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Marburger Zeitung. Nr. 6, Marburg, 14.01.1913.

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Marburger Zeitung.



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Erscheint jeden Dienstag, Donnerstag und
Samstag abends.

Sprechstunden des Schriftleiters an allen Wochentagen von
11--12 Uhr und von 5--6 Uhr Edmund Schmidgasse 4.

Verwaltung: Edmund Schmidgasse 4. (Telephon Nr. 24.)


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Anzeigen werden im Verlage des Blattes und von
allen größeren Annoncen-Expeditionen entgegengenommen
und kostet die fünfmal gespaltene Kleinzeile 12 h

Schluß für Einschaltungen
Dienstag, Donnerstag Samstag 10 Uhr vormittags.

Die Einzelnummer kostet 10 Heller.




Nr. 6 Dienstag, 14. Jänner 1913 52. Jahrgang.


[Spaltenumbruch]
700 Millionen.

700 Millionen, sage und schreibe siebenhundert
Millionen Kronen kostet uns bereits der Balkankrieg,
ohne daß wir für diese enorme Summe auch nur
die geringste Gegenleistung erhalten hätten, oder
sie uns auch nur das geringste genützt hätte; 700
Millionen, das ist eine ganz enorme, eine un-
geheuere Summe, die wir, so schreibt das "Rumb.
Tagbl.", sagen wir es ohne Umschweife, ganz
umsonst ausgegeben haben. Ja, wir müssen sogar
zugestehen, daß diese Summe zum größten Teile
hätte gespart werden können, wenn wir eben
befähigte Männer an der Spitze des Staates gehabt
hätten, die den Pflichten ihres Amtes gewachsen
gewesen wären. Und dabei müssen wir noch mit
vollem Rechte annehmen, daß mit dieser Riesen-
summe noch lange nicht das Auskommen gefunden
werden wird, denn einerseits ist man nirgends im
Vertuschen und Verheimlichen von unangenehmen
Sachen so groß wie in Österreich, und wenn uns
die offiziellen Organe versichern, daß die Kosten
der bisherigen Mobilisation 700 Millionen betragen,
so können wir mit absoluter Sicherheit annehmen,
daß diese Kosten weit, weit höher sind. Und
weiters: wir sind ja noch nicht am Ende der
Ausgaben; von den an der Grenze stehenden
einberufenen Kriegern sind bisher trotz aller Friedens-
versicherungen und Friedenskonferenzen noch keine
oder fast keine Rückberufungen erfolgt; wir stehen
noch immer mit einer ungeheueren Macht an der
Grenze, bereit, jede Stunde loszuschlagen, und
Gott weiß, wie lange es noch dauern wird und
wie lange wir noch kriegsbereit aushalten sollen.
Niemand vermag zu sagen, ob nicht im Frühjahre
das Resultat das sein wird, daß der Krieg aufs
neue losbricht und wir mit hineingezogen werden.

Aber selbst wenn die Sache noch so günstig
ausgehen und der Friede erhalten bleiben würde,
[Spaltenumbruch] die 700 Millionen sind bereits verschwunden und
ihnen werden noch einige hundert Millionen folgen,
zum mindesten werden die faktischen Ausgaben, die
uns der Balkankrieg kostet, ohne daß wir direkt
daran beteiligt waren, und ohne daß wir auch
nur den geringsten Nutzen davon haben, tausend
Millionen oder eine volle Milliarde aus-
machen.

Aber diese Ausgaben bilden doch nur einen
Teil des Schadens, den wir durch diese unglück-
selige Kriegsbereitschaft erleiden; hierzu kommt
noch der Verdienstentgang der tausenden von ein-
berufenen Reservisten, die an den Grenzen stehen
und deren Beschäftigung jetzt nur im Warten besteht,
hierzu kommt der ungeheuere Schaden, den unsere
Industrie durch die verminderte Ausfuhr erleidet
und der bereits den Fall einer großen Zahl von
Fabriken und Handelsfirmen verursachte und noch
weitere Zahlungseinstellungen nach sich ziehen wird.
Hiezu kommen dann noch die ungeheueren Kurs-
verluste, die Hunderte von Millionen betragen,
so daß uns unsere Kriegsbereitschaft schon so viel
kostet wie ein verlorener Krieg. Wenn wir fragen,
weshalb das alles, so müssen wir zugestehen,
daß all dies Ungemach, all die hinausgeworfenen
Millionen und die kolossale Schädigung unseres
ganzen Lebens als letzte Ursache Bosnien und
Herzegowina hat. Wahrlich, es sind in der vollsten
Bedeutung des Wortes für uns teuere Länder;
was haben sie Österreich schon gekostet und was
werden sie noch kosten und trotz alledem haben
wir uns die Liebe der dortigen Bevölkerung nicht
erworben, und wenn die Gelegenheit kommen
würde, würden sich fast alle Bewohner in Bosnien
und der Herzegowina für Serbien erklären, und
diese Gelegenheit wird kommen und vielleicht früher,
als unsere unfähigen Diplomaten glauben.

Die Nationalitätenidee ist eben auch dort unten
eingedrungen; die Bosnier sind eben Serben, wollen
[Spaltenumbruch] Serben bleiben und streben nach Vereinigung
mit ihren Brüdern. Es zeigt sich jetzt so recht deut-
lich, wie recht jene Männer hatten, die seinerzeit
vor der Aneignung dieser slawischen Provinzen ein-
dringlich warnten; uns Deutschen in Österreich haben
sie ja außerdem noch um den Verlust unseres ganzen
Einflusses gebracht.

Bosnien und die Herzegowina sind ja jetzt
österreichische Länder, aber selbst diejenigen, die für
ein "großes" Österreich schwärmen, blicken heute mit
sehr gemischten Gefühlen auf diese Errungenschaft, die
uns bisher nichts als Sorgen und Enttäuschungen
gebracht hat und einzig und allein den Wünschen
einer gewissen Militärpartei entspricht.

700 Millionen! Was hätte für dieses Geld
alles geleistet werden können! Betragen doch die
jährlichen Interessen dieser Summe volle 30 Mil-
lionen Kronen; da hätten die Gehalte der Lehrer
zu deren vollsten Zufriedenheit erhöht werden können;
wie viele Krankenhäuser, wie viele Schulen hätten
für dieses Geld gebaut, wie viele wohltätige Ein-
richtungen geschaffen werden können; und wie hätte
man dafür die Eisenbahntarife und den Preis der
Tabakprodukte erniedrigen, oder wie viele drückende
Steuern abschreiben können? Wie viele gemeinnützige
Anstalten hätten gegründet werden, notleidende Be-
zirke und Kreise hätten unterstützt, Landwirtschaft
und Industrie gehoben werden können. Aber für all
das haben wir kein Geld, das mußte für völlig un-
nütze Mobilisierungen, das mußte für Ausgaben ver-
wendet werden, die eine unfähige Diplomatie ver-
ursachte.

Aber haben wir denn kein Parlament, keine
Volksvertreter, die gegen solche unbegründete Aus-
gaben, die den Ruin des Staates verursachen können,
protestieren? O Gott, ja! Wir haben sogar sehr
viele Abgeordnete und eine ganze Menge von ver-
schiedenen Parlamenten, aber in diesen Fragen sind
sie alle, alle machtlos. Da wird wegen ganz unbe-




[Spaltenumbruch]
Sein erster Erfolg.

25 Nachdruck verboten.

Friedrichs antwortete nicht. Aber als er
jetzt Werres die Hand über den Tisch hinreichte,
leuchtete in seinen Augen ein warmer Strahl.

Schweigend saßen die beiden Herren sich nun
gegenüber. Jeder schien seinen eigenen Gedanken
nachzuhängen. Schließlich begann der Sanitätsrat
zögernd: "Lieber Doktor, Sie wollen mir doch
erklären, was nun heute Abend geschehen wird?"
Werres schaute schon wieder gleichmütig vor sich
hin. Aber in seinem Gesicht brannte jetzt eine
heiße Röte -- das einzig sichtbare Zeichen, wie
sehr ihm die eigenen Worte vorhin ans Herz
gegriffen hatten.

"Ja, wir kamen davon ab, Herr Sanitätsrat!
Sie besinnen sich doch wohl auf den Baron von
Berg?"

"Ungefähr, ich habe ihn allerdings nur ein-
mal gesehen."

Werres zog aus seiner Brieftasche eine Photo-
graphie hervoe.

"Bitte, wollen Sie sich dieses Bild einmal
genau ansehen -- es ist Herr von Berg. Wie
Ihnen bekannt ist, konnte der Mörder Ihres
Bruders seine Tat nur dadurch in ein so geheimnis-
volles Dunkel hüllen, daß er anscheinend nur die
eine Spur zurückließ: Er mußte dem Baron auf
[Spaltenumbruch] ein Haar gleichen! Das war das einzige, was
wir von ihm wußten! Und diesen Doppelgänger
werden Sie heute sehen. Sie sollen selbst urteilen,
ob die Ähnlichkeit zwischen Baron von Berg und
seinem Abbilde so groß ist! Es ist jetzt 3/48 Uhr.
Wir müssen aufbrechen. Um 8 Uhr beginnt die
Vorstellung. Ich werde Sie jetzt in ein Theater
führen. Wir werden uns die Aufführung des
"Traumulus" ansehen, die heute die hiesige Freie
Dramatische Vereinigung im Schützenhause ver-
anstaltet. Und nun bitte, fragen Sie nichts mehr,
lassen Sie uns solange von etwas anderem sprechen,
bis Ihnen etwas auffällt und bis Sie mir sagen
werden: "Der ist es!"

Als die Herren die Seitenloge betraten, war
es einige Minuten vor acht. Der große Saal des
Schützenhauses war einer der schönsten Festsäle der
Stadt. Er besaß auch eine Bühne, die nach den
neuesten technischen Vorschriften eingerichtet war und
die selbst der Bühne des Stadttheaters nicht viel
nachgab. Hier fanden die sich ziemlich regelmäßig
alle sechs Wochen wiederholenden Aufführungen der
freien dramatischen Vereinigung statt, die von dem
dichterisch nicht unbedeutenden Landrat Pankratius
vor ungefähr fünf Jahren ins Leben gerufen wurde,
und deren Mitglieder sich aus den ersten Gesell-
schaftskreisen der Stadt zusammensetzten. Für heute
abend stand "Traumulus" auf dem Programm,
jene tragische Primanergeschichte, in der der blinde
Idealismus eines weltfremden Schulmannes ein
junges Menschenleben in den Tod treibt. --


[Spaltenumbruch]

Der Saal, besonders das Parkett und die
Logen waren gut besetzt. Das an- und abschwellende
Flüstern verstummte, als der dumpfdröhnende Ton
eines Gongs ertönte, zugleich das Licht des Kron-
leuchters abgedämpft wurde und die Rampenbeleuch-
tung der Bühne auflammte. Der Vorhang rauschte
empor. Die Szene zeigte das Innere eines Restau-
rants; an einem runden Tisch saßen mehrere Herren,
im Hintergrund spielten zwei andere Billard. Der
Sanitätsrat und Werres konnten von ihren
Plätzen aus die Bühne bequem überblicken. Doktor
Friedrichs hatte das Opernglas eingestellt und
suchte unter den auf der Szene Beschäftigten die
eine Person, der jetzt alle seine Gedanken gehörten.
Der alte Herr befand sich in einer Aufregung, die
sich deutlich in seinem Mienenspiel, seinen zitternden
Händen zeigte. Jetzt ließ er das Glas sinken und
schaute enttäuscht zu Werres hin, der neben ihm
saß. Dieser hatte ihm, als sie auf der elektrischen
Bahn nach dem Schützenhause fuhren, gesagt:
"Auf der Bühne werden Sie den Gesuchten bald
finden." Damit hatte sich der Sanitätsrat zufrieden
gegeben.

"Ich sehe ihn nicht", flüsterte Doktor Friedrichs
vorsichtig, "sollten Sie sich nicht doch geirrt haben?"

Aber Werres schüttelte den Kopf.

"Ich habe mich nicht geirrt, Herr Sanitätsrat,
verlassen Sie sich darauf und warten Sie ab".

Er war seiner Sache ganz sicher. Als heute in
der Mittagsstunde der Kriminalbeamte Müller bei
ihm war und die Erfolge seiner Ermittlungen ihm


Marburger Zeitung.



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Der Preis des Blattes beträgt: Für Marburg:
Ganzjährig 12 K, halbjährig 6 K, vierteljährig 3 K, monat-
lich 1 K. Bei Zuſtellung ins Haus monatlich 20 h mehr.

Mit Poſtverſendung:
Ganzjährig 14 K, halbjährig 7 K, vierteljährig 3 K 50 h.
Das Abonnement dauert bis zur ſchriftlichen Abbeſtellung.


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Erſcheint jeden Dienstag, Donnerstag und
Samstag abends.

Sprechſtunden des Schriftleiters an allen Wochentagen von
11—12 Uhr und von 5—6 Uhr Edmund Schmidgaſſe 4.

Verwaltung: Edmund Schmidgaſſe 4. (Telephon Nr. 24.)


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Anzeigen werden im Verlage des Blattes und von
allen größeren Annoncen-Expeditionen entgegengenommen
und koſtet die fünfmal geſpaltene Kleinzeile 12 h

Schluß für Einſchaltungen
Dienstag, Donnerstag Samstag 10 Uhr vormittags.

Die Einzelnummer koſtet 10 Heller.




Nr. 6 Dienstag, 14. Jänner 1913 52. Jahrgang.


[Spaltenumbruch]
700 Millionen.

700 Millionen, ſage und ſchreibe ſiebenhundert
Millionen Kronen koſtet uns bereits der Balkankrieg,
ohne daß wir für dieſe enorme Summe auch nur
die geringſte Gegenleiſtung erhalten hätten, oder
ſie uns auch nur das geringſte genützt hätte; 700
Millionen, das iſt eine ganz enorme, eine un-
geheuere Summe, die wir, ſo ſchreibt das „Rumb.
Tagbl.“, ſagen wir es ohne Umſchweife, ganz
umſonſt ausgegeben haben. Ja, wir müſſen ſogar
zugeſtehen, daß dieſe Summe zum größten Teile
hätte geſpart werden können, wenn wir eben
befähigte Männer an der Spitze des Staates gehabt
hätten, die den Pflichten ihres Amtes gewachſen
geweſen wären. Und dabei müſſen wir noch mit
vollem Rechte annehmen, daß mit dieſer Rieſen-
ſumme noch lange nicht das Auskommen gefunden
werden wird, denn einerſeits iſt man nirgends im
Vertuſchen und Verheimlichen von unangenehmen
Sachen ſo groß wie in Öſterreich, und wenn uns
die offiziellen Organe verſichern, daß die Koſten
der bisherigen Mobiliſation 700 Millionen betragen,
ſo können wir mit abſoluter Sicherheit annehmen,
daß dieſe Koſten weit, weit höher ſind. Und
weiters: wir ſind ja noch nicht am Ende der
Ausgaben; von den an der Grenze ſtehenden
einberufenen Kriegern ſind bisher trotz aller Friedens-
verſicherungen und Friedenskonferenzen noch keine
oder faſt keine Rückberufungen erfolgt; wir ſtehen
noch immer mit einer ungeheueren Macht an der
Grenze, bereit, jede Stunde loszuſchlagen, und
Gott weiß, wie lange es noch dauern wird und
wie lange wir noch kriegsbereit aushalten ſollen.
Niemand vermag zu ſagen, ob nicht im Frühjahre
das Reſultat das ſein wird, daß der Krieg aufs
neue losbricht und wir mit hineingezogen werden.

Aber ſelbſt wenn die Sache noch ſo günſtig
ausgehen und der Friede erhalten bleiben würde,
[Spaltenumbruch] die 700 Millionen ſind bereits verſchwunden und
ihnen werden noch einige hundert Millionen folgen,
zum mindeſten werden die faktiſchen Ausgaben, die
uns der Balkankrieg koſtet, ohne daß wir direkt
daran beteiligt waren, und ohne daß wir auch
nur den geringſten Nutzen davon haben, tauſend
Millionen oder eine volle Milliarde aus-
machen.

Aber dieſe Ausgaben bilden doch nur einen
Teil des Schadens, den wir durch dieſe unglück-
ſelige Kriegsbereitſchaft erleiden; hierzu kommt
noch der Verdienſtentgang der tauſenden von ein-
berufenen Reſerviſten, die an den Grenzen ſtehen
und deren Beſchäftigung jetzt nur im Warten beſteht,
hierzu kommt der ungeheuere Schaden, den unſere
Induſtrie durch die verminderte Ausfuhr erleidet
und der bereits den Fall einer großen Zahl von
Fabriken und Handelsfirmen verurſachte und noch
weitere Zahlungseinſtellungen nach ſich ziehen wird.
Hiezu kommen dann noch die ungeheueren Kurs-
verluſte, die Hunderte von Millionen betragen,
ſo daß uns unſere Kriegsbereitſchaft ſchon ſo viel
koſtet wie ein verlorener Krieg. Wenn wir fragen,
weshalb das alles, ſo müſſen wir zugeſtehen,
daß all dies Ungemach, all die hinausgeworfenen
Millionen und die koloſſale Schädigung unſeres
ganzen Lebens als letzte Urſache Bosnien und
Herzegowina hat. Wahrlich, es ſind in der vollſten
Bedeutung des Wortes für uns teuere Länder;
was haben ſie Öſterreich ſchon gekoſtet und was
werden ſie noch koſten und trotz alledem haben
wir uns die Liebe der dortigen Bevölkerung nicht
erworben, und wenn die Gelegenheit kommen
würde, würden ſich faſt alle Bewohner in Bosnien
und der Herzegowina für Serbien erklären, und
dieſe Gelegenheit wird kommen und vielleicht früher,
als unſere unfähigen Diplomaten glauben.

Die Nationalitätenidee iſt eben auch dort unten
eingedrungen; die Bosnier ſind eben Serben, wollen
[Spaltenumbruch] Serben bleiben und ſtreben nach Vereinigung
mit ihren Brüdern. Es zeigt ſich jetzt ſo recht deut-
lich, wie recht jene Männer hatten, die ſeinerzeit
vor der Aneignung dieſer ſlawiſchen Provinzen ein-
dringlich warnten; uns Deutſchen in Öſterreich haben
ſie ja außerdem noch um den Verluſt unſeres ganzen
Einfluſſes gebracht.

Bosnien und die Herzegowina ſind ja jetzt
öſterreichiſche Länder, aber ſelbſt diejenigen, die für
ein „großes“ Öſterreich ſchwärmen, blicken heute mit
ſehr gemiſchten Gefühlen auf dieſe Errungenſchaft, die
uns bisher nichts als Sorgen und Enttäuſchungen
gebracht hat und einzig und allein den Wünſchen
einer gewiſſen Militärpartei entſpricht.

700 Millionen! Was hätte für dieſes Geld
alles geleiſtet werden können! Betragen doch die
jährlichen Intereſſen dieſer Summe volle 30 Mil-
lionen Kronen; da hätten die Gehalte der Lehrer
zu deren vollſten Zufriedenheit erhöht werden können;
wie viele Krankenhäuſer, wie viele Schulen hätten
für dieſes Geld gebaut, wie viele wohltätige Ein-
richtungen geſchaffen werden können; und wie hätte
man dafür die Eiſenbahntarife und den Preis der
Tabakprodukte erniedrigen, oder wie viele drückende
Steuern abſchreiben können? Wie viele gemeinnützige
Anſtalten hätten gegründet werden, notleidende Be-
zirke und Kreiſe hätten unterſtützt, Landwirtſchaft
und Induſtrie gehoben werden können. Aber für all
das haben wir kein Geld, das mußte für völlig un-
nütze Mobiliſierungen, das mußte für Ausgaben ver-
wendet werden, die eine unfähige Diplomatie ver-
urſachte.

Aber haben wir denn kein Parlament, keine
Volksvertreter, die gegen ſolche unbegründete Aus-
gaben, die den Ruin des Staates verurſachen können,
proteſtieren? O Gott, ja! Wir haben ſogar ſehr
viele Abgeordnete und eine ganze Menge von ver-
ſchiedenen Parlamenten, aber in dieſen Fragen ſind
ſie alle, alle machtlos. Da wird wegen ganz unbe-




[Spaltenumbruch]
Sein erſter Erfolg.

25 Nachdruck verboten.

Friedrichs antwortete nicht. Aber als er
jetzt Werres die Hand über den Tiſch hinreichte,
leuchtete in ſeinen Augen ein warmer Strahl.

Schweigend ſaßen die beiden Herren ſich nun
gegenüber. Jeder ſchien ſeinen eigenen Gedanken
nachzuhängen. Schließlich begann der Sanitätsrat
zögernd: „Lieber Doktor, Sie wollen mir doch
erklären, was nun heute Abend geſchehen wird?“
Werres ſchaute ſchon wieder gleichmütig vor ſich
hin. Aber in ſeinem Geſicht brannte jetzt eine
heiße Röte — das einzig ſichtbare Zeichen, wie
ſehr ihm die eigenen Worte vorhin ans Herz
gegriffen hatten.

„Ja, wir kamen davon ab, Herr Sanitätsrat!
Sie beſinnen ſich doch wohl auf den Baron von
Berg?“

„Ungefähr, ich habe ihn allerdings nur ein-
mal geſehen.“

Werres zog aus ſeiner Brieftaſche eine Photo-
graphie hervoe.

„Bitte, wollen Sie ſich dieſes Bild einmal
genau anſehen — es iſt Herr von Berg. Wie
Ihnen bekannt iſt, konnte der Mörder Ihres
Bruders ſeine Tat nur dadurch in ein ſo geheimnis-
volles Dunkel hüllen, daß er anſcheinend nur die
eine Spur zurückließ: Er mußte dem Baron auf
[Spaltenumbruch] ein Haar gleichen! Das war das einzige, was
wir von ihm wußten! Und dieſen Doppelgänger
werden Sie heute ſehen. Sie ſollen ſelbſt urteilen,
ob die Ähnlichkeit zwiſchen Baron von Berg und
ſeinem Abbilde ſo groß iſt! Es iſt jetzt ¾8 Uhr.
Wir müſſen aufbrechen. Um 8 Uhr beginnt die
Vorſtellung. Ich werde Sie jetzt in ein Theater
führen. Wir werden uns die Aufführung des
„Traumulus“ anſehen, die heute die hieſige Freie
Dramatiſche Vereinigung im Schützenhauſe ver-
anſtaltet. Und nun bitte, fragen Sie nichts mehr,
laſſen Sie uns ſolange von etwas anderem ſprechen,
bis Ihnen etwas auffällt und bis Sie mir ſagen
werden: „Der iſt es!“

Als die Herren die Seitenloge betraten, war
es einige Minuten vor acht. Der große Saal des
Schützenhauſes war einer der ſchönſten Feſtſäle der
Stadt. Er beſaß auch eine Bühne, die nach den
neueſten techniſchen Vorſchriften eingerichtet war und
die ſelbſt der Bühne des Stadttheaters nicht viel
nachgab. Hier fanden die ſich ziemlich regelmäßig
alle ſechs Wochen wiederholenden Aufführungen der
freien dramatiſchen Vereinigung ſtatt, die von dem
dichteriſch nicht unbedeutenden Landrat Pankratius
vor ungefähr fünf Jahren ins Leben gerufen wurde,
und deren Mitglieder ſich aus den erſten Geſell-
ſchaftskreiſen der Stadt zuſammenſetzten. Für heute
abend ſtand „Traumulus“ auf dem Programm,
jene tragiſche Primanergeſchichte, in der der blinde
Idealismus eines weltfremden Schulmannes ein
junges Menſchenleben in den Tod treibt. —


[Spaltenumbruch]

Der Saal, beſonders das Parkett und die
Logen waren gut beſetzt. Das an- und abſchwellende
Flüſtern verſtummte, als der dumpfdröhnende Ton
eines Gongs ertönte, zugleich das Licht des Kron-
leuchters abgedämpft wurde und die Rampenbeleuch-
tung der Bühne auflammte. Der Vorhang rauſchte
empor. Die Szene zeigte das Innere eines Reſtau-
rants; an einem runden Tiſch ſaßen mehrere Herren,
im Hintergrund ſpielten zwei andere Billard. Der
Sanitätsrat und Werres konnten von ihren
Plätzen aus die Bühne bequem überblicken. Doktor
Friedrichs hatte das Opernglas eingeſtellt und
ſuchte unter den auf der Szene Beſchäftigten die
eine Perſon, der jetzt alle ſeine Gedanken gehörten.
Der alte Herr befand ſich in einer Aufregung, die
ſich deutlich in ſeinem Mienenſpiel, ſeinen zitternden
Händen zeigte. Jetzt ließ er das Glas ſinken und
ſchaute enttäuſcht zu Werres hin, der neben ihm
ſaß. Dieſer hatte ihm, als ſie auf der elektriſchen
Bahn nach dem Schützenhauſe fuhren, geſagt:
„Auf der Bühne werden Sie den Geſuchten bald
finden.“ Damit hatte ſich der Sanitätsrat zufrieden
gegeben.

„Ich ſehe ihn nicht“, flüſterte Doktor Friedrichs
vorſichtig, „ſollten Sie ſich nicht doch geirrt haben?“

Aber Werres ſchüttelte den Kopf.

„Ich habe mich nicht geirrt, Herr Sanitätsrat,
verlaſſen Sie ſich darauf und warten Sie ab“.

Er war ſeiner Sache ganz ſicher. Als heute in
der Mittagsſtunde der Kriminalbeamte Müller bei
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[[1]/0001] Marburger Zeitung. Der Preis des Blattes beträgt: Für Marburg: Ganzjährig 12 K, halbjährig 6 K, vierteljährig 3 K, monat- lich 1 K. Bei Zuſtellung ins Haus monatlich 20 h mehr. Mit Poſtverſendung: Ganzjährig 14 K, halbjährig 7 K, vierteljährig 3 K 50 h. Das Abonnement dauert bis zur ſchriftlichen Abbeſtellung. Erſcheint jeden Dienstag, Donnerstag und Samstag abends. Sprechſtunden des Schriftleiters an allen Wochentagen von 11—12 Uhr und von 5—6 Uhr Edmund Schmidgaſſe 4. Verwaltung: Edmund Schmidgaſſe 4. (Telephon Nr. 24.) Anzeigen werden im Verlage des Blattes und von allen größeren Annoncen-Expeditionen entgegengenommen und koſtet die fünfmal geſpaltene Kleinzeile 12 h Schluß für Einſchaltungen Dienstag, Donnerstag Samstag 10 Uhr vormittags. Die Einzelnummer koſtet 10 Heller. Nr. 6 Dienstag, 14. Jänner 1913 52. Jahrgang. 700 Millionen. 700 Millionen, ſage und ſchreibe ſiebenhundert Millionen Kronen koſtet uns bereits der Balkankrieg, ohne daß wir für dieſe enorme Summe auch nur die geringſte Gegenleiſtung erhalten hätten, oder ſie uns auch nur das geringſte genützt hätte; 700 Millionen, das iſt eine ganz enorme, eine un- geheuere Summe, die wir, ſo ſchreibt das „Rumb. Tagbl.“, ſagen wir es ohne Umſchweife, ganz umſonſt ausgegeben haben. Ja, wir müſſen ſogar zugeſtehen, daß dieſe Summe zum größten Teile hätte geſpart werden können, wenn wir eben befähigte Männer an der Spitze des Staates gehabt hätten, die den Pflichten ihres Amtes gewachſen geweſen wären. 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Wahrlich, es ſind in der vollſten Bedeutung des Wortes für uns teuere Länder; was haben ſie Öſterreich ſchon gekoſtet und was werden ſie noch koſten und trotz alledem haben wir uns die Liebe der dortigen Bevölkerung nicht erworben, und wenn die Gelegenheit kommen würde, würden ſich faſt alle Bewohner in Bosnien und der Herzegowina für Serbien erklären, und dieſe Gelegenheit wird kommen und vielleicht früher, als unſere unfähigen Diplomaten glauben. Die Nationalitätenidee iſt eben auch dort unten eingedrungen; die Bosnier ſind eben Serben, wollen Serben bleiben und ſtreben nach Vereinigung mit ihren Brüdern. Es zeigt ſich jetzt ſo recht deut- lich, wie recht jene Männer hatten, die ſeinerzeit vor der Aneignung dieſer ſlawiſchen Provinzen ein- dringlich warnten; uns Deutſchen in Öſterreich haben ſie ja außerdem noch um den Verluſt unſeres ganzen Einfluſſes gebracht. 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Schließlich begann der Sanitätsrat zögernd: „Lieber Doktor, Sie wollen mir doch erklären, was nun heute Abend geſchehen wird?“ Werres ſchaute ſchon wieder gleichmütig vor ſich hin. Aber in ſeinem Geſicht brannte jetzt eine heiße Röte — das einzig ſichtbare Zeichen, wie ſehr ihm die eigenen Worte vorhin ans Herz gegriffen hatten. „Ja, wir kamen davon ab, Herr Sanitätsrat! Sie beſinnen ſich doch wohl auf den Baron von Berg?“ „Ungefähr, ich habe ihn allerdings nur ein- mal geſehen.“ Werres zog aus ſeiner Brieftaſche eine Photo- graphie hervoe. „Bitte, wollen Sie ſich dieſes Bild einmal genau anſehen — es iſt Herr von Berg. Wie Ihnen bekannt iſt, konnte der Mörder Ihres Bruders ſeine Tat nur dadurch in ein ſo geheimnis- volles Dunkel hüllen, daß er anſcheinend nur die eine Spur zurückließ: Er mußte dem Baron auf ein Haar gleichen! Das war das einzige, was wir von ihm wußten! Und dieſen Doppelgänger werden Sie heute ſehen. 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Hier fanden die ſich ziemlich regelmäßig alle ſechs Wochen wiederholenden Aufführungen der freien dramatiſchen Vereinigung ſtatt, die von dem dichteriſch nicht unbedeutenden Landrat Pankratius vor ungefähr fünf Jahren ins Leben gerufen wurde, und deren Mitglieder ſich aus den erſten Geſell- ſchaftskreiſen der Stadt zuſammenſetzten. Für heute abend ſtand „Traumulus“ auf dem Programm, jene tragiſche Primanergeſchichte, in der der blinde Idealismus eines weltfremden Schulmannes ein junges Menſchenleben in den Tod treibt. — Der Saal, beſonders das Parkett und die Logen waren gut beſetzt. Das an- und abſchwellende Flüſtern verſtummte, als der dumpfdröhnende Ton eines Gongs ertönte, zugleich das Licht des Kron- leuchters abgedämpft wurde und die Rampenbeleuch- tung der Bühne auflammte. Der Vorhang rauſchte empor. Die Szene zeigte das Innere eines Reſtau- rants; an einem runden Tiſch ſaßen mehrere Herren, im Hintergrund ſpielten zwei andere Billard. 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Als heute in der Mittagsſtunde der Kriminalbeamte Müller bei ihm war und die Erfolge ſeiner Ermittlungen ihm

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Zitationshilfe: Marburger Zeitung. Nr. 6, Marburg, 14.01.1913, S. [1]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_marburger6_1913/1>, abgerufen am 03.12.2024.