Morgenblatt für gebildete Leser. Nr. 36. Stuttgart/Tübingen, 7. September 1856.Morgenblatt für gebildete Leser. Nr. 36. 7. September 1856. Madame de Stael. Die festwoche in Rom. [Beginn Spaltensatz]
Wir beklagen jeden, der in der Festwoche oder kurz Das galt noch von keinem Jahr mehr als vom Morgenblatt für gebildete Leser. Nr. 36. 7. September 1856. Madame de Staël. Die festwoche in Rom. [Beginn Spaltensatz]
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Morgenblatt
für
gebildete Leser.
Nr. 36. 7. September 1856.
Il est naturel que les cérémonies da la semaine sainte attirent vivement la curiosité;
mais mille circonstances inévitables nuisent souvent à l'intérêt et à la digneté de ce
spectacle. Ce vague, cet inconnu, ce mystérieux qui convient tant à la religion, est
tout-à-fait dissipé par l'espèce d'attention qu'on ne peut pas s'empêcher de donner
à la manière dont chacun s'acquitte de ses fonctions. — L'ensemble enfin n'est pas en
harmonie, et l'antique et le nouveau s'y mêlent sans qu'on prenne aucun soin pour
frapper l'imagination, et surtout pour éviter tout ce qui peut la distraire.
Madame de Staël.
Die festwoche in Rom.
Wir beklagen jeden, der in der Festwoche oder kurz
vorher zum erstenmal nach Rom kommt. Er wird nicht nur
keine reinen, sondern die unerquicklichsten Eindrücke em-
pfangen und sich oft wiederholen: „Es gibt zwei Rom —
eines in der Wirklichkeit und eines in der Einbildung.“ —
Die Siebenhügelstadt gleicht fast auf ein Haar der
Saison irgend eines fashionablen Badeorts. Es sieht
kaum anders aus in der Via de Condotti, auf der
Piazza di Spagna , als zu Baden=Baden. Nichts
als Rollen von Equipagen und Fiakern im tollsten
Tempo; nichts als Britten und Brittinnen, welche durch
die Straßen rennen, durch die Reihen der Marmor=,
Mosaik= und Gemmenladen, durch die Spaliere von
greulichen, fliegenartig zudringlichen Bettlern, durch die
an den Ecken gethürmten Berge von Blumensträußen,
während die Leute in den Häusern im Fenster liegen
und auf das modische Gewimmel herunter gaffen, statt
die Zimmer einzurichten, welche man gemiethet hat.
Buchstäblich ein ganzer Tag verstreicht, bis das Bett,
das man bereits zu ordnen begonnen, fertig ist. Und
glücklich, wenn man noch ein fast mit Gold aufzuwie-
gendes Obdach findet, irgend eine Stube wie in einem
verfallenen Raubschloß, mit zerfetzten Tapeten, Tep-
pichen und Vorhängen, oder ein Schlafkabinet auf den
feuchten Hof. Man bleibt der Habgier von Facchini,
Camerieri und Wirthen überlassen, welche unsinnige
Preise machen. Es ist eine Jagd des Erwerbs. Der
Römer will, muß sich in Einer Woche für das ganze
Jahr bereichern.
Das galt noch von keinem Jahr mehr als vom
gegenwärtigen. Rom war dießmal von den » forestieri «
völlig überschwemmt; man sprach von 30,000, eine neue
Jnvasion der Barbaren. Auch die Deutschen scheinen
sich in ungewohnter Anzahl eingestellt zu haben. Keine
Möglichkeit, in den letzten Tagen noch in irgend einem
Gasthofe irgendwo unterzukommen. Schon in der ganzen
Woche vorher verwandelte man jeden Abend den Speise-
saal zu Schlafstätten für die Männer, Bett an Bett,
gleich Schiffskajüten. Wir hielten es stets für Mythen,
wenn man uns erzählte, daß Leute sich gezwungen sä-
hen, in ihren Reisewagen zu übernachten. Wir lernten
aber gar bald Personen kennen, denen dieß wirklich
begegnet ist, einen Arzt aus Wien z. B., der froh war,
in der nämlichen Diligence, in der er vor wenigen
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