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Morgenblatt für gebildete Leser. Nr. 36. Stuttgart/Tübingen, 7. September 1856.

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[Beginn Spaltensatz] Achselgrube ziehen, aber diese sanft ausbeugend, jenes
Ende geradlinig und senkrecht. Jn den mittleren Par-
tien der Chlamys, jenen Ausladungen, welche durch
die doppelte Bewegung des Niedersinkens des gewichti-
gen Stoffs und des Hinaufziehens desselben über den
Arm entstanden, haben sich jene großen Schwingungen
unter dem Arm wiederholt, aber nun fast zu Winkeln
gebrochen, scharf, gedrungen und mit sparsamer ausge-
theilten Linien. Unten verlieren sie sich ganz, indem
hier der Stoff ruhig seine natürliche Lage und Breite
wieder herzustellen sucht. Aber wie eine hohe Welle,
wenn sie niedersinkt, noch über die Fläche des Meeres
nachwirkt und in immer sanfteren und weiteren Kreis-
linien sich nur allmählig verliert, so zittert hier die
Bewegung der Hauptpartien bis zum äußersten sanft-
gekräuselten Saume fort. Von zarten Mitteltinten be-
leuchtet, mildert diese Fläche zugleich die herbere Kraft
der Lichter und Schatten, welche sich in den Haupt-
massen sammelten, und täuscht mit der Wirkung
eines reichen und mild schimmernden Purpurstoffs. --
Was nur immer der Kunstverständige von der Dar-
stellung eines Gewandes zu fordern berechtigt ist, die
ungezwungene Leichtigkeit der Natur ohne die Verwirrung
derselben, Mannigfaltigkeit und Einheit, leicht über-
sehbare Massen und Unterordnung der Nebenpartien,
alles dieses findet sich am vatikanischen Apollo im höch-
sten und schönsten Sinn erfüllt."

Für die künstlerische Behandlung des Gewandes
kam allerdings den Griechen ihre Tracht selber so gün-
stig entgegen, daß wir sie auch hierin als das vorher-
bestimmte Volk der Plastik erkennen; denn wie die
Culturverhältnisse und Zeitumstände für das Auftreten
und den Bildungsgang des einzelnen Genius nothwen-
dig mit dessen Begabung und Mission in verwandt-
schaftlicher Beziehung stehen müssen, so daß man aus
seinem rechtzeitigen Erscheinen den Beweis der Geschichte für
das Walten einer Vorsehung, eines selbstbewußten und
der Welt zugleich einwohnenden Gottesgeistes führen
kann, so bedarf auch jede Kunst für eine originale
Blüthe den Boden des Lebens und eine Wirklichkeit,
die ihr entgegen kommt und sich wie von selber der ideali-
sirenden Darstellung bietet. Wir können im Tragen
unserer Gewänder weniger unsern Sinn zeigen; sie
sind vom Schneider gemacht, sitzen gut oder schlecht
nach Maßgabe der Verfertigung, und bilden eine Art
von Futteralen, deren wir oft mehrere über einander
anziehen. Und was für ein Bild gäbe das Hinein-
steigen in die Hosen oder das angestrengte Heraufzie-
hen der Stiefeln im Unterschiede vom Anlegen der
Beinschiene oder dem Sandalenbinden, das dem grie-
chischen Künstler Motiv für eine Statue seyn konnte!
[Spaltenumbruch] Die Kleider sind aber auch für sich fertig gemacht und
das Tuch kann nicht im Faltenwurf seiner Natur fol-
gen, sondern wird durch die Nähte und Knöpfe von
Seiten des Schneiders bestimmt, ist für sich meist eng
und dürftig, ohne sich doch wieder den Gliedern des
Körpers elastisch anzuschmiegen.

Dagegen konnte der griechische Künstler den hemd-
artigen Leibrock ( bald kurz, ohne Aermel und von
Wolle, bald lang und weit, mit Aermeln und von
Leinwand, xiton ) weglassen, wie es vielfach die nicht
verweichlichten Männer, zumal in der warmen Jahres-
zeit thaten, und dann war das ganze Gewand ein
großes einfaches viereckiges Tuch, der Mantel, ein
Ueberwurf, in dessen Umlegen und Tragen man den
Freigebildeten vom Unbeholfenen unterscheiden konnte.
Man hielt ihn zunächst mit dem linken Arm fest, warf
ihn über dessen Schulter, über den Rücken und zog
ihn dann bald über, bald unter dem rechten Arm nach
dem linken herum. Statt dessen trugen Jünglinge
und Reiter auch einen Rundkragen ( xlamyw, der sich
von Thessalien aus verbreitete ) , der auf der rechten
Seite der Brust durch Knopf oder Spange befestigt
ward und in zwei flügelartigen Zipfeln längs der
Schenkel herab fiel. Der jonische Frauenrock war fal-
tenreich, weit und lang, so daß er aufgegürtet werden
mußte; der dorische war kurz, ein Stück Wollentuch
ohne Aermel, auf den Schultern durch Spangen festge-
halten, an der linken Seite nur theilweise zusammen-
genäht und um die Schenkel offen gelassen. Der
Frauenmantel war dem der Männer ähnlich; häufig
genügte der Rock allein, namentlich zu Hause. Da
war es möglich, daß durch straffes Anziehen der Ge-
wänder die Körperformen unter der faltenlosen Fläche
hervor traten, und wiederum dann im Faltenwurf das
Tuch seinem eigenen architektonischen Gesetze gemäß sich
gestaltete. So ward die ideale, d. h. der Jdee der
plastischen Kunst gemäße Tracht für sie gewonnen und
von den Künstlern bis auf den heutigen Tag gern
für ideale Statuen angewandt. Der Künstler wenig-
stens, welcher irgend eine allgemein geistige Macht
ihrem Begriffe gemäß individualisirt und gestaltet, wird,
so wie er sie bekleidet, sich jener Tracht nicht sowohl
als der griechischen, denn als der einfachen und sach-
gemäßen bedienen.

Anders stellt sich die Frage, wenn historischen
Personen eine Porträtstatue geweiht werden soll. Hier
kommt zuerst der idealistische und der realistische Aus-
gangspunkt in Betracht: sollen sie ihrer reinen Bedeu-
tung oder ihrer wirklichen Erscheinung nach dargestellt
werden? Jm ersten Fall steht die freie Wahl der Be-
kleidung nach ästhetischen Zwecken offen, wie sie zum
[Ende Spaltensatz]

[Beginn Spaltensatz] Achselgrube ziehen, aber diese sanft ausbeugend, jenes
Ende geradlinig und senkrecht. Jn den mittleren Par-
tien der Chlamys, jenen Ausladungen, welche durch
die doppelte Bewegung des Niedersinkens des gewichti-
gen Stoffs und des Hinaufziehens desselben über den
Arm entstanden, haben sich jene großen Schwingungen
unter dem Arm wiederholt, aber nun fast zu Winkeln
gebrochen, scharf, gedrungen und mit sparsamer ausge-
theilten Linien. Unten verlieren sie sich ganz, indem
hier der Stoff ruhig seine natürliche Lage und Breite
wieder herzustellen sucht. Aber wie eine hohe Welle,
wenn sie niedersinkt, noch über die Fläche des Meeres
nachwirkt und in immer sanfteren und weiteren Kreis-
linien sich nur allmählig verliert, so zittert hier die
Bewegung der Hauptpartien bis zum äußersten sanft-
gekräuselten Saume fort. Von zarten Mitteltinten be-
leuchtet, mildert diese Fläche zugleich die herbere Kraft
der Lichter und Schatten, welche sich in den Haupt-
massen sammelten, und täuscht mit der Wirkung
eines reichen und mild schimmernden Purpurstoffs. —
Was nur immer der Kunstverständige von der Dar-
stellung eines Gewandes zu fordern berechtigt ist, die
ungezwungene Leichtigkeit der Natur ohne die Verwirrung
derselben, Mannigfaltigkeit und Einheit, leicht über-
sehbare Massen und Unterordnung der Nebenpartien,
alles dieses findet sich am vatikanischen Apollo im höch-
sten und schönsten Sinn erfüllt.“

Für die künstlerische Behandlung des Gewandes
kam allerdings den Griechen ihre Tracht selber so gün-
stig entgegen, daß wir sie auch hierin als das vorher-
bestimmte Volk der Plastik erkennen; denn wie die
Culturverhältnisse und Zeitumstände für das Auftreten
und den Bildungsgang des einzelnen Genius nothwen-
dig mit dessen Begabung und Mission in verwandt-
schaftlicher Beziehung stehen müssen, so daß man aus
seinem rechtzeitigen Erscheinen den Beweis der Geschichte für
das Walten einer Vorsehung, eines selbstbewußten und
der Welt zugleich einwohnenden Gottesgeistes führen
kann, so bedarf auch jede Kunst für eine originale
Blüthe den Boden des Lebens und eine Wirklichkeit,
die ihr entgegen kommt und sich wie von selber der ideali-
sirenden Darstellung bietet. Wir können im Tragen
unserer Gewänder weniger unsern Sinn zeigen; sie
sind vom Schneider gemacht, sitzen gut oder schlecht
nach Maßgabe der Verfertigung, und bilden eine Art
von Futteralen, deren wir oft mehrere über einander
anziehen. Und was für ein Bild gäbe das Hinein-
steigen in die Hosen oder das angestrengte Heraufzie-
hen der Stiefeln im Unterschiede vom Anlegen der
Beinschiene oder dem Sandalenbinden, das dem grie-
chischen Künstler Motiv für eine Statue seyn konnte!
[Spaltenumbruch] Die Kleider sind aber auch für sich fertig gemacht und
das Tuch kann nicht im Faltenwurf seiner Natur fol-
gen, sondern wird durch die Nähte und Knöpfe von
Seiten des Schneiders bestimmt, ist für sich meist eng
und dürftig, ohne sich doch wieder den Gliedern des
Körpers elastisch anzuschmiegen.

Dagegen konnte der griechische Künstler den hemd-
artigen Leibrock ( bald kurz, ohne Aermel und von
Wolle, bald lang und weit, mit Aermeln und von
Leinwand, xitώn ) weglassen, wie es vielfach die nicht
verweichlichten Männer, zumal in der warmen Jahres-
zeit thaten, und dann war das ganze Gewand ein
großes einfaches viereckiges Tuch, der Mantel, ein
Ueberwurf, in dessen Umlegen und Tragen man den
Freigebildeten vom Unbeholfenen unterscheiden konnte.
Man hielt ihn zunächst mit dem linken Arm fest, warf
ihn über dessen Schulter, über den Rücken und zog
ihn dann bald über, bald unter dem rechten Arm nach
dem linken herum. Statt dessen trugen Jünglinge
und Reiter auch einen Rundkragen ( xlamýw, der sich
von Thessalien aus verbreitete ) , der auf der rechten
Seite der Brust durch Knopf oder Spange befestigt
ward und in zwei flügelartigen Zipfeln längs der
Schenkel herab fiel. Der jonische Frauenrock war fal-
tenreich, weit und lang, so daß er aufgegürtet werden
mußte; der dorische war kurz, ein Stück Wollentuch
ohne Aermel, auf den Schultern durch Spangen festge-
halten, an der linken Seite nur theilweise zusammen-
genäht und um die Schenkel offen gelassen. Der
Frauenmantel war dem der Männer ähnlich; häufig
genügte der Rock allein, namentlich zu Hause. Da
war es möglich, daß durch straffes Anziehen der Ge-
wänder die Körperformen unter der faltenlosen Fläche
hervor traten, und wiederum dann im Faltenwurf das
Tuch seinem eigenen architektonischen Gesetze gemäß sich
gestaltete. So ward die ideale, d. h. der Jdee der
plastischen Kunst gemäße Tracht für sie gewonnen und
von den Künstlern bis auf den heutigen Tag gern
für ideale Statuen angewandt. Der Künstler wenig-
stens, welcher irgend eine allgemein geistige Macht
ihrem Begriffe gemäß individualisirt und gestaltet, wird,
so wie er sie bekleidet, sich jener Tracht nicht sowohl
als der griechischen, denn als der einfachen und sach-
gemäßen bedienen.

Anders stellt sich die Frage, wenn historischen
Personen eine Porträtstatue geweiht werden soll. Hier
kommt zuerst der idealistische und der realistische Aus-
gangspunkt in Betracht: sollen sie ihrer reinen Bedeu-
tung oder ihrer wirklichen Erscheinung nach dargestellt
werden? Jm ersten Fall steht die freie Wahl der Be-
kleidung nach ästhetischen Zwecken offen, wie sie zum
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[854/0014] 854 Achselgrube ziehen, aber diese sanft ausbeugend, jenes Ende geradlinig und senkrecht. Jn den mittleren Par- tien der Chlamys, jenen Ausladungen, welche durch die doppelte Bewegung des Niedersinkens des gewichti- gen Stoffs und des Hinaufziehens desselben über den Arm entstanden, haben sich jene großen Schwingungen unter dem Arm wiederholt, aber nun fast zu Winkeln gebrochen, scharf, gedrungen und mit sparsamer ausge- theilten Linien. Unten verlieren sie sich ganz, indem hier der Stoff ruhig seine natürliche Lage und Breite wieder herzustellen sucht. Aber wie eine hohe Welle, wenn sie niedersinkt, noch über die Fläche des Meeres nachwirkt und in immer sanfteren und weiteren Kreis- linien sich nur allmählig verliert, so zittert hier die Bewegung der Hauptpartien bis zum äußersten sanft- gekräuselten Saume fort. Von zarten Mitteltinten be- leuchtet, mildert diese Fläche zugleich die herbere Kraft der Lichter und Schatten, welche sich in den Haupt- massen sammelten, und täuscht mit der Wirkung eines reichen und mild schimmernden Purpurstoffs. — Was nur immer der Kunstverständige von der Dar- stellung eines Gewandes zu fordern berechtigt ist, die ungezwungene Leichtigkeit der Natur ohne die Verwirrung derselben, Mannigfaltigkeit und Einheit, leicht über- sehbare Massen und Unterordnung der Nebenpartien, alles dieses findet sich am vatikanischen Apollo im höch- sten und schönsten Sinn erfüllt.“ Für die künstlerische Behandlung des Gewandes kam allerdings den Griechen ihre Tracht selber so gün- stig entgegen, daß wir sie auch hierin als das vorher- bestimmte Volk der Plastik erkennen; denn wie die Culturverhältnisse und Zeitumstände für das Auftreten und den Bildungsgang des einzelnen Genius nothwen- dig mit dessen Begabung und Mission in verwandt- schaftlicher Beziehung stehen müssen, so daß man aus seinem rechtzeitigen Erscheinen den Beweis der Geschichte für das Walten einer Vorsehung, eines selbstbewußten und der Welt zugleich einwohnenden Gottesgeistes führen kann, so bedarf auch jede Kunst für eine originale Blüthe den Boden des Lebens und eine Wirklichkeit, die ihr entgegen kommt und sich wie von selber der ideali- sirenden Darstellung bietet. Wir können im Tragen unserer Gewänder weniger unsern Sinn zeigen; sie sind vom Schneider gemacht, sitzen gut oder schlecht nach Maßgabe der Verfertigung, und bilden eine Art von Futteralen, deren wir oft mehrere über einander anziehen. Und was für ein Bild gäbe das Hinein- steigen in die Hosen oder das angestrengte Heraufzie- hen der Stiefeln im Unterschiede vom Anlegen der Beinschiene oder dem Sandalenbinden, das dem grie- chischen Künstler Motiv für eine Statue seyn konnte! Die Kleider sind aber auch für sich fertig gemacht und das Tuch kann nicht im Faltenwurf seiner Natur fol- gen, sondern wird durch die Nähte und Knöpfe von Seiten des Schneiders bestimmt, ist für sich meist eng und dürftig, ohne sich doch wieder den Gliedern des Körpers elastisch anzuschmiegen. Dagegen konnte der griechische Künstler den hemd- artigen Leibrock ( bald kurz, ohne Aermel und von Wolle, bald lang und weit, mit Aermeln und von Leinwand, xitώn ) weglassen, wie es vielfach die nicht verweichlichten Männer, zumal in der warmen Jahres- zeit thaten, und dann war das ganze Gewand ein großes einfaches viereckiges Tuch, der Mantel, ein Ueberwurf, in dessen Umlegen und Tragen man den Freigebildeten vom Unbeholfenen unterscheiden konnte. Man hielt ihn zunächst mit dem linken Arm fest, warf ihn über dessen Schulter, über den Rücken und zog ihn dann bald über, bald unter dem rechten Arm nach dem linken herum. Statt dessen trugen Jünglinge und Reiter auch einen Rundkragen ( xlamýw, der sich von Thessalien aus verbreitete ) , der auf der rechten Seite der Brust durch Knopf oder Spange befestigt ward und in zwei flügelartigen Zipfeln längs der Schenkel herab fiel. Der jonische Frauenrock war fal- tenreich, weit und lang, so daß er aufgegürtet werden mußte; der dorische war kurz, ein Stück Wollentuch ohne Aermel, auf den Schultern durch Spangen festge- halten, an der linken Seite nur theilweise zusammen- genäht und um die Schenkel offen gelassen. Der Frauenmantel war dem der Männer ähnlich; häufig genügte der Rock allein, namentlich zu Hause. Da war es möglich, daß durch straffes Anziehen der Ge- wänder die Körperformen unter der faltenlosen Fläche hervor traten, und wiederum dann im Faltenwurf das Tuch seinem eigenen architektonischen Gesetze gemäß sich gestaltete. So ward die ideale, d. h. der Jdee der plastischen Kunst gemäße Tracht für sie gewonnen und von den Künstlern bis auf den heutigen Tag gern für ideale Statuen angewandt. Der Künstler wenig- stens, welcher irgend eine allgemein geistige Macht ihrem Begriffe gemäß individualisirt und gestaltet, wird, so wie er sie bekleidet, sich jener Tracht nicht sowohl als der griechischen, denn als der einfachen und sach- gemäßen bedienen. Anders stellt sich die Frage, wenn historischen Personen eine Porträtstatue geweiht werden soll. Hier kommt zuerst der idealistische und der realistische Aus- gangspunkt in Betracht: sollen sie ihrer reinen Bedeu- tung oder ihrer wirklichen Erscheinung nach dargestellt werden? Jm ersten Fall steht die freie Wahl der Be- kleidung nach ästhetischen Zwecken offen, wie sie zum

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Zitationshilfe: Morgenblatt für gebildete Leser. Nr. 36. Stuttgart/Tübingen, 7. September 1856, S. 854. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_morgenblatt36_1856/14>, abgerufen am 22.11.2024.