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Morgenblatt für gebildete Leser. Nr. 6. Stuttgart/Tübingen, 10. Februar 1856.

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[Beginn Spaltensatz] der Spannung, die ihn von Pompejus eine Zeitlang
entfernt hatte, jezt, da er wieder mit ihm bei schäu-
menden Pokalen vereinigt war, weniger den Blicken
Neugieriger ausgesezt zu seyn. Endlich theilten sie wohl
alle drei den Wunsch, sich rücksichtslos über Staats-
angelegenheiten unterhalten zu können. Denn es war
eine wichtige Zeit, in der man damals lebte, und der
vaterlandsliebende Cicero gab zu wenig auf die Genüsse
des Lebens, um ihnen das Kostbarste, was er hatte,
seine freie Muße, ohne eine höhere Rücksicht zu opfern.

Nehmen wir also an, daß die den Göttern wohl-
gefällige Dreizahl nicht überschritten war. Jeder Gast
nahm dann ein Sopha für sich allein ein. Waren der
Gäste mehrere, so lagerten doch nur drei Personen auf
einem Ruhebett. Man legte sich, auf den linken
Arm sich stützend, so, daß die rechte Hand frei blieb.
Waren drei Personen auf demselben Lager vereinigt, so
lehnte der Mittelste mit seinem Haupte gegen die Füße des
Ersten und der Dritte ruhte wieder zu den Füßen des
Zweiten. Als der Ehrenplatz galt der erste des mitt-
[Spaltenumbruch] leren Sophas; der Wirth hatte seinen Platz an der
obersten Stelle des linken Ruhebettes, so daß er dem
vornehmsten Gast zunächst war. Es ist nicht ohne
Jnteresse, bei verschiedenen Gastmählern, die uns be-
schrieben werden, und die zum Theil eine historische
Wichtigkeit haben, die Situation der einzelnen Theil-
nehmer nachzuweisen und so den Gang der Unterhal-
tung verfolgen zu können. Jst unsere obige Annahme
hinsichtlich der Beschränkung der Anzahl der Tischgäste
beim Lucullischen Mahle gegründet, so hatte auf dem
mittleren Sopha Pompejus Platz genommen, als der-
jenige Gast, der nach den glänzendsten Siegen im fer-
nen Osten eine besondere Auszeichnung verdiente; Lu-
cullus nahm das Lager auf dem linken, Cicero auf dem
rechten Ruhebette ein.

Bei den Regeln, die der feine Anstand in Rom
sanctionirt hatte, bedurfte es in den meisten Fällen nicht
eines besondern Anweisens der Plätze für die einzelnen;
jeder wußte nach Schicklichkeit den seinigen zu wählen.

[Ende Spaltensatz]

( Schluß folgt. )





Jndianische Mythen.
( Henry Wadsworth Longfellow: The Song of Hiawatha. London, 1855. )
( Fortsetzung. )
[Beginn Spaltensatz]
VII.
Hiawatha's Segeln.
"Gib mir deines Basts, o Birke!
Deines gelben Basts, o Birke!
Wachsend du an Flusses Rauschen,
Hoch und stattlich du im Thale!
Bau'n will ich ein leichtes Boot mir,
Bau'n mir ein Cheemaun zum Segeln!
Fließen soll es auf dem Flusse,
Wie ein gelbes Blatt im Herbste,
Wie 'ne gelbe Wasserlilie!
"Abwirf dein Gewand, o Birke!
[Spaltenumbruch] Abwirf deine Weißfellhülle!
Denn die Sommerzeit ist nahe,
Warm am Himmel steht die Sonne,
Und kein Weißfell mehr bedarfst du!"
Also laut rief Hiawatha
Jn dem einsam öden Forste,
An dem rauschenden Taquamenaw,
Als die Vögel lustig sangen,
Und die Sonne, jäh erwachend,
Auffuhr, sprechend: "Seht, o seht mich,
Gheezis, mich, die große Sonne!"
Und der Baum mit allen Zweigen
Raschelte im Hauch des Morgens,
Sprechend mit geduld'gem Seufzer:
"Nimm mein Kleid, o Hiawatha!"
[Ende Spaltensatz]

[Beginn Spaltensatz] der Spannung, die ihn von Pompejus eine Zeitlang
entfernt hatte, jezt, da er wieder mit ihm bei schäu-
menden Pokalen vereinigt war, weniger den Blicken
Neugieriger ausgesezt zu seyn. Endlich theilten sie wohl
alle drei den Wunsch, sich rücksichtslos über Staats-
angelegenheiten unterhalten zu können. Denn es war
eine wichtige Zeit, in der man damals lebte, und der
vaterlandsliebende Cicero gab zu wenig auf die Genüsse
des Lebens, um ihnen das Kostbarste, was er hatte,
seine freie Muße, ohne eine höhere Rücksicht zu opfern.

Nehmen wir also an, daß die den Göttern wohl-
gefällige Dreizahl nicht überschritten war. Jeder Gast
nahm dann ein Sopha für sich allein ein. Waren der
Gäste mehrere, so lagerten doch nur drei Personen auf
einem Ruhebett. Man legte sich, auf den linken
Arm sich stützend, so, daß die rechte Hand frei blieb.
Waren drei Personen auf demselben Lager vereinigt, so
lehnte der Mittelste mit seinem Haupte gegen die Füße des
Ersten und der Dritte ruhte wieder zu den Füßen des
Zweiten. Als der Ehrenplatz galt der erste des mitt-
[Spaltenumbruch] leren Sophas; der Wirth hatte seinen Platz an der
obersten Stelle des linken Ruhebettes, so daß er dem
vornehmsten Gast zunächst war. Es ist nicht ohne
Jnteresse, bei verschiedenen Gastmählern, die uns be-
schrieben werden, und die zum Theil eine historische
Wichtigkeit haben, die Situation der einzelnen Theil-
nehmer nachzuweisen und so den Gang der Unterhal-
tung verfolgen zu können. Jst unsere obige Annahme
hinsichtlich der Beschränkung der Anzahl der Tischgäste
beim Lucullischen Mahle gegründet, so hatte auf dem
mittleren Sopha Pompejus Platz genommen, als der-
jenige Gast, der nach den glänzendsten Siegen im fer-
nen Osten eine besondere Auszeichnung verdiente; Lu-
cullus nahm das Lager auf dem linken, Cicero auf dem
rechten Ruhebette ein.

Bei den Regeln, die der feine Anstand in Rom
sanctionirt hatte, bedurfte es in den meisten Fällen nicht
eines besondern Anweisens der Plätze für die einzelnen;
jeder wußte nach Schicklichkeit den seinigen zu wählen.

[Ende Spaltensatz]

( Schluß folgt. )





Jndianische Mythen.
( Henry Wadsworth Longfellow: The Song of Hiawatha. London, 1855. )
( Fortsetzung. )
[Beginn Spaltensatz]
VII.
Hiawatha's Segeln.
„Gib mir deines Basts, o Birke!
Deines gelben Basts, o Birke!
Wachsend du an Flusses Rauschen,
Hoch und stattlich du im Thale!
Bau'n will ich ein leichtes Boot mir,
Bau'n mir ein Cheemaun zum Segeln!
Fließen soll es auf dem Flusse,
Wie ein gelbes Blatt im Herbste,
Wie 'ne gelbe Wasserlilie!
„Abwirf dein Gewand, o Birke!
[Spaltenumbruch] Abwirf deine Weißfellhülle!
Denn die Sommerzeit ist nahe,
Warm am Himmel steht die Sonne,
Und kein Weißfell mehr bedarfst du!“
Also laut rief Hiawatha
Jn dem einsam öden Forste,
An dem rauschenden Taquamenaw,
Als die Vögel lustig sangen,
Und die Sonne, jäh erwachend,
Auffuhr, sprechend: „Seht, o seht mich,
Gheezis, mich, die große Sonne!“
Und der Baum mit allen Zweigen
Raschelte im Hauch des Morgens,
Sprechend mit geduld'gem Seufzer:
„Nimm mein Kleid, o Hiawatha!“
[Ende Spaltensatz]
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[126/0006] 126 der Spannung, die ihn von Pompejus eine Zeitlang entfernt hatte, jezt, da er wieder mit ihm bei schäu- menden Pokalen vereinigt war, weniger den Blicken Neugieriger ausgesezt zu seyn. Endlich theilten sie wohl alle drei den Wunsch, sich rücksichtslos über Staats- angelegenheiten unterhalten zu können. Denn es war eine wichtige Zeit, in der man damals lebte, und der vaterlandsliebende Cicero gab zu wenig auf die Genüsse des Lebens, um ihnen das Kostbarste, was er hatte, seine freie Muße, ohne eine höhere Rücksicht zu opfern. Nehmen wir also an, daß die den Göttern wohl- gefällige Dreizahl nicht überschritten war. Jeder Gast nahm dann ein Sopha für sich allein ein. Waren der Gäste mehrere, so lagerten doch nur drei Personen auf einem Ruhebett. Man legte sich, auf den linken Arm sich stützend, so, daß die rechte Hand frei blieb. Waren drei Personen auf demselben Lager vereinigt, so lehnte der Mittelste mit seinem Haupte gegen die Füße des Ersten und der Dritte ruhte wieder zu den Füßen des Zweiten. Als der Ehrenplatz galt der erste des mitt- leren Sophas; der Wirth hatte seinen Platz an der obersten Stelle des linken Ruhebettes, so daß er dem vornehmsten Gast zunächst war. Es ist nicht ohne Jnteresse, bei verschiedenen Gastmählern, die uns be- schrieben werden, und die zum Theil eine historische Wichtigkeit haben, die Situation der einzelnen Theil- nehmer nachzuweisen und so den Gang der Unterhal- tung verfolgen zu können. Jst unsere obige Annahme hinsichtlich der Beschränkung der Anzahl der Tischgäste beim Lucullischen Mahle gegründet, so hatte auf dem mittleren Sopha Pompejus Platz genommen, als der- jenige Gast, der nach den glänzendsten Siegen im fer- nen Osten eine besondere Auszeichnung verdiente; Lu- cullus nahm das Lager auf dem linken, Cicero auf dem rechten Ruhebette ein. Bei den Regeln, die der feine Anstand in Rom sanctionirt hatte, bedurfte es in den meisten Fällen nicht eines besondern Anweisens der Plätze für die einzelnen; jeder wußte nach Schicklichkeit den seinigen zu wählen. ( Schluß folgt. ) Jndianische Mythen. ( Henry Wadsworth Longfellow: The Song of Hiawatha. London, 1855. ) ( Fortsetzung. ) VII. Hiawatha's Segeln. „Gib mir deines Basts, o Birke! Deines gelben Basts, o Birke! Wachsend du an Flusses Rauschen, Hoch und stattlich du im Thale! Bau'n will ich ein leichtes Boot mir, Bau'n mir ein Cheemaun zum Segeln! Fließen soll es auf dem Flusse, Wie ein gelbes Blatt im Herbste, Wie 'ne gelbe Wasserlilie! „Abwirf dein Gewand, o Birke! Abwirf deine Weißfellhülle! Denn die Sommerzeit ist nahe, Warm am Himmel steht die Sonne, Und kein Weißfell mehr bedarfst du!“ Also laut rief Hiawatha Jn dem einsam öden Forste, An dem rauschenden Taquamenaw, Als die Vögel lustig sangen, Und die Sonne, jäh erwachend, Auffuhr, sprechend: „Seht, o seht mich, Gheezis, mich, die große Sonne!“ Und der Baum mit allen Zweigen Raschelte im Hauch des Morgens, Sprechend mit geduld'gem Seufzer: „Nimm mein Kleid, o Hiawatha!“

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Zitationshilfe: Morgenblatt für gebildete Leser. Nr. 6. Stuttgart/Tübingen, 10. Februar 1856, S. 126. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_morgenblatt06_1856/6>, abgerufen am 22.11.2024.