbst in Deutschland, durch Marc Anton
in Jtalien geblüht hatte, und dem Begriff der zeich-
nenden Kunst am besten entspricht. Wenn übrigens
die mehr malerische Weise so energisch wie von Morghen
und Toschi, so geistreich wie von Desnoyers, so be-
stimmt in den Formen wie von Müller, so zart wie
von Schäffer und Steinla geübt wird, wenn sie bei
Genrebildern auch die verschiedenen Stoffe so trefflich
wiedergibt, wie das Wille vermochte, so wird nur ein
abstraktes Hängen an Principien sich die Freude daran
verkümmern, während das mehr dem Reiz ergebene
große Publikum gerade hier seine Befriedigung findet.

Die Lithographie wird nicht in den Stein einge-
graben, sondern nur als Kreidezeichnung an dessen
Oberfläche geheftet, und der Stein wird dann chemisch
behandelt, so daß nicht die leeren Stellen, sondern nur
die bezeichneten die Druckerschwärze annehmen. Das
Körnige des Steins und der Kreide läßt die Schärfe
des Kupferstichs nicht zu, das Werk erscheint flüssiger,
leichter, und eignet sich mehr für Genrebilder als für
monumentale Werke. Bei dem Holzschnitt bleiben die
aufgezeichneten Linien stehen, während die Zwischen-
[Spaltenumbruch] räume herausgeschnitten werden; seiner Natur nach sind
ihm darum die freien malerischen Verschmelzungen ver-
sagt, aber eine charakteristische Kraft, eine "saftige
Derbheit" ist dafür sein eigen, und mit Recht hat man
diese Behandlungsweise aus den Tagen Dürers und
Holbeins wieder als die künstlerische aufgenommen.

Man hat auf Metallplatten durch Einätzen der
Schattenabstufungen oder durch Herausschaben der Licht-
partien die Tuschzeichnung durch schwarze Kunst oder
aqua tinta nachgebildet und allerdings dadurch eine große
Weichheit der in einander übergehenden Töne und ei-
nen malerischen Effekt erzielt, aber die Bestimmtheit
der eingegrabenen Linien eingebüßt. Sehr ungenügend
ist es, sie durch kleinere oder größere Punkte in der
Punktirmanier zu ersetzen, weil gerade die Linien zur
Schattenangabe nicht bloß in geraden Strichen neben
einander gelegt werden, nicht bloß in ihrem volleren
Anschwellen oder Feinerwerden die Uebergänge aus dem
Dunkeln in's Helle vermitteln, sondern in den wech-
selnden Richtungen, die sie nehmen, in dem gerundeten
Schwung ihrer Bahnen den Zug der Muskeln oder
Gewandfalten angeben, die sie modelliren, so daß sich
hier das Formenverständniß des Künstlers bewährt.
Eine Strichlage kann dabei von einer andern gekreuzt
und dadurch der Schatteneindruck verstärkt, die Mo-
dellirung modificirt werden. -- Für Metallplatten ist der
Stahl durch seine große Härte zwar für große Ver-
vielfältigung geeignet, da der Druck ihn wenig angreift;
er setzt aber dem Grabstichel viele Schwierigkeiten ent-
gegen, er reizt zu allzudünnen Linien, während er die
breitere Kraft hemmt und das zartere Gefühl der Hand
im Anschwellenlassen der Striche nicht zuläßt. Alles
dieß ist bei dem weicheren und doch scharfen Kupfer nicht
der Fall; Energie und empfindungsvolle Anmuth der
Form vermögen hier gleichmäßig zu Tage zu kommen.
Bei der Radirmethode zeichnet der Künstler auf den
bearbeiteten Aetzgrund und überläßt das Eingraben che-
mischen Mitteln; für das vom urbildenden Meister rasch
und skizzenhaft Hingeworfene wohl geeignet, gestattet
doch diese Weise nicht die Vollendung durch die leben-
dige Hand und das künstlerische Gefühl des Kupfer-
stechers. Derselbe wird also lieber die erste Anlage ein-
mal einäzen, dann aber sie in's Feinere aus= und durch-
arbeiten.

Wir wenden uns mit unsern Betrachtungen über
das Technische und seinen Zusammenhang mit dem
Kunststyl zur eigentlichen Malerei. Wir unterscheiden
Wand = und Staffeleibilder. Die ersteren werden auf
das Mineral, auf den Bewurf der Mauer ausgeführt
und ihm verbunden, aber nicht durch Fett, nicht über-
firnißt, so daß die Farbe eine große Leuchtkraft
[Ende Spaltensatz]

[Beginn Spaltensatz] eine größere Figurenfülle, eine freiere psychologische
Charakteristik möglich, und wie wohl die Maler solche
Zeichnungen vor der Ausführung eines Bildes in Far-
ben als Carton zu entwerfen pflegen, so haben Cornelius
und Kaulbach ihre Compositionen zu den Nibelungen,
zum Faust, zum Shakespeare in dieser Weise ausgeführt.

Der menschliche Erfindungsgeist hat Mittel gefun-
den, solche Zeichnungen zu vervielfältigen, indem sie in
Kupfer eingegraben, in Holz geschnitten, auf Stein
geätzt werden und sich dann abdrucken lassen. Jn der
eigentlichen Malerei herrscht nicht die Linie, sondern
die Fläche, die Gegenstände unterscheiden sich als far-
bige Flächen von einander; die Zeichnung hat dieß nach-
geahmt und die Formen nicht durch scharfe Umrißlinien
begrenzt, sondern nur durch hellere oder dunkle Schatten-
töne von einander unterschieden und abgehoben, und
Kupferstich, Stahlstich, Lithographie sind auf diese Bahn
eingegangen. Die Stimmung eines Gemäldes läßt sich
allerdings so auf eine weiche Art wiedergeben, und wo
sie vorwiegt, wie z. B. bei Correggio, bei niederlän-
dischen Genrebildern, ist diese Weise am Ort; minder
aber scheint sie da berechtigt, wo die Form Hauptsache
ist, und da diese durch die Zeichnung ihren Ausdruck
findet, hat seit Cornelius auch die sogenannte Carton-
manier, welche die Umrisse bestimmt zeichnet und dann
innerhalb derselben modellirt, ohne die ganze Figur mit
Strichen zu decken, durch Amsler, Schäffer, Thäter,
Keller, Eichens und andere ihre Pflege gefunden, wie
sie zur Zeit der großen Meister früherer Jahrhunderte
durch Dürer selbst in Deutschland, durch Marc Anton
in Jtalien geblüht hatte, und dem Begriff der zeich-
nenden Kunst am besten entspricht. Wenn übrigens
die mehr malerische Weise so energisch wie von Morghen
und Toschi, so geistreich wie von Desnoyers, so be-
stimmt in den Formen wie von Müller, so zart wie
von Schäffer und Steinla geübt wird, wenn sie bei
Genrebildern auch die verschiedenen Stoffe so trefflich
wiedergibt, wie das Wille vermochte, so wird nur ein
abstraktes Hängen an Principien sich die Freude daran
verkümmern, während das mehr dem Reiz ergebene
große Publikum gerade hier seine Befriedigung findet.

Die Lithographie wird nicht in den Stein einge-
graben, sondern nur als Kreidezeichnung an dessen
Oberfläche geheftet, und der Stein wird dann chemisch
behandelt, so daß nicht die leeren Stellen, sondern nur
die bezeichneten die Druckerschwärze annehmen. Das
Körnige des Steins und der Kreide läßt die Schärfe
des Kupferstichs nicht zu, das Werk erscheint flüssiger,
leichter, und eignet sich mehr für Genrebilder als für
monumentale Werke. Bei dem Holzschnitt bleiben die
aufgezeichneten Linien stehen, während die Zwischen-
[Spaltenumbruch] räume herausgeschnitten werden; seiner Natur nach sind
ihm darum die freien malerischen Verschmelzungen ver-
sagt, aber eine charakteristische Kraft, eine „saftige
Derbheit“ ist dafür sein eigen, und mit Recht hat man
diese Behandlungsweise aus den Tagen Dürers und
Holbeins wieder als die künstlerische aufgenommen.

Man hat auf Metallplatten durch Einätzen der
Schattenabstufungen oder durch Herausschaben der Licht-
partien die Tuschzeichnung durch schwarze Kunst oder
aqua tinta nachgebildet und allerdings dadurch eine große
Weichheit der in einander übergehenden Töne und ei-
nen malerischen Effekt erzielt, aber die Bestimmtheit
der eingegrabenen Linien eingebüßt. Sehr ungenügend
ist es, sie durch kleinere oder größere Punkte in der
Punktirmanier zu ersetzen, weil gerade die Linien zur
Schattenangabe nicht bloß in geraden Strichen neben
einander gelegt werden, nicht bloß in ihrem volleren
Anschwellen oder Feinerwerden die Uebergänge aus dem
Dunkeln in's Helle vermitteln, sondern in den wech-
selnden Richtungen, die sie nehmen, in dem gerundeten
Schwung ihrer Bahnen den Zug der Muskeln oder
Gewandfalten angeben, die sie modelliren, so daß sich
hier das Formenverständniß des Künstlers bewährt.
Eine Strichlage kann dabei von einer andern gekreuzt
und dadurch der Schatteneindruck verstärkt, die Mo-
dellirung modificirt werden. — Für Metallplatten ist der
Stahl durch seine große Härte zwar für große Ver-
vielfältigung geeignet, da der Druck ihn wenig angreift;
er setzt aber dem Grabstichel viele Schwierigkeiten ent-
gegen, er reizt zu allzudünnen Linien, während er die
breitere Kraft hemmt und das zartere Gefühl der Hand
im Anschwellenlassen der Striche nicht zuläßt. Alles
dieß ist bei dem weicheren und doch scharfen Kupfer nicht
der Fall; Energie und empfindungsvolle Anmuth der
Form vermögen hier gleichmäßig zu Tage zu kommen.
Bei der Radirmethode zeichnet der Künstler auf den
bearbeiteten Aetzgrund und überläßt das Eingraben che-
mischen Mitteln; für das vom urbildenden Meister rasch
und skizzenhaft Hingeworfene wohl geeignet, gestattet
doch diese Weise nicht die Vollendung durch die leben-
dige Hand und das künstlerische Gefühl des Kupfer-
stechers. Derselbe wird also lieber die erste Anlage ein-
mal einäzen, dann aber sie in's Feinere aus= und durch-
arbeiten.

Wir wenden uns mit unsern Betrachtungen über
das Technische und seinen Zusammenhang mit dem
Kunststyl zur eigentlichen Malerei. Wir unterscheiden
Wand = und Staffeleibilder. Die ersteren werden auf
das Mineral, auf den Bewurf der Mauer ausgeführt
und ihm verbunden, aber nicht durch Fett, nicht über-
firnißt, so daß die Farbe eine große Leuchtkraft
[Ende Spaltensatz]

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Die Stimmung eines Gemäldes läßt sich allerdings so auf eine weiche Art wiedergeben, und wo sie vorwiegt, wie z. B. bei Correggio, bei niederlän- dischen Genrebildern, ist diese Weise am Ort; minder aber scheint sie da berechtigt, wo die Form Hauptsache ist, und da diese durch die Zeichnung ihren Ausdruck findet, hat seit Cornelius auch die sogenannte Carton- manier, welche die Umrisse bestimmt zeichnet und dann innerhalb derselben modellirt, ohne die ganze Figur mit Strichen zu decken, durch Amsler, Schäffer, Thäter, Keller, Eichens und andere ihre Pflege gefunden, wie sie zur Zeit der großen Meister früherer Jahrhunderte durch Dürer selbst in Deutschland, durch Marc Anton in Jtalien geblüht hatte, und dem Begriff der zeich- nenden Kunst am besten entspricht. Wenn übrigens die mehr malerische Weise so energisch wie von Morghen und Toschi, so geistreich wie von Desnoyers, so be- stimmt in den Formen wie von Müller, so zart wie von Schäffer und Steinla geübt wird, wenn sie bei Genrebildern auch die verschiedenen Stoffe so trefflich wiedergibt, wie das Wille vermochte, so wird nur ein abstraktes Hängen an Principien sich die Freude daran verkümmern, während das mehr dem Reiz ergebene große Publikum gerade hier seine Befriedigung findet. Die Lithographie wird nicht in den Stein einge- graben, sondern nur als Kreidezeichnung an dessen Oberfläche geheftet, und der Stein wird dann chemisch behandelt, so daß nicht die leeren Stellen, sondern nur die bezeichneten die Druckerschwärze annehmen. Das Körnige des Steins und der Kreide läßt die Schärfe des Kupferstichs nicht zu, das Werk erscheint flüssiger, leichter, und eignet sich mehr für Genrebilder als für monumentale Werke. Bei dem Holzschnitt bleiben die aufgezeichneten Linien stehen, während die Zwischen- räume herausgeschnitten werden; seiner Natur nach sind ihm darum die freien malerischen Verschmelzungen ver- sagt, aber eine charakteristische Kraft, eine „saftige Derbheit“ ist dafür sein eigen, und mit Recht hat man diese Behandlungsweise aus den Tagen Dürers und Holbeins wieder als die künstlerische aufgenommen. Man hat auf Metallplatten durch Einätzen der Schattenabstufungen oder durch Herausschaben der Licht- partien die Tuschzeichnung durch schwarze Kunst oder aqua tinta nachgebildet und allerdings dadurch eine große Weichheit der in einander übergehenden Töne und ei- nen malerischen Effekt erzielt, aber die Bestimmtheit der eingegrabenen Linien eingebüßt. Sehr ungenügend ist es, sie durch kleinere oder größere Punkte in der Punktirmanier zu ersetzen, weil gerade die Linien zur Schattenangabe nicht bloß in geraden Strichen neben einander gelegt werden, nicht bloß in ihrem volleren Anschwellen oder Feinerwerden die Uebergänge aus dem Dunkeln in's Helle vermitteln, sondern in den wech- selnden Richtungen, die sie nehmen, in dem gerundeten Schwung ihrer Bahnen den Zug der Muskeln oder Gewandfalten angeben, die sie modelliren, so daß sich hier das Formenverständniß des Künstlers bewährt. Eine Strichlage kann dabei von einer andern gekreuzt und dadurch der Schatteneindruck verstärkt, die Mo- dellirung modificirt werden. — Für Metallplatten ist der Stahl durch seine große Härte zwar für große Ver- vielfältigung geeignet, da der Druck ihn wenig angreift; er setzt aber dem Grabstichel viele Schwierigkeiten ent- gegen, er reizt zu allzudünnen Linien, während er die breitere Kraft hemmt und das zartere Gefühl der Hand im Anschwellenlassen der Striche nicht zuläßt. Alles dieß ist bei dem weicheren und doch scharfen Kupfer nicht der Fall; Energie und empfindungsvolle Anmuth der Form vermögen hier gleichmäßig zu Tage zu kommen. Bei der Radirmethode zeichnet der Künstler auf den bearbeiteten Aetzgrund und überläßt das Eingraben che- mischen Mitteln; für das vom urbildenden Meister rasch und skizzenhaft Hingeworfene wohl geeignet, gestattet doch diese Weise nicht die Vollendung durch die leben- dige Hand und das künstlerische Gefühl des Kupfer- stechers. Derselbe wird also lieber die erste Anlage ein- mal einäzen, dann aber sie in's Feinere aus= und durch- arbeiten. Wir wenden uns mit unsern Betrachtungen über das Technische und seinen Zusammenhang mit dem Kunststyl zur eigentlichen Malerei. Wir unterscheiden Wand = und Staffeleibilder. Die ersteren werden auf das Mineral, auf den Bewurf der Mauer ausgeführt und ihm verbunden, aber nicht durch Fett, nicht über- firnißt, so daß die Farbe eine große Leuchtkraft

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Zitationshilfe: Morgenblatt für gebildete Leser. Nr. 47. Stuttgart/Tübingen, 23. November 1856, S. 1111. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_morgenblatt47_1856/7>, abgerufen am 21.11.2024.