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Morgenblatt für gebildete Leser. Nr. 36. Stuttgart/Tübingen, 7. September 1856.

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[Beginn Spaltensatz]

Außer dem ehemaligen Viehhof ist aber auch noch
ein Gartenhaus in Oggersheim, das von Schiller öfters
besucht worden seyn und in dem er zuweilen gearbeitet
haben soll. Es steht nicht weit von seiner Wohnung an
der nordwestlichen Ecke der Stadtmauer und gewährt aus
seinen Fenstern eine schöne Aussicht über die fruchtbare
Ebene hin nach den blauen pfälzischen Bergen. Die Frau
des Oekonomen Schutt, dem jener Garten sammt Wohn-
und Gartenhaus gehört, erzählte mir, die Besitzung habe
früher einem Herrn von Massias in Mannheim und vor
demselben einem kurpfälzischen Regierungsrath Schmitz
gehört, zu dessen Zeit ein berühmter Mann hier oft ver-
weilt und geschrieben habe, wo sie jetzt ihren Obstvorrath
und ihr Rauchfleisch aufbewahrt. Jch würde dieses auf
Säulen und Stadtmauerresten ruhende Gartenhaus näher
beschreiben, wenn ich meiner Sache ganz sicher wäre.
Wahr ist, daß noch im zweiten Decennium unseres Jahr-
hunderts der Garten des französischen Gesandten Massias
am badischen Hofe zu den Schönheiten und Merkwürdig-
keiten Oggersheims gehörte, wahr, daß das bewußte
Gartenhaus ziemlich alt ist; ob es aber in den achtziger
Jahren schon bestand, davon habe ich mich nicht zu verge-
wissern vermocht. Es bleibt immerhin wahrscheinlich, daß
Schiller den schönen, nahe hinter seiner Wohnung gele-
genen Garten öfters besuchte; daß er aber, auch wenn
das Gartenhäuschen in jener Zeit schon existirte, in den
Monaten Oktober und November darin gearbeitet habe,
steht in hohem Maaße zu bezweifeln. Daß die gute Frau
Schutt nicht im Sinne hat, den großen Dichter, dessen
Name ihr nicht einfallen wollte, bis ich ihr den Schillers
nannte, für ihr Territorium zu usurpiren, deß bin ich
sicher. Es mag hier gegangen seyn, wie mit dem Pseudo-
Schillerhäuschen in der Straße gegen Frankenthal hin.
Das Gartenhaus war so gut gelegen, so passend für ei-
nen Dichter; warum Schillern nicht hieher ziehen und
ihm sogar einen Schrank und einen Schreibtisch hinstellen?
[Spaltenumbruch] Solche Dinge machen sich wie die Sagen. Daß Schiller
während seines siebenwöchentlichen Aufenthalts in Oggers-
heim unter erborgtem Namen von niemanden, oder doch
nur von sehr wenigen gekannt war und bei der Aermlich-
keit seiner Erscheinung überhaupt wenig Aufsehen erregte,
ist wohl das Wahrscheinlichere. Erst in späterer Zeit, als
er längst wie ein heller Stern am Dichterhimmel glänzte,
mögen sich die Leute wieder des langen, hagern Doktors
erinnert haben, den sie am späten Herbstabend zuweilen
durch die damals prächtige Pappelallee an der Straße
nach Mannheim wandeln sahen, "gesenkten Hauptes, tief-
nachdenklich, beide Hände in den Taschen seiner weit herab
reichenden Weste, deren Flügel er in regelmäßigen Takt-
schlägen hob und niederschlug."

Auch die nahe Stadt Frankenthal hat sich den Auf-
enthalt Schillers in Oggersheim zu nutze gemacht. Jhre
Bewohner behaupten, der Dichter habe in der dortigen
Glockengießerei bei dem alten Meister Schrader zum ersten
mal eine Glocke gießen sehen und von dort die Jdee zu
seinem prächtigen Gedicht mitgenommen. Möglich, daß
Schiller auch einmal nach der nur eine Stunde entfernten
dritten Hauptstadt der Pfalz spazierte, um ihre ruinosen
Festungswerke, ihren fünf Jahre vorher erst vollendeten
Kanal und die zahlreichen Fabriken zu sehen, welche Kur-
fürst Karl Theodor dort in's Leben gerufen; möglich, daß
er auch einem Glockengusse beiwohnte. Aber da das Lied
von der Glocke erst in die dritte Periode seines Dichter-
lebens fällt, so bleibt es immer ein Wagniß, zu behaup-
ten, er sey in Frankenthal zu dieser Dichtung angeregt
und begeistert worden. Verargen wollen wir es aber je-
ner Stadt keineswegs, daß sie im Leben und Dichten des
großen Mannes auch eine Rolle gespielt haben möchte.
Welche andere würde nicht zugreifen, wenn sich ihr dazu
eine Handhabe böte? Haben sich doch sieben Städte Grie-
chenlands um den Ruhm gestritten, Homers Geburtsort zu
seyn.

[Ende Spaltensatz]



Königsberg, August.

Zeitungswesen der Provinz. -- Die Bühne. -- Nach Danzig, sonst und jetzt.

[Beginn Spaltensatz]
Jam satis terris nivis, atque dirae
Grandinis misit Pater
--

Wolkenumdüsterter Sommer! Da habe ich jüngst für
Klima und Natur Altpreußens eine Lanze in aller Be-
scheidenheit eingelegt, und wie macht jetzt der Himmel
meine Worte zu Schanden! Seit langen Wochen wird
des Regens kein Ende, der Hagelschläge und der empfind-
lichen Kälte. Alles klagt, und mit Recht, der Landmann
[Spaltenumbruch] über verdorbene Felder und zerstörte Saaten, der Städter
um die üblichen Vergnügungen, um die er, will er anders
Rheuma und Fieber vermeiden, durch die Ungunst der
rauhen und nassen Witterung gebracht wird. Am meisten
leiden unter den bösen Temperaturverhältnissen die meeres-
lüsternen Strandbesucher; die Badesaison ist bisher voll-
ständig verregnet. Viele dieser Aermsten haben sich zu
Opfern verstanden, um nur rasch und schnell im Genuß
[Ende Spaltensatz]

[Beginn Spaltensatz]

Außer dem ehemaligen Viehhof ist aber auch noch
ein Gartenhaus in Oggersheim, das von Schiller öfters
besucht worden seyn und in dem er zuweilen gearbeitet
haben soll. Es steht nicht weit von seiner Wohnung an
der nordwestlichen Ecke der Stadtmauer und gewährt aus
seinen Fenstern eine schöne Aussicht über die fruchtbare
Ebene hin nach den blauen pfälzischen Bergen. Die Frau
des Oekonomen Schutt, dem jener Garten sammt Wohn-
und Gartenhaus gehört, erzählte mir, die Besitzung habe
früher einem Herrn von Massias in Mannheim und vor
demselben einem kurpfälzischen Regierungsrath Schmitz
gehört, zu dessen Zeit ein berühmter Mann hier oft ver-
weilt und geschrieben habe, wo sie jetzt ihren Obstvorrath
und ihr Rauchfleisch aufbewahrt. Jch würde dieses auf
Säulen und Stadtmauerresten ruhende Gartenhaus näher
beschreiben, wenn ich meiner Sache ganz sicher wäre.
Wahr ist, daß noch im zweiten Decennium unseres Jahr-
hunderts der Garten des französischen Gesandten Massias
am badischen Hofe zu den Schönheiten und Merkwürdig-
keiten Oggersheims gehörte, wahr, daß das bewußte
Gartenhaus ziemlich alt ist; ob es aber in den achtziger
Jahren schon bestand, davon habe ich mich nicht zu verge-
wissern vermocht. Es bleibt immerhin wahrscheinlich, daß
Schiller den schönen, nahe hinter seiner Wohnung gele-
genen Garten öfters besuchte; daß er aber, auch wenn
das Gartenhäuschen in jener Zeit schon existirte, in den
Monaten Oktober und November darin gearbeitet habe,
steht in hohem Maaße zu bezweifeln. Daß die gute Frau
Schutt nicht im Sinne hat, den großen Dichter, dessen
Name ihr nicht einfallen wollte, bis ich ihr den Schillers
nannte, für ihr Territorium zu usurpiren, deß bin ich
sicher. Es mag hier gegangen seyn, wie mit dem Pseudo-
Schillerhäuschen in der Straße gegen Frankenthal hin.
Das Gartenhaus war so gut gelegen, so passend für ei-
nen Dichter; warum Schillern nicht hieher ziehen und
ihm sogar einen Schrank und einen Schreibtisch hinstellen?
[Spaltenumbruch] Solche Dinge machen sich wie die Sagen. Daß Schiller
während seines siebenwöchentlichen Aufenthalts in Oggers-
heim unter erborgtem Namen von niemanden, oder doch
nur von sehr wenigen gekannt war und bei der Aermlich-
keit seiner Erscheinung überhaupt wenig Aufsehen erregte,
ist wohl das Wahrscheinlichere. Erst in späterer Zeit, als
er längst wie ein heller Stern am Dichterhimmel glänzte,
mögen sich die Leute wieder des langen, hagern Doktors
erinnert haben, den sie am späten Herbstabend zuweilen
durch die damals prächtige Pappelallee an der Straße
nach Mannheim wandeln sahen, „gesenkten Hauptes, tief-
nachdenklich, beide Hände in den Taschen seiner weit herab
reichenden Weste, deren Flügel er in regelmäßigen Takt-
schlägen hob und niederschlug.“

Auch die nahe Stadt Frankenthal hat sich den Auf-
enthalt Schillers in Oggersheim zu nutze gemacht. Jhre
Bewohner behaupten, der Dichter habe in der dortigen
Glockengießerei bei dem alten Meister Schrader zum ersten
mal eine Glocke gießen sehen und von dort die Jdee zu
seinem prächtigen Gedicht mitgenommen. Möglich, daß
Schiller auch einmal nach der nur eine Stunde entfernten
dritten Hauptstadt der Pfalz spazierte, um ihre ruinosen
Festungswerke, ihren fünf Jahre vorher erst vollendeten
Kanal und die zahlreichen Fabriken zu sehen, welche Kur-
fürst Karl Theodor dort in's Leben gerufen; möglich, daß
er auch einem Glockengusse beiwohnte. Aber da das Lied
von der Glocke erst in die dritte Periode seines Dichter-
lebens fällt, so bleibt es immer ein Wagniß, zu behaup-
ten, er sey in Frankenthal zu dieser Dichtung angeregt
und begeistert worden. Verargen wollen wir es aber je-
ner Stadt keineswegs, daß sie im Leben und Dichten des
großen Mannes auch eine Rolle gespielt haben möchte.
Welche andere würde nicht zugreifen, wenn sich ihr dazu
eine Handhabe böte? Haben sich doch sieben Städte Grie-
chenlands um den Ruhm gestritten, Homers Geburtsort zu
seyn.

[Ende Spaltensatz]



Königsberg, August.

Zeitungswesen der Provinz. — Die Bühne. — Nach Danzig, sonst und jetzt.

[Beginn Spaltensatz]
Jam satis terris nivis, atque dirae
Grandinis misit Pater

Wolkenumdüsterter Sommer! Da habe ich jüngst für
Klima und Natur Altpreußens eine Lanze in aller Be-
scheidenheit eingelegt, und wie macht jetzt der Himmel
meine Worte zu Schanden! Seit langen Wochen wird
des Regens kein Ende, der Hagelschläge und der empfind-
lichen Kälte. Alles klagt, und mit Recht, der Landmann
[Spaltenumbruch] über verdorbene Felder und zerstörte Saaten, der Städter
um die üblichen Vergnügungen, um die er, will er anders
Rheuma und Fieber vermeiden, durch die Ungunst der
rauhen und nassen Witterung gebracht wird. Am meisten
leiden unter den bösen Temperaturverhältnissen die meeres-
lüsternen Strandbesucher; die Badesaison ist bisher voll-
ständig verregnet. Viele dieser Aermsten haben sich zu
Opfern verstanden, um nur rasch und schnell im Genuß
[Ende Spaltensatz]

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[861/0021] 861 Außer dem ehemaligen Viehhof ist aber auch noch ein Gartenhaus in Oggersheim, das von Schiller öfters besucht worden seyn und in dem er zuweilen gearbeitet haben soll. Es steht nicht weit von seiner Wohnung an der nordwestlichen Ecke der Stadtmauer und gewährt aus seinen Fenstern eine schöne Aussicht über die fruchtbare Ebene hin nach den blauen pfälzischen Bergen. Die Frau des Oekonomen Schutt, dem jener Garten sammt Wohn- und Gartenhaus gehört, erzählte mir, die Besitzung habe früher einem Herrn von Massias in Mannheim und vor demselben einem kurpfälzischen Regierungsrath Schmitz gehört, zu dessen Zeit ein berühmter Mann hier oft ver- weilt und geschrieben habe, wo sie jetzt ihren Obstvorrath und ihr Rauchfleisch aufbewahrt. Jch würde dieses auf Säulen und Stadtmauerresten ruhende Gartenhaus näher beschreiben, wenn ich meiner Sache ganz sicher wäre. Wahr ist, daß noch im zweiten Decennium unseres Jahr- hunderts der Garten des französischen Gesandten Massias am badischen Hofe zu den Schönheiten und Merkwürdig- keiten Oggersheims gehörte, wahr, daß das bewußte Gartenhaus ziemlich alt ist; ob es aber in den achtziger Jahren schon bestand, davon habe ich mich nicht zu verge- wissern vermocht. Es bleibt immerhin wahrscheinlich, daß Schiller den schönen, nahe hinter seiner Wohnung gele- genen Garten öfters besuchte; daß er aber, auch wenn das Gartenhäuschen in jener Zeit schon existirte, in den Monaten Oktober und November darin gearbeitet habe, steht in hohem Maaße zu bezweifeln. Daß die gute Frau Schutt nicht im Sinne hat, den großen Dichter, dessen Name ihr nicht einfallen wollte, bis ich ihr den Schillers nannte, für ihr Territorium zu usurpiren, deß bin ich sicher. Es mag hier gegangen seyn, wie mit dem Pseudo- Schillerhäuschen in der Straße gegen Frankenthal hin. Das Gartenhaus war so gut gelegen, so passend für ei- nen Dichter; warum Schillern nicht hieher ziehen und ihm sogar einen Schrank und einen Schreibtisch hinstellen? Solche Dinge machen sich wie die Sagen. Daß Schiller während seines siebenwöchentlichen Aufenthalts in Oggers- heim unter erborgtem Namen von niemanden, oder doch nur von sehr wenigen gekannt war und bei der Aermlich- keit seiner Erscheinung überhaupt wenig Aufsehen erregte, ist wohl das Wahrscheinlichere. Erst in späterer Zeit, als er längst wie ein heller Stern am Dichterhimmel glänzte, mögen sich die Leute wieder des langen, hagern Doktors erinnert haben, den sie am späten Herbstabend zuweilen durch die damals prächtige Pappelallee an der Straße nach Mannheim wandeln sahen, „gesenkten Hauptes, tief- nachdenklich, beide Hände in den Taschen seiner weit herab reichenden Weste, deren Flügel er in regelmäßigen Takt- schlägen hob und niederschlug.“ Auch die nahe Stadt Frankenthal hat sich den Auf- enthalt Schillers in Oggersheim zu nutze gemacht. Jhre Bewohner behaupten, der Dichter habe in der dortigen Glockengießerei bei dem alten Meister Schrader zum ersten mal eine Glocke gießen sehen und von dort die Jdee zu seinem prächtigen Gedicht mitgenommen. Möglich, daß Schiller auch einmal nach der nur eine Stunde entfernten dritten Hauptstadt der Pfalz spazierte, um ihre ruinosen Festungswerke, ihren fünf Jahre vorher erst vollendeten Kanal und die zahlreichen Fabriken zu sehen, welche Kur- fürst Karl Theodor dort in's Leben gerufen; möglich, daß er auch einem Glockengusse beiwohnte. Aber da das Lied von der Glocke erst in die dritte Periode seines Dichter- lebens fällt, so bleibt es immer ein Wagniß, zu behaup- ten, er sey in Frankenthal zu dieser Dichtung angeregt und begeistert worden. Verargen wollen wir es aber je- ner Stadt keineswegs, daß sie im Leben und Dichten des großen Mannes auch eine Rolle gespielt haben möchte. Welche andere würde nicht zugreifen, wenn sich ihr dazu eine Handhabe böte? Haben sich doch sieben Städte Grie- chenlands um den Ruhm gestritten, Homers Geburtsort zu seyn. Königsberg, August. Zeitungswesen der Provinz. — Die Bühne. — Nach Danzig, sonst und jetzt. Jam satis terris nivis, atque dirae Grandinis misit Pater — Wolkenumdüsterter Sommer! Da habe ich jüngst für Klima und Natur Altpreußens eine Lanze in aller Be- scheidenheit eingelegt, und wie macht jetzt der Himmel meine Worte zu Schanden! Seit langen Wochen wird des Regens kein Ende, der Hagelschläge und der empfind- lichen Kälte. Alles klagt, und mit Recht, der Landmann über verdorbene Felder und zerstörte Saaten, der Städter um die üblichen Vergnügungen, um die er, will er anders Rheuma und Fieber vermeiden, durch die Ungunst der rauhen und nassen Witterung gebracht wird. Am meisten leiden unter den bösen Temperaturverhältnissen die meeres- lüsternen Strandbesucher; die Badesaison ist bisher voll- ständig verregnet. Viele dieser Aermsten haben sich zu Opfern verstanden, um nur rasch und schnell im Genuß

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Zitationshilfe: Morgenblatt für gebildete Leser. Nr. 36. Stuttgart/Tübingen, 7. September 1856, S. 861. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_morgenblatt36_1856/21>, abgerufen am 27.11.2024.