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Marburger Zeitung. Nr. 38, Marburg, 28.03.1905.

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Dienstag, Donnerstag, Samstag mittags. Manuskripte
werden nicht zurückgegeben. Die Einzelnnummer kostet 10 h.




Nr. 38 Dienstag, 28. März 1905 44. Jahrgang.


[Spaltenumbruch]
Stiefkind und Wein-Enquete.


Unser Unterland sollte also wieder einmal als
ein Stiefkind behandelt werden. Wir sind dies
zwar schon gewohnt -- die leidige Marburger
Brückenfrage, der geplante Bau der Marburg--
Wieser-Bahn und andere Dinge erläutern die Liebe,
die man uns entgegenbringt, in schlagender Weise
-- aber die Hintansetzung, die man uns in einem
gerade für uns außerordentlich wichtigen Partikelchen
des Abgeordnetenhauses zufügen wollte, überschreitet
die Grenze des Ertragbaren, zumal es sich um das
hervorragendste Lebensinteresse des Unterlandes
handelt. Der Weinkultur-Ausschuß des Parlamen-
tes hat zur Beratung des neuen Weingesetzes die
Einsetzung einer Weinenquete beschlossen, in welche
die sach- und fachkundigen Vertreter der Weinbau
treibenden Gebiete der "im Reichsrate vertretenen
Königreiche und Länder" einberufen werden sollen.
Aber mit einer verblüffenden Skrupellosigkeit war
man darauf bedacht, eine Vertretung der unterstei-
rischen Weinproduzenten in der Enquete zu verhin-
dern. Es wurden ihr nur die Vertreter von Nie-
derösterreich und jene von Südtirol beigezogen --
uns gedachte man gänzlich auszuschließen, unsere
Interessen sollten mundtot gemacht werden, damit
sie nicht etwa störend in die niederösterreichisch-süd-
tirolischen Abmachungen hineintönen können. So
wurden in die Weinbauenquete berufen aus dem
Lande Nieder-Österreich der Landes-Weinbau-
Direktor Reckendorfer, der Adjunkt der Versuchsan-
stalt Dr. Kaserer in Wien und zwei Vertreter der
[Spaltenumbruch] Wiener Handels- und Gewerbekammer; von Süd-
tirol wurde berufen ein Vertreter der Bozener
Kammer, -- das war alles! Wohl bemühte sich der
Abgeordnete Dr. Wolffhardt, auch für das wein-
reiche Unterland, also für ein Weinbaugebiet, dessen
Verhältnisse in mancherlei Art von jenen Nieder-
österreichs oder Südtirols abweichen, einen Vertreter
in die Weinenquete zu bekommen, aber an der son-
derbaren, verneinenden Haltung des parlamentari-
schen Weinkultur-Ausschusses scheiterten seine Be-
mühungen. Und es schien, als ob wir tatsächlich
ausgeschlossen bleiben sollten von den Beratungen,
die auch für unser Weinland von Geltung, von ein-
schneidender Bedeutung sind. Da nahm, angeregt
durch den parlamentarischen Vertreter der Stadt
Marburg, die verdienstvolle steirische Landwirt-
schafts-Gesellschaft die Sache in die Hand. In
dem Ausschusse ihrer Weinbausektion sitzen die Her-
ren Direktor Zweifler, Direktor Schmid,
Julius Pfrimer und Franz Girstmayr, aus
Graz Herr Dr. Hotterer. Daß die Genannten,
die, mit Ausnahme des letztgenannten Herrn, schon
aus ihrer unterländischen Bodenständigkeit heraus
und dann auch alle zusammen in Anbetracht ihrer
fachlichen Eignung am besten geeignet waren, die
Interessen des Unterlandes energisch zu vertreten,
liegt auf der Hand. Ihren einhelligen, im Namen
der steirischen Landwirtschafts-Gesellschaft erhobenen,
an das Präsidium des Abgeordnetenhauses und von
diesem an den Weinkultur-Ausschuß geleiteten ener-
gischen Vorstellungen gelang es endlich, Un-
tersteiermark zu seinem Rechte zu ver-
helfen.
Der Weinkultur-Ausschuß mußte, da er
[Spaltenumbruch] das berechtigte und energische Verlangen der Inter-
essenten vor sich hatte, endlich nachgeben. Er wandte
sich an die Grazer Handels- und Gewerbekammer,
welche den Bürgermeister-Stellvertreter von Mar-
burg, Herrn Karl Pfrimer, als den in die En-
quete zu entsendenden Vertreter der unter- und
mittelsteirischen Weinbauinteressen vorschlug. Herr
Karl Pfrimer wurde auch in der Tat bereits in die
Enquete einberufen und fährt heute Dienstag nach
Wien. Allerdings sah sich der Weinkulturausschuß
veranlaßt, die Einbeziehung eines steirischen Dele-
gierten sozusagen zn "paralysieren", indem er gleich-
zeitig der Bozner Kammer einen weiteren Tiroler
Vertreter entnahm, ferners je einen Vertreter
des Landeskulturrates aus Trient, und der
Kammer von Rovreith (Rovereto) und Spalato
der Weinenquete einreihte. Sei dem aber wie immer:
Tatsache ist, daß durch energisches Handeln die
Gefahr, unsere Weingebiete vertretungslos zu lassen,
beseitigt wurde. Auch dieser Fall zeigt wieder ein-
mal deutlich, daß im öffentlichen Leben nur jener
als Stiefkind behandelt werden kann, der sich als
solches behandeln läßt. Daß die berufenen Hüter
unserer Landwirtschaft ihre Stimme machtvoll er-
hoben, dafür gebührt ihnen der Dank. In Herrn
Karl Pfrimer haben wir einen schneidigen Vertreter
der Interessen des Unterlandes in der Weinenquete.
Hätte sich alles still verhalten, so hätten wir nichts
erreicht -- das mag uns als Richtschnur für alle
anderen Dinge gelten.






[Spaltenumbruch]
Auf irrem Pfade.

7 (Nachdruck verboten)

"Lassen Sie das, Margarethe", murrte er,
"es ist ja doch vergebens. Ich war ein Tor, daß
ich die längst gebrochene Knospe nochmals zur Blüte
erwecken wollte."

"Das ist es: Sie erwarten Wunder, als
hätten Sie ein Zauberwort gesprochen, welches im
Augenblick die Tür des Menschenherzens öffnen
müsse", erwiderte Margarethe mit sanftem Vorwurf.
"Sie fühlen sich verletzt und brechen ab, ohne mir
ein Wort der Verteidigung zu gönnen, ohne nach
meinen Gründen zu forschen. Vielleicht schwieg ich
nur in der wohlmeinenden Absicht, nicht noch mehr
der trüben Erinnerungen in Ihnen heraufzube-
schwören; in der Voraussetzung, Sie würden Ihr
Vertrauen aus eigenem Antriebe so weit ausdehnen,
als Sie es für erforderlich erachteten. Nicht Gefühl-
losigkeit band mir die Zunge, doch vielleicht mädchen-
hafte Scheu, vielleicht doch das Mitleid, dessen
Ausdruck Sie vermissen. Und warum ich Ihnen
mein Jawort gab? ... weil auch mein Herz ver-
einsamt ist, weil ich hoffe, in der Erfüllung meiner
Frauenpflichten Befriedigung zu finden, weil ich so
gern einen Zweck für mein Leben fände. Das ist
mein heiligstes Wollen, und Sie widersprechen sich
selbst, wenn Sie schon jetzt höhere Forderungen
stellen. Glauben Sie daran, so haben Sie ein wenig
Geduld und Nachsicht mit mir. Sie sprachen von
der schöneren Vergangenheit, Wolfgang ... nun
[Spaltenumbruch] denn, ich will es ehrlich versuchen, sie zurückzurufen,
Ihnen stets eine treue, teilnehmende Genossin sein,
mein Leben lang Ihnen danken, was Sie für uns
getan."

Wolfgang kämpfte mit seinem Entschluß. Noch
immer meinte er ein geheimes Mahnen zu empfinden:
laß ab, laß ab, du wirst nicht ernten, was du zur
rechten Zeit zu säen versäumtest! .... Aber die
blauen Mädchenaugen blickten so flehend treuherzig
zu ihm auf, die herrliche Gestalt lehnte sich ver-
trauend auf seine Schulter, er hätte einen Stein
anstatt seines liebeflammenden Herzens im Busen
tragen müssen, um dieser Verlockung zu widerstehen.

Langsam neigte er sich auf ihre Hände herab,
und nachdem er sie geküßt, schob er seinen Ring
an ihren Finger.

IV.

Noch im Laufe der Woche reiste Tieffenbach
nach Liebenau, seinem Hauptgute zurück, um dort
die erforderlichen Vorbereitungen zu treffen, da er
den Brautstand möglichst abzukürzen wünschte, worin
ihm Margarethe völlig beistimmte. Am liebsten
hätte auch sie die Stadt sogleich verlassen. Die ge-
wohnten Verhältnisse däuchten ihr plötzlich uner-
träglich. Sie fühlte sich auf allen Seiten beengt.
Selbst die doppelte Zärtlichkeit, mit der der Vater
sie umgab, vermochte nur ein schwaches Lächeln
auf ihre immer bleicher werdenden Wangen zu
zaubern.

Unter dem Vorwande der Beschäftigung mit
der Aussteuer brach sie fast jeden Verkehr mit be-
freundeten Familien und Altersgenossinnen ab. Sie
fühlte, wie man allgemein ihre Verlobung beurteilte ...
[Spaltenumbruch] ihr war, als müsse es ihr jeder vom Gesicht ablesen,
daß sie sich verkauft habe. Im Gespräch wurde ihr
das harmloseste Wort zu einer spitzen Anspielung,
jeder Glückwunsch, jedes Erwähnen Tieffenbachs
dünkte ihr nur ein versteckter, verächtlicher Hohn.

Vergebens berichtete ihr Will, der als lebendige
Chronik des Stadtklatsches gelten konnte, daß man
freilich über ihre so unerwartete Verlobung erstaunt
sei, diese Verwunderung aber weniger ihr als ihrem
Bräutigam gelte, der doch bei seinem Namen und
Vermögen in der höchsten Geburts- und Geld-
aristokratie freie Wahl gehabt habe. Vergebens rollte
er mit seiner in dieser Beziehung sehr ausgiebigen
Phantasie, das ihr nun beschiedene glänzende Los
auf und versicherte ihr, sie errege nur den Neid
ihrer Freundinnen, welche ganz abgesehen von der
brillanten Partie, den schlesischen Freiherrn für einen
"furchtbar interessanten" Mann erklärten. Sie
fühlte sich trotz alledem tief unglücklich. Die hochherzige
Opferfreudigkeit und das echt weibliche Mitleid,
das sich in ihr erregt, als Wolfgang von seinem
einsamen, stillen Dulden sprach, waren in der Er-
kenntnis ihrer Übereilung schnell wieder verloren ge-
gangen. Was sie sich in jener Stunde um keinen
Preis eingestanden hätte: daß hauptsächlich der zor-
nige Schmerz über Wills Unempfindlichkeit, das
trotzige Verlangen, sich von dieser Neigung zu be-
freien, sie zu ihrem Entschluß getrieben hatten --
jetzt sagte sie sich es unverhohlen, und ihr Herz ver-
stockte immer mehr in bitterem Groll gegen sich selbst
und alle Welt.

Anfangs schrieb der Baron fast täglich. Er
gehörte zu den Männern, welche ihr Empfinden


Marburger Zeitung.



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Der Preis des Blattes beträgt: Für Marburg:
Ganzjährig 12 K. halbjährig 6 K, vierteljährig 3 K, monat-
lich 1 K. Bei Zuſtellung ins Haus monatlich 20 h mehr.

Mit Poſtverſendung:
Ganzjährig 14 K, halbjährig 7 K, vierteljährig 3 K 50 h.
Das Abonnement dauert bis zur ſchriftlichen Abbeſtellung.


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Erſcheint jeden Dienstag, Donnerstag nnd
Samstag abends.

Sprechſtunden des Schriftleiters an allen Wochentagen von
11—12 Uhr vorm. und von 5—6 Uhr nachm. Poſtgaſſe 4.

Die Verwaltung befindet ſich: Poſtgaſſe 4. (Telephon-Nr. 24.)


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Einſchaltungen werden im Verlage des Blattes und von
allen größeren Annoncen-Expeditionen entgegengenommen.
Inſeratenpreis: Für die 5mal geſpaltene Zeile 12 h, bei
Wiederholung bedeut. Nachlaß. Schluß für Einſchaltungen
Dienstag, Donnerstag, Samstag mittags. Manuſkripte
werden nicht zurückgegeben. Die Einzelnnummer koſtet 10 h.




Nr. 38 Dienstag, 28. März 1905 44. Jahrgang.


[Spaltenumbruch]
Stiefkind und Wein-Enquete.


Unſer Unterland ſollte alſo wieder einmal als
ein Stiefkind behandelt werden. Wir ſind dies
zwar ſchon gewohnt — die leidige Marburger
Brückenfrage, der geplante Bau der Marburg—
Wieſer-Bahn und andere Dinge erläutern die Liebe,
die man uns entgegenbringt, in ſchlagender Weiſe
— aber die Hintanſetzung, die man uns in einem
gerade für uns außerordentlich wichtigen Partikelchen
des Abgeordnetenhauſes zufügen wollte, überſchreitet
die Grenze des Ertragbaren, zumal es ſich um das
hervorragendſte Lebensintereſſe des Unterlandes
handelt. Der Weinkultur-Ausſchuß des Parlamen-
tes hat zur Beratung des neuen Weingeſetzes die
Einſetzung einer Weinenquete beſchloſſen, in welche
die ſach- und fachkundigen Vertreter der Weinbau
treibenden Gebiete der „im Reichsrate vertretenen
Königreiche und Länder“ einberufen werden ſollen.
Aber mit einer verblüffenden Skrupelloſigkeit war
man darauf bedacht, eine Vertretung der unterſtei-
riſchen Weinproduzenten in der Enquete zu verhin-
dern. Es wurden ihr nur die Vertreter von Nie-
deröſterreich und jene von Südtirol beigezogen —
uns gedachte man gänzlich auszuſchließen, unſere
Intereſſen ſollten mundtot gemacht werden, damit
ſie nicht etwa ſtörend in die niederöſterreichiſch-ſüd-
tiroliſchen Abmachungen hineintönen können. So
wurden in die Weinbauenquete berufen aus dem
Lande Nieder-Öſterreich der Landes-Weinbau-
Direktor Reckendorfer, der Adjunkt der Verſuchsan-
ſtalt Dr. Kaſerer in Wien und zwei Vertreter der
[Spaltenumbruch] Wiener Handels- und Gewerbekammer; von Süd-
tirol wurde berufen ein Vertreter der Bozener
Kammer, — das war alles! Wohl bemühte ſich der
Abgeordnete Dr. Wolffhardt, auch für das wein-
reiche Unterland, alſo für ein Weinbaugebiet, deſſen
Verhältniſſe in mancherlei Art von jenen Nieder-
öſterreichs oder Südtirols abweichen, einen Vertreter
in die Weinenquete zu bekommen, aber an der ſon-
derbaren, verneinenden Haltung des parlamentari-
ſchen Weinkultur-Ausſchuſſes ſcheiterten ſeine Be-
mühungen. Und es ſchien, als ob wir tatſächlich
ausgeſchloſſen bleiben ſollten von den Beratungen,
die auch für unſer Weinland von Geltung, von ein-
ſchneidender Bedeutung ſind. Da nahm, angeregt
durch den parlamentariſchen Vertreter der Stadt
Marburg, die verdienſtvolle ſteiriſche Landwirt-
ſchafts-Geſellſchaft die Sache in die Hand. In
dem Ausſchuſſe ihrer Weinbauſektion ſitzen die Her-
ren Direktor Zweifler, Direktor Schmid,
Julius Pfrimer und Franz Girſtmayr, aus
Graz Herr Dr. Hotterer. Daß die Genannten,
die, mit Ausnahme des letztgenannten Herrn, ſchon
aus ihrer unterländiſchen Bodenſtändigkeit heraus
und dann auch alle zuſammen in Anbetracht ihrer
fachlichen Eignung am beſten geeignet waren, die
Intereſſen des Unterlandes energiſch zu vertreten,
liegt auf der Hand. Ihren einhelligen, im Namen
der ſteiriſchen Landwirtſchafts-Geſellſchaft erhobenen,
an das Präſidium des Abgeordnetenhauſes und von
dieſem an den Weinkultur-Ausſchuß geleiteten ener-
giſchen Vorſtellungen gelang es endlich, Un-
terſteiermark zu ſeinem Rechte zu ver-
helfen.
Der Weinkultur-Ausſchuß mußte, da er
[Spaltenumbruch] das berechtigte und energiſche Verlangen der Inter-
eſſenten vor ſich hatte, endlich nachgeben. Er wandte
ſich an die Grazer Handels- und Gewerbekammer,
welche den Bürgermeiſter-Stellvertreter von Mar-
burg, Herrn Karl Pfrimer, als den in die En-
quete zu entſendenden Vertreter der unter- und
mittelſteiriſchen Weinbauintereſſen vorſchlug. Herr
Karl Pfrimer wurde auch in der Tat bereits in die
Enquete einberufen und fährt heute Dienstag nach
Wien. Allerdings ſah ſich der Weinkulturausſchuß
veranlaßt, die Einbeziehung eines ſteiriſchen Dele-
gierten ſozuſagen zn „paralyſieren“, indem er gleich-
zeitig der Bozner Kammer einen weiteren Tiroler
Vertreter entnahm, ferners je einen Vertreter
des Landeskulturrates aus Trient, und der
Kammer von Rovreith (Rovereto) und Spalato
der Weinenquete einreihte. Sei dem aber wie immer:
Tatſache iſt, daß durch energiſches Handeln die
Gefahr, unſere Weingebiete vertretungslos zu laſſen,
beſeitigt wurde. Auch dieſer Fall zeigt wieder ein-
mal deutlich, daß im öffentlichen Leben nur jener
als Stiefkind behandelt werden kann, der ſich als
ſolches behandeln läßt. Daß die berufenen Hüter
unſerer Landwirtſchaft ihre Stimme machtvoll er-
hoben, dafür gebührt ihnen der Dank. In Herrn
Karl Pfrimer haben wir einen ſchneidigen Vertreter
der Intereſſen des Unterlandes in der Weinenquete.
Hätte ſich alles ſtill verhalten, ſo hätten wir nichts
erreicht — das mag uns als Richtſchnur für alle
anderen Dinge gelten.






[Spaltenumbruch]
Auf irrem Pfade.

7 (Nachdruck verboten)

„Laſſen Sie das, Margarethe“, murrte er,
„es iſt ja doch vergebens. Ich war ein Tor, daß
ich die längſt gebrochene Knoſpe nochmals zur Blüte
erwecken wollte.“

„Das iſt es: Sie erwarten Wunder, als
hätten Sie ein Zauberwort geſprochen, welches im
Augenblick die Tür des Menſchenherzens öffnen
müſſe“, erwiderte Margarethe mit ſanftem Vorwurf.
„Sie fühlen ſich verletzt und brechen ab, ohne mir
ein Wort der Verteidigung zu gönnen, ohne nach
meinen Gründen zu forſchen. Vielleicht ſchwieg ich
nur in der wohlmeinenden Abſicht, nicht noch mehr
der trüben Erinnerungen in Ihnen heraufzube-
ſchwören; in der Vorausſetzung, Sie würden Ihr
Vertrauen aus eigenem Antriebe ſo weit ausdehnen,
als Sie es für erforderlich erachteten. Nicht Gefühl-
loſigkeit band mir die Zunge, doch vielleicht mädchen-
hafte Scheu, vielleicht doch das Mitleid, deſſen
Ausdruck Sie vermiſſen. Und warum ich Ihnen
mein Jawort gab? ... weil auch mein Herz ver-
einſamt iſt, weil ich hoffe, in der Erfüllung meiner
Frauenpflichten Befriedigung zu finden, weil ich ſo
gern einen Zweck für mein Leben fände. Das iſt
mein heiligſtes Wollen, und Sie widerſprechen ſich
ſelbſt, wenn Sie ſchon jetzt höhere Forderungen
ſtellen. Glauben Sie daran, ſo haben Sie ein wenig
Geduld und Nachſicht mit mir. Sie ſprachen von
der ſchöneren Vergangenheit, Wolfgang ... nun
[Spaltenumbruch] denn, ich will es ehrlich verſuchen, ſie zurückzurufen,
Ihnen ſtets eine treue, teilnehmende Genoſſin ſein,
mein Leben lang Ihnen danken, was Sie für uns
getan.“

Wolfgang kämpfte mit ſeinem Entſchluß. Noch
immer meinte er ein geheimes Mahnen zu empfinden:
laß ab, laß ab, du wirſt nicht ernten, was du zur
rechten Zeit zu ſäen verſäumteſt! .... Aber die
blauen Mädchenaugen blickten ſo flehend treuherzig
zu ihm auf, die herrliche Geſtalt lehnte ſich ver-
trauend auf ſeine Schulter, er hätte einen Stein
anſtatt ſeines liebeflammenden Herzens im Buſen
tragen müſſen, um dieſer Verlockung zu widerſtehen.

Langſam neigte er ſich auf ihre Hände herab,
und nachdem er ſie geküßt, ſchob er ſeinen Ring
an ihren Finger.

IV.

Noch im Laufe der Woche reiſte Tieffenbach
nach Liebenau, ſeinem Hauptgute zurück, um dort
die erforderlichen Vorbereitungen zu treffen, da er
den Brautſtand möglichſt abzukürzen wünſchte, worin
ihm Margarethe völlig beiſtimmte. Am liebſten
hätte auch ſie die Stadt ſogleich verlaſſen. Die ge-
wohnten Verhältniſſe däuchten ihr plötzlich uner-
träglich. Sie fühlte ſich auf allen Seiten beengt.
Selbſt die doppelte Zärtlichkeit, mit der der Vater
ſie umgab, vermochte nur ein ſchwaches Lächeln
auf ihre immer bleicher werdenden Wangen zu
zaubern.

Unter dem Vorwande der Beſchäftigung mit
der Ausſteuer brach ſie faſt jeden Verkehr mit be-
freundeten Familien und Altersgenoſſinnen ab. Sie
fühlte, wie man allgemein ihre Verlobung beurteilte ...
[Spaltenumbruch] ihr war, als müſſe es ihr jeder vom Geſicht ableſen,
daß ſie ſich verkauft habe. Im Geſpräch wurde ihr
das harmloſeſte Wort zu einer ſpitzen Anſpielung,
jeder Glückwunſch, jedes Erwähnen Tieffenbachs
dünkte ihr nur ein verſteckter, verächtlicher Hohn.

Vergebens berichtete ihr Will, der als lebendige
Chronik des Stadtklatſches gelten konnte, daß man
freilich über ihre ſo unerwartete Verlobung erſtaunt
ſei, dieſe Verwunderung aber weniger ihr als ihrem
Bräutigam gelte, der doch bei ſeinem Namen und
Vermögen in der höchſten Geburts- und Geld-
ariſtokratie freie Wahl gehabt habe. Vergebens rollte
er mit ſeiner in dieſer Beziehung ſehr ausgiebigen
Phantaſie, das ihr nun beſchiedene glänzende Los
auf und verſicherte ihr, ſie errege nur den Neid
ihrer Freundinnen, welche ganz abgeſehen von der
brillanten Partie, den ſchleſiſchen Freiherrn für einen
„furchtbar intereſſanten“ Mann erklärten. Sie
fühlte ſich trotz alledem tief unglücklich. Die hochherzige
Opferfreudigkeit und das echt weibliche Mitleid,
das ſich in ihr erregt, als Wolfgang von ſeinem
einſamen, ſtillen Dulden ſprach, waren in der Er-
kenntnis ihrer Übereilung ſchnell wieder verloren ge-
gangen. Was ſie ſich in jener Stunde um keinen
Preis eingeſtanden hätte: daß hauptſächlich der zor-
nige Schmerz über Wills Unempfindlichkeit, das
trotzige Verlangen, ſich von dieſer Neigung zu be-
freien, ſie zu ihrem Entſchluß getrieben hatten —
jetzt ſagte ſie ſich es unverhohlen, und ihr Herz ver-
ſtockte immer mehr in bitterem Groll gegen ſich ſelbſt
und alle Welt.

Anfangs ſchrieb der Baron faſt täglich. Er
gehörte zu den Männern, welche ihr Empfinden


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Unſer Unterland ſollte alſo wieder einmal als ein Stiefkind behandelt werden. Wir ſind dies zwar ſchon gewohnt — die leidige Marburger Brückenfrage, der geplante Bau der Marburg— Wieſer-Bahn und andere Dinge erläutern die Liebe, die man uns entgegenbringt, in ſchlagender Weiſe — aber die Hintanſetzung, die man uns in einem gerade für uns außerordentlich wichtigen Partikelchen des Abgeordnetenhauſes zufügen wollte, überſchreitet die Grenze des Ertragbaren, zumal es ſich um das hervorragendſte Lebensintereſſe des Unterlandes handelt. Der Weinkultur-Ausſchuß des Parlamen- tes hat zur Beratung des neuen Weingeſetzes die Einſetzung einer Weinenquete beſchloſſen, in welche die ſach- und fachkundigen Vertreter der Weinbau treibenden Gebiete der „im Reichsrate vertretenen Königreiche und Länder“ einberufen werden ſollen. Aber mit einer verblüffenden Skrupelloſigkeit war man darauf bedacht, eine Vertretung der unterſtei- riſchen Weinproduzenten in der Enquete zu verhin- dern. Es wurden ihr nur die Vertreter von Nie- deröſterreich und jene von Südtirol beigezogen — uns gedachte man gänzlich auszuſchließen, unſere Intereſſen ſollten mundtot gemacht werden, damit ſie nicht etwa ſtörend in die niederöſterreichiſch-ſüd- tiroliſchen Abmachungen hineintönen können. So wurden in die Weinbauenquete berufen aus dem Lande Nieder-Öſterreich der Landes-Weinbau- Direktor Reckendorfer, der Adjunkt der Verſuchsan- ſtalt Dr. Kaſerer in Wien und zwei Vertreter der Wiener Handels- und Gewerbekammer; von Süd- tirol wurde berufen ein Vertreter der Bozener Kammer, — das war alles! Wohl bemühte ſich der Abgeordnete Dr. Wolffhardt, auch für das wein- reiche Unterland, alſo für ein Weinbaugebiet, deſſen Verhältniſſe in mancherlei Art von jenen Nieder- öſterreichs oder Südtirols abweichen, einen Vertreter in die Weinenquete zu bekommen, aber an der ſon- derbaren, verneinenden Haltung des parlamentari- ſchen Weinkultur-Ausſchuſſes ſcheiterten ſeine Be- mühungen. Und es ſchien, als ob wir tatſächlich ausgeſchloſſen bleiben ſollten von den Beratungen, die auch für unſer Weinland von Geltung, von ein- ſchneidender Bedeutung ſind. Da nahm, angeregt durch den parlamentariſchen Vertreter der Stadt Marburg, die verdienſtvolle ſteiriſche Landwirt- ſchafts-Geſellſchaft die Sache in die Hand. In dem Ausſchuſſe ihrer Weinbauſektion ſitzen die Her- ren Direktor Zweifler, Direktor Schmid, Julius Pfrimer und Franz Girſtmayr, aus Graz Herr Dr. Hotterer. Daß die Genannten, die, mit Ausnahme des letztgenannten Herrn, ſchon aus ihrer unterländiſchen Bodenſtändigkeit heraus und dann auch alle zuſammen in Anbetracht ihrer fachlichen Eignung am beſten geeignet waren, die Intereſſen des Unterlandes energiſch zu vertreten, liegt auf der Hand. 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Allerdings ſah ſich der Weinkulturausſchuß veranlaßt, die Einbeziehung eines ſteiriſchen Dele- gierten ſozuſagen zn „paralyſieren“, indem er gleich- zeitig der Bozner Kammer einen weiteren Tiroler Vertreter entnahm, ferners je einen Vertreter des Landeskulturrates aus Trient, und der Kammer von Rovreith (Rovereto) und Spalato der Weinenquete einreihte. Sei dem aber wie immer: Tatſache iſt, daß durch energiſches Handeln die Gefahr, unſere Weingebiete vertretungslos zu laſſen, beſeitigt wurde. Auch dieſer Fall zeigt wieder ein- mal deutlich, daß im öffentlichen Leben nur jener als Stiefkind behandelt werden kann, der ſich als ſolches behandeln läßt. Daß die berufenen Hüter unſerer Landwirtſchaft ihre Stimme machtvoll er- hoben, dafür gebührt ihnen der Dank. In Herrn Karl Pfrimer haben wir einen ſchneidigen Vertreter der Intereſſen des Unterlandes in der Weinenquete. Hätte ſich alles ſtill verhalten, ſo hätten wir nichts erreicht — das mag uns als Richtſchnur für alle anderen Dinge gelten. N. J. Auf irrem Pfade. Roman von Hans Richter. 7 (Nachdruck verboten) „Laſſen Sie das, Margarethe“, murrte er, „es iſt ja doch vergebens. Ich war ein Tor, daß ich die längſt gebrochene Knoſpe nochmals zur Blüte erwecken wollte.“ „Das iſt es: Sie erwarten Wunder, als hätten Sie ein Zauberwort geſprochen, welches im Augenblick die Tür des Menſchenherzens öffnen müſſe“, erwiderte Margarethe mit ſanftem Vorwurf. „Sie fühlen ſich verletzt und brechen ab, ohne mir ein Wort der Verteidigung zu gönnen, ohne nach meinen Gründen zu forſchen. Vielleicht ſchwieg ich nur in der wohlmeinenden Abſicht, nicht noch mehr der trüben Erinnerungen in Ihnen heraufzube- ſchwören; in der Vorausſetzung, Sie würden Ihr Vertrauen aus eigenem Antriebe ſo weit ausdehnen, als Sie es für erforderlich erachteten. 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Aber die blauen Mädchenaugen blickten ſo flehend treuherzig zu ihm auf, die herrliche Geſtalt lehnte ſich ver- trauend auf ſeine Schulter, er hätte einen Stein anſtatt ſeines liebeflammenden Herzens im Buſen tragen müſſen, um dieſer Verlockung zu widerſtehen. Langſam neigte er ſich auf ihre Hände herab, und nachdem er ſie geküßt, ſchob er ſeinen Ring an ihren Finger. IV. Noch im Laufe der Woche reiſte Tieffenbach nach Liebenau, ſeinem Hauptgute zurück, um dort die erforderlichen Vorbereitungen zu treffen, da er den Brautſtand möglichſt abzukürzen wünſchte, worin ihm Margarethe völlig beiſtimmte. Am liebſten hätte auch ſie die Stadt ſogleich verlaſſen. Die ge- wohnten Verhältniſſe däuchten ihr plötzlich uner- träglich. Sie fühlte ſich auf allen Seiten beengt. Selbſt die doppelte Zärtlichkeit, mit der der Vater ſie umgab, vermochte nur ein ſchwaches Lächeln auf ihre immer bleicher werdenden Wangen zu zaubern. Unter dem Vorwande der Beſchäftigung mit der Ausſteuer brach ſie faſt jeden Verkehr mit be- freundeten Familien und Altersgenoſſinnen ab. Sie fühlte, wie man allgemein ihre Verlobung beurteilte ... ihr war, als müſſe es ihr jeder vom Geſicht ableſen, daß ſie ſich verkauft habe. Im Geſpräch wurde ihr das harmloſeſte Wort zu einer ſpitzen Anſpielung, jeder Glückwunſch, jedes Erwähnen Tieffenbachs dünkte ihr nur ein verſteckter, verächtlicher Hohn. Vergebens berichtete ihr Will, der als lebendige Chronik des Stadtklatſches gelten konnte, daß man freilich über ihre ſo unerwartete Verlobung erſtaunt ſei, dieſe Verwunderung aber weniger ihr als ihrem Bräutigam gelte, der doch bei ſeinem Namen und Vermögen in der höchſten Geburts- und Geld- ariſtokratie freie Wahl gehabt habe. 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Er gehörte zu den Männern, welche ihr Empfinden

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Zitationshilfe: Marburger Zeitung. Nr. 38, Marburg, 28.03.1905, S. [1]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_marburger38_1905/1>, abgerufen am 03.12.2024.