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Morgenblatt für gebildete Leser. Nr. 30. Stuttgart/Tübingen, 27. Juli 1856.

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[Beginn Spaltensatz] dreitausend Pfund Papier von allen feineren Sorten ge-
fertigt. Ein nicht unbedeutender Theil dieser Waare
geht nach Amerika. Herr Cini, der selbst gegenwärtig
war, ließ uns durch einen seiner Aufseher Alles bis
in's Einzelnste zeigen und erklären. Dabei ist es den
Leuten verboten, das geringste Trinkgeld anzunehmen,
in Jtalien mehr als ein halbes Wunder. Die Lage
der Gebäude ist herrlich, im tiefen Thalgrunde, von
schöngeformten, dichtbewaldeten Bergen eingefaßt, und
mit einer Ueppigkeit und Frische der Kräutervegetation,
wie sie im italienischen Gebirge fast unerhört ist.

Auf dem Rückwege von unserem Rundgange durch
San Marcello begegneten wir einem alten Bauer mit
schneeweißem Haar, der im Walde trockenes Holz ge-
holt hatte. Als wir ihn, der unter der Last gebeugt
einherwankte, theilnehmend anredeten, richtete er sich
plötzlich auf, warf sein Bündel von den Schultern und
begrüßte uns zu unserem nicht geringen Erstaunen mit
einer Jmprovisation in Versen, in der sogar die Musen
und der Helicon eine Rolle spielten. Da wir ihn im
Verdacht hatten, daß seine Poesie nur ein auswendig
gelerntes Pensum sey, um auf die Taschen der Frem-
den zu speculiren, richteten wir mehrere Fragen an ihn,
und siehe, er antwortete, fast ohne sich zu besinnen, auf
jede derselben in wohlgereimten Versen, die nicht schlech-
ter waren als die Gelegenheitsgedichte manches italieni-
schen und transalpinischen poeta laureatus der Gegen-
wart. Dabei trug er alles mit solchem Feuer der
Stimme und des Geberdenspiels vor, und zeigte ein so
feines Gefühl für Reim und Rhythmus, daß wir ihm
mit Vergnügen immer von neuem zuhörten. Eines
solchen vornehmen Publikums ungewohnt, überbot er
sich selbst und wurde nicht müde, von einem trefflich
gelungenen Sonett auf die Hochzeit seines Sohnes be-
ginnend, uns alle seine Poesien, die nie aufgeschrieben
worden, von denen er aber nach seiner Versicherung
keine vergessen hatte, zu citiren, bis wir des Dinges
endlich müde wurden und ihn mit einem kleinen, ohne
Widerstreben angenommenen Geldgeschenke zu seinen
Penaten entließen. Aber die Erscheinung des alten
Bauerpoeten mit seinem im Abendwind flatternden Sil-
berhaar, seinem funkelnden schwarzen Auge und dem
begeisterten Tone der, wenn auch schon zitternden, doch
noch kräftigen und wohltönenden Stimme, prägte sich
mir unauslöschlich in's Gedächtniß.

Jn geringer Entfernung von San Marcello ost-
wärts liegt der kleine Flecken ( terra ) Gavinana, in der
toscanischen Geschichte berühmt durch den Heldentod des
letzten Feldherrn der florentinischen Republik, Fran-
cesco Ferruccio.
Von Volterra, das er mit un-
überwindlicher Hartnäckigkeit gegen eine weit überlegene
[Spaltenumbruch] Feindesschaar vertheidigt hatte, abgerufen, um der hart-
bedrängten Hauptstadt zu Hülfe zu eilen, mußte er sich
über Livorno, Pisa und Lucca nach dem nordwestlichen
Gebirge wenden, um von hier aus auf weitem Um-
wege nach der rings umlagerten Baterstadt vorzudrin-
gen. Von San Marcello zog er längs des Baches
aufwärts nach Gavinana; als er aber die steile Gasse
des letzteren Fleckens hinab nach dem südlichen Thore
marschirte, traf er auf der damals nackten, jetzt mit
dichtem Kastanienwald bedeckten Ebene, vor dem Thore
die überlegene Kriegsmacht des Prinzen von Oranien,
die den jeden Fußbreit Vertheidigenden langsam auf
demselben Wege zurückdrängte, bis Ferruccio auf dem
fast ebenen, unregelmäßigen Marktplatz angekommen,
nochmals seine weichenden Truppen zum Stehen brachte,
und nach verzweifeltem, aber vergeblichem Kampfe, als
die meisten der Seinen und der feindliche Oberfeldherr
gefallen waren, in den Reihen der Feinde seinen Tod
suchte. Schwer verwundet wurde er gefangen; aber der
treulose Maramaldo, einer der feindlichen Befehlshaber
und Ferruccios persönlicher Feind, gab dem Wehrlosen
mit seinem Dolche den Gnadenstoß. So fiel Ferruccio
am Fuße des "Domes" von Gavinana, und mit ihm
der letzte Vertheidiger der italienischen Freiheit, der mit
demselben Rechte wie Kosziusko hätte ausrufen können:
Finis Italiae!

Eine ehemalige Zugbrücke, die jetzt unbeweglich
über den mit zahllosen Schlingpflanzen und hochsteng-
lichten Umbelliferen bedeckten Graben führt, überschrei-
tend, betraten wir die engen, schmutzigen Gassen des
jetzt kaum 700 Bewohner zählenden Fleckens. Die aus
dunkelfarbigen Kalksteinen roh aufgemauerten Häuser
sind großentheils halb oder ganz zerfallen, und selbst in
den noch bewohnten dringt oft der Rauch durch die
schlecht gefügten Steine. Nur die zwei " palazzi " der
Familie Palmerini stechen vortheilhaft dagegen ab. Jn
einem derselben fanden wir bei der Familie des Besitzers
freundliche Aufnahme und Bewirthung. Palmerini
zeigte uns eine kleine Sammlung von Waffenstücken,
Ueberbleibseln jenes denkwürdigen Schlachttags, die er
und seine Vorfahren seit Jahrhunderten zusammen ge-
bracht hatten, und machte uns auf eine marmorne Jn-
schrift an der Ecke des Kirchhofs aufmerksam, die die Worte
trug: Qui cadde Ferruccio, combattendo par la patria.
( Hier fiel Ferruccio, für das Vaterland kämpfend. )
Diese Jnschrift ist jedoch erst vor nicht gar langer Zeit
gesetzt worden, weil die Medicis und ihre Erben nicht
gern an den letzten Vertheidiger republikanischer Freiheit
gemahnt seyn mochten. An Ferruccios Grab schwuren
1848 die nach der Lombardei ziehenden Freiwilligen,
dem Vaterland die Freiheit und Unabhängigkeit zu
[Ende Spaltensatz]

[Beginn Spaltensatz] dreitausend Pfund Papier von allen feineren Sorten ge-
fertigt. Ein nicht unbedeutender Theil dieser Waare
geht nach Amerika. Herr Cini, der selbst gegenwärtig
war, ließ uns durch einen seiner Aufseher Alles bis
in's Einzelnste zeigen und erklären. Dabei ist es den
Leuten verboten, das geringste Trinkgeld anzunehmen,
in Jtalien mehr als ein halbes Wunder. Die Lage
der Gebäude ist herrlich, im tiefen Thalgrunde, von
schöngeformten, dichtbewaldeten Bergen eingefaßt, und
mit einer Ueppigkeit und Frische der Kräutervegetation,
wie sie im italienischen Gebirge fast unerhört ist.

Auf dem Rückwege von unserem Rundgange durch
San Marcello begegneten wir einem alten Bauer mit
schneeweißem Haar, der im Walde trockenes Holz ge-
holt hatte. Als wir ihn, der unter der Last gebeugt
einherwankte, theilnehmend anredeten, richtete er sich
plötzlich auf, warf sein Bündel von den Schultern und
begrüßte uns zu unserem nicht geringen Erstaunen mit
einer Jmprovisation in Versen, in der sogar die Musen
und der Helicon eine Rolle spielten. Da wir ihn im
Verdacht hatten, daß seine Poesie nur ein auswendig
gelerntes Pensum sey, um auf die Taschen der Frem-
den zu speculiren, richteten wir mehrere Fragen an ihn,
und siehe, er antwortete, fast ohne sich zu besinnen, auf
jede derselben in wohlgereimten Versen, die nicht schlech-
ter waren als die Gelegenheitsgedichte manches italieni-
schen und transalpinischen poeta laureatus der Gegen-
wart. Dabei trug er alles mit solchem Feuer der
Stimme und des Geberdenspiels vor, und zeigte ein so
feines Gefühl für Reim und Rhythmus, daß wir ihm
mit Vergnügen immer von neuem zuhörten. Eines
solchen vornehmen Publikums ungewohnt, überbot er
sich selbst und wurde nicht müde, von einem trefflich
gelungenen Sonett auf die Hochzeit seines Sohnes be-
ginnend, uns alle seine Poesien, die nie aufgeschrieben
worden, von denen er aber nach seiner Versicherung
keine vergessen hatte, zu citiren, bis wir des Dinges
endlich müde wurden und ihn mit einem kleinen, ohne
Widerstreben angenommenen Geldgeschenke zu seinen
Penaten entließen. Aber die Erscheinung des alten
Bauerpoeten mit seinem im Abendwind flatternden Sil-
berhaar, seinem funkelnden schwarzen Auge und dem
begeisterten Tone der, wenn auch schon zitternden, doch
noch kräftigen und wohltönenden Stimme, prägte sich
mir unauslöschlich in's Gedächtniß.

Jn geringer Entfernung von San Marcello ost-
wärts liegt der kleine Flecken ( terra ) Gavinana, in der
toscanischen Geschichte berühmt durch den Heldentod des
letzten Feldherrn der florentinischen Republik, Fran-
cesco Ferruccio.
Von Volterra, das er mit un-
überwindlicher Hartnäckigkeit gegen eine weit überlegene
[Spaltenumbruch] Feindesschaar vertheidigt hatte, abgerufen, um der hart-
bedrängten Hauptstadt zu Hülfe zu eilen, mußte er sich
über Livorno, Pisa und Lucca nach dem nordwestlichen
Gebirge wenden, um von hier aus auf weitem Um-
wege nach der rings umlagerten Baterstadt vorzudrin-
gen. Von San Marcello zog er längs des Baches
aufwärts nach Gavinana; als er aber die steile Gasse
des letzteren Fleckens hinab nach dem südlichen Thore
marschirte, traf er auf der damals nackten, jetzt mit
dichtem Kastanienwald bedeckten Ebene, vor dem Thore
die überlegene Kriegsmacht des Prinzen von Oranien,
die den jeden Fußbreit Vertheidigenden langsam auf
demselben Wege zurückdrängte, bis Ferruccio auf dem
fast ebenen, unregelmäßigen Marktplatz angekommen,
nochmals seine weichenden Truppen zum Stehen brachte,
und nach verzweifeltem, aber vergeblichem Kampfe, als
die meisten der Seinen und der feindliche Oberfeldherr
gefallen waren, in den Reihen der Feinde seinen Tod
suchte. Schwer verwundet wurde er gefangen; aber der
treulose Maramaldo, einer der feindlichen Befehlshaber
und Ferruccios persönlicher Feind, gab dem Wehrlosen
mit seinem Dolche den Gnadenstoß. So fiel Ferruccio
am Fuße des „Domes“ von Gavinana, und mit ihm
der letzte Vertheidiger der italienischen Freiheit, der mit
demselben Rechte wie Kosziusko hätte ausrufen können:
Finis Italiae!

Eine ehemalige Zugbrücke, die jetzt unbeweglich
über den mit zahllosen Schlingpflanzen und hochsteng-
lichten Umbelliferen bedeckten Graben führt, überschrei-
tend, betraten wir die engen, schmutzigen Gassen des
jetzt kaum 700 Bewohner zählenden Fleckens. Die aus
dunkelfarbigen Kalksteinen roh aufgemauerten Häuser
sind großentheils halb oder ganz zerfallen, und selbst in
den noch bewohnten dringt oft der Rauch durch die
schlecht gefügten Steine. Nur die zwei » palazzi « der
Familie Palmerini stechen vortheilhaft dagegen ab. Jn
einem derselben fanden wir bei der Familie des Besitzers
freundliche Aufnahme und Bewirthung. Palmerini
zeigte uns eine kleine Sammlung von Waffenstücken,
Ueberbleibseln jenes denkwürdigen Schlachttags, die er
und seine Vorfahren seit Jahrhunderten zusammen ge-
bracht hatten, und machte uns auf eine marmorne Jn-
schrift an der Ecke des Kirchhofs aufmerksam, die die Worte
trug: Quì cadde Ferruccio, combattendo par la patria.
( Hier fiel Ferruccio, für das Vaterland kämpfend. )
Diese Jnschrift ist jedoch erst vor nicht gar langer Zeit
gesetzt worden, weil die Medicis und ihre Erben nicht
gern an den letzten Vertheidiger republikanischer Freiheit
gemahnt seyn mochten. An Ferruccios Grab schwuren
1848 die nach der Lombardei ziehenden Freiwilligen,
dem Vaterland die Freiheit und Unabhängigkeit zu
[Ende Spaltensatz]

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Von Volterra, das er mit un- überwindlicher Hartnäckigkeit gegen eine weit überlegene Feindesschaar vertheidigt hatte, abgerufen, um der hart- bedrängten Hauptstadt zu Hülfe zu eilen, mußte er sich über Livorno, Pisa und Lucca nach dem nordwestlichen Gebirge wenden, um von hier aus auf weitem Um- wege nach der rings umlagerten Baterstadt vorzudrin- gen. Von San Marcello zog er längs des Baches aufwärts nach Gavinana; als er aber die steile Gasse des letzteren Fleckens hinab nach dem südlichen Thore marschirte, traf er auf der damals nackten, jetzt mit dichtem Kastanienwald bedeckten Ebene, vor dem Thore die überlegene Kriegsmacht des Prinzen von Oranien, die den jeden Fußbreit Vertheidigenden langsam auf demselben Wege zurückdrängte, bis Ferruccio auf dem fast ebenen, unregelmäßigen Marktplatz angekommen, nochmals seine weichenden Truppen zum Stehen brachte, und nach verzweifeltem, aber vergeblichem Kampfe, als die meisten der Seinen und der feindliche Oberfeldherr gefallen waren, in den Reihen der Feinde seinen Tod suchte. Schwer verwundet wurde er gefangen; aber der treulose Maramaldo, einer der feindlichen Befehlshaber und Ferruccios persönlicher Feind, gab dem Wehrlosen mit seinem Dolche den Gnadenstoß. 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Palmerini zeigte uns eine kleine Sammlung von Waffenstücken, Ueberbleibseln jenes denkwürdigen Schlachttags, die er und seine Vorfahren seit Jahrhunderten zusammen ge- bracht hatten, und machte uns auf eine marmorne Jn- schrift an der Ecke des Kirchhofs aufmerksam, die die Worte trug: Quì cadde Ferruccio, combattendo par la patria. ( Hier fiel Ferruccio, für das Vaterland kämpfend. ) Diese Jnschrift ist jedoch erst vor nicht gar langer Zeit gesetzt worden, weil die Medicis und ihre Erben nicht gern an den letzten Vertheidiger republikanischer Freiheit gemahnt seyn mochten. An Ferruccios Grab schwuren 1848 die nach der Lombardei ziehenden Freiwilligen, dem Vaterland die Freiheit und Unabhängigkeit zu

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Zitationshilfe: Morgenblatt für gebildete Leser. Nr. 30. Stuttgart/Tübingen, 27. Juli 1856, S. 708. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_morgenblatt30_1856/12>, abgerufen am 27.11.2024.