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Morgenblatt für gebildete Leser. Nr. 46. Stuttgart/Tübingen, 16. November 1856.

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[Beginn Spaltensatz] Ausdruck meiner unbegrenzten Ergebenheit!" ertönte
hinter ihr in diesem Augenblick eine schwache Stimme
von angenehmem Klang und etwas schwermüthiger Mo-
dulation. Die Schauspielerin drehte sich um und das
Original des Bildes stand, den Hut in der Rechten,
die braune Perrücke auf dem Kopf, in gelber Weste,
grauen Strümpfen und hellbraunem Rock so vor ihr,
als ob es eben seinen Sitz auf der Staffelei verlassen
hätte. Allein bei näherem Hinblick sah man doch, daß
Reynolds dem Ritter geschmeichelt hatte; auf dem Bild
hatte Sir Horaz fünfundvierzig, in Wirklichkeit zählte
er vierundfünfzig Jahre, dort war er nur bleich, hier
herrschte eine gespensterhafte, kränkliche Blässe im Ge-
sicht und auf den Händen, seine Haltung dort war
adelig, hier nur vornehm, der Schluß des Mundes
zeigte dort Festigkeit des Willens und der Ueberzeu-
gung, hier redeten zwei stereotype, schiefe Linien unter
den Mundwinkeln von einem conventionellen und skep-
tischen Lächeln; mit Einem Wort, der Künstler hatte
die ganze Persönlichkeit um einige Grade erwärmt, ihre
Potenz höher gespannt, ihr Blut schneller circuliren
lassen, und nur den dunkein Glanz des geistreichen,
durchdringenden Auges unverändert und sehr glücklich
wiedergegeben. Auch die Haltung hatte durch den be-
quemen Sitz etwas Leichtes und Freies erhalten, was
dem Ritter beim Stehen oder Dahinschreiten fehlte;
denn wenn derselbe auch die Tournure eines Versailler
Hofmanns auf's Vollständigste besaß, so wirkte doch
die auffallende Länge und Magerkeit seiner Gestalt stö-
rend, und das Podagra, welches ihn schon seit gerau-
mer Zeit plagte, gab seinem Auftreten etwas Schwäch-
liches und Unsicheres in solchem Grade, daß man fürch-
ten mußte, die hagere Erscheinung bei dem ersten Anlaß
zerbrechen, umknicken, in sich zusammensinken zu sehen.

"Meiner unbegrenzten Ergebenheit," wiederholte
der Ritter, "welche sich zunächst dadurch manifestirt,
daß ich, durch den Klang Jhrer Stimme von Jhrer
Anwesenheit belehrt, Miß Kitty, mich doppelt beeilt
habe, um in angemessener Form vor Jhnen erscheinen
zu können."

"Sehr galant, Sir Horaz!" versetzte die Schau-
spielerin; "aber bedecken Sie sich doch!" -- "Nicht um
eine Welt, Miß! Sie wissen, daß der größte und
feinste König von Frankreich, der gewaltige Ludwig, nie
einer Dame, natürlich vom Hofe, und wenn es das
geringste Kammerkätzchen war, begegnete, ohne mit ei-
ner anmuthigen Bewegung seinen Hut abzunehmen.
Das that der vollendetste Cavalier der Welt vor Zofen,
und ich sollte vor einer Königin der Kunst dastehen
mit dem Hut auf dem Kopf?"

Die Schauspielerin verbeugte sich lächelnd und
[Spaltenumbruch] folgte dann der Einladung des Ritters in das Em-
pfangzimmer, denn die so eben berichtete Begrüßungs-
scene im Styl einer etwas veralteten Galanterie, welche
Walpole sorgsam kultivirte, war auf dem Vorplatz vor
sich gegangen.

"Leider," sagte sie eintretend, indem sie sich mit
einer schönen Beugung des Kopfs nach dem Ritter um-
wandte, "sind die Beispiele einer so feinen Eleganz der
Sitten in England selten geworden seit der Herrschaft
der deutschen Dynastie." -- "Und was bringen Sie mir
Neues auf den Erdbeerenberg?" erwiederte Walpole,
welcher im geselligen Verkehr jedes irgendwie an die
Politik anschlagende Gespräch davon abzuleiten suchte.

"Eine Schriftstellerangelegenheit! Etwas Unange-
nehmes! -- denn Sie lieben ja die Autoren von Fach
nicht." -- "Gewiß nicht, schöne Freundin, wenn sie
nicht einen praktischen Anhaltspunkt im wirklichen Leben
haben; denn die bloßen Schriftsteller und Dichter als
solche sind alle voll eitler und unnützer Prätentionen,
Menschen, welche Geld verlangen, um ungestört und
sorgenlos arbeiten zu können, und dem sorgenlosesten
Nichtsthun nachgehen, sobald sie es haben."

"Vielleicht ist es auch was anderes," meinte die
Schauspielerin. "Die Sache ist die, daß sich heute Mor-
gen ein hübscher junger Mensch bei mir vorgestellt hat
mit dem Ersuchen, ihm eine Audienz bei Jhnen zu ver-
schaffen, da es, wie bekannt, ohne eine Empfehlung
schwer sey, bei Jhnen vorgelassen zu werden." -- "Ein
hübscher junger Mensch!" fiel Walpole ein. "Sollte
ich da nicht bloß zum Vorwand gedient haben?" --
"Möglich, allein nicht wahrscheinlich, denn er hat sich
nicht dahin ausgesprochen, obwohl er nicht zu blöde
scheint, um gewisse Vorschläge zu machen, über welche
man sich nur zum Schein, oder am liebsten gar nicht
erzürnt. Denn," setzte die Schauspielerin nach einer
Pause mit einem koketten Lächeln hinzu, "man braucht
sich ja nicht darauf einzulassen. Er kommt von Bristol
in einer vertraulichen Sendung mit mündlichen Auf-
trägen und Papieren, welche nur für Sie bestimmt sind."

"Welchen Jnhalts?" fragte Walpole. -- "Jhr Ver-
dacht ist richtig," lächelte Kitty; "allein ich konnte nichts
erfahren, der junge Herr war mir zu fest, obwohl er
mir bei der Toilette helfen durfte." -- "Dann muß ich
glauben," sagte Sir Horaz, "daß die Botschaft eine
ernsthafte, lang und sehnlichst erwartete ist, obwohl
diese staubige Alterthumsangelegenheit schlecht zu ihren
beiden jugendlichen Ueberbringern paßt. Wo ist der
Bote jetzt?" -- "Er erwartet bei mir Jhre Befehle."

Der Ritter klingelte und ordnete die sofortige Ein-
führung des Fremden auf dem Erdbeerenberg an.

( Fortsetzung folgt. )

[Ende Spaltensatz]

[Beginn Spaltensatz] Ausdruck meiner unbegrenzten Ergebenheit!“ ertönte
hinter ihr in diesem Augenblick eine schwache Stimme
von angenehmem Klang und etwas schwermüthiger Mo-
dulation. Die Schauspielerin drehte sich um und das
Original des Bildes stand, den Hut in der Rechten,
die braune Perrücke auf dem Kopf, in gelber Weste,
grauen Strümpfen und hellbraunem Rock so vor ihr,
als ob es eben seinen Sitz auf der Staffelei verlassen
hätte. Allein bei näherem Hinblick sah man doch, daß
Reynolds dem Ritter geschmeichelt hatte; auf dem Bild
hatte Sir Horaz fünfundvierzig, in Wirklichkeit zählte
er vierundfünfzig Jahre, dort war er nur bleich, hier
herrschte eine gespensterhafte, kränkliche Blässe im Ge-
sicht und auf den Händen, seine Haltung dort war
adelig, hier nur vornehm, der Schluß des Mundes
zeigte dort Festigkeit des Willens und der Ueberzeu-
gung, hier redeten zwei stereotype, schiefe Linien unter
den Mundwinkeln von einem conventionellen und skep-
tischen Lächeln; mit Einem Wort, der Künstler hatte
die ganze Persönlichkeit um einige Grade erwärmt, ihre
Potenz höher gespannt, ihr Blut schneller circuliren
lassen, und nur den dunkein Glanz des geistreichen,
durchdringenden Auges unverändert und sehr glücklich
wiedergegeben. Auch die Haltung hatte durch den be-
quemen Sitz etwas Leichtes und Freies erhalten, was
dem Ritter beim Stehen oder Dahinschreiten fehlte;
denn wenn derselbe auch die Tournure eines Versailler
Hofmanns auf's Vollständigste besaß, so wirkte doch
die auffallende Länge und Magerkeit seiner Gestalt stö-
rend, und das Podagra, welches ihn schon seit gerau-
mer Zeit plagte, gab seinem Auftreten etwas Schwäch-
liches und Unsicheres in solchem Grade, daß man fürch-
ten mußte, die hagere Erscheinung bei dem ersten Anlaß
zerbrechen, umknicken, in sich zusammensinken zu sehen.

„Meiner unbegrenzten Ergebenheit,“ wiederholte
der Ritter, „welche sich zunächst dadurch manifestirt,
daß ich, durch den Klang Jhrer Stimme von Jhrer
Anwesenheit belehrt, Miß Kitty, mich doppelt beeilt
habe, um in angemessener Form vor Jhnen erscheinen
zu können.“

„Sehr galant, Sir Horaz!“ versetzte die Schau-
spielerin; „aber bedecken Sie sich doch!“ — „Nicht um
eine Welt, Miß! Sie wissen, daß der größte und
feinste König von Frankreich, der gewaltige Ludwig, nie
einer Dame, natürlich vom Hofe, und wenn es das
geringste Kammerkätzchen war, begegnete, ohne mit ei-
ner anmuthigen Bewegung seinen Hut abzunehmen.
Das that der vollendetste Cavalier der Welt vor Zofen,
und ich sollte vor einer Königin der Kunst dastehen
mit dem Hut auf dem Kopf?“

Die Schauspielerin verbeugte sich lächelnd und
[Spaltenumbruch] folgte dann der Einladung des Ritters in das Em-
pfangzimmer, denn die so eben berichtete Begrüßungs-
scene im Styl einer etwas veralteten Galanterie, welche
Walpole sorgsam kultivirte, war auf dem Vorplatz vor
sich gegangen.

„Leider,“ sagte sie eintretend, indem sie sich mit
einer schönen Beugung des Kopfs nach dem Ritter um-
wandte, „sind die Beispiele einer so feinen Eleganz der
Sitten in England selten geworden seit der Herrschaft
der deutschen Dynastie.“ — „Und was bringen Sie mir
Neues auf den Erdbeerenberg?“ erwiederte Walpole,
welcher im geselligen Verkehr jedes irgendwie an die
Politik anschlagende Gespräch davon abzuleiten suchte.

„Eine Schriftstellerangelegenheit! Etwas Unange-
nehmes! — denn Sie lieben ja die Autoren von Fach
nicht.“ — „Gewiß nicht, schöne Freundin, wenn sie
nicht einen praktischen Anhaltspunkt im wirklichen Leben
haben; denn die bloßen Schriftsteller und Dichter als
solche sind alle voll eitler und unnützer Prätentionen,
Menschen, welche Geld verlangen, um ungestört und
sorgenlos arbeiten zu können, und dem sorgenlosesten
Nichtsthun nachgehen, sobald sie es haben.“

„Vielleicht ist es auch was anderes,“ meinte die
Schauspielerin. „Die Sache ist die, daß sich heute Mor-
gen ein hübscher junger Mensch bei mir vorgestellt hat
mit dem Ersuchen, ihm eine Audienz bei Jhnen zu ver-
schaffen, da es, wie bekannt, ohne eine Empfehlung
schwer sey, bei Jhnen vorgelassen zu werden.“ — „Ein
hübscher junger Mensch!“ fiel Walpole ein. „Sollte
ich da nicht bloß zum Vorwand gedient haben?“ —
„Möglich, allein nicht wahrscheinlich, denn er hat sich
nicht dahin ausgesprochen, obwohl er nicht zu blöde
scheint, um gewisse Vorschläge zu machen, über welche
man sich nur zum Schein, oder am liebsten gar nicht
erzürnt. Denn,“ setzte die Schauspielerin nach einer
Pause mit einem koketten Lächeln hinzu, „man braucht
sich ja nicht darauf einzulassen. Er kommt von Bristol
in einer vertraulichen Sendung mit mündlichen Auf-
trägen und Papieren, welche nur für Sie bestimmt sind.“

„Welchen Jnhalts?“ fragte Walpole. — „Jhr Ver-
dacht ist richtig,“ lächelte Kitty; „allein ich konnte nichts
erfahren, der junge Herr war mir zu fest, obwohl er
mir bei der Toilette helfen durfte.“ — „Dann muß ich
glauben,“ sagte Sir Horaz, „daß die Botschaft eine
ernsthafte, lang und sehnlichst erwartete ist, obwohl
diese staubige Alterthumsangelegenheit schlecht zu ihren
beiden jugendlichen Ueberbringern paßt. Wo ist der
Bote jetzt?“ — „Er erwartet bei mir Jhre Befehle.“

Der Ritter klingelte und ordnete die sofortige Ein-
führung des Fremden auf dem Erdbeerenberg an.

( Fortsetzung folgt. )

[Ende Spaltensatz]

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Denn,“ setzte die Schauspielerin nach einer Pause mit einem koketten Lächeln hinzu, „man braucht sich ja nicht darauf einzulassen. Er kommt von Bristol in einer vertraulichen Sendung mit mündlichen Auf- trägen und Papieren, welche nur für Sie bestimmt sind.“ „Welchen Jnhalts?“ fragte Walpole. — „Jhr Ver- dacht ist richtig,“ lächelte Kitty; „allein ich konnte nichts erfahren, der junge Herr war mir zu fest, obwohl er mir bei der Toilette helfen durfte.“ — „Dann muß ich glauben,“ sagte Sir Horaz, „daß die Botschaft eine ernsthafte, lang und sehnlichst erwartete ist, obwohl diese staubige Alterthumsangelegenheit schlecht zu ihren beiden jugendlichen Ueberbringern paßt. Wo ist der Bote jetzt?“ — „Er erwartet bei mir Jhre Befehle.“ Der Ritter klingelte und ordnete die sofortige Ein- führung des Fremden auf dem Erdbeerenberg an. ( Fortsetzung folgt. )

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Zitationshilfe: Morgenblatt für gebildete Leser. Nr. 46. Stuttgart/Tübingen, 16. November 1856, S. 1093. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_morgenblatt46_1856/13>, abgerufen am 22.11.2024.