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Marburger Zeitung. Nr. 153, Marburg, 20.12.1904.

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Marburger Zeitung.



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Dienstag, Donnerstag, Samstag mittags. Manuskripte
werden nicht zurückgegeben. Die Einzelnummer koner 10 h.




Nr. 153 Dienstag, 20. Dezember 1904 43. Jahrgang.


[Spaltenumbruch]
Wo bleibt der Ackerbauminister?

Vor wenigen Wochen hat Herr v. Koerber
eine Erneuerung seines Ministeriums vorgenommen,
die sich auch auf das Ackerbauministerium erstreckte.
Als damals bekannt wurde, daß an Stelle des
schon lange vorher unmöglich gewordenen Barons
Giovanelli mit dem Portefeuille des Ackerbau-
ministeriums Graf Buquoy bedacht worden sei, da
ging eine freudige Bewegung durch die Reihen
unserer nur-agrarischen Agitatoren. Einer der ihrigen
war zur Macht gelangt. Jetzt, so erzählte man den
Bauern, werde für die österreichische Landwirtschaft
eine Epoche ungetrübtesten Glückes anbrechen. Denn
Graf Buquoy sei einer der Führer der sogenannten
"agrarischen Bewegung", mit seiner Ernennung zum
Ackerbauminister sei diese Bewegung zur Macht
gelangt und habe einen Sieg errungen. Einen Sieg
über wen? Wer war der Besiegte? Etwa
jener unglückselige Geist des traditionellen öster-
reichischen Regierungssystemes, der sich in den Acker-
bauministern Grafen Falkenhayn und Baron
Giovanelli verkörpert hatte, der Geist der
Verneinung aller jener Forderungen, die seit
Jahrzehnten
vergeblich von den Bauern ge-
stellt wurden? Nein, dieser Geist wirkt auch heute
noch, auch heute noch und trotz des Eintrittes
des Grafen Buquoy in das Ministerium Koerber
harren die Bauern vergebens darauf, daß sich die
Regierung ernstlich mit der Notlage des Bauern-
standes beschäftige.

Von einem Ackerbauminister, der, wie man
sagte, "von der mächtigen agrarischen Bewegung
zu seiner hohen Stellung emporgetragen worden
war", mußte man erwarten, daß ihm diese Bewe-
gung, als deren Vertreter im Ministerium er
bezeichnet wurde und als welcher er auch gelten
muß, erhöhten Einfluß auf die Entschei-
dungen des Gesamtministerium
verleihen
werde. Das Votum eines Ackerbauministers, der
[Spaltenumbruch] sich auf eine, wie man sagt, mächtige Bewegung
zu stützen vermag, mußte auch bei solchen politischen
Entscheidungen ins Gewicht fallen, durch die bäuer-
liche Interessen in Mitleidenschaft gezogen wurden.
Eine solche Entscheidung war die über den bäuer-
lichen Notstandskredit
von 151/2 Millionen
Kronen. Hier mußte sich ein "agrarischer" Ackerbau-
minister dafür einsetzen, daß diese Regierungsvorlage
nicht an politische Bedingungen geknüpft wurde,
durch die die Annahme der Vorlage in Frage ge-
stellt erschien. Ein einflußreicher Ackerbauminister
durfte solchen Bedingungen im Ministerrate nicht
zustimmen, er mußte seinen Einfluß aufbieten, um
die Stellung solcher Bedingungen, die einer
frivolen Spekulation gleichkamen, zu ver-
hindern und er mußte, wenn sich sein Einfluß als
zu schwach erwies, die entsprechenden Konse-
quenzen
ziehen.

Das Gesamtministerium und damit auch der
Ackerbauminister Graf Buquoy, machte den Not-
standskredit für die Bauernschaft abhängig von der
Bewilligung des sogenannten Refundierungs-
anleihens
im Betrage von 69 Millionen Kronen.
Als diese Forderung von der Negierung gestellt
wurde, mußte sie wissen, daß sie auf Widerstand
stoßen werde. Im Budgetausschusse wurde denn
auch, einem von der Freien Deutschen Agrar-
Vereinigung beschlossenen Dringlichkeitsantrage ent-
sprechend, zur Bedeckung des Notstandskredites der
Regierung die Ausgabe von Tilgungsrente im
Betrage von 151/2 Millionen Kronen bewilligt und
das Haus der Abgeordneten hätte ohne Zweifel
dem Antrage dees Budgetausschusses zugestimmt.
Die Regierung hatte also die Möglichkeit, auf
Grund einer verfassungsmäßigen Bewilligung die
Notstandsunterstützungen flüssig zu machen. Von
dieser Möglichkeit machte sie aber keinen Gebrauch,
weil ihr der Budgetausschuß nicht 69 Millionen
bewilligte. Wo blieb hier der Einfluß des
Ackerbauministers?
Es war ein Interesse
[Spaltenumbruch] der Bauern,
der durch Ueberschwemmungen und
Dürre notleidend gewordenen Bauern, das in Frage
stand. Hier mußte der Einfluß des Ackerbauministers
zur Geltung gebracht werden gegenüber den
politischen Absichten des Ministerpräsidenten.
Aber in dieser Frage versagte der "Einfluß" des
"nur-agrarischen" Ackerbauministers Grafen Buquoy
vollständig -- wenn er überhaupt geltend gemacht
wurde.

Daraus ergibt sich: der Einfluß des Acker-
bauministers auf die Entscheidungen des Ministeriums
in solchen Fragen, die die Interessen des Bauern-
standes berühren, ist gleich Null. Er besteht leider
nur in der Einbildung derjenigen, die sich von den
phrasenhaften Veröffentlichungen der "Zentralstelle"
täuschen ließen. Gleichzeitig ergibt sich aber auch
etwas anderes. Während der "agrarische" Acker-
bauminister nicht über den Einfluß verfügt, den
Notstand der Bauern durch Unterstützungen zu lin-
dern, während sein Einfluß nicht hinreicht, die Re-
gierung von politischen Spekulationen mit der
Bauernnot abzuhalten, benutzt die Regierung die
agrarischen Verbindungen des Grafen Buquoy
zu Quertreibereien unter den deutschen
Bauern. Es ist also nichts anderes als Bauern-
fängerei,
was die Regierung betreibt und von
den "Nur-Agrariern" betreiben läßt. Durch die
Hetze gegen das Parlament, die planmäßig von
oben betrieben wird, soll der Bauernstand nicht
zur Erkenntnis kommen, daß sein wahrer Gegner
die Regierung ist.

Graf Buquoy hat bis jetzt nur seine Einfluß-
losigkeit bewiesen. Von der Notstandsunterstützung
hört man nichts. Aber vom Grafen Buquoy, dem
einflußlosen Ackerbauminister, hören wir, daß er am
12. d. M. in Prag einer Feier "des Jubiläums
der unbefleckten Empfängnis" beiwohnte. Daß die
Bauern angesichts der Frömmigkeit des Acker-
bauministers seine Einflußlosigkeit vergessen
werden, bezweifeln wir.




[Spaltenumbruch]
Ein Opfer.

14 (Nachdruck verboten)

"Ich komme morgen wieder in Ihrer Mutter
Haus."

"Sie werden es verschlossen finden. Gehen
Sie! --"

Es führten durch den Wald zwei Wege, der
eine ging schnurstracks auf das St. Annenthor zu,
in dessen unmittelbarer Nähe die St. Annen-Kapelle
und die Pfarrwohnung lagen, der andere an den
Weinbergen vorüber, nach der Vorstadt, wo Frau
von Staufen wohnte. Das junge Mädchen wandte
sich dem letzteren zu, es blieb Hellborn nichts übrig,
als den ersteren einzuschlagen.

Veronika ging einige Schritte, dann stand
sie still und lauschte, und in dem Maße, als sie
seine Tritte verhallen hörte, verließ sie die Willens-
kraft, die sie bis dahin aufrecht gehalten. Die
Füße versagten ihr den Dienst, nur mit Mühe
schleppte sie sich zurück zu der Bank unter der Pla-
tane, dort sank sie wie gebrochen nieder.

Sie lehnte den Kopf gegen den Stamm des
Baumes, schloß die Augen und saß da, starr, bleich
und regungslos, einem Marmorbilde gleich.

Durch die Bäume fuhr klagend ein Windstoß,
die Schwäne hatten den See verlassen, um ihre
Nester aufzusuchen und die Dämmerung ging in
Dunkelheit über.

VI.

Die kleine St. Annenkirche war für den
morgenden Festtag der Geburt Mariae, welche auch
[Spaltenumbruch] die Schutzpatronin des Gotteshauses als Mutter
der Jungfrau besonders feierte, mit Laubgewinden,
Topfgewächsen, Kränzen und Fahnen geschmückt,
die bemalten Holzfiguren der Heiligen trugen ihre
besten Gewänder und ihren kostbarsten Schmuck,
vor mehreren Altären brannten Kerzen, in den
Stühlen knieten Beter und Beterinnen und am
Altare der heiligen Anna waltete ein junger, toten-
bleicher Priester seines Amtes.

Atemlos, keuchend, in kaltem Schweiß gebadet,
war Hellborn in seine Wohnung gelangt. Es war
spät geworden, die Stunde, welche ihn zum Gottes-
dienst rief, hatte bereits geschlagen; seine alte Haus-
hälterin lief ihm mit dem Rufe entgegen, er möge
eilen, in die Kirche zu kommen, der Meßner sei
schon dagewesen und habe nach ihm gefragt. Er
machte jedoch keine Miene, ihrer Aufforderung
Folge zu leisten, sondern warf sich, den Hut von
sich schleudernd, in den nächsten Stuhl und rief:

"Ich gehe nicht in die Kirche, ich kann, --
ich kann nicht in die Kirche."

Die Alte schlug erschrocken die Hände zu-
sammen und bekreuzte sich. "Heilige gebenedeiete
Jungfrau, was ist Ihnen?" schrie sie. "Sind
Sie krank?"

"Nein, nein!" stöhnte Hellborn und wehrte
die auf ihn einredende Haushälterin ab, lassen Sie
mich, Beate!"

"Wie sehen Sie nur aus?" fuhr die Alte fort,
während Hellborn sich mit dem Taschentuche die
Stirn trocknete, "Herr und Heiland, verzeihe mir
die Sünde, man sollte meinen, der Böse sei Ihnen
da draußen begegnet."

"Schweig!" fuhr er so wütend auf, daß
[Spaltenumbruch] Beate, welche von ihrem Herrn Pfarrer nur ein
gütiges gelassenes Wesen kannte, erschrocken zurück-
fuhr, verstohlen nach ihrem Rosenkranz griff und
in aller Eile ein paar Paternoster betete, überzeugt,
es könne bei ihm nicht mit rechten Dingen zugehen.

Nach einigen Minuten, während welcher er,
ohne sich zu rühren, dagesessen hatte, glaubte sie
doch ihn von neuem mahnen zu müssen.

"Herr Pfarrer, soll ich Ihnen irgend eine
Herzstärkung bringen?" fragte sie, "denn Sie
müssen in die Kirche."

Er schüttelte den Kopf. "Ich gehe nicht in
die Kirche."

"Es ist die höchste Zeit."

"Ich gehe nicht in die Kirche, nie, nie wieder
kann ich vor den Altar treten", murmelte er für
sich, Beatens Ohr hatte aber die Worte doch auf-
gefangen. Ratlos stand sie da, aber schon kam ihr
Hilfe. Die Haustüre ward aufgerissen, die Stuben-
tür flog auf, der Meßner stürzt herein.

"Gelobt sei Jesus Christus, da sind Sie ja,
Herr Pfarrer!" sagte er, Atem schöpfend, "kommen
Sie in die Kirche, man wartet."

"Ich kann nicht", erwiderte der Pfarrer
dumpf, "holen Sie einen andern."

"Die hochwürdigen Herren sind nicht daheim,
so bleibt denn nichts übrig, Herr Pfarrer, Sie
müssen kommen."

"Ich will aber nicht!" stöhnte der Pfarrer.

"Es harren auch zwei Frauen, die beichten
wollen, ehe sie morgen zum Hochamt gehen", fuhr
der Meßner dringender fort, "Sie dürfen die Kirche
nicht verwaist lassen, kommen Sie."

Der Mann ergriff Hellborn beim Arme und


Marburger Zeitung.



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Erſcheint jeden Dienstag, Donnerstag und
Samstag abends.

Sprechſtunden des Schriftleiters an allen Wochentagen von
11—12 Uhr vorm. und von 5—6 Uhr nachm. Poſtgaſſe 4.

Die Verwaltung befindet ſich: Poſtgaſſe 4. (Telephon-Nr. 24.)


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Dienstag, Donnerstag, Samstag mittags. Manuſkripte
werden nicht zurückgegeben. Die Einzelnummer koner 10 h.




Nr. 153 Dienstag, 20. Dezember 1904 43. Jahrgang.


[Spaltenumbruch]
Wo bleibt der Ackerbauminiſter?

Vor wenigen Wochen hat Herr v. Koerber
eine Erneuerung ſeines Miniſteriums vorgenommen,
die ſich auch auf das Ackerbauminiſterium erſtreckte.
Als damals bekannt wurde, daß an Stelle des
ſchon lange vorher unmöglich gewordenen Barons
Giovanelli mit dem Portefeuille des Ackerbau-
miniſteriums Graf Buquoy bedacht worden ſei, da
ging eine freudige Bewegung durch die Reihen
unſerer nur-agrariſchen Agitatoren. Einer der ihrigen
war zur Macht gelangt. Jetzt, ſo erzählte man den
Bauern, werde für die öſterreichiſche Landwirtſchaft
eine Epoche ungetrübteſten Glückes anbrechen. Denn
Graf Buquoy ſei einer der Führer der ſogenannten
„agrariſchen Bewegung“, mit ſeiner Ernennung zum
Ackerbauminiſter ſei dieſe Bewegung zur Macht
gelangt und habe einen Sieg errungen. Einen Sieg
über wen? Wer war der Beſiegte? Etwa
jener unglückſelige Geiſt des traditionellen öſter-
reichiſchen Regierungsſyſtemes, der ſich in den Acker-
bauminiſtern Grafen Falkenhayn und Baron
Giovanelli verkörpert hatte, der Geiſt der
Verneinung aller jener Forderungen, die ſeit
Jahrzehnten
vergeblich von den Bauern ge-
ſtellt wurden? Nein, dieſer Geiſt wirkt auch heute
noch, auch heute noch und trotz des Eintrittes
des Grafen Buquoy in das Miniſterium Koerber
harren die Bauern vergebens darauf, daß ſich die
Regierung ernſtlich mit der Notlage des Bauern-
ſtandes beſchäftige.

Von einem Ackerbauminiſter, der, wie man
ſagte, „von der mächtigen agrariſchen Bewegung
zu ſeiner hohen Stellung emporgetragen worden
war“, mußte man erwarten, daß ihm dieſe Bewe-
gung, als deren Vertreter im Miniſterium er
bezeichnet wurde und als welcher er auch gelten
muß, erhöhten Einfluß auf die Entſchei-
dungen des Geſamtminiſterium
verleihen
werde. Das Votum eines Ackerbauminiſters, der
[Spaltenumbruch] ſich auf eine, wie man ſagt, mächtige Bewegung
zu ſtützen vermag, mußte auch bei ſolchen politiſchen
Entſcheidungen ins Gewicht fallen, durch die bäuer-
liche Intereſſen in Mitleidenſchaft gezogen wurden.
Eine ſolche Entſcheidung war die über den bäuer-
lichen Notſtandskredit
von 15½ Millionen
Kronen. Hier mußte ſich ein „agrariſcher“ Ackerbau-
miniſter dafür einſetzen, daß dieſe Regierungsvorlage
nicht an politiſche Bedingungen geknüpft wurde,
durch die die Annahme der Vorlage in Frage ge-
ſtellt erſchien. Ein einflußreicher Ackerbauminiſter
durfte ſolchen Bedingungen im Miniſterrate nicht
zuſtimmen, er mußte ſeinen Einfluß aufbieten, um
die Stellung ſolcher Bedingungen, die einer
frivolen Spekulation gleichkamen, zu ver-
hindern und er mußte, wenn ſich ſein Einfluß als
zu ſchwach erwies, die entſprechenden Konſe-
quenzen
ziehen.

Das Geſamtminiſterium und damit auch der
Ackerbauminiſter Graf Buquoy, machte den Not-
ſtandskredit für die Bauernſchaft abhängig von der
Bewilligung des ſogenannten Refundierungs-
anleihens
im Betrage von 69 Millionen Kronen.
Als dieſe Forderung von der Negierung geſtellt
wurde, mußte ſie wiſſen, daß ſie auf Widerſtand
ſtoßen werde. Im Budgetausſchuſſe wurde denn
auch, einem von der Freien Deutſchen Agrar-
Vereinigung beſchloſſenen Dringlichkeitsantrage ent-
ſprechend, zur Bedeckung des Notſtandskredites der
Regierung die Ausgabe von Tilgungsrente im
Betrage von 15½ Millionen Kronen bewilligt und
das Haus der Abgeordneten hätte ohne Zweifel
dem Antrage dees Budgetausſchuſſes zugeſtimmt.
Die Regierung hatte alſo die Möglichkeit, auf
Grund einer verfaſſungsmäßigen Bewilligung die
Notſtandsunterſtützungen flüſſig zu machen. Von
dieſer Möglichkeit machte ſie aber keinen Gebrauch,
weil ihr der Budgetausſchuß nicht 69 Millionen
bewilligte. Wo blieb hier der Einfluß des
Ackerbauminiſters?
Es war ein Intereſſe
[Spaltenumbruch] der Bauern,
der durch Ueberſchwemmungen und
Dürre notleidend gewordenen Bauern, das in Frage
ſtand. Hier mußte der Einfluß des Ackerbauminiſters
zur Geltung gebracht werden gegenüber den
politiſchen Abſichten des Miniſterpräſidenten.
Aber in dieſer Frage verſagte der „Einfluß“ des
„nur-agrariſchen“ Ackerbauminiſters Grafen Buquoy
vollſtändig — wenn er überhaupt geltend gemacht
wurde.

Daraus ergibt ſich: der Einfluß des Acker-
bauminiſters auf die Entſcheidungen des Miniſteriums
in ſolchen Fragen, die die Intereſſen des Bauern-
ſtandes berühren, iſt gleich Null. Er beſteht leider
nur in der Einbildung derjenigen, die ſich von den
phraſenhaften Veröffentlichungen der „Zentralſtelle“
täuſchen ließen. Gleichzeitig ergibt ſich aber auch
etwas anderes. Während der „agrariſche“ Acker-
bauminiſter nicht über den Einfluß verfügt, den
Notſtand der Bauern durch Unterſtützungen zu lin-
dern, während ſein Einfluß nicht hinreicht, die Re-
gierung von politiſchen Spekulationen mit der
Bauernnot abzuhalten, benutzt die Regierung die
agrariſchen Verbindungen des Grafen Buquoy
zu Quertreibereien unter den deutſchen
Bauern. Es iſt alſo nichts anderes als Bauern-
fängerei,
was die Regierung betreibt und von
den „Nur-Agrariern“ betreiben läßt. Durch die
Hetze gegen das Parlament, die planmäßig von
oben betrieben wird, ſoll der Bauernſtand nicht
zur Erkenntnis kommen, daß ſein wahrer Gegner
die Regierung iſt.

Graf Buquoy hat bis jetzt nur ſeine Einfluß-
loſigkeit bewieſen. Von der Notſtandsunterſtützung
hört man nichts. Aber vom Grafen Buquoy, dem
einflußloſen Ackerbauminiſter, hören wir, daß er am
12. d. M. in Prag einer Feier „des Jubiläums
der unbefleckten Empfängnis“ beiwohnte. Daß die
Bauern angeſichts der Frömmigkeit des Acker-
bauminiſters ſeine Einflußloſigkeit vergeſſen
werden, bezweifeln wir.




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Ein Opfer.

14 (Nachdruck verboten)

„Ich komme morgen wieder in Ihrer Mutter
Haus.“

„Sie werden es verſchloſſen finden. Gehen
Sie! —“

Es führten durch den Wald zwei Wege, der
eine ging ſchnurſtracks auf das St. Annenthor zu,
in deſſen unmittelbarer Nähe die St. Annen-Kapelle
und die Pfarrwohnung lagen, der andere an den
Weinbergen vorüber, nach der Vorſtadt, wo Frau
von Staufen wohnte. Das junge Mädchen wandte
ſich dem letzteren zu, es blieb Hellborn nichts übrig,
als den erſteren einzuſchlagen.

Veronika ging einige Schritte, dann ſtand
ſie ſtill und lauſchte, und in dem Maße, als ſie
ſeine Tritte verhallen hörte, verließ ſie die Willens-
kraft, die ſie bis dahin aufrecht gehalten. Die
Füße verſagten ihr den Dienſt, nur mit Mühe
ſchleppte ſie ſich zurück zu der Bank unter der Pla-
tane, dort ſank ſie wie gebrochen nieder.

Sie lehnte den Kopf gegen den Stamm des
Baumes, ſchloß die Augen und ſaß da, ſtarr, bleich
und regungslos, einem Marmorbilde gleich.

Durch die Bäume fuhr klagend ein Windſtoß,
die Schwäne hatten den See verlaſſen, um ihre
Neſter aufzuſuchen und die Dämmerung ging in
Dunkelheit über.

VI.

Die kleine St. Annenkirche war für den
morgenden Feſttag der Geburt Mariae, welche auch
[Spaltenumbruch] die Schutzpatronin des Gotteshauſes als Mutter
der Jungfrau beſonders feierte, mit Laubgewinden,
Topfgewächſen, Kränzen und Fahnen geſchmückt,
die bemalten Holzfiguren der Heiligen trugen ihre
beſten Gewänder und ihren koſtbarſten Schmuck,
vor mehreren Altären brannten Kerzen, in den
Stühlen knieten Beter und Beterinnen und am
Altare der heiligen Anna waltete ein junger, toten-
bleicher Prieſter ſeines Amtes.

Atemlos, keuchend, in kaltem Schweiß gebadet,
war Hellborn in ſeine Wohnung gelangt. Es war
ſpät geworden, die Stunde, welche ihn zum Gottes-
dienſt rief, hatte bereits geſchlagen; ſeine alte Haus-
hälterin lief ihm mit dem Rufe entgegen, er möge
eilen, in die Kirche zu kommen, der Meßner ſei
ſchon dageweſen und habe nach ihm gefragt. Er
machte jedoch keine Miene, ihrer Aufforderung
Folge zu leiſten, ſondern warf ſich, den Hut von
ſich ſchleudernd, in den nächſten Stuhl und rief:

„Ich gehe nicht in die Kirche, ich kann, —
ich kann nicht in die Kirche.“

Die Alte ſchlug erſchrocken die Hände zu-
ſammen und bekreuzte ſich. „Heilige gebenedeiete
Jungfrau, was iſt Ihnen?“ ſchrie ſie. „Sind
Sie krank?“

„Nein, nein!“ ſtöhnte Hellborn und wehrte
die auf ihn einredende Haushälterin ab, laſſen Sie
mich, Beate!“

„Wie ſehen Sie nur aus?“ fuhr die Alte fort,
während Hellborn ſich mit dem Taſchentuche die
Stirn trocknete, „Herr und Heiland, verzeihe mir
die Sünde, man ſollte meinen, der Böſe ſei Ihnen
da draußen begegnet.“

„Schweig!“ fuhr er ſo wütend auf, daß
[Spaltenumbruch] Beate, welche von ihrem Herrn Pfarrer nur ein
gütiges gelaſſenes Weſen kannte, erſchrocken zurück-
fuhr, verſtohlen nach ihrem Roſenkranz griff und
in aller Eile ein paar Paternoſter betete, überzeugt,
es könne bei ihm nicht mit rechten Dingen zugehen.

Nach einigen Minuten, während welcher er,
ohne ſich zu rühren, dageſeſſen hatte, glaubte ſie
doch ihn von neuem mahnen zu müſſen.

„Herr Pfarrer, ſoll ich Ihnen irgend eine
Herzſtärkung bringen?“ fragte ſie, „denn Sie
müſſen in die Kirche.“

Er ſchüttelte den Kopf. „Ich gehe nicht in
die Kirche.“

„Es iſt die höchſte Zeit.“

„Ich gehe nicht in die Kirche, nie, nie wieder
kann ich vor den Altar treten“, murmelte er für
ſich, Beatens Ohr hatte aber die Worte doch auf-
gefangen. Ratlos ſtand ſie da, aber ſchon kam ihr
Hilfe. Die Haustüre ward aufgeriſſen, die Stuben-
tür flog auf, der Meßner ſtürzt herein.

„Gelobt ſei Jeſus Chriſtus, da ſind Sie ja,
Herr Pfarrer!“ ſagte er, Atem ſchöpfend, „kommen
Sie in die Kirche, man wartet.“

„Ich kann nicht“, erwiderte der Pfarrer
dumpf, „holen Sie einen andern.“

„Die hochwürdigen Herren ſind nicht daheim,
ſo bleibt denn nichts übrig, Herr Pfarrer, Sie
müſſen kommen.“

„Ich will aber nicht!“ ſtöhnte der Pfarrer.

„Es harren auch zwei Frauen, die beichten
wollen, ehe ſie morgen zum Hochamt gehen“, fuhr
der Meßner dringender fort, „Sie dürfen die Kirche
nicht verwaiſt laſſen, kommen Sie.“

Der Mann ergriff Hellborn beim Arme und


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[[1]/0001] Marburger Zeitung. Der Preis des Blattes beträgt: Für Marburg: Ganzjährig 12 K, halbjährig 6 K, vierteljährig 3 K, monat- lich 1 K. Bei Zuſtellung ins Haus monatlich 20 h mehr. Mit Poſtverſendung: Ganzjährig 14 K, halbjährig 7 K, vierteljährig 3 K 50 h. Das Abonnement dauert bis zur ſchriftlichen Abbeſtellung. Erſcheint jeden Dienstag, Donnerstag und Samstag abends. Sprechſtunden des Schriftleiters an allen Wochentagen von 11—12 Uhr vorm. und von 5—6 Uhr nachm. Poſtgaſſe 4. Die Verwaltung befindet ſich: Poſtgaſſe 4. (Telephon-Nr. 24.) Einſchaltungen werden im Verlage des Blattes und von allen größeren Annoncen-Expeditionen entgegengenommen Inſeratenpreis: Für die 5mal geſpaltene Zeile 12 h, bei Wiederholung bedeut. Nachlaß. Schluß für Einſchaltungen Dienstag, Donnerstag, Samstag mittags. Manuſkripte werden nicht zurückgegeben. Die Einzelnummer koner 10 h. Nr. 153 Dienstag, 20. Dezember 1904 43. Jahrgang. Wo bleibt der Ackerbauminiſter? Vor wenigen Wochen hat Herr v. Koerber eine Erneuerung ſeines Miniſteriums vorgenommen, die ſich auch auf das Ackerbauminiſterium erſtreckte. Als damals bekannt wurde, daß an Stelle des ſchon lange vorher unmöglich gewordenen Barons Giovanelli mit dem Portefeuille des Ackerbau- miniſteriums Graf Buquoy bedacht worden ſei, da ging eine freudige Bewegung durch die Reihen unſerer nur-agrariſchen Agitatoren. Einer der ihrigen war zur Macht gelangt. Jetzt, ſo erzählte man den Bauern, werde für die öſterreichiſche Landwirtſchaft eine Epoche ungetrübteſten Glückes anbrechen. Denn Graf Buquoy ſei einer der Führer der ſogenannten „agrariſchen Bewegung“, mit ſeiner Ernennung zum Ackerbauminiſter ſei dieſe Bewegung zur Macht gelangt und habe einen Sieg errungen. Einen Sieg über wen? Wer war der Beſiegte? Etwa jener unglückſelige Geiſt des traditionellen öſter- reichiſchen Regierungsſyſtemes, der ſich in den Acker- bauminiſtern Grafen Falkenhayn und Baron Giovanelli verkörpert hatte, der Geiſt der Verneinung aller jener Forderungen, die ſeit Jahrzehnten vergeblich von den Bauern ge- ſtellt wurden? Nein, dieſer Geiſt wirkt auch heute noch, auch heute noch und trotz des Eintrittes des Grafen Buquoy in das Miniſterium Koerber harren die Bauern vergebens darauf, daß ſich die Regierung ernſtlich mit der Notlage des Bauern- ſtandes beſchäftige. Von einem Ackerbauminiſter, der, wie man ſagte, „von der mächtigen agrariſchen Bewegung zu ſeiner hohen Stellung emporgetragen worden war“, mußte man erwarten, daß ihm dieſe Bewe- gung, als deren Vertreter im Miniſterium er bezeichnet wurde und als welcher er auch gelten muß, erhöhten Einfluß auf die Entſchei- dungen des Geſamtminiſterium verleihen werde. Das Votum eines Ackerbauminiſters, der ſich auf eine, wie man ſagt, mächtige Bewegung zu ſtützen vermag, mußte auch bei ſolchen politiſchen Entſcheidungen ins Gewicht fallen, durch die bäuer- liche Intereſſen in Mitleidenſchaft gezogen wurden. Eine ſolche Entſcheidung war die über den bäuer- lichen Notſtandskredit von 15½ Millionen Kronen. Hier mußte ſich ein „agrariſcher“ Ackerbau- miniſter dafür einſetzen, daß dieſe Regierungsvorlage nicht an politiſche Bedingungen geknüpft wurde, durch die die Annahme der Vorlage in Frage ge- ſtellt erſchien. Ein einflußreicher Ackerbauminiſter durfte ſolchen Bedingungen im Miniſterrate nicht zuſtimmen, er mußte ſeinen Einfluß aufbieten, um die Stellung ſolcher Bedingungen, die einer frivolen Spekulation gleichkamen, zu ver- hindern und er mußte, wenn ſich ſein Einfluß als zu ſchwach erwies, die entſprechenden Konſe- quenzen ziehen. Das Geſamtminiſterium und damit auch der Ackerbauminiſter Graf Buquoy, machte den Not- ſtandskredit für die Bauernſchaft abhängig von der Bewilligung des ſogenannten Refundierungs- anleihens im Betrage von 69 Millionen Kronen. Als dieſe Forderung von der Negierung geſtellt wurde, mußte ſie wiſſen, daß ſie auf Widerſtand ſtoßen werde. Im Budgetausſchuſſe wurde denn auch, einem von der Freien Deutſchen Agrar- Vereinigung beſchloſſenen Dringlichkeitsantrage ent- ſprechend, zur Bedeckung des Notſtandskredites der Regierung die Ausgabe von Tilgungsrente im Betrage von 15½ Millionen Kronen bewilligt und das Haus der Abgeordneten hätte ohne Zweifel dem Antrage dees Budgetausſchuſſes zugeſtimmt. Die Regierung hatte alſo die Möglichkeit, auf Grund einer verfaſſungsmäßigen Bewilligung die Notſtandsunterſtützungen flüſſig zu machen. Von dieſer Möglichkeit machte ſie aber keinen Gebrauch, weil ihr der Budgetausſchuß nicht 69 Millionen bewilligte. Wo blieb hier der Einfluß des Ackerbauminiſters? Es war ein Intereſſe der Bauern, der durch Ueberſchwemmungen und Dürre notleidend gewordenen Bauern, das in Frage ſtand. Hier mußte der Einfluß des Ackerbauminiſters zur Geltung gebracht werden gegenüber den politiſchen Abſichten des Miniſterpräſidenten. Aber in dieſer Frage verſagte der „Einfluß“ des „nur-agrariſchen“ Ackerbauminiſters Grafen Buquoy vollſtändig — wenn er überhaupt geltend gemacht wurde. Daraus ergibt ſich: der Einfluß des Acker- bauminiſters auf die Entſcheidungen des Miniſteriums in ſolchen Fragen, die die Intereſſen des Bauern- ſtandes berühren, iſt gleich Null. Er beſteht leider nur in der Einbildung derjenigen, die ſich von den phraſenhaften Veröffentlichungen der „Zentralſtelle“ täuſchen ließen. Gleichzeitig ergibt ſich aber auch etwas anderes. Während der „agrariſche“ Acker- bauminiſter nicht über den Einfluß verfügt, den Notſtand der Bauern durch Unterſtützungen zu lin- dern, während ſein Einfluß nicht hinreicht, die Re- gierung von politiſchen Spekulationen mit der Bauernnot abzuhalten, benutzt die Regierung die agrariſchen Verbindungen des Grafen Buquoy zu Quertreibereien unter den deutſchen Bauern. Es iſt alſo nichts anderes als Bauern- fängerei, was die Regierung betreibt und von den „Nur-Agrariern“ betreiben läßt. Durch die Hetze gegen das Parlament, die planmäßig von oben betrieben wird, ſoll der Bauernſtand nicht zur Erkenntnis kommen, daß ſein wahrer Gegner die Regierung iſt. Graf Buquoy hat bis jetzt nur ſeine Einfluß- loſigkeit bewieſen. Von der Notſtandsunterſtützung hört man nichts. Aber vom Grafen Buquoy, dem einflußloſen Ackerbauminiſter, hören wir, daß er am 12. d. M. in Prag einer Feier „des Jubiläums der unbefleckten Empfängnis“ beiwohnte. Daß die Bauern angeſichts der Frömmigkeit des Acker- bauminiſters ſeine Einflußloſigkeit vergeſſen werden, bezweifeln wir. V. Liſchko. Ein Opfer. Erzählung von F. Arnefeldt. 14 (Nachdruck verboten) „Ich komme morgen wieder in Ihrer Mutter Haus.“ „Sie werden es verſchloſſen finden. Gehen Sie! —“ Es führten durch den Wald zwei Wege, der eine ging ſchnurſtracks auf das St. Annenthor zu, in deſſen unmittelbarer Nähe die St. Annen-Kapelle und die Pfarrwohnung lagen, der andere an den Weinbergen vorüber, nach der Vorſtadt, wo Frau von Staufen wohnte. Das junge Mädchen wandte ſich dem letzteren zu, es blieb Hellborn nichts übrig, als den erſteren einzuſchlagen. Veronika ging einige Schritte, dann ſtand ſie ſtill und lauſchte, und in dem Maße, als ſie ſeine Tritte verhallen hörte, verließ ſie die Willens- kraft, die ſie bis dahin aufrecht gehalten. Die Füße verſagten ihr den Dienſt, nur mit Mühe ſchleppte ſie ſich zurück zu der Bank unter der Pla- tane, dort ſank ſie wie gebrochen nieder. Sie lehnte den Kopf gegen den Stamm des Baumes, ſchloß die Augen und ſaß da, ſtarr, bleich und regungslos, einem Marmorbilde gleich. Durch die Bäume fuhr klagend ein Windſtoß, die Schwäne hatten den See verlaſſen, um ihre Neſter aufzuſuchen und die Dämmerung ging in Dunkelheit über. VI. Die kleine St. Annenkirche war für den morgenden Feſttag der Geburt Mariae, welche auch die Schutzpatronin des Gotteshauſes als Mutter der Jungfrau beſonders feierte, mit Laubgewinden, Topfgewächſen, Kränzen und Fahnen geſchmückt, die bemalten Holzfiguren der Heiligen trugen ihre beſten Gewänder und ihren koſtbarſten Schmuck, vor mehreren Altären brannten Kerzen, in den Stühlen knieten Beter und Beterinnen und am Altare der heiligen Anna waltete ein junger, toten- bleicher Prieſter ſeines Amtes. Atemlos, keuchend, in kaltem Schweiß gebadet, war Hellborn in ſeine Wohnung gelangt. Es war ſpät geworden, die Stunde, welche ihn zum Gottes- dienſt rief, hatte bereits geſchlagen; ſeine alte Haus- hälterin lief ihm mit dem Rufe entgegen, er möge eilen, in die Kirche zu kommen, der Meßner ſei ſchon dageweſen und habe nach ihm gefragt. Er machte jedoch keine Miene, ihrer Aufforderung Folge zu leiſten, ſondern warf ſich, den Hut von ſich ſchleudernd, in den nächſten Stuhl und rief: „Ich gehe nicht in die Kirche, ich kann, — ich kann nicht in die Kirche.“ Die Alte ſchlug erſchrocken die Hände zu- ſammen und bekreuzte ſich. „Heilige gebenedeiete Jungfrau, was iſt Ihnen?“ ſchrie ſie. „Sind Sie krank?“ „Nein, nein!“ ſtöhnte Hellborn und wehrte die auf ihn einredende Haushälterin ab, laſſen Sie mich, Beate!“ „Wie ſehen Sie nur aus?“ fuhr die Alte fort, während Hellborn ſich mit dem Taſchentuche die Stirn trocknete, „Herr und Heiland, verzeihe mir die Sünde, man ſollte meinen, der Böſe ſei Ihnen da draußen begegnet.“ „Schweig!“ fuhr er ſo wütend auf, daß Beate, welche von ihrem Herrn Pfarrer nur ein gütiges gelaſſenes Weſen kannte, erſchrocken zurück- fuhr, verſtohlen nach ihrem Roſenkranz griff und in aller Eile ein paar Paternoſter betete, überzeugt, es könne bei ihm nicht mit rechten Dingen zugehen. Nach einigen Minuten, während welcher er, ohne ſich zu rühren, dageſeſſen hatte, glaubte ſie doch ihn von neuem mahnen zu müſſen. „Herr Pfarrer, ſoll ich Ihnen irgend eine Herzſtärkung bringen?“ fragte ſie, „denn Sie müſſen in die Kirche.“ Er ſchüttelte den Kopf. „Ich gehe nicht in die Kirche.“ „Es iſt die höchſte Zeit.“ „Ich gehe nicht in die Kirche, nie, nie wieder kann ich vor den Altar treten“, murmelte er für ſich, Beatens Ohr hatte aber die Worte doch auf- gefangen. Ratlos ſtand ſie da, aber ſchon kam ihr Hilfe. Die Haustüre ward aufgeriſſen, die Stuben- tür flog auf, der Meßner ſtürzt herein. „Gelobt ſei Jeſus Chriſtus, da ſind Sie ja, Herr Pfarrer!“ ſagte er, Atem ſchöpfend, „kommen Sie in die Kirche, man wartet.“ „Ich kann nicht“, erwiderte der Pfarrer dumpf, „holen Sie einen andern.“ „Die hochwürdigen Herren ſind nicht daheim, ſo bleibt denn nichts übrig, Herr Pfarrer, Sie müſſen kommen.“ „Ich will aber nicht!“ ſtöhnte der Pfarrer. „Es harren auch zwei Frauen, die beichten wollen, ehe ſie morgen zum Hochamt gehen“, fuhr der Meßner dringender fort, „Sie dürfen die Kirche nicht verwaiſt laſſen, kommen Sie.“ Der Mann ergriff Hellborn beim Arme und

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Zitationshilfe: Marburger Zeitung. Nr. 153, Marburg, 20.12.1904, S. [1]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_marburger153_1904/1>, abgerufen am 23.11.2024.