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Morgenblatt für gebildete Leser. Nr. 30. Stuttgart/Tübingen, 27. Juli 1856.

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[Beginn Spaltensatz] auch dieses aus rohen Stücken und Brocken besteht.
Der Hauptbau ist ein unregelmäßiges Zwölfeck, neben
dem nur noch ein Verließthurm mit der Oeffnung mitten
im Boden Erwähnung verdient. Einzelne Fensteröffnungen
in den verschiedenen Mauerresten gewähren recht liebliche
Bilder. So der Erker gegen Osten, in dessen Vertiefung
ich mir unwillkürlich die schöne Klara Detten sitzend den-
ken mußte, wie sie nach ihrem geliebten Friedrich, dem
siegreichen Kurfürsten, harrend ausschaute. Die Burg
war nämlich ehedem pfälzisch, wenigstens seit dem Jahr
1277; früher hatte sie zu den Besitzungen des Klosters
Lorsch gehört. Sie war bis zur französischen Revolution
in gutem wehrhaftem Zustande, und erst von dieser datirt
ihr Verfall. Sie und das alte Städtchen mit der wetter-
grauen Warte und der weiß schimmernden, wenn auch
modern unschönen Kirche geben ein gar schönes Bild ab,
das weithin die ganze Gegend ziert.

Jn dem kleinen Gasthause zur Harfe fanden wir eine
gute Nachtherberge. Als wir am Morgen weiter ziehen
wollten, erhob sich die Frage, wohin? Es liegt in diesen
Bergen noch so viel Schönes und Jnteressantes, daß man
sich gern darein vertiefen möchte, um dort Erbach mit
seinen Sammlungen, oder Schloß Fürstenau, die alten
Ritter= und Geisterburgen Rodenstein und Schnellert,
oder die Umgebung des Melibocus mit Felsenmeer und
Riesensäule zu besuchen. Zu allem dergleichen war uns die
Zeit zu kurz zugemessen. Für uns handelte es sich nur
darum, an welcher Stelle wir wieder aus den Bergen
heraus kommen wollten. Heppenheim sollte, der Abwechs-
lung wegen, diese Stelle nicht seyn, so konnten denn nur
Auerbach und Bensheim, oder Weinheim in Frage kom-
men. Für letzteres fiel schließlich der Entscheid, und so
machten wir uns denn auf den Weg, nachdem wir noch
einen kurzen Gang zur Ruine unternommen, um die Ge-
gend auch im Frühlichte zu sehen.

Der Weg aus dem Städtchen führte uns zunächst an
einer Reihe Häuschen vorüber, die sich an die Außenseite
der Mauer lehnen und unter schattigen Bäumen, umrankt
von Reben, so allerliebst aussehen, daß man die wahr-
scheinliche Armuth ihrer Bewohner darüber ganz vergißt.
Zeichner und Maler mache ich auf diese kleinen Bilder
mit allem Beiwerk zum Jdyll besonders aufmerksam. Schö-
ner aber noch, wiewohl ganz andern Styls, ist die tiefe
Schlucht, in welche nun der Pfad sich senkte. Dieser
rasch abfallende, von hohem Wald umsäumte Wiesengrund,
aus dem sich einzelne Bäume mit prachtvollen Kronen er-
heben, lag so voll köstlichen Morgenlichts und tiefen
Schattens, daß wir uns kaum satt daran sehen konnten
und uns so recht an der Frische dieses saftigen Grüns er-
labten. Ja, wenn die Scenerie bei Grasellenbach etwa
so ausgesehen hätte, wie diese Schlucht am Fuße von Lin-
denfels, wir hätten wohl gar unser kritisches Urtheil be-
stechen und den Ort für den der Hagen'schen Unthat gel-
ten lassen, weil er gar so schön ist. Man könnte sogar
in Versuchung kommen, das Männchen im Wappen am
[Spaltenumbruch] Stadtbrunnen mit in die Untersuchung herein zu ziehen,
obgleich es trotz des fliegenden Haares kein Siegfriedliches
Aussehen hat. Schwebt doch zu seiner Rechten ein ein-
zelnes Blatt, offenbar ein Lindenblatt, an dem man her-
umtüfteln könnte, bis man es zu jenem Blatt gestempelt
hätte, das einst von der Linde, unter welcher Siegfried
sich im Blut und Fett des Drachen badete, auf seine
Schulter gefallen war und so die Stelle zurückgelassen hatte,
an welcher er nicht hörnern, sondern zum Tode verwund-
bar war. -- Jenseits der schönen Thalschlucht steigt der
Pfad wieder sanft an. Hier gilt es, umzuschauen, denn
da tritt jetzt das Städtchen mit der Burg in nächster
Nähe so recht hoch und frei heraus und gewährt eben im
Zusammenhalt mit dem tiefen Grunde einen überraschend
schönen Anblick.

Von Fürth, das wir in kurzer Frist erreichten, setzten
wir nun unsere Fußwanderung auf breiter Landstraße thal-
abwärts fort. Hinter dem schön gelegenen Flecken Rim-
bach verschwindet im Rücken das hohe Lindenfels, dieser
romantische Glanzpunkt der Gegend, und das Thal der
Weschnitz behält nur noch seinen idyllischen Charakter.
Nur hin und wieder treten felsige Hänge in die breite
Wiesensohle des Thales herein, die Höhen sind nur auf
dem Scheitel mit Wald gekrönt, hübsche Dörfer und
Mühlen liegen am Bach und kürzen auf angenehme Weise
den Weg. Erst bei Birkenau gewinnt das Thal wieder
ein anderes Gepräge. Die Berge werden höher und treten
näher zusammen. Sehr hübsch präsentirt sich das in
Baumgrün halb versteckte Dorf. Dunkle Tannenschläge
bedecken rechts und links die Hänge, und über den nahen
bebauten Hügeln heben sich waldige Berge zu beträcht-
licher Höhe. Neben dem, was die Natur hier bietet, ist
der kleine Park des v. Wambolt'schen Schlößchens kaum
nennenswerth, zumal er nichts weniger als wohl gepflegt
erscheint.

Hinter Birkenau verengert sich das Thal zum Paß,
durch den sich die Weschnitz in rasch abfallendem und viel-
fach gewundenem Felsenbette laut rauschend dahinstürzen
würde, wenn nicht die künstlich angelegten Gräben ihr das
Wasser entzgen, um es der Jndustrie dienstbar zu machen.
Lautlos wird es so zum Räderwerk der Mühlen hingeleitet
und das tiefe Bett muß sich mit den Abfällen begnügen,
die zwischen den Granitmassen hinschlüpfen, wenn nicht
gerade der Himmel außergewöhnlichen Zuschuß sendet. Es
ist nun einmal nicht anders, als daß die Jndustrie die
Poesie todtschlägt. Selbst die schönen Granit =, Syenit-
und Porphyrfelsen, die neben der Thalstraße emporsteigen,
müssen täglich ihre Formen wechseln, da Brecheisen, Meißel
und Schlägel unermüdlich arbeiten, um ihnen das Ma-
terial für die Straßen abzugewinnen. Und dennoch bleibt
dieses Birkenauer Thal eine der hübschesten Partien an
der Bergstraße.

Das alte, zum Theil sogar noch alterthümliche Städt-
chen Weinheim, das vor der Thalmündung liegt, er-
reichten wir noch frühzeitig genug, um vor Tisch seine
[Ende Spaltensatz]

[Beginn Spaltensatz] auch dieses aus rohen Stücken und Brocken besteht.
Der Hauptbau ist ein unregelmäßiges Zwölfeck, neben
dem nur noch ein Verließthurm mit der Oeffnung mitten
im Boden Erwähnung verdient. Einzelne Fensteröffnungen
in den verschiedenen Mauerresten gewähren recht liebliche
Bilder. So der Erker gegen Osten, in dessen Vertiefung
ich mir unwillkürlich die schöne Klara Detten sitzend den-
ken mußte, wie sie nach ihrem geliebten Friedrich, dem
siegreichen Kurfürsten, harrend ausschaute. Die Burg
war nämlich ehedem pfälzisch, wenigstens seit dem Jahr
1277; früher hatte sie zu den Besitzungen des Klosters
Lorsch gehört. Sie war bis zur französischen Revolution
in gutem wehrhaftem Zustande, und erst von dieser datirt
ihr Verfall. Sie und das alte Städtchen mit der wetter-
grauen Warte und der weiß schimmernden, wenn auch
modern unschönen Kirche geben ein gar schönes Bild ab,
das weithin die ganze Gegend ziert.

Jn dem kleinen Gasthause zur Harfe fanden wir eine
gute Nachtherberge. Als wir am Morgen weiter ziehen
wollten, erhob sich die Frage, wohin? Es liegt in diesen
Bergen noch so viel Schönes und Jnteressantes, daß man
sich gern darein vertiefen möchte, um dort Erbach mit
seinen Sammlungen, oder Schloß Fürstenau, die alten
Ritter= und Geisterburgen Rodenstein und Schnellert,
oder die Umgebung des Melibocus mit Felsenmeer und
Riesensäule zu besuchen. Zu allem dergleichen war uns die
Zeit zu kurz zugemessen. Für uns handelte es sich nur
darum, an welcher Stelle wir wieder aus den Bergen
heraus kommen wollten. Heppenheim sollte, der Abwechs-
lung wegen, diese Stelle nicht seyn, so konnten denn nur
Auerbach und Bensheim, oder Weinheim in Frage kom-
men. Für letzteres fiel schließlich der Entscheid, und so
machten wir uns denn auf den Weg, nachdem wir noch
einen kurzen Gang zur Ruine unternommen, um die Ge-
gend auch im Frühlichte zu sehen.

Der Weg aus dem Städtchen führte uns zunächst an
einer Reihe Häuschen vorüber, die sich an die Außenseite
der Mauer lehnen und unter schattigen Bäumen, umrankt
von Reben, so allerliebst aussehen, daß man die wahr-
scheinliche Armuth ihrer Bewohner darüber ganz vergißt.
Zeichner und Maler mache ich auf diese kleinen Bilder
mit allem Beiwerk zum Jdyll besonders aufmerksam. Schö-
ner aber noch, wiewohl ganz andern Styls, ist die tiefe
Schlucht, in welche nun der Pfad sich senkte. Dieser
rasch abfallende, von hohem Wald umsäumte Wiesengrund,
aus dem sich einzelne Bäume mit prachtvollen Kronen er-
heben, lag so voll köstlichen Morgenlichts und tiefen
Schattens, daß wir uns kaum satt daran sehen konnten
und uns so recht an der Frische dieses saftigen Grüns er-
labten. Ja, wenn die Scenerie bei Grasellenbach etwa
so ausgesehen hätte, wie diese Schlucht am Fuße von Lin-
denfels, wir hätten wohl gar unser kritisches Urtheil be-
stechen und den Ort für den der Hagen'schen Unthat gel-
ten lassen, weil er gar so schön ist. Man könnte sogar
in Versuchung kommen, das Männchen im Wappen am
[Spaltenumbruch] Stadtbrunnen mit in die Untersuchung herein zu ziehen,
obgleich es trotz des fliegenden Haares kein Siegfriedliches
Aussehen hat. Schwebt doch zu seiner Rechten ein ein-
zelnes Blatt, offenbar ein Lindenblatt, an dem man her-
umtüfteln könnte, bis man es zu jenem Blatt gestempelt
hätte, das einst von der Linde, unter welcher Siegfried
sich im Blut und Fett des Drachen badete, auf seine
Schulter gefallen war und so die Stelle zurückgelassen hatte,
an welcher er nicht hörnern, sondern zum Tode verwund-
bar war. — Jenseits der schönen Thalschlucht steigt der
Pfad wieder sanft an. Hier gilt es, umzuschauen, denn
da tritt jetzt das Städtchen mit der Burg in nächster
Nähe so recht hoch und frei heraus und gewährt eben im
Zusammenhalt mit dem tiefen Grunde einen überraschend
schönen Anblick.

Von Fürth, das wir in kurzer Frist erreichten, setzten
wir nun unsere Fußwanderung auf breiter Landstraße thal-
abwärts fort. Hinter dem schön gelegenen Flecken Rim-
bach verschwindet im Rücken das hohe Lindenfels, dieser
romantische Glanzpunkt der Gegend, und das Thal der
Weschnitz behält nur noch seinen idyllischen Charakter.
Nur hin und wieder treten felsige Hänge in die breite
Wiesensohle des Thales herein, die Höhen sind nur auf
dem Scheitel mit Wald gekrönt, hübsche Dörfer und
Mühlen liegen am Bach und kürzen auf angenehme Weise
den Weg. Erst bei Birkenau gewinnt das Thal wieder
ein anderes Gepräge. Die Berge werden höher und treten
näher zusammen. Sehr hübsch präsentirt sich das in
Baumgrün halb versteckte Dorf. Dunkle Tannenschläge
bedecken rechts und links die Hänge, und über den nahen
bebauten Hügeln heben sich waldige Berge zu beträcht-
licher Höhe. Neben dem, was die Natur hier bietet, ist
der kleine Park des v. Wambolt'schen Schlößchens kaum
nennenswerth, zumal er nichts weniger als wohl gepflegt
erscheint.

Hinter Birkenau verengert sich das Thal zum Paß,
durch den sich die Weschnitz in rasch abfallendem und viel-
fach gewundenem Felsenbette laut rauschend dahinstürzen
würde, wenn nicht die künstlich angelegten Gräben ihr das
Wasser entzgen, um es der Jndustrie dienstbar zu machen.
Lautlos wird es so zum Räderwerk der Mühlen hingeleitet
und das tiefe Bett muß sich mit den Abfällen begnügen,
die zwischen den Granitmassen hinschlüpfen, wenn nicht
gerade der Himmel außergewöhnlichen Zuschuß sendet. Es
ist nun einmal nicht anders, als daß die Jndustrie die
Poesie todtschlägt. Selbst die schönen Granit =, Syenit-
und Porphyrfelsen, die neben der Thalstraße emporsteigen,
müssen täglich ihre Formen wechseln, da Brecheisen, Meißel
und Schlägel unermüdlich arbeiten, um ihnen das Ma-
terial für die Straßen abzugewinnen. Und dennoch bleibt
dieses Birkenauer Thal eine der hübschesten Partien an
der Bergstraße.

Das alte, zum Theil sogar noch alterthümliche Städt-
chen Weinheim, das vor der Thalmündung liegt, er-
reichten wir noch frühzeitig genug, um vor Tisch seine
[Ende Spaltensatz]

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Hier gilt es, umzuschauen, denn da tritt jetzt das Städtchen mit der Burg in nächster Nähe so recht hoch und frei heraus und gewährt eben im Zusammenhalt mit dem tiefen Grunde einen überraschend schönen Anblick. Von Fürth, das wir in kurzer Frist erreichten, setzten wir nun unsere Fußwanderung auf breiter Landstraße thal- abwärts fort. Hinter dem schön gelegenen Flecken Rim- bach verschwindet im Rücken das hohe Lindenfels, dieser romantische Glanzpunkt der Gegend, und das Thal der Weschnitz behält nur noch seinen idyllischen Charakter. Nur hin und wieder treten felsige Hänge in die breite Wiesensohle des Thales herein, die Höhen sind nur auf dem Scheitel mit Wald gekrönt, hübsche Dörfer und Mühlen liegen am Bach und kürzen auf angenehme Weise den Weg. Erst bei Birkenau gewinnt das Thal wieder ein anderes Gepräge. Die Berge werden höher und treten näher zusammen. Sehr hübsch präsentirt sich das in Baumgrün halb versteckte Dorf. 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Zitationshilfe: Morgenblatt für gebildete Leser. Nr. 30. Stuttgart/Tübingen, 27. Juli 1856, S. 717. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_morgenblatt30_1856/21>, abgerufen am 17.07.2024.