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Morgenblatt für gebildete Leser. Nr. 30. Stuttgart/Tübingen, 27. Juli 1856.

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[Beginn Spaltensatz] Cornelius' Bilder nicht umsonst gemalt. Man führe
sie aus an Stellen, wo sie die Leute zur Genüge vor
Augen haben: es werden sich die schon finden, welche
von ihrer Kraft ergriffen, bleibenden Gewinn mit nach
Hause nehmen. Nicht der Gegenstand gibt einem Kunst-
werke die Wirkung, nicht die Brillianz der Farbe,
nicht die Weichheit und Tadellosigkeit zierlich gedachter
Details, sondern der Geist des Malers, der verborgen
seinem Werke anklebt und diejenigen elektrisch berührt,
um derentwillen er gelebt und gearbeitet hat.

Jn diesem Sinne, so sehr das Bild, von dem ich
schreibe, das Werk eines Katholiken ist, wird dennoch
keiner sagen, daß es protestantischen Begriffen zuwider
sey. Das Geistige überwiegt zu sehr; es hört auf
ein Gemälde zu seyn, es ist die Offenbarung einer
Seele, die fortentwickelt in katholischen Anschauungen,
deren Formen gewählt hat, aber ihre Enge überschrei-
tend eine Höhe erreichte, auf der alle Religionen in
einander fließen. Es wird gewiß einst eine Zeit kom-
men ( lassen wir unsere Jahresrechnung und politische
Voraussicht einstweilen aus dem Spiele ) , wo die Sym-
bole aller Völker dieselben sind und der alte, ewige
Glaube in einem neuen Bette strömt, von dem noch
niemand weiß, wie und wo es sich eine Bahn bricht.
Nehmen wir an, diese Zeit sey gekommen; nehmen wir
an, bis zu ihrem Erscheinen hätten sich diese Werke
erhalten; nehmen wir an, unsere heutigen Zeiten lägen
[Spaltenumbruch] von jenen zukünftigen so fern ab, daß alles, was wir
heute in Cornelius' Arbeiten verstehen und einzeln er-
klärt finden, völlig aus dem Gedächtniß geschwunden
sey, etwa wie wir jetzt nichts mehr wissen von den
Mythen vorgeschichtlicher Geschlechter -- träten dann
die Leute vor das Bild hin, sie würden unter sich sa-
gen, daß es ein Meister gemalt hat, der vertraut mit
den unsichtbaren Wahrheiten, sichtbar darzustellen wußte,
was sich in ihm von ihnen offenbarte, und daß in
diesen unbekannten Formen der ewige Gehalt des mensch-
lichen Lebens verborgen sey, der stets derselbe war und
stets derselbe seyn wird. -- Fangen wir doch schon an,
Dantes Gedicht in solcher Unwissenheit zu lesen.

So darf ich wohl diesem Bilde gegenüber, gerade
jetzt, wo der Zwiespalt der Confessionen sich erneuert
und Partei zu nehmen auffordert, auf ein Feld hin-
deuten, wo man fest auf seinem Standpunkt beharren
und dennoch diesen Streitigkeiten mit gutem Gewissen
fremd bleiben kann. Wie Lessing, Herder, Goethe im
protestantischen Geist schrieben, so malt Cornelius in
dem seiner Kirche; alle aber arbeiteten sie zum Ruhme
des deutschen Volks, erfüllt von dem, was alle verbun-
den hält, erhaben über das, was uns stets von neuem
zu zerreißen droht, aber fruchtlos. Mögen Abgründe
die Felsen scheiden, auf die die Adler sich herablassen,
um da zu ruhen und zu nisten, steigen sie auf, so ist
allen doch Ein Himmel und Eine Sonne gemeinsam.

[Ende Spaltensatz]




Aus dem Skizzenbuch eines Malers.
( Schluß )
[Beginn Spaltensatz]

Also keine Pariserin trotz des tadelfreien Accents!
Jch wagte eine andeutende Frage und fügte hinzu, wie
ihre Sprache mir überhaupt mit ihrer Wirksamkeit als
Direktorin oder wohl gar Mitwirkende einer deutschen
Künstlertruppe nicht vereinbar scheinen wolle. " Frank-
reich ist nicht mein Vaterland," erwiederte sie. "Jch
habe Deutsch geredet, ehe französische Sitten und Ma-
nieren mir die halbwege mütterliche Sprache verleideten.
-- Jch bin in einem Lande geboren und erzogen," setzte
sie hinzu, "wo man französisch redet, ohne französischen
Ursprungs zu seyn, französisch denkt, lebt und liebt,
[Spaltenumbruch] sans oter le chapeau pour Napoleon le petit, und
wo man für französisch gelten möchte, ohne französisch
seyn zu wollen."

Jch entgegnete, man könnte ihrem Vaterlande
kein kenntlicheres Signalement in den Paß schreiben,
und zu meinem Bedauern müsse ich die schätzenswerthen
Eigenschaften und Einrichtungen desselben niedriger als
bisher anschlagen, nachdem ich in ihrer Person den
Beweis habe, daß dort der Sinn für Schönheit nicht
hinreichend ausgebildet sey, um so seltene Erscheinungen
an die heimathliche Scholle zu fesseln.

[Ende Spaltensatz]

[Beginn Spaltensatz] Cornelius' Bilder nicht umsonst gemalt. Man führe
sie aus an Stellen, wo sie die Leute zur Genüge vor
Augen haben: es werden sich die schon finden, welche
von ihrer Kraft ergriffen, bleibenden Gewinn mit nach
Hause nehmen. Nicht der Gegenstand gibt einem Kunst-
werke die Wirkung, nicht die Brillianz der Farbe,
nicht die Weichheit und Tadellosigkeit zierlich gedachter
Details, sondern der Geist des Malers, der verborgen
seinem Werke anklebt und diejenigen elektrisch berührt,
um derentwillen er gelebt und gearbeitet hat.

Jn diesem Sinne, so sehr das Bild, von dem ich
schreibe, das Werk eines Katholiken ist, wird dennoch
keiner sagen, daß es protestantischen Begriffen zuwider
sey. Das Geistige überwiegt zu sehr; es hört auf
ein Gemälde zu seyn, es ist die Offenbarung einer
Seele, die fortentwickelt in katholischen Anschauungen,
deren Formen gewählt hat, aber ihre Enge überschrei-
tend eine Höhe erreichte, auf der alle Religionen in
einander fließen. Es wird gewiß einst eine Zeit kom-
men ( lassen wir unsere Jahresrechnung und politische
Voraussicht einstweilen aus dem Spiele ) , wo die Sym-
bole aller Völker dieselben sind und der alte, ewige
Glaube in einem neuen Bette strömt, von dem noch
niemand weiß, wie und wo es sich eine Bahn bricht.
Nehmen wir an, diese Zeit sey gekommen; nehmen wir
an, bis zu ihrem Erscheinen hätten sich diese Werke
erhalten; nehmen wir an, unsere heutigen Zeiten lägen
[Spaltenumbruch] von jenen zukünftigen so fern ab, daß alles, was wir
heute in Cornelius' Arbeiten verstehen und einzeln er-
klärt finden, völlig aus dem Gedächtniß geschwunden
sey, etwa wie wir jetzt nichts mehr wissen von den
Mythen vorgeschichtlicher Geschlechter — träten dann
die Leute vor das Bild hin, sie würden unter sich sa-
gen, daß es ein Meister gemalt hat, der vertraut mit
den unsichtbaren Wahrheiten, sichtbar darzustellen wußte,
was sich in ihm von ihnen offenbarte, und daß in
diesen unbekannten Formen der ewige Gehalt des mensch-
lichen Lebens verborgen sey, der stets derselbe war und
stets derselbe seyn wird. — Fangen wir doch schon an,
Dantes Gedicht in solcher Unwissenheit zu lesen.

So darf ich wohl diesem Bilde gegenüber, gerade
jetzt, wo der Zwiespalt der Confessionen sich erneuert
und Partei zu nehmen auffordert, auf ein Feld hin-
deuten, wo man fest auf seinem Standpunkt beharren
und dennoch diesen Streitigkeiten mit gutem Gewissen
fremd bleiben kann. Wie Lessing, Herder, Goethe im
protestantischen Geist schrieben, so malt Cornelius in
dem seiner Kirche; alle aber arbeiteten sie zum Ruhme
des deutschen Volks, erfüllt von dem, was alle verbun-
den hält, erhaben über das, was uns stets von neuem
zu zerreißen droht, aber fruchtlos. Mögen Abgründe
die Felsen scheiden, auf die die Adler sich herablassen,
um da zu ruhen und zu nisten, steigen sie auf, so ist
allen doch Ein Himmel und Eine Sonne gemeinsam.

[Ende Spaltensatz]




Aus dem Skizzenbuch eines Malers.
( Schluß )
[Beginn Spaltensatz]

Also keine Pariserin trotz des tadelfreien Accents!
Jch wagte eine andeutende Frage und fügte hinzu, wie
ihre Sprache mir überhaupt mit ihrer Wirksamkeit als
Direktorin oder wohl gar Mitwirkende einer deutschen
Künstlertruppe nicht vereinbar scheinen wolle. „ Frank-
reich ist nicht mein Vaterland,“ erwiederte sie. „Jch
habe Deutsch geredet, ehe französische Sitten und Ma-
nieren mir die halbwege mütterliche Sprache verleideten.
— Jch bin in einem Lande geboren und erzogen,“ setzte
sie hinzu, „wo man französisch redet, ohne französischen
Ursprungs zu seyn, französisch denkt, lebt und liebt,
[Spaltenumbruch] sans ôter le chapeau pour Napoléon le petit, und
wo man für französisch gelten möchte, ohne französisch
seyn zu wollen.“

Jch entgegnete, man könnte ihrem Vaterlande
kein kenntlicheres Signalement in den Paß schreiben,
und zu meinem Bedauern müsse ich die schätzenswerthen
Eigenschaften und Einrichtungen desselben niedriger als
bisher anschlagen, nachdem ich in ihrer Person den
Beweis habe, daß dort der Sinn für Schönheit nicht
hinreichend ausgebildet sey, um so seltene Erscheinungen
an die heimathliche Scholle zu fesseln.

[Ende Spaltensatz]
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[701/0005] 701 Cornelius' Bilder nicht umsonst gemalt. Man führe sie aus an Stellen, wo sie die Leute zur Genüge vor Augen haben: es werden sich die schon finden, welche von ihrer Kraft ergriffen, bleibenden Gewinn mit nach Hause nehmen. Nicht der Gegenstand gibt einem Kunst- werke die Wirkung, nicht die Brillianz der Farbe, nicht die Weichheit und Tadellosigkeit zierlich gedachter Details, sondern der Geist des Malers, der verborgen seinem Werke anklebt und diejenigen elektrisch berührt, um derentwillen er gelebt und gearbeitet hat. Jn diesem Sinne, so sehr das Bild, von dem ich schreibe, das Werk eines Katholiken ist, wird dennoch keiner sagen, daß es protestantischen Begriffen zuwider sey. Das Geistige überwiegt zu sehr; es hört auf ein Gemälde zu seyn, es ist die Offenbarung einer Seele, die fortentwickelt in katholischen Anschauungen, deren Formen gewählt hat, aber ihre Enge überschrei- tend eine Höhe erreichte, auf der alle Religionen in einander fließen. Es wird gewiß einst eine Zeit kom- men ( lassen wir unsere Jahresrechnung und politische Voraussicht einstweilen aus dem Spiele ) , wo die Sym- bole aller Völker dieselben sind und der alte, ewige Glaube in einem neuen Bette strömt, von dem noch niemand weiß, wie und wo es sich eine Bahn bricht. Nehmen wir an, diese Zeit sey gekommen; nehmen wir an, bis zu ihrem Erscheinen hätten sich diese Werke erhalten; nehmen wir an, unsere heutigen Zeiten lägen von jenen zukünftigen so fern ab, daß alles, was wir heute in Cornelius' Arbeiten verstehen und einzeln er- klärt finden, völlig aus dem Gedächtniß geschwunden sey, etwa wie wir jetzt nichts mehr wissen von den Mythen vorgeschichtlicher Geschlechter — träten dann die Leute vor das Bild hin, sie würden unter sich sa- gen, daß es ein Meister gemalt hat, der vertraut mit den unsichtbaren Wahrheiten, sichtbar darzustellen wußte, was sich in ihm von ihnen offenbarte, und daß in diesen unbekannten Formen der ewige Gehalt des mensch- lichen Lebens verborgen sey, der stets derselbe war und stets derselbe seyn wird. — Fangen wir doch schon an, Dantes Gedicht in solcher Unwissenheit zu lesen. So darf ich wohl diesem Bilde gegenüber, gerade jetzt, wo der Zwiespalt der Confessionen sich erneuert und Partei zu nehmen auffordert, auf ein Feld hin- deuten, wo man fest auf seinem Standpunkt beharren und dennoch diesen Streitigkeiten mit gutem Gewissen fremd bleiben kann. Wie Lessing, Herder, Goethe im protestantischen Geist schrieben, so malt Cornelius in dem seiner Kirche; alle aber arbeiteten sie zum Ruhme des deutschen Volks, erfüllt von dem, was alle verbun- den hält, erhaben über das, was uns stets von neuem zu zerreißen droht, aber fruchtlos. Mögen Abgründe die Felsen scheiden, auf die die Adler sich herablassen, um da zu ruhen und zu nisten, steigen sie auf, so ist allen doch Ein Himmel und Eine Sonne gemeinsam. Berlin im Juli 1856. — n — m. Aus dem Skizzenbuch eines Malers. ( Schluß ) Also keine Pariserin trotz des tadelfreien Accents! Jch wagte eine andeutende Frage und fügte hinzu, wie ihre Sprache mir überhaupt mit ihrer Wirksamkeit als Direktorin oder wohl gar Mitwirkende einer deutschen Künstlertruppe nicht vereinbar scheinen wolle. „ Frank- reich ist nicht mein Vaterland,“ erwiederte sie. „Jch habe Deutsch geredet, ehe französische Sitten und Ma- nieren mir die halbwege mütterliche Sprache verleideten. — Jch bin in einem Lande geboren und erzogen,“ setzte sie hinzu, „wo man französisch redet, ohne französischen Ursprungs zu seyn, französisch denkt, lebt und liebt, sans ôter le chapeau pour Napoléon le petit, und wo man für französisch gelten möchte, ohne französisch seyn zu wollen.“ Jch entgegnete, man könnte ihrem Vaterlande kein kenntlicheres Signalement in den Paß schreiben, und zu meinem Bedauern müsse ich die schätzenswerthen Eigenschaften und Einrichtungen desselben niedriger als bisher anschlagen, nachdem ich in ihrer Person den Beweis habe, daß dort der Sinn für Schönheit nicht hinreichend ausgebildet sey, um so seltene Erscheinungen an die heimathliche Scholle zu fesseln.

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Zitationshilfe: Morgenblatt für gebildete Leser. Nr. 30. Stuttgart/Tübingen, 27. Juli 1856, S. 701. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_morgenblatt30_1856/5>, abgerufen am 23.11.2024.