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Marburger Zeitung. Nr. 96, Marburg, 11.08.1908.

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Die Einzelnummer kostet 10 Heller.




Nr. 96 Dienstag, 11. August 1908 47. Jahrgang.


[Spaltenumbruch]
Bismarck und Rom. *)


Bald nach dem glorreichen Kriege, der dem
deutschen Volke ein großes, mächtiges Deutsches
Reich brachte, war Rom an der Arbeit, die reichs-
feindlichen Elemente unter klerikalen Fahnen zu
mobilisieren. Das Auftreten einer besonderen katho-
lischen Partei unter welfischer Führung im ersten
deutschen Reichstage, des Zentrums, betrachtete
Bismarck als nichts anderes als eine Mobilmachung
der römischen Kirche gegen den Staat.

Auf preußischem Boden hat Bismarck den
Kulturkampf zu dem Zwecke begonnen, um den
polnischen Umtrieben den Beistand ihrer ultramon-
tanen Gönner zu entziehen. Am 8. Juli 1871 hob
Bismarck die katholische Abteilung im
preußischen Kultusministerium auf,
da
diese sich als die feste Stütze der polnischen Um-
triebe in den polnischen Provinzen Preußens
erwiesen hatte.

Demselben Zwecke diente auch das preußische
Schulaufsichtsgesetz, das die Aufsicht über
die öffentlichen Schulen, namentlich in polnischen
Gegenden der kirchlichen Oberherrlicheit entzog und
Staatsbeamten übertrug. Inzwischen hatte die
Kirche in dem rein katholischen Bayern den Kultur-
kampf heftig entzündet. Maßlos wurde von der
Kanzel gehetzt und zur Empörung gegen das Gesetz
aufgefordert. Die Bischöfe von Bamberg und
Regensburg erklärten sogar alle der Regierung
geleisteten Eide für ungiltig. Die Antwort auf diese
Hetze von der Kanzel war die Einführung eines
"Kanzelparagraphen", der den Mißbrauch der
Kanzel unter Strafe stellte. Daß alle diese Feind-
seligkeiten von Rom aus angefacht wurden, macht
folgender Vorgang klar: Bismarck hatte mit Zu-
[Spaltenumbruch] stimmung des Kaisers beschlossen, den Kardinal Hohen-
lohe zum deutschen Botschafter beim päpstlichen Stuhl
zu ernennen. Da kam jedoch eine Ablehnung von Rom,
die geradezu eine Beleidigung des deutschen Kaisers
bedeutete. Damals sagte Bismarck im Reichstage:
"Seien Sie außer Sorge, nach Canossa gehen
wir nicht,
weder körperlich noch geistig!" Der
Reichstag schmiedete nun die beste Waffe gegen
Rom: das Jesuitengesetz, das die Niederlassung
des Jesuitenordens und der ihm verwandten Körper-
schaften vom Deutschen Reichsgebiet ausschloß.

Dem preußischen Landtage lagen Ende 1872
vier Gesetzentwürfe vor: eine Vorlage, die den
Gebrauch kirchlicher Zucht- und Strafmittel wesentlich
beschränkte, eine zweite über die Vorbildung und
Anstellung der Geistlichen, wonach jedes kirchliche
Amt hinfort nur einem Deutschen übertragen
werden durfte, gegen dessen Anstellung der Staat
keinen Widerspruch erhob und der an deutschen
Staatsanstalten von deutschen Lehrern vorgebildet
sein mußte. Der dritte Entwurf über die kirchliche
Disziplinargewalt und die Errichtung eines könig-
lichen Gerichtshofes für kirchliche Angelegenheiten
übertrug die kirchliche Disziplinargewalt nur an
deutsche Staatsbehörden. Die letzte Vorlage endlich
hob alle Erschwerungen auf, die dem Aus-
tritt aus der Kirche entgegenstanden. Im Jahre
1874 gelangte in Preußen ein Gesetz über die
obligatorische Zivilehe zur Annahme, das durch
das deutsche Zivilehegesetz auf das ganze Reich
überging. Wie weit die ultramontane Verhetzung
gediehen war, zeigte der ruchlose Mordversuch Kull-
mann's auf Bismarck am 13. Juli 1874 in Kissingen.
Mit vollem Rechte durfte Bismark im Reichstag dem
Zentrum die Worte entgegenschleudern: "Mögen Sie
sich lossagen von diesem Mörder wie Sie wollen, er
hängt sich an Ihre Rockschöße fest. Er nennt
Sie seine Fraktion!
" Inzwischen hatte Bis-
marck auch die Einziehung der deutschen Gesandt-
[Spaltenumbruch] schaft beim päpstlichen Stuhl verfügt. Darauf erließ
der Papst am 5. Februar 1875 ein Rundschreiben,
das die preußischen Kirchengesetze für ungiltig
erklärte. Da gab es gleich neue Abwehrmittel: so
am 22. April das Sperrgesetz, wodurch die Leistungen
des Staates für die Kirche eingestellt wurden. Und
im Juni 1875 wurden die Artikel 15, 16 und 18
der preußischen Verfassung aufgehoben und dafür
bestimmt: "Die Rechtsordnung der evangelischen
und katholischen Kirche regelt sich nach den Gesetzen
des Staates." Im nämlichen Monat übertrug ein
neues Gesetz die Vermögensverwaltung katholischer
Pfarrgemeinden einem weltlichen Gemeindevorstand.
Endlich kam das letzte preußische Gesetz im kirch-
lichen Kampfe zustande, das die Aufhebung der
geistlichen Orden und Kongregationen verfügte.

Wir sehen, daß unser größter Staatsmann,
Fürst Bismarck, ein erbitterter Feind der Römlinge
war. Und wie so recht christlich ist unsere klerikal-
christlichsoziale Presse, wenn sie am 30. Juli, Bis-
marcks zehntem Todestag, diesem ihrem unerbitt-
lichsten Feinde Leitartikel und schöne Worte widmet.
So schreibt das schwarze Grazer Blatt: "Aber kein
Mensch, auch der gewaltigste nicht, ist frei von
Irrtum und Fehlern; der ungerechte, verderbliche
Kulturkampf ist das schwärzeste Blatt des großen
Staatsmannes. Heute, am zehnjährigen Todestag
des Großen legen wir gerne auf das stille Grab
im Sachsenwalde einen Erinnerungskranz aus
deutschem Eichenlaub: Der da liegt war ein ge-
waltiger, zorniger Mann, ein Mann der größten
Tat und des Wortes kundig wie kaum ein Zweiter.
Als Worte auf die Erinnerungsschleife schreiben wir
die hin, die ein anderer großer Genius pommer'schen
Stammes ausrief:

"Es war ein Mann, nehmt alles nur in allem,
Wir werden nimmer seines Gleichen sehen."

Selbst Bismarck soll diesen Finsterlingen dazu
dienen, um durch ihn, der ihr größter Feind war,




[Spaltenumbruch]
Schloß Eichgrund.

25



(Nachdruck verboten.)

Und der Anwalt begann.

Er vergaß nichts, er ergänzte sogar manches,
was Frau Mertens selbstverständlich meist voraus-
gesetzt und darum unerwähnt gelassen hatte.

Der Agent sowohl wie seine Tochter verloren
kein Wort, dann und wann begegneten sich ihre
Blicke.

Als endlich Dr. Görz schwieg entstand ein
allgemeines Stillschweigen. Man war offenbar
begierig, das Urteil des erfahrenen Detektivs zu
hören.

Nach längerer Pause sagte derselbe, eine Falte
des Unmuts zwischen den Augen: "So einfach,
lieber Doktor, als Sie meinen, liegt die Sache
denn doch nicht".

Dr. Görz erwiderte: "Es gibt ein einziges
Moment in der Affäre, an dem alle meine Kombi-
nationen scheitern, das ist das mysteriöse
Verschwinden Ihres Bruders --" wandte er sich
zu Frau Mertens.

"Und gerade bei diesem Punkte müssen wir
einsetzen, um auf Wege geleitet zu werden, die zur
Klarheit führen. Ihre Darstellung allein, gnädige
Frau, die Sie mir durch Dr. Görz geben ließen,
genügt mir nicht. Ich muß, wenn ich einigermaßen
mit Aussicht auf Erfolg operieren will, auch all
das erkennen lernen, was das richterliche Verhör
und die polizeilichen Recherchen bisher ergeben haben".


[Spaltenumbruch]

Hier hob sich Ruths graziöser Körper etwas
aus dem Sessel heraus, sie wollte wohl etwas ein-
wenden. Aber ihr Vater winkte mit der Hand und
fuhr fort: "Du hast Recht, liebe Ruth, jetzt müssen
wir eine bestimmte Entscheidung treffen, ob wir uns
weiter in das Labyrinth begeben wollen". Und zu
den Übrigen gewandt bemerkte er: "Ich will Ihnen
offen gestehen, daß bereits seit heute Morgen ein
Brief des Polizeidirektors bei mir liegt, in dem er
mich ersucht, ihm bei Behandlung dieser Angelegenheit
behilflich zu sein".

Ruth legte ihre schmalen Hände in einander,
preßte die roten Lippen aufeinander und blickte
resigniert vor sich auf die hellen Blumen des Teppichs,
in dessen weiches Gewebe sich ihr kleiner Fuß mit
ungeduldiger Bewegung eingrub. Frau Mertens,
die mit höchster Spannung den Worten des Agenten
gefolgt war, sah die Ungeduld und die Besorgnis,
die sich in der Haltung des jungen Mädchens
aussprach, sie erriet, was in ihm vorging. Und
einem rasch in ihr aufsteigenden Impulse folgend,
erhob sie sich und beide Hände des Mädchens
ergreifend, neigte sie sich tief, wie eine zärtlich
Bittende zu ihr hinab und mit vor Bewegung
erzitternder Stimme sprach sie: "Haben Sie Mitleid
mit mir, mein Fräulein! Wüßten Sie, was ich
durchlebt, wie wund und weh alles in mir ist,
voll Sorge und Angst" ...

Ruth ließ sie nicht aussprechen. Die Klage des
verängstigten und ratlosen Weibes da vor ihr,
aus deren dunklen Augen eine fieberhafte Erregung
schimmerte, ließ ihr schwesterliches Mitgefühl hoch
aufwallen.


[Spaltenumbruch]

"Seien Sie ruhig, meine liebe gnädige Frau
erwiderte sie, die Hände derselben mit herzlichem
Druck umfassend, "Vater soll tun, was er für richtig
hält und ich werde ihm helfen".

Sie führte Frau Mertens wieder auf deren
Platz zurück.

"Sie müssen nämlich wissen", nahm jetzt Dr.
Görz das Wort, offenbar froh, der bewegenden
Szene damit eine freundliche Wendung geben zu
können, daß Fräulein Ruth die erste Gehilfin ihres
Vaters ist".

Und auf Frau Mertens erstaunte Bewegung
nach dem Mädchen hin ergänzte dieses selbst: "Ich
interessiere mich als Tochter meines Vaters für
seinen Beruf und da er außer mir keine Gehilfin
hat, habe ich mich mit seiner Kunst vertraut machen
müssen".

Der Detektiv, der wenig Teil an dem Auftritt
genommen hatte, sondern nachsinnend im Sessel
lehnte, wandte sich zu Frau Mertens: "Sie sprachen
von Fußspuren, die an der Veranda gefunden
worden sind. Haben Sie dieselben einmal betrachtet?"

"Nein, Herr Senden".

"Sie haben auch keine Ahnung davon, ob sie
von Ihrem Bruder herrühren?"

"Nein".

"Aber von dem anfangs siark verdächtig
erscheinenden Schreiber Werner stammen sie auch
nicht".

"Nein. Die Prüfung hat ergeben, daß jene
Spuren von einem kleinen Fuße hinterlassen worden
sind".


*) Teilweise aus "Bismarck" von Hans Blum.
Marburger Zeitung.



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Der Preis des Blattes beträgt: Für Marburg:
Ganzjährig 12 K, halbjährig 6 K, vierteljährig 3 K, monat-
lich 1 K. Bei Zuſtellung ins Haus monatlich 20 h mehr.

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Das Abonnement dauert bis zur ſchriftlichen Abbeſtellung.


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Erſcheint jeden Dienstag, Donnerstag und
Samstag abends.

Sprechſtunden des Schriftleiters an allen Wochentagen von
11—12 Uhr vorm. und von 5—6 Uhr nachm. Poſtgaſſe 4.

Die Verwaltung befindet ſich: Poſtgaſſe 4. (Telephon Nr. 24.)


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Anzeigen werden im Verlage des Blattes und von
allen größeren Annoncen-Expeditionen entgegengenommen
und koſtet die fünfmal geſpaltene Kleinzeile 12 h.

Schluß für Einſchaltungen:
Dienstag, Donnerstag, Samstag 10 Uhr vormittags.

Die Einzelnummer koſtet 10 Heller.




Nr. 96 Dienstag, 11. Auguſt 1908 47. Jahrgang.


[Spaltenumbruch]
Bismarck und Rom. *)


Bald nach dem glorreichen Kriege, der dem
deutſchen Volke ein großes, mächtiges Deutſches
Reich brachte, war Rom an der Arbeit, die reichs-
feindlichen Elemente unter klerikalen Fahnen zu
mobiliſieren. Das Auftreten einer beſonderen katho-
liſchen Partei unter welfiſcher Führung im erſten
deutſchen Reichstage, des Zentrums, betrachtete
Bismarck als nichts anderes als eine Mobilmachung
der römiſchen Kirche gegen den Staat.

Auf preußiſchem Boden hat Bismarck den
Kulturkampf zu dem Zwecke begonnen, um den
polniſchen Umtrieben den Beiſtand ihrer ultramon-
tanen Gönner zu entziehen. Am 8. Juli 1871 hob
Bismarck die katholiſche Abteilung im
preußiſchen Kultusminiſterium auf,
da
dieſe ſich als die feſte Stütze der polniſchen Um-
triebe in den polniſchen Provinzen Preußens
erwieſen hatte.

Demſelben Zwecke diente auch das preußiſche
Schulaufſichtsgeſetz, das die Aufſicht über
die öffentlichen Schulen, namentlich in polniſchen
Gegenden der kirchlichen Oberherrlicheit entzog und
Staatsbeamten übertrug. Inzwiſchen hatte die
Kirche in dem rein katholiſchen Bayern den Kultur-
kampf heftig entzündet. Maßlos wurde von der
Kanzel gehetzt und zur Empörung gegen das Geſetz
aufgefordert. Die Biſchöfe von Bamberg und
Regensburg erklärten ſogar alle der Regierung
geleiſteten Eide für ungiltig. Die Antwort auf dieſe
Hetze von der Kanzel war die Einführung eines
„Kanzelparagraphen“, der den Mißbrauch der
Kanzel unter Strafe ſtellte. Daß alle dieſe Feind-
ſeligkeiten von Rom aus angefacht wurden, macht
folgender Vorgang klar: Bismarck hatte mit Zu-
[Spaltenumbruch] ſtimmung des Kaiſers beſchloſſen, den Kardinal Hohen-
lohe zum deutſchen Botſchafter beim päpſtlichen Stuhl
zu ernennen. Da kam jedoch eine Ablehnung von Rom,
die geradezu eine Beleidigung des deutſchen Kaiſers
bedeutete. Damals ſagte Bismarck im Reichstage:
„Seien Sie außer Sorge, nach Canoſſa gehen
wir nicht,
weder körperlich noch geiſtig!“ Der
Reichstag ſchmiedete nun die beſte Waffe gegen
Rom: das Jeſuitengeſetz, das die Niederlaſſung
des Jeſuitenordens und der ihm verwandten Körper-
ſchaften vom Deutſchen Reichsgebiet ausſchloß.

Dem preußiſchen Landtage lagen Ende 1872
vier Geſetzentwürfe vor: eine Vorlage, die den
Gebrauch kirchlicher Zucht- und Strafmittel weſentlich
beſchränkte, eine zweite über die Vorbildung und
Anſtellung der Geiſtlichen, wonach jedes kirchliche
Amt hinfort nur einem Deutſchen übertragen
werden durfte, gegen deſſen Anſtellung der Staat
keinen Widerſpruch erhob und der an deutſchen
Staatsanſtalten von deutſchen Lehrern vorgebildet
ſein mußte. Der dritte Entwurf über die kirchliche
Disziplinargewalt und die Errichtung eines könig-
lichen Gerichtshofes für kirchliche Angelegenheiten
übertrug die kirchliche Disziplinargewalt nur an
deutſche Staatsbehörden. Die letzte Vorlage endlich
hob alle Erſchwerungen auf, die dem Aus-
tritt aus der Kirche entgegenſtanden. Im Jahre
1874 gelangte in Preußen ein Geſetz über die
obligatoriſche Zivilehe zur Annahme, das durch
das deutſche Zivilehegeſetz auf das ganze Reich
überging. Wie weit die ultramontane Verhetzung
gediehen war, zeigte der ruchloſe Mordverſuch Kull-
mann’s auf Bismarck am 13. Juli 1874 in Kiſſingen.
Mit vollem Rechte durfte Bismark im Reichstag dem
Zentrum die Worte entgegenſchleudern: „Mögen Sie
ſich losſagen von dieſem Mörder wie Sie wollen, er
hängt ſich an Ihre Rockſchöße feſt. Er nennt
Sie ſeine Fraktion!
“ Inzwiſchen hatte Bis-
marck auch die Einziehung der deutſchen Geſandt-
[Spaltenumbruch] ſchaft beim päpſtlichen Stuhl verfügt. Darauf erließ
der Papſt am 5. Februar 1875 ein Rundſchreiben,
das die preußiſchen Kirchengeſetze für ungiltig
erklärte. Da gab es gleich neue Abwehrmittel: ſo
am 22. April das Sperrgeſetz, wodurch die Leiſtungen
des Staates für die Kirche eingeſtellt wurden. Und
im Juni 1875 wurden die Artikel 15, 16 und 18
der preußiſchen Verfaſſung aufgehoben und dafür
beſtimmt: „Die Rechtsordnung der evangeliſchen
und katholiſchen Kirche regelt ſich nach den Geſetzen
des Staates.“ Im nämlichen Monat übertrug ein
neues Geſetz die Vermögensverwaltung katholiſcher
Pfarrgemeinden einem weltlichen Gemeindevorſtand.
Endlich kam das letzte preußiſche Geſetz im kirch-
lichen Kampfe zuſtande, das die Aufhebung der
geiſtlichen Orden und Kongregationen verfügte.

Wir ſehen, daß unſer größter Staatsmann,
Fürſt Bismarck, ein erbitterter Feind der Römlinge
war. Und wie ſo recht chriſtlich iſt unſere klerikal-
chriſtlichſoziale Preſſe, wenn ſie am 30. Juli, Bis-
marcks zehntem Todestag, dieſem ihrem unerbitt-
lichſten Feinde Leitartikel und ſchöne Worte widmet.
So ſchreibt das ſchwarze Grazer Blatt: „Aber kein
Menſch, auch der gewaltigſte nicht, iſt frei von
Irrtum und Fehlern; der ungerechte, verderbliche
Kulturkampf iſt das ſchwärzeſte Blatt des großen
Staatsmannes. Heute, am zehnjährigen Todestag
des Großen legen wir gerne auf das ſtille Grab
im Sachſenwalde einen Erinnerungskranz aus
deutſchem Eichenlaub: Der da liegt war ein ge-
waltiger, zorniger Mann, ein Mann der größten
Tat und des Wortes kundig wie kaum ein Zweiter.
Als Worte auf die Erinnerungsſchleife ſchreiben wir
die hin, die ein anderer großer Genius pommer’ſchen
Stammes ausrief:

„Es war ein Mann, nehmt alles nur in allem,
Wir werden nimmer ſeines Gleichen ſehen.“

Selbſt Bismarck ſoll dieſen Finſterlingen dazu
dienen, um durch ihn, der ihr größter Feind war,




[Spaltenumbruch]
Schloß Eichgrund.

25



(Nachdruck verboten.)

Und der Anwalt begann.

Er vergaß nichts, er ergänzte ſogar manches,
was Frau Mertens ſelbſtverſtändlich meiſt voraus-
geſetzt und darum unerwähnt gelaſſen hatte.

Der Agent ſowohl wie ſeine Tochter verloren
kein Wort, dann und wann begegneten ſich ihre
Blicke.

Als endlich Dr. Görz ſchwieg entſtand ein
allgemeines Stillſchweigen. Man war offenbar
begierig, das Urteil des erfahrenen Detektivs zu
hören.

Nach längerer Pauſe ſagte derſelbe, eine Falte
des Unmuts zwiſchen den Augen: „So einfach,
lieber Doktor, als Sie meinen, liegt die Sache
denn doch nicht“.

Dr. Görz erwiderte: „Es gibt ein einziges
Moment in der Affäre, an dem alle meine Kombi-
nationen ſcheitern, das iſt das myſteriöſe
Verſchwinden Ihres Bruders —“ wandte er ſich
zu Frau Mertens.

„Und gerade bei dieſem Punkte müſſen wir
einſetzen, um auf Wege geleitet zu werden, die zur
Klarheit führen. Ihre Darſtellung allein, gnädige
Frau, die Sie mir durch Dr. Görz geben ließen,
genügt mir nicht. Ich muß, wenn ich einigermaßen
mit Ausſicht auf Erfolg operieren will, auch all
das erkennen lernen, was das richterliche Verhör
und die polizeilichen Recherchen bisher ergeben haben“.


[Spaltenumbruch]

Hier hob ſich Ruths graziöſer Körper etwas
aus dem Seſſel heraus, ſie wollte wohl etwas ein-
wenden. Aber ihr Vater winkte mit der Hand und
fuhr fort: „Du haſt Recht, liebe Ruth, jetzt müſſen
wir eine beſtimmte Entſcheidung treffen, ob wir uns
weiter in das Labyrinth begeben wollen“. Und zu
den Übrigen gewandt bemerkte er: „Ich will Ihnen
offen geſtehen, daß bereits ſeit heute Morgen ein
Brief des Polizeidirektors bei mir liegt, in dem er
mich erſucht, ihm bei Behandlung dieſer Angelegenheit
behilflich zu ſein“.

Ruth legte ihre ſchmalen Hände in einander,
preßte die roten Lippen aufeinander und blickte
reſigniert vor ſich auf die hellen Blumen des Teppichs,
in deſſen weiches Gewebe ſich ihr kleiner Fuß mit
ungeduldiger Bewegung eingrub. Frau Mertens,
die mit höchſter Spannung den Worten des Agenten
gefolgt war, ſah die Ungeduld und die Beſorgnis,
die ſich in der Haltung des jungen Mädchens
ausſprach, ſie erriet, was in ihm vorging. Und
einem raſch in ihr aufſteigenden Impulſe folgend,
erhob ſie ſich und beide Hände des Mädchens
ergreifend, neigte ſie ſich tief, wie eine zärtlich
Bittende zu ihr hinab und mit vor Bewegung
erzitternder Stimme ſprach ſie: „Haben Sie Mitleid
mit mir, mein Fräulein! Wüßten Sie, was ich
durchlebt, wie wund und weh alles in mir iſt,
voll Sorge und Angſt“ ...

Ruth ließ ſie nicht ausſprechen. Die Klage des
verängſtigten und ratloſen Weibes da vor ihr,
aus deren dunklen Augen eine fieberhafte Erregung
ſchimmerte, ließ ihr ſchweſterliches Mitgefühl hoch
aufwallen.


[Spaltenumbruch]

„Seien Sie ruhig, meine liebe gnädige Frau
erwiderte ſie, die Hände derſelben mit herzlichem
Druck umfaſſend, „Vater ſoll tun, was er für richtig
hält und ich werde ihm helfen“.

Sie führte Frau Mertens wieder auf deren
Platz zurück.

„Sie müſſen nämlich wiſſen“, nahm jetzt Dr.
Görz das Wort, offenbar froh, der bewegenden
Szene damit eine freundliche Wendung geben zu
können, daß Fräulein Ruth die erſte Gehilfin ihres
Vaters iſt“.

Und auf Frau Mertens erſtaunte Bewegung
nach dem Mädchen hin ergänzte dieſes ſelbſt: „Ich
intereſſiere mich als Tochter meines Vaters für
ſeinen Beruf und da er außer mir keine Gehilfin
hat, habe ich mich mit ſeiner Kunſt vertraut machen
müſſen“.

Der Detektiv, der wenig Teil an dem Auftritt
genommen hatte, ſondern nachſinnend im Seſſel
lehnte, wandte ſich zu Frau Mertens: „Sie ſprachen
von Fußſpuren, die an der Veranda gefunden
worden ſind. Haben Sie dieſelben einmal betrachtet?“

„Nein, Herr Senden“.

„Sie haben auch keine Ahnung davon, ob ſie
von Ihrem Bruder herrühren?“

„Nein“.

„Aber von dem anfangs ſiark verdächtig
erſcheinenden Schreiber Werner ſtammen ſie auch
nicht“.

„Nein. Die Prüfung hat ergeben, daß jene
Spuren von einem kleinen Fuße hinterlaſſen worden
ſind“.


*) Teilweiſe aus „Bismarck“ von Hans Blum.
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[[1]/0001] Marburger Zeitung. Der Preis des Blattes beträgt: Für Marburg: Ganzjährig 12 K, halbjährig 6 K, vierteljährig 3 K, monat- lich 1 K. Bei Zuſtellung ins Haus monatlich 20 h mehr. Mit Poſtverſendung: Ganzjährig 14 K, halbjährig 7 K, vierteljährig 3 K 50 h. Das Abonnement dauert bis zur ſchriftlichen Abbeſtellung. Erſcheint jeden Dienstag, Donnerstag und Samstag abends. Sprechſtunden des Schriftleiters an allen Wochentagen von 11—12 Uhr vorm. und von 5—6 Uhr nachm. Poſtgaſſe 4. Die Verwaltung befindet ſich: Poſtgaſſe 4. (Telephon Nr. 24.) Anzeigen werden im Verlage des Blattes und von allen größeren Annoncen-Expeditionen entgegengenommen und koſtet die fünfmal geſpaltene Kleinzeile 12 h. Schluß für Einſchaltungen: Dienstag, Donnerstag, Samstag 10 Uhr vormittags. Die Einzelnummer koſtet 10 Heller. Nr. 96 Dienstag, 11. Auguſt 1908 47. Jahrgang. Bismarck und Rom. *) Graz, 11. Auguſt 1908. Bald nach dem glorreichen Kriege, der dem deutſchen Volke ein großes, mächtiges Deutſches Reich brachte, war Rom an der Arbeit, die reichs- feindlichen Elemente unter klerikalen Fahnen zu mobiliſieren. Das Auftreten einer beſonderen katho- liſchen Partei unter welfiſcher Führung im erſten deutſchen Reichstage, des Zentrums, betrachtete Bismarck als nichts anderes als eine Mobilmachung der römiſchen Kirche gegen den Staat. Auf preußiſchem Boden hat Bismarck den Kulturkampf zu dem Zwecke begonnen, um den polniſchen Umtrieben den Beiſtand ihrer ultramon- tanen Gönner zu entziehen. Am 8. Juli 1871 hob Bismarck die katholiſche Abteilung im preußiſchen Kultusminiſterium auf, da dieſe ſich als die feſte Stütze der polniſchen Um- triebe in den polniſchen Provinzen Preußens erwieſen hatte. Demſelben Zwecke diente auch das preußiſche Schulaufſichtsgeſetz, das die Aufſicht über die öffentlichen Schulen, namentlich in polniſchen Gegenden der kirchlichen Oberherrlicheit entzog und Staatsbeamten übertrug. Inzwiſchen hatte die Kirche in dem rein katholiſchen Bayern den Kultur- kampf heftig entzündet. Maßlos wurde von der Kanzel gehetzt und zur Empörung gegen das Geſetz aufgefordert. Die Biſchöfe von Bamberg und Regensburg erklärten ſogar alle der Regierung geleiſteten Eide für ungiltig. Die Antwort auf dieſe Hetze von der Kanzel war die Einführung eines „Kanzelparagraphen“, der den Mißbrauch der Kanzel unter Strafe ſtellte. Daß alle dieſe Feind- ſeligkeiten von Rom aus angefacht wurden, macht folgender Vorgang klar: Bismarck hatte mit Zu- ſtimmung des Kaiſers beſchloſſen, den Kardinal Hohen- lohe zum deutſchen Botſchafter beim päpſtlichen Stuhl zu ernennen. Da kam jedoch eine Ablehnung von Rom, die geradezu eine Beleidigung des deutſchen Kaiſers bedeutete. Damals ſagte Bismarck im Reichstage: „Seien Sie außer Sorge, nach Canoſſa gehen wir nicht, weder körperlich noch geiſtig!“ Der Reichstag ſchmiedete nun die beſte Waffe gegen Rom: das Jeſuitengeſetz, das die Niederlaſſung des Jeſuitenordens und der ihm verwandten Körper- ſchaften vom Deutſchen Reichsgebiet ausſchloß. Dem preußiſchen Landtage lagen Ende 1872 vier Geſetzentwürfe vor: eine Vorlage, die den Gebrauch kirchlicher Zucht- und Strafmittel weſentlich beſchränkte, eine zweite über die Vorbildung und Anſtellung der Geiſtlichen, wonach jedes kirchliche Amt hinfort nur einem Deutſchen übertragen werden durfte, gegen deſſen Anſtellung der Staat keinen Widerſpruch erhob und der an deutſchen Staatsanſtalten von deutſchen Lehrern vorgebildet ſein mußte. Der dritte Entwurf über die kirchliche Disziplinargewalt und die Errichtung eines könig- lichen Gerichtshofes für kirchliche Angelegenheiten übertrug die kirchliche Disziplinargewalt nur an deutſche Staatsbehörden. Die letzte Vorlage endlich hob alle Erſchwerungen auf, die dem Aus- tritt aus der Kirche entgegenſtanden. Im Jahre 1874 gelangte in Preußen ein Geſetz über die obligatoriſche Zivilehe zur Annahme, das durch das deutſche Zivilehegeſetz auf das ganze Reich überging. Wie weit die ultramontane Verhetzung gediehen war, zeigte der ruchloſe Mordverſuch Kull- mann’s auf Bismarck am 13. Juli 1874 in Kiſſingen. Mit vollem Rechte durfte Bismark im Reichstag dem Zentrum die Worte entgegenſchleudern: „Mögen Sie ſich losſagen von dieſem Mörder wie Sie wollen, er hängt ſich an Ihre Rockſchöße feſt. Er nennt Sie ſeine Fraktion!“ Inzwiſchen hatte Bis- marck auch die Einziehung der deutſchen Geſandt- ſchaft beim päpſtlichen Stuhl verfügt. Darauf erließ der Papſt am 5. Februar 1875 ein Rundſchreiben, das die preußiſchen Kirchengeſetze für ungiltig erklärte. Da gab es gleich neue Abwehrmittel: ſo am 22. April das Sperrgeſetz, wodurch die Leiſtungen des Staates für die Kirche eingeſtellt wurden. Und im Juni 1875 wurden die Artikel 15, 16 und 18 der preußiſchen Verfaſſung aufgehoben und dafür beſtimmt: „Die Rechtsordnung der evangeliſchen und katholiſchen Kirche regelt ſich nach den Geſetzen des Staates.“ Im nämlichen Monat übertrug ein neues Geſetz die Vermögensverwaltung katholiſcher Pfarrgemeinden einem weltlichen Gemeindevorſtand. Endlich kam das letzte preußiſche Geſetz im kirch- lichen Kampfe zuſtande, das die Aufhebung der geiſtlichen Orden und Kongregationen verfügte. Wir ſehen, daß unſer größter Staatsmann, Fürſt Bismarck, ein erbitterter Feind der Römlinge war. Und wie ſo recht chriſtlich iſt unſere klerikal- chriſtlichſoziale Preſſe, wenn ſie am 30. Juli, Bis- marcks zehntem Todestag, dieſem ihrem unerbitt- lichſten Feinde Leitartikel und ſchöne Worte widmet. So ſchreibt das ſchwarze Grazer Blatt: „Aber kein Menſch, auch der gewaltigſte nicht, iſt frei von Irrtum und Fehlern; der ungerechte, verderbliche Kulturkampf iſt das ſchwärzeſte Blatt des großen Staatsmannes. Heute, am zehnjährigen Todestag des Großen legen wir gerne auf das ſtille Grab im Sachſenwalde einen Erinnerungskranz aus deutſchem Eichenlaub: Der da liegt war ein ge- waltiger, zorniger Mann, ein Mann der größten Tat und des Wortes kundig wie kaum ein Zweiter. Als Worte auf die Erinnerungsſchleife ſchreiben wir die hin, die ein anderer großer Genius pommer’ſchen Stammes ausrief: „Es war ein Mann, nehmt alles nur in allem, Wir werden nimmer ſeines Gleichen ſehen.“ Selbſt Bismarck ſoll dieſen Finſterlingen dazu dienen, um durch ihn, der ihr größter Feind war, Schloß Eichgrund. Kriminal-Roman von Hans von Wieſa. 25 (Nachdruck verboten.) Und der Anwalt begann. Er vergaß nichts, er ergänzte ſogar manches, was Frau Mertens ſelbſtverſtändlich meiſt voraus- geſetzt und darum unerwähnt gelaſſen hatte. Der Agent ſowohl wie ſeine Tochter verloren kein Wort, dann und wann begegneten ſich ihre Blicke. Als endlich Dr. Görz ſchwieg entſtand ein allgemeines Stillſchweigen. 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Und einem raſch in ihr aufſteigenden Impulſe folgend, erhob ſie ſich und beide Hände des Mädchens ergreifend, neigte ſie ſich tief, wie eine zärtlich Bittende zu ihr hinab und mit vor Bewegung erzitternder Stimme ſprach ſie: „Haben Sie Mitleid mit mir, mein Fräulein! Wüßten Sie, was ich durchlebt, wie wund und weh alles in mir iſt, voll Sorge und Angſt“ ... Ruth ließ ſie nicht ausſprechen. Die Klage des verängſtigten und ratloſen Weibes da vor ihr, aus deren dunklen Augen eine fieberhafte Erregung ſchimmerte, ließ ihr ſchweſterliches Mitgefühl hoch aufwallen. „Seien Sie ruhig, meine liebe gnädige Frau erwiderte ſie, die Hände derſelben mit herzlichem Druck umfaſſend, „Vater ſoll tun, was er für richtig hält und ich werde ihm helfen“. Sie führte Frau Mertens wieder auf deren Platz zurück. „Sie müſſen nämlich wiſſen“, nahm jetzt Dr. Görz das Wort, offenbar froh, der bewegenden Szene damit eine freundliche Wendung geben zu können, daß Fräulein Ruth die erſte Gehilfin ihres Vaters iſt“. 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Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Benjamin Fiechter, Susanne Haaf: Bereitstellung der digitalen Textausgabe (Konvertierung in das DTA-Basisformat). (2018-01-26T13:38:42Z)
grepect GmbH: Bereitstellung der Texttranskription und Textauszeichnung. (2018-01-26T13:38:42Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Amelie Meister: Vorbereitung der Texttranskription und Textauszeichnung. (2018-01-26T13:38:42Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: keine Angabe; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): keine Angabe; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: keine Angabe; Kolumnentitel: keine Angabe; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): keine Angabe; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (&#xa75b;): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: keine Angabe; Silbentrennung: keine Angabe; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: keine Angabe; Zeichensetzung: keine Angabe; Zeilenumbrüche markiert: keine Angabe;




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Zitationshilfe: Marburger Zeitung. Nr. 96, Marburg, 11.08.1908, S. [1]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_marburger96_1908/1>, abgerufen am 23.11.2024.