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Morgenblatt für gebildete Leser. Nr. 34. Stuttgart/Tübingen, 24. August 1856.

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[Beginn Spaltensatz]
Am Meer von Adria, am Rhein
Hab' ich mit Lust gepriesen
Was von den Weibern und vom Wein
Mir Bestes ward erwiesen;
[Spaltenumbruch] Denn heller sah ich Welt und Zeit
Bei ihrer Glut und Lieblichkeit
An mir vorüberfließen.
J. G. Fischer.
[Ende Spaltensatz]



Achtspännig.
Episoden eines Romans.
( Fortsetzung. )
[Beginn Spaltensatz]

Es war also nichts mehr zu ändern. Aber je
mehr man in Weringers Gegenwart mit Bedauern und
Vorwürfen sich jetzt in Acht nahm, desto lärmender
machten sich Ansichten und Gefühle anderswo geltend.
Die neue Hiobspost ward im Nu wieder mit der Frage
über Nutzen und Schaden der Eisenbahn in Verbin-
dung gebracht und der alte Hader flammte auf's Neue
mit aller Heftigkeit auf.

"Da habt ihr's!" rief der Beck als warmer An-
hänger Weringers. "Noch ist von dem ganzen Höllen-
werk nichts als verfluchte Schreiberei auf den Aemtern
und weiße Stangen auf unserm Grund und Boden zu
sehen, und schon schlägt uns ein Schade um den an-
dern in's Genick. Das Fuhrwerk ist gestört, arme
Leut' verlieren ihr Brod, und unser erster Mann im
Ort macht sich zornig aus dem Staube!"

Die Gegner Weringers blieben diesen und ähn-
lichen Meinungen nichts schuldig und sagten: abgesehen
auch von ihrem Bedauern, den Mann aus ihrer Mitte
zu verlieren, wisse der Weringer gar wohl, welchen
schönen Zeiten in Ettwangen er aus dem Wege gehe;
und dieser Ansicht folgte natürlich wieder die Schilde-
rung von den oft hervorgehobenen Herrlichkeiten, welche
im Gefolge der Eisenbahn hier einziehen würden.

Hatte der Weringer Theilnahme und Bedauern
aus seiner Nähe verbannt, so war er um so geschäf-
tiger, einige Nachbarinnen zu Trost und Mitleid für
sein Weib in's Haus zu rufen; und man muß sagen,
daß sie diese Nächstenpflicht von Grund des Herzens
erfüllten, wahre Thränen des Schmerzes mit ihr wein-
ten und liebreiche Worte der Theilnahme auszusinnen
wußten. Dieß bewirkte nach und nach in der Werin-
gerin ein wehmüthiges Ergeben in ihr Schicksal, das
auch anhielt, bis die schwere Zeit des Umzugs, Ostern
des nächsten Jahres, herankam.

[Spaltenumbruch]

Es war zwei Tage vor dem Umzug, als der We-
ringer mit neuen Hufeisen nach Hause gehend an einer
Hütte des Dorfes vorüberkam und plötzlich betroffen
von einem Anblick stehen blieb.

Ein starkgebauter, aber hagerer Mann, saß auf
der Schwelle der Hausthüre, den Kopf in die Hand
gelegt und still verzweifelnd vor sich hinblickend. Der
Mann war Hauptauflader bei Weringer gewesen und
hatte sich manchen Gulden, manches Stück Brod dort
geholt; jetzt war ihm diese Hauptquelle seines Lebens
vertrocknet und er saß da, umringt von blassen hun-
gernden Kindern mit zerrissenen Kleidern und unge-
kämmten Haaren. Wie den Ausfall, den Mangel er-
setzen? Kraus -- so hieß der Mann -- hatte sich seit
dem Aufhören seines Geschäftes nicht mit Klagen bei
Weringer eingestellt und war auch jetzt, wo er densel-
ben vor sich stehen sah, keineswegs versucht, ein Wort
der Klage zu äußern; um so mehr war der Weringer
vom Anblick dieses stille trauernden Mannes ergriffen.

"Kraus," sagte er daher nach einer Weile und
legte ihm die Hand auf die Schulter, "es ist dir bei
mir ein Weniges zusammen gelegt; laß es heute noch
holen;" und ohne eine Antwort oder ein Zeichen des
Dankes abzuwarten, nahm er des Laders ältestes Mäd-
chen an der Hand und sagte: "Komm du gleich mit
und hole Etwas für die Kleinen." Und in der That
versorgte er die Familie für einige Zeit mit Lebensmit-
teln und Geld, so daß die Gabe einem Jahrverdienst
beinahe gleich kam.

Am Tage vor dem Umzug kamen aus Nah und
Ferne Leute, um Abschied zu nehmen. Die Kinder der
Nachbarschaft brachten Weringers Kindern rothe Eier
und andere kleine Geschenke und in der folgenden Nacht
sangen die Burschen des Orts lange vor Weringers
Hof. Dieß galt namentlich dem Bärbl zum wehmüthigen
[Ende Spaltensatz]

[Beginn Spaltensatz]
Am Meer von Adria, am Rhein
Hab' ich mit Lust gepriesen
Was von den Weibern und vom Wein
Mir Bestes ward erwiesen;
[Spaltenumbruch] Denn heller sah ich Welt und Zeit
Bei ihrer Glut und Lieblichkeit
An mir vorüberfließen.
J. G. Fischer.
[Ende Spaltensatz]



Achtspännig.
Episoden eines Romans.
( Fortsetzung. )
[Beginn Spaltensatz]

Es war also nichts mehr zu ändern. Aber je
mehr man in Weringers Gegenwart mit Bedauern und
Vorwürfen sich jetzt in Acht nahm, desto lärmender
machten sich Ansichten und Gefühle anderswo geltend.
Die neue Hiobspost ward im Nu wieder mit der Frage
über Nutzen und Schaden der Eisenbahn in Verbin-
dung gebracht und der alte Hader flammte auf's Neue
mit aller Heftigkeit auf.

„Da habt ihr's!“ rief der Beck als warmer An-
hänger Weringers. „Noch ist von dem ganzen Höllen-
werk nichts als verfluchte Schreiberei auf den Aemtern
und weiße Stangen auf unserm Grund und Boden zu
sehen, und schon schlägt uns ein Schade um den an-
dern in's Genick. Das Fuhrwerk ist gestört, arme
Leut' verlieren ihr Brod, und unser erster Mann im
Ort macht sich zornig aus dem Staube!“

Die Gegner Weringers blieben diesen und ähn-
lichen Meinungen nichts schuldig und sagten: abgesehen
auch von ihrem Bedauern, den Mann aus ihrer Mitte
zu verlieren, wisse der Weringer gar wohl, welchen
schönen Zeiten in Ettwangen er aus dem Wege gehe;
und dieser Ansicht folgte natürlich wieder die Schilde-
rung von den oft hervorgehobenen Herrlichkeiten, welche
im Gefolge der Eisenbahn hier einziehen würden.

Hatte der Weringer Theilnahme und Bedauern
aus seiner Nähe verbannt, so war er um so geschäf-
tiger, einige Nachbarinnen zu Trost und Mitleid für
sein Weib in's Haus zu rufen; und man muß sagen,
daß sie diese Nächstenpflicht von Grund des Herzens
erfüllten, wahre Thränen des Schmerzes mit ihr wein-
ten und liebreiche Worte der Theilnahme auszusinnen
wußten. Dieß bewirkte nach und nach in der Werin-
gerin ein wehmüthiges Ergeben in ihr Schicksal, das
auch anhielt, bis die schwere Zeit des Umzugs, Ostern
des nächsten Jahres, herankam.

[Spaltenumbruch]

Es war zwei Tage vor dem Umzug, als der We-
ringer mit neuen Hufeisen nach Hause gehend an einer
Hütte des Dorfes vorüberkam und plötzlich betroffen
von einem Anblick stehen blieb.

Ein starkgebauter, aber hagerer Mann, saß auf
der Schwelle der Hausthüre, den Kopf in die Hand
gelegt und still verzweifelnd vor sich hinblickend. Der
Mann war Hauptauflader bei Weringer gewesen und
hatte sich manchen Gulden, manches Stück Brod dort
geholt; jetzt war ihm diese Hauptquelle seines Lebens
vertrocknet und er saß da, umringt von blassen hun-
gernden Kindern mit zerrissenen Kleidern und unge-
kämmten Haaren. Wie den Ausfall, den Mangel er-
setzen? Kraus — so hieß der Mann — hatte sich seit
dem Aufhören seines Geschäftes nicht mit Klagen bei
Weringer eingestellt und war auch jetzt, wo er densel-
ben vor sich stehen sah, keineswegs versucht, ein Wort
der Klage zu äußern; um so mehr war der Weringer
vom Anblick dieses stille trauernden Mannes ergriffen.

„Kraus,“ sagte er daher nach einer Weile und
legte ihm die Hand auf die Schulter, „es ist dir bei
mir ein Weniges zusammen gelegt; laß es heute noch
holen;“ und ohne eine Antwort oder ein Zeichen des
Dankes abzuwarten, nahm er des Laders ältestes Mäd-
chen an der Hand und sagte: „Komm du gleich mit
und hole Etwas für die Kleinen.“ Und in der That
versorgte er die Familie für einige Zeit mit Lebensmit-
teln und Geld, so daß die Gabe einem Jahrverdienst
beinahe gleich kam.

Am Tage vor dem Umzug kamen aus Nah und
Ferne Leute, um Abschied zu nehmen. Die Kinder der
Nachbarschaft brachten Weringers Kindern rothe Eier
und andere kleine Geschenke und in der folgenden Nacht
sangen die Burschen des Orts lange vor Weringers
Hof. Dieß galt namentlich dem Bärbl zum wehmüthigen
[Ende Spaltensatz]

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[795/0003] 795 Am Meer von Adria, am Rhein Hab' ich mit Lust gepriesen Was von den Weibern und vom Wein Mir Bestes ward erwiesen; Denn heller sah ich Welt und Zeit Bei ihrer Glut und Lieblichkeit An mir vorüberfließen. J. G. Fischer. Achtspännig. Episoden eines Romans. ( Fortsetzung. ) Es war also nichts mehr zu ändern. Aber je mehr man in Weringers Gegenwart mit Bedauern und Vorwürfen sich jetzt in Acht nahm, desto lärmender machten sich Ansichten und Gefühle anderswo geltend. Die neue Hiobspost ward im Nu wieder mit der Frage über Nutzen und Schaden der Eisenbahn in Verbin- dung gebracht und der alte Hader flammte auf's Neue mit aller Heftigkeit auf. „Da habt ihr's!“ rief der Beck als warmer An- hänger Weringers. „Noch ist von dem ganzen Höllen- werk nichts als verfluchte Schreiberei auf den Aemtern und weiße Stangen auf unserm Grund und Boden zu sehen, und schon schlägt uns ein Schade um den an- dern in's Genick. Das Fuhrwerk ist gestört, arme Leut' verlieren ihr Brod, und unser erster Mann im Ort macht sich zornig aus dem Staube!“ Die Gegner Weringers blieben diesen und ähn- lichen Meinungen nichts schuldig und sagten: abgesehen auch von ihrem Bedauern, den Mann aus ihrer Mitte zu verlieren, wisse der Weringer gar wohl, welchen schönen Zeiten in Ettwangen er aus dem Wege gehe; und dieser Ansicht folgte natürlich wieder die Schilde- rung von den oft hervorgehobenen Herrlichkeiten, welche im Gefolge der Eisenbahn hier einziehen würden. Hatte der Weringer Theilnahme und Bedauern aus seiner Nähe verbannt, so war er um so geschäf- tiger, einige Nachbarinnen zu Trost und Mitleid für sein Weib in's Haus zu rufen; und man muß sagen, daß sie diese Nächstenpflicht von Grund des Herzens erfüllten, wahre Thränen des Schmerzes mit ihr wein- ten und liebreiche Worte der Theilnahme auszusinnen wußten. Dieß bewirkte nach und nach in der Werin- gerin ein wehmüthiges Ergeben in ihr Schicksal, das auch anhielt, bis die schwere Zeit des Umzugs, Ostern des nächsten Jahres, herankam. Es war zwei Tage vor dem Umzug, als der We- ringer mit neuen Hufeisen nach Hause gehend an einer Hütte des Dorfes vorüberkam und plötzlich betroffen von einem Anblick stehen blieb. Ein starkgebauter, aber hagerer Mann, saß auf der Schwelle der Hausthüre, den Kopf in die Hand gelegt und still verzweifelnd vor sich hinblickend. Der Mann war Hauptauflader bei Weringer gewesen und hatte sich manchen Gulden, manches Stück Brod dort geholt; jetzt war ihm diese Hauptquelle seines Lebens vertrocknet und er saß da, umringt von blassen hun- gernden Kindern mit zerrissenen Kleidern und unge- kämmten Haaren. Wie den Ausfall, den Mangel er- setzen? Kraus — so hieß der Mann — hatte sich seit dem Aufhören seines Geschäftes nicht mit Klagen bei Weringer eingestellt und war auch jetzt, wo er densel- ben vor sich stehen sah, keineswegs versucht, ein Wort der Klage zu äußern; um so mehr war der Weringer vom Anblick dieses stille trauernden Mannes ergriffen. „Kraus,“ sagte er daher nach einer Weile und legte ihm die Hand auf die Schulter, „es ist dir bei mir ein Weniges zusammen gelegt; laß es heute noch holen;“ und ohne eine Antwort oder ein Zeichen des Dankes abzuwarten, nahm er des Laders ältestes Mäd- chen an der Hand und sagte: „Komm du gleich mit und hole Etwas für die Kleinen.“ Und in der That versorgte er die Familie für einige Zeit mit Lebensmit- teln und Geld, so daß die Gabe einem Jahrverdienst beinahe gleich kam. Am Tage vor dem Umzug kamen aus Nah und Ferne Leute, um Abschied zu nehmen. Die Kinder der Nachbarschaft brachten Weringers Kindern rothe Eier und andere kleine Geschenke und in der folgenden Nacht sangen die Burschen des Orts lange vor Weringers Hof. Dieß galt namentlich dem Bärbl zum wehmüthigen

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Zitationshilfe: Morgenblatt für gebildete Leser. Nr. 34. Stuttgart/Tübingen, 24. August 1856, S. 795. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_morgenblatt34_1856/3>, abgerufen am 21.11.2024.