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Morgenblatt für gebildete Leser. Nr. 34. Stuttgart/Tübingen, 24. August 1856.

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[Beginn Spaltensatz] sehr freundlicher Straße an einem ganz einsamen Kirch-
lein und einem großartigen gothischen Mausoleum, mit-
ten in der Einsamkeit der Heide, vorüber, bergauf und
bergab, nach Pontcroix, und so befanden wir uns auf
jener höchst merkwürdigen Landzunge, zwischen den
Golfen von Douarnenez und Audierne, welche die west-
lichste Spitze Frankreichs ist und in dem schauerlichen
Cap der Pointe du Raz endet.

Die kleine Stadt Pontcroix besitzt eine gothische
Kirche, die sich durch ihre Schönheit unter all den
kleinen gothischen Kirchen der niedern Bretagne aus-
zeichnet. Aber schön wie sie ist, erinnert sie auch an
eine der scheußlichsten Thaten des Krieges der Ligueurs
und an einen seiner verabscheuungswürdigsten Partei-
gänger. La Fontenelle oder auch Fontenelle der Ligueur,
war eines der furchtbarsten Ungeheuer, die jemals ein
Religionskrieg mit Blute groß gesäugt. Guy Eder de
la Fontenelle war ein jüngerer Sohn des Hauses
Beaumanoir, dessen Ahnherr sich in der Schlacht der
Dreißig so sehr auszeichnete. Der Canonicus Moreau
in seiner Chronik der Ligue erzählt von ihm: "Als er
zu Paris, wo ich ihn im Jahre 1587 gesehen, Schüler
war, gab er schon Anzeichen seines künftigen verderb-
ten Lebens, indem er mit seinen Genossen ewig im
Streite lag. Jm Jahr 1589 verkaufte er Bücher und
Schulkleid, schaffte sich für das gewonnene Geld einen
Degen und einen Dolch, floh aus der Schule, um die
Armee des Herzogs du Maine, des Hauptes der katho-
lischen Partei, aufzusuchen, und kehrte nach der Bre-
tagne zurück. Fünfzehn bis sechzehn Jahre alt, mischte
er sich unter das für die Ligueurs bewaffnete Volk, das
ihn gut aufnahm, weil er aus gutem Hause und ihr
Landsmann war, und ihm, da er einen aufgeweckten
Geist zeigte, gerne gehorchte. Gefolgt von einigen Die-
nern seines ältern Bruders und andern jungen Adeligen
seiner Gemeinde, fing er an die Flecken zu plündern
und Gefangene zu machen, ohne Rücksicht auf die Partei."

Der Canonicus, parteiisch für die Ligueurs, er-
zählt nicht, wie Fontenelle bei jeder Gelegenheit auf die
niederträchtigste Weise sein Wort brach, wie er Frauen
und Mädchen entführte und auf's Brutalste behandelte,
hunderte von Dörfern in Brand steckte, und an einem
einzigen Tage, aus purer Grausamkeit, 1500 Bauern
niedermetzelte. Eine der scheußlichsten Thaten verübte er
in Pontcroix. Nachdem er die Stadt genommen, und
den größten Theil der Einwohner niedergemacht, zog
sich der Commandant derselben, Villerouault, der zum
König hielt, mit den angesehensten Einwohnern in die
Kirche zurück. Auch diese wurde genommen, und die
Belagerten verbarricadirten sich, als in ihrer letzten
Zufluchtsstätte, im schönen gothischen Thurm, aus des-
[Spaltenumbruch] sen durchbrochenen Verzierungen, wie aus Schießschar-
ten, sie ein wohlgenährtes und mörderisches Feuer un-
terhielten. Fontenelle, der viele Leute verlor, ohne den
Thurm nehmen zu können, fing an mit Villerouault
zu parlamentiren, versprach ihm und Allen, die mit ihm
waren, freien Abzug und beschwor die Capitulation mit
den heiligsten Eiden. Der Capitän, der seine Gattin
bei sich hatte, nahm den Antrag gerne an; aber kaum
hatte er die Thurmthüre geöffnet, als sich Fontenelle
mit seinen Leuten auf ihn stürzte, ihn an einen Kir-
chenpfeiler band und ihn zwang, ein Augenzeuge der
größten Scheußlichkeiten zu seyn, welche die Ligueurs
an seiner Frau verübten. Hierauf ließ er den Unglück-
lichen, zugleich mit einem greisen Priester, den er in
der Kirche fand, auf dem Platze von Pontcroix auf-
knüpfen.

Fontenelle endete, wie er es verdiente, zwar nicht
als Ligueur und Räuber; denn als er einmal den Kö-
niglichen in die Hände fiel, wurde ihm von einem
geizigen Commandanten für großes Geld die Freiheit
verkauft, und später war er mit in die Amnestie be-
griffen, welche Heinrich IV. seinen erbitterten Feinden
angedeihen ließ. Aber Fontenelle konnte nicht ruhen,
und nahm Theil an der Verschwörung des Marschalls
Biron und wurde zu Paris auf dem Greveplatze leben-
dig auf's Rad geflochten. Auch das Volkslied verur-
theilt nicht den Ligueur Fontenelle; es kennt ihn bloß
als eine Art von Don Juan, der reiche und schöne Erbin-
nen entführt, und nennt ihn den schönsten Jungen, der
jemals Männerkleider getragen. Von den Erbinnen,
die er entführt, wird er nach dem Gedicht auf's Zärt-
lichste geliebt, und mit seinem Tode, den es überaus
poetisch darstellt, hat es das größte Mitleid, und das
Lied schließt mit den Worten: "Wer immer nach Gao-
delan ( Schloß Fontenelle's ) kommt, dem wird das Herz
weh thun; das Herz weh thun vor Kummer, wenn er
sieht, wie das Feuer im Herd erloschen ist, wenn er
sieht die Nessel wachsen auf der Thürschwelle und im
Erdgeschoß; im Erdgeschoß und im Saale, und wie
die schlechten Leute sich da so breit machen."

Die Kirche von Pontcroix wird wie all die zahl-
reichen schönen Kirchen der untern Bretagne vom Volke
den Engländern zugeschrieben. Für diese Behauptung
spricht nichts, als die flache Wölbung, welche diese
Kirchen mit der englischen Gothik gemein haben.

Der Weg zwischen Pontcroix und Audierne ist
würdig, zwei so anmuthige Städtchen zu verbinden.
Rechts zieht sich schönes Hügelland, links der blaue
Meeresarm hin, der aus dem Golfe kommt und den
Hafen von Audierne bildet; einen reizenden Hafen, von
prächtigen Dämmen, freundlichen Häusern, grünen
[Ende Spaltensatz]

[Beginn Spaltensatz] sehr freundlicher Straße an einem ganz einsamen Kirch-
lein und einem großartigen gothischen Mausoleum, mit-
ten in der Einsamkeit der Heide, vorüber, bergauf und
bergab, nach Pontcroix, und so befanden wir uns auf
jener höchst merkwürdigen Landzunge, zwischen den
Golfen von Douarnenez und Audierne, welche die west-
lichste Spitze Frankreichs ist und in dem schauerlichen
Cap der Pointe du Raz endet.

Die kleine Stadt Pontcroix besitzt eine gothische
Kirche, die sich durch ihre Schönheit unter all den
kleinen gothischen Kirchen der niedern Bretagne aus-
zeichnet. Aber schön wie sie ist, erinnert sie auch an
eine der scheußlichsten Thaten des Krieges der Ligueurs
und an einen seiner verabscheuungswürdigsten Partei-
gänger. La Fontenelle oder auch Fontenelle der Ligueur,
war eines der furchtbarsten Ungeheuer, die jemals ein
Religionskrieg mit Blute groß gesäugt. Guy Eder de
la Fontenelle war ein jüngerer Sohn des Hauses
Beaumanoir, dessen Ahnherr sich in der Schlacht der
Dreißig so sehr auszeichnete. Der Canonicus Moreau
in seiner Chronik der Ligue erzählt von ihm: „Als er
zu Paris, wo ich ihn im Jahre 1587 gesehen, Schüler
war, gab er schon Anzeichen seines künftigen verderb-
ten Lebens, indem er mit seinen Genossen ewig im
Streite lag. Jm Jahr 1589 verkaufte er Bücher und
Schulkleid, schaffte sich für das gewonnene Geld einen
Degen und einen Dolch, floh aus der Schule, um die
Armee des Herzogs du Maine, des Hauptes der katho-
lischen Partei, aufzusuchen, und kehrte nach der Bre-
tagne zurück. Fünfzehn bis sechzehn Jahre alt, mischte
er sich unter das für die Ligueurs bewaffnete Volk, das
ihn gut aufnahm, weil er aus gutem Hause und ihr
Landsmann war, und ihm, da er einen aufgeweckten
Geist zeigte, gerne gehorchte. Gefolgt von einigen Die-
nern seines ältern Bruders und andern jungen Adeligen
seiner Gemeinde, fing er an die Flecken zu plündern
und Gefangene zu machen, ohne Rücksicht auf die Partei.“

Der Canonicus, parteiisch für die Ligueurs, er-
zählt nicht, wie Fontenelle bei jeder Gelegenheit auf die
niederträchtigste Weise sein Wort brach, wie er Frauen
und Mädchen entführte und auf's Brutalste behandelte,
hunderte von Dörfern in Brand steckte, und an einem
einzigen Tage, aus purer Grausamkeit, 1500 Bauern
niedermetzelte. Eine der scheußlichsten Thaten verübte er
in Pontcroix. Nachdem er die Stadt genommen, und
den größten Theil der Einwohner niedergemacht, zog
sich der Commandant derselben, Villerouault, der zum
König hielt, mit den angesehensten Einwohnern in die
Kirche zurück. Auch diese wurde genommen, und die
Belagerten verbarricadirten sich, als in ihrer letzten
Zufluchtsstätte, im schönen gothischen Thurm, aus des-
[Spaltenumbruch] sen durchbrochenen Verzierungen, wie aus Schießschar-
ten, sie ein wohlgenährtes und mörderisches Feuer un-
terhielten. Fontenelle, der viele Leute verlor, ohne den
Thurm nehmen zu können, fing an mit Villerouault
zu parlamentiren, versprach ihm und Allen, die mit ihm
waren, freien Abzug und beschwor die Capitulation mit
den heiligsten Eiden. Der Capitän, der seine Gattin
bei sich hatte, nahm den Antrag gerne an; aber kaum
hatte er die Thurmthüre geöffnet, als sich Fontenelle
mit seinen Leuten auf ihn stürzte, ihn an einen Kir-
chenpfeiler band und ihn zwang, ein Augenzeuge der
größten Scheußlichkeiten zu seyn, welche die Ligueurs
an seiner Frau verübten. Hierauf ließ er den Unglück-
lichen, zugleich mit einem greisen Priester, den er in
der Kirche fand, auf dem Platze von Pontcroix auf-
knüpfen.

Fontenelle endete, wie er es verdiente, zwar nicht
als Ligueur und Räuber; denn als er einmal den Kö-
niglichen in die Hände fiel, wurde ihm von einem
geizigen Commandanten für großes Geld die Freiheit
verkauft, und später war er mit in die Amnestie be-
griffen, welche Heinrich IV. seinen erbitterten Feinden
angedeihen ließ. Aber Fontenelle konnte nicht ruhen,
und nahm Theil an der Verschwörung des Marschalls
Biron und wurde zu Paris auf dem Grèveplatze leben-
dig auf's Rad geflochten. Auch das Volkslied verur-
theilt nicht den Ligueur Fontenelle; es kennt ihn bloß
als eine Art von Don Juan, der reiche und schöne Erbin-
nen entführt, und nennt ihn den schönsten Jungen, der
jemals Männerkleider getragen. Von den Erbinnen,
die er entführt, wird er nach dem Gedicht auf's Zärt-
lichste geliebt, und mit seinem Tode, den es überaus
poetisch darstellt, hat es das größte Mitleid, und das
Lied schließt mit den Worten: „Wer immer nach Gao-
delan ( Schloß Fontenelle's ) kommt, dem wird das Herz
weh thun; das Herz weh thun vor Kummer, wenn er
sieht, wie das Feuer im Herd erloschen ist, wenn er
sieht die Nessel wachsen auf der Thürschwelle und im
Erdgeschoß; im Erdgeschoß und im Saale, und wie
die schlechten Leute sich da so breit machen.“

Die Kirche von Pontcroix wird wie all die zahl-
reichen schönen Kirchen der untern Bretagne vom Volke
den Engländern zugeschrieben. Für diese Behauptung
spricht nichts, als die flache Wölbung, welche diese
Kirchen mit der englischen Gothik gemein haben.

Der Weg zwischen Pontcroix und Audierne ist
würdig, zwei so anmuthige Städtchen zu verbinden.
Rechts zieht sich schönes Hügelland, links der blaue
Meeresarm hin, der aus dem Golfe kommt und den
Hafen von Audierne bildet; einen reizenden Hafen, von
prächtigen Dämmen, freundlichen Häusern, grünen
[Ende Spaltensatz]

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[804/0012] 804 sehr freundlicher Straße an einem ganz einsamen Kirch- lein und einem großartigen gothischen Mausoleum, mit- ten in der Einsamkeit der Heide, vorüber, bergauf und bergab, nach Pontcroix, und so befanden wir uns auf jener höchst merkwürdigen Landzunge, zwischen den Golfen von Douarnenez und Audierne, welche die west- lichste Spitze Frankreichs ist und in dem schauerlichen Cap der Pointe du Raz endet. Die kleine Stadt Pontcroix besitzt eine gothische Kirche, die sich durch ihre Schönheit unter all den kleinen gothischen Kirchen der niedern Bretagne aus- zeichnet. Aber schön wie sie ist, erinnert sie auch an eine der scheußlichsten Thaten des Krieges der Ligueurs und an einen seiner verabscheuungswürdigsten Partei- gänger. La Fontenelle oder auch Fontenelle der Ligueur, war eines der furchtbarsten Ungeheuer, die jemals ein Religionskrieg mit Blute groß gesäugt. 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Von den Erbinnen, die er entführt, wird er nach dem Gedicht auf's Zärt- lichste geliebt, und mit seinem Tode, den es überaus poetisch darstellt, hat es das größte Mitleid, und das Lied schließt mit den Worten: „Wer immer nach Gao- delan ( Schloß Fontenelle's ) kommt, dem wird das Herz weh thun; das Herz weh thun vor Kummer, wenn er sieht, wie das Feuer im Herd erloschen ist, wenn er sieht die Nessel wachsen auf der Thürschwelle und im Erdgeschoß; im Erdgeschoß und im Saale, und wie die schlechten Leute sich da so breit machen.“ Die Kirche von Pontcroix wird wie all die zahl- reichen schönen Kirchen der untern Bretagne vom Volke den Engländern zugeschrieben. Für diese Behauptung spricht nichts, als die flache Wölbung, welche diese Kirchen mit der englischen Gothik gemein haben. Der Weg zwischen Pontcroix und Audierne ist würdig, zwei so anmuthige Städtchen zu verbinden. Rechts zieht sich schönes Hügelland, links der blaue Meeresarm hin, der aus dem Golfe kommt und den Hafen von Audierne bildet; einen reizenden Hafen, von prächtigen Dämmen, freundlichen Häusern, grünen

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Zitationshilfe: Morgenblatt für gebildete Leser. Nr. 34. Stuttgart/Tübingen, 24. August 1856, S. 804. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_morgenblatt34_1856/12>, abgerufen am 17.07.2024.