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Mainzer Journal. Nr. 267. Mainz, 10. November 1849.

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[Beginn Spaltensatz] tung noch je der Fall gewesen ist; die Zukunft wird das Weitere
lehren 1).

Das Aergste aber bei dem Amnestiegesetz ist das Ende, wor-
nach alle Kosten der niedergeschlagenen Untersuchungen von der
Staatscasse, d. h. von dem Gelde Derer bezahlt wer-
den, welche unschuldig und der legitimen Regie-
rung hold und treu geblieben sind
und schon mehr als
genug die schrecklichen Folgen der versuchten Revolution empfun-
den haben. Wie dies versöhnend wirken soll, vermögen wir
nicht einzusehen. Man hätte wahrhaftig besser diese Untersuch-
ungen gar nicht angefangen und wenn einmal doch nichts Rechtes
geschehen soll, lieber [unleserliches Material - 9 Zeichen fehlen]Allesehen und stehen lassen, dann wäre
doch wenigstens etwas gewonnen, nämlich die Kostenersparniß,
während man jetzt mit bedeutendem Kostenaufwande viel Lärm
um nichts gemacht hat. Wir zweifeln übrigens nicht im Gering-
sten daran, daß die linke Seite der Kammer ihr Möglichstes thun
wird, mit der Gerechtigkeit noch sparsamer umzugehen, dagegen
die Armencasse des Volkes noch weiter zu öffnen. Sie wird aber
immer mehr und mehr dazu beitragen, wie denn die linke Seite
aller Kammern, von der sich souverän nennenden großen Frankfur-
ter Volkskammer an bis zur kleinsten Volkskammer des kleinsten
deutschen Staates herab, vor und seit den Märzerrungenschaften
das Jhrige dazu beigetragen hat, das ständische Regiment in
Mißeredit zu bringen, so daß man am Ende in der monarchischen
Autokratie das einzige Schutzmittel für Ruhe und Ordnung zu
suchen gezwungen wird.

Die einzige erfreuliche Erscheinung unserer kritischen Zeit ist
das endlich ob zwar mühevoll und mit genauer Noth zwischen
den beiden hegemonischen Staaten Deutschlands, zwischen Oester-
reich und Preußen zu Stande gekommene Jnterim. Wir wün-
schen recht sehr, daß dieses politische Jnterim von 1849 einen
freundlicheren Ausgang nehme als das religiöse Jnterim von
1548. Jedenfalls ist dasselbe der einzige Weg, auf welchem eine
definitive Gestaltung der deutschen öffentlichen Verhältnisse reali-
sirt und eine verbesserte Auflage der Bundesacte veranstaltet wer-
den kann, während die durch "einen Compromiß zwischen den
Parteien" lebensunfähig geborene Frankfurter Reichsverfassung
und das unglückliche Project der preußischen Dreikönigsverfassung
nur geeignet waren, die noch bestehenden Bruchstücke des eyemaligen
Reiches deutscher Nation in einen nur dem Auslande frommenden
unheilbaren Conflict zu bringen und die politische Asthenie Deutsch-
lands zu verewigen. Der ehrenvolle Austritt der Königreiche
Hannover und Sachsen aus dem Sonderbunde und der ton-
angebende Beitritt des Königreichs Bayern zum
Jnterim
eröffnen eine etwas weniger trübe Aussicht in die Zu-
kunft. Wir begrüßen daher das Jnterim als eine hoffentlich
Joyeuse Entree zu einer baldigen Einigung und Eintracht der
deutschen Stämme. Nur beklagen kann man es daher, wenn
der "gefeierte" Heinrich v. Gagern, welcher Deutschlands Zer-
rissenheit, die in den deutschen Staaten in Fülle vorhandenen
chemischen Stoffe und das heillose Treiben der Meneurs der
revolutionären Partei kennen zu lernen so viele Gelegenheit und
Veranlassung hatte, es über sich gewinnen konnte, in Gesellschaft
eines Herrn Mathy als politischer Commis voyageur im Jn-
teresse des preußischen Sonderbundes eine Rundreise zu machen
und in Bremen und Hamburg, und zwar an letzterem Orte in
Compagnie des Rebellen Klapka wohlpräparirte Festreden zu
halten. Er hat vollkommen Recht gehabt an der Bremer Tafel
feierlich dagegen zu protestiren, daß er ein Staatsmann sey,
welcher nach tiefdurchdachtem Plane die Geschicke eines Volkes zu
regeln vermöge. Wahrlich dies Geschick besitzt er nicht, und Wen
sein früheres Wirken bei der Frankfurter Versammlung davon
nicht überzeugen konnte, den mußten die an der Tafel zu Bremen
abgelegten Bekenntnisse darüber auf das Schlagendste belehren,
daß dieser Mann der politischen Semiotik ebenso unkundig ist,
als der politischen Therapeutik. Und dazu kommt nun noch
Herrn Mathy's Accompagnement, welches selbst die beste Sache
zu verderben geeignet ist. War es doch der ehemalige Reichs-
Unterstaatssecretär und nunmehrige hochbesoldete badische Staats-
rath Mathy, welcher nach der in der Schweizer Demagogen-
schule erhaltenen Vorbildung mit Vater Jtzstein und Consorten
Alles aufgeboten hat unter der Firma des deutschen Geistes in
Baden den revolutionären Unrath in solcher Masse anzuhäufen,
[Spaltenumbruch] daß dieses Land darunter so tief und schmachvoll gesunken ist, als
wir gegenwärtig sehen. Wenn daher Herr Mathy in Bremen
einen Toast ausbrachte "dem wahren Oberhaupte des deutschen
Reiches, dem deutschen Geiste," so hat dieser Toast aus solchem
Munde einen ebenso widerlichen als schauerlichen Klang. Wir
wissen es zwar leider wohl, es gibt gewisse Gebrechen, die sich
nicht leicht heilen lassen und sowie man Beispiele hat, daß ein
Bandwurm sich so tief in das Leben seines Trägers verflochten
hat, daß dessen Tödtung auch den Letzteren mit tödtete, so ist man
versucht dies auch von dem gegenwärtig so tief in den Organis-
mus unserer Staaten verflochtenen demokratischen Pruritus zu
behaupten. Hier bleibt nichts übrig als es zu machen wie es in
der Musik gemacht wird, wo es auch Dissonanzen gibt, die sich
einmal nicht aufheben lassen und welche ein geschickter Compositeur
durch Vertheilung temperirt. Mit aller Kraft und dem äußersten
Nachdruck muß jedoch dahin gewirkt werden, daß die Demokratie
nicht in Dämonokratie ausarte, wie dies in Baden und der Pfalz,
in Wien und Berlin, in Paris und Rom, in Jtalien und Un-
garn geschehen ist und, wenn nicht bei Zeiten gehörige nachhaltige
Vorsorge getroffen wird, wieder geschehen kann. Gegen die
dämonokratische Gewalt kann aber nur in deren Gegensatz Schutz
und Schirm gefunden werden, in der theokratischen Gewalt, alle
anderen Mittel und Mittelchen bleiben hier stets ungenügende,
nur suspensive Palliative.



Deutschland.

Wien 6. November. Ueber die Differenzen mit der Türkei,
ob und wie nahe ihre Lösung bevorsteht, herrscht hier vollkommene
Unkunde. Nach den Berichten des "Wanderers" scheint es, als
deuteten die Rüstungen der Pforte wie Englands auf ernste Ka-
tastrophen; im Allgemeinen glaubt man in ihnen nichts als eine
nöthige Vorsichtsmaßregel zu sehen, um bei einer unerwarteten
Wendung der Dinge "schlagfertig" zu seyn. Bedeutungsvoll er-
scheinen dem "Wanderer" einerseits sowohl der Rückzug der
russischen Truppen aus Galizien, als die von ihm behauptete
Geneigtheit Rußlands zu Unterhandlungen mit Cirkassien und
die neu angeordnete Rekrutirung, andererseits die stillen Rüstun-
gen der Pforte, die Einreihungen der Rajahs, die Verlegung
des polnischen Generals Wysocki mit seiner Schaar nach Schumla,
wo auch Bem sich befinde, und besonders die Unerschütterlichkeit
des gegenwärtigen Ministeriums, dessen gefährlicher Feind Musta
Pascha jetzt entfernt sey. -- Diesen Augurien gegenüber stellen
Nachrichten aus der Militärgrenze, wiewohl sie nicht leugnen,
daß auch dort eine Partei den Bruch für unvermeidlich halte, eine
friedliche Lösung mit aller Bestimmtheit in Aussicht. Nicht blose
Vermuthung, sondern Thatsache ist, daß in Croatien und Bos-
nien die kriegerische Stimmung vorherrscht.

Es ist kaum möglich, im Urtheile all' den umfassenden, sich
so schnell auf einander folgenden organischen Gesetzen zu
folgen, wie sie das officielle Organ der Wiener Zeitung fast täg-
lich bringt. Die heute kundgemachte Organisation des Ge-
richtswesens in Ungarn
verdient alle Aufmerksamkeit.
Man kann dieses höchst wichtige Actenstück nicht durchlesen, ohne
von den ungeheueren Schwierigkeiten, die sich der Durchführung
jeder regelmäßigen richterlichen Thätigkeit in einem Lande wie
Ungarn in den Weg stellen, einen wirklich entmuthigenden Ein-
druck zu erhalten. Minister Schmerling hat Recht, es muß
Alles neu geschaffen und von Grund aus gebaut werden. Wo es
an Allem fehlt, die Gesetzbücher unvollkommen, die Gerichte nicht
organisirt sind, das Verfahren in Civil= und Straffällen durch
zahllose, hier legale Ausflüchte gehemmt ist, wie läßt sich da
auf das Vorhandene bauen? -- Eine gänzlich neue Einrichtung
nach den Principien der Gleichberechtigung Aller läßt sich nicht
im Augenblicke hervorzaubern. Wo die Richter finden und wie
die Gesetze im Verlaufe einiger Tage abfassen? -- Man muß
gerecht seyn, der Minister hat gethan, was unter solchen Um-
ständen zu thun möglich war, er hat die Einführung eines besseren
Zustandes vorbereitet.

Jn wenigen Tagen erwartet man eine Verordnung über die
Reorganisation Galiziens.
Jm Laufe des nächsten Mo-
nates werden, wie verlautet, die Landesverfassungen für
die einzelnen Kronländer ausgegeben werden. Die Regierung
ist fest entschlossen, sich durch diese Operate des Oberhauses am
künftigen Reichstage zu versichern; was sie fürchtet, ist der Fö-
deralismus, der namentlich bei den Slaven zur fixen Jdee ge-
worden ist. Wenn man die Zustände Oesterreichs beurtheilt, darf
man nicht vergessen, daß die Nothwendigkeit, die Centralisation
zu erzwingen, ein strengeres Festhalten an der von der Regie-
rung zu übenden Executivgewalt fordert und einzelne Abweichun-
gen vom constitutionellen Geiste nothwendig machen kann.

[Ende Spaltensatz]
1) Es bedarf hier keiner besonderen politischen Mantik; man darf
sich nur an die Worte erinnern, welche der hochwürdige, jetzt amnestirte
Herr Tafel unlängst in der Kammer keck ausgesprochen hat, " daß er
die pfälzische Rebellion von Herzen billige und billigen
werde, wenn sie wieder nothwendig erscheine,
" welcher es
obendrein noch gewagt hat, mit sykophantischer Unverschämtheit die
pfälzischen Herren Staatsprocuratoren das schimpfliche Joch seines com-
prommittirenden Lobes passiren zu lassen.

[Beginn Spaltensatz] tung noch je der Fall gewesen ist; die Zukunft wird das Weitere
lehren 1).

Das Aergste aber bei dem Amnestiegesetz ist das Ende, wor-
nach alle Kosten der niedergeschlagenen Untersuchungen von der
Staatscasse, d. h. von dem Gelde Derer bezahlt wer-
den, welche unschuldig und der legitimen Regie-
rung hold und treu geblieben sind
und schon mehr als
genug die schrecklichen Folgen der versuchten Revolution empfun-
den haben. Wie dies versöhnend wirken soll, vermögen wir
nicht einzusehen. Man hätte wahrhaftig besser diese Untersuch-
ungen gar nicht angefangen und wenn einmal doch nichts Rechtes
geschehen soll, lieber [unleserliches Material – 9 Zeichen fehlen]Allesehen und stehen lassen, dann wäre
doch wenigstens etwas gewonnen, nämlich die Kostenersparniß,
während man jetzt mit bedeutendem Kostenaufwande viel Lärm
um nichts gemacht hat. Wir zweifeln übrigens nicht im Gering-
sten daran, daß die linke Seite der Kammer ihr Möglichstes thun
wird, mit der Gerechtigkeit noch sparsamer umzugehen, dagegen
die Armencasse des Volkes noch weiter zu öffnen. Sie wird aber
immer mehr und mehr dazu beitragen, wie denn die linke Seite
aller Kammern, von der sich souverän nennenden großen Frankfur-
ter Volkskammer an bis zur kleinsten Volkskammer des kleinsten
deutschen Staates herab, vor und seit den Märzerrungenschaften
das Jhrige dazu beigetragen hat, das ständische Regiment in
Mißeredit zu bringen, so daß man am Ende in der monarchischen
Autokratie das einzige Schutzmittel für Ruhe und Ordnung zu
suchen gezwungen wird.

Die einzige erfreuliche Erscheinung unserer kritischen Zeit ist
das endlich ob zwar mühevoll und mit genauer Noth zwischen
den beiden hegemonischen Staaten Deutschlands, zwischen Oester-
reich und Preußen zu Stande gekommene Jnterim. Wir wün-
schen recht sehr, daß dieses politische Jnterim von 1849 einen
freundlicheren Ausgang nehme als das religiöse Jnterim von
1548. Jedenfalls ist dasselbe der einzige Weg, auf welchem eine
definitive Gestaltung der deutschen öffentlichen Verhältnisse reali-
sirt und eine verbesserte Auflage der Bundesacte veranstaltet wer-
den kann, während die durch „einen Compromiß zwischen den
Parteien“ lebensunfähig geborene Frankfurter Reichsverfassung
und das unglückliche Project der preußischen Dreikönigsverfassung
nur geeignet waren, die noch bestehenden Bruchstücke des eyemaligen
Reiches deutscher Nation in einen nur dem Auslande frommenden
unheilbaren Conflict zu bringen und die politische Asthenie Deutsch-
lands zu verewigen. Der ehrenvolle Austritt der Königreiche
Hannover und Sachsen aus dem Sonderbunde und der ton-
angebende Beitritt des Königreichs Bayern zum
Jnterim
eröffnen eine etwas weniger trübe Aussicht in die Zu-
kunft. Wir begrüßen daher das Jnterim als eine hoffentlich
Joyeuse Entrée zu einer baldigen Einigung und Eintracht der
deutschen Stämme. Nur beklagen kann man es daher, wenn
der „gefeierte“ Heinrich v. Gagern, welcher Deutschlands Zer-
rissenheit, die in den deutschen Staaten in Fülle vorhandenen
chemischen Stoffe und das heillose Treiben der Meneurs der
revolutionären Partei kennen zu lernen so viele Gelegenheit und
Veranlassung hatte, es über sich gewinnen konnte, in Gesellschaft
eines Herrn Mathy als politischer Commis voyageur im Jn-
teresse des preußischen Sonderbundes eine Rundreise zu machen
und in Bremen und Hamburg, und zwar an letzterem Orte in
Compagnie des Rebellen Klapka wohlpräparirte Festreden zu
halten. Er hat vollkommen Recht gehabt an der Bremer Tafel
feierlich dagegen zu protestiren, daß er ein Staatsmann sey,
welcher nach tiefdurchdachtem Plane die Geschicke eines Volkes zu
regeln vermöge. Wahrlich dies Geschick besitzt er nicht, und Wen
sein früheres Wirken bei der Frankfurter Versammlung davon
nicht überzeugen konnte, den mußten die an der Tafel zu Bremen
abgelegten Bekenntnisse darüber auf das Schlagendste belehren,
daß dieser Mann der politischen Semiotik ebenso unkundig ist,
als der politischen Therapeutik. Und dazu kommt nun noch
Herrn Mathy's Accompagnement, welches selbst die beste Sache
zu verderben geeignet ist. War es doch der ehemalige Reichs-
Unterstaatssecretär und nunmehrige hochbesoldete badische Staats-
rath Mathy, welcher nach der in der Schweizer Demagogen-
schule erhaltenen Vorbildung mit Vater Jtzstein und Consorten
Alles aufgeboten hat unter der Firma des deutschen Geistes in
Baden den revolutionären Unrath in solcher Masse anzuhäufen,
[Spaltenumbruch] daß dieses Land darunter so tief und schmachvoll gesunken ist, als
wir gegenwärtig sehen. Wenn daher Herr Mathy in Bremen
einen Toast ausbrachte „dem wahren Oberhaupte des deutschen
Reiches, dem deutschen Geiste,“ so hat dieser Toast aus solchem
Munde einen ebenso widerlichen als schauerlichen Klang. Wir
wissen es zwar leider wohl, es gibt gewisse Gebrechen, die sich
nicht leicht heilen lassen und sowie man Beispiele hat, daß ein
Bandwurm sich so tief in das Leben seines Trägers verflochten
hat, daß dessen Tödtung auch den Letzteren mit tödtete, so ist man
versucht dies auch von dem gegenwärtig so tief in den Organis-
mus unserer Staaten verflochtenen demokratischen Pruritus zu
behaupten. Hier bleibt nichts übrig als es zu machen wie es in
der Musik gemacht wird, wo es auch Dissonanzen gibt, die sich
einmal nicht aufheben lassen und welche ein geschickter Compositeur
durch Vertheilung temperirt. Mit aller Kraft und dem äußersten
Nachdruck muß jedoch dahin gewirkt werden, daß die Demokratie
nicht in Dämonokratie ausarte, wie dies in Baden und der Pfalz,
in Wien und Berlin, in Paris und Rom, in Jtalien und Un-
garn geschehen ist und, wenn nicht bei Zeiten gehörige nachhaltige
Vorsorge getroffen wird, wieder geschehen kann. Gegen die
dämonokratische Gewalt kann aber nur in deren Gegensatz Schutz
und Schirm gefunden werden, in der theokratischen Gewalt, alle
anderen Mittel und Mittelchen bleiben hier stets ungenügende,
nur suspensive Palliative.



Deutschland.

Wien 6. November. Ueber die Differenzen mit der Türkei,
ob und wie nahe ihre Lösung bevorsteht, herrscht hier vollkommene
Unkunde. Nach den Berichten des „Wanderers“ scheint es, als
deuteten die Rüstungen der Pforte wie Englands auf ernste Ka-
tastrophen; im Allgemeinen glaubt man in ihnen nichts als eine
nöthige Vorsichtsmaßregel zu sehen, um bei einer unerwarteten
Wendung der Dinge „schlagfertig“ zu seyn. Bedeutungsvoll er-
scheinen dem „Wanderer“ einerseits sowohl der Rückzug der
russischen Truppen aus Galizien, als die von ihm behauptete
Geneigtheit Rußlands zu Unterhandlungen mit Cirkassien und
die neu angeordnete Rekrutirung, andererseits die stillen Rüstun-
gen der Pforte, die Einreihungen der Rajahs, die Verlegung
des polnischen Generals Wysocki mit seiner Schaar nach Schumla,
wo auch Bem sich befinde, und besonders die Unerschütterlichkeit
des gegenwärtigen Ministeriums, dessen gefährlicher Feind Musta
Pascha jetzt entfernt sey. — Diesen Augurien gegenüber stellen
Nachrichten aus der Militärgrenze, wiewohl sie nicht leugnen,
daß auch dort eine Partei den Bruch für unvermeidlich halte, eine
friedliche Lösung mit aller Bestimmtheit in Aussicht. Nicht blose
Vermuthung, sondern Thatsache ist, daß in Croatien und Bos-
nien die kriegerische Stimmung vorherrscht.

Es ist kaum möglich, im Urtheile all' den umfassenden, sich
so schnell auf einander folgenden organischen Gesetzen zu
folgen, wie sie das officielle Organ der Wiener Zeitung fast täg-
lich bringt. Die heute kundgemachte Organisation des Ge-
richtswesens in Ungarn
verdient alle Aufmerksamkeit.
Man kann dieses höchst wichtige Actenstück nicht durchlesen, ohne
von den ungeheueren Schwierigkeiten, die sich der Durchführung
jeder regelmäßigen richterlichen Thätigkeit in einem Lande wie
Ungarn in den Weg stellen, einen wirklich entmuthigenden Ein-
druck zu erhalten. Minister Schmerling hat Recht, es muß
Alles neu geschaffen und von Grund aus gebaut werden. Wo es
an Allem fehlt, die Gesetzbücher unvollkommen, die Gerichte nicht
organisirt sind, das Verfahren in Civil= und Straffällen durch
zahllose, hier legale Ausflüchte gehemmt ist, wie läßt sich da
auf das Vorhandene bauen? — Eine gänzlich neue Einrichtung
nach den Principien der Gleichberechtigung Aller läßt sich nicht
im Augenblicke hervorzaubern. Wo die Richter finden und wie
die Gesetze im Verlaufe einiger Tage abfassen? — Man muß
gerecht seyn, der Minister hat gethan, was unter solchen Um-
ständen zu thun möglich war, er hat die Einführung eines besseren
Zustandes vorbereitet.

Jn wenigen Tagen erwartet man eine Verordnung über die
Reorganisation Galiziens.
Jm Laufe des nächsten Mo-
nates werden, wie verlautet, die Landesverfassungen für
die einzelnen Kronländer ausgegeben werden. Die Regierung
ist fest entschlossen, sich durch diese Operate des Oberhauses am
künftigen Reichstage zu versichern; was sie fürchtet, ist der Fö-
deralismus, der namentlich bei den Slaven zur fixen Jdee ge-
worden ist. Wenn man die Zustände Oesterreichs beurtheilt, darf
man nicht vergessen, daß die Nothwendigkeit, die Centralisation
zu erzwingen, ein strengeres Festhalten an der von der Regie-
rung zu übenden Executivgewalt fordert und einzelne Abweichun-
gen vom constitutionellen Geiste nothwendig machen kann.

[Ende Spaltensatz]
1) Es bedarf hier keiner besonderen politischen Mantik; man darf
sich nur an die Worte erinnern, welche der hochwürdige, jetzt amnestirte
Herr Tafel unlängst in der Kammer keck ausgesprochen hat, „ daß er
die pfälzische Rebellion von Herzen billige und billigen
werde, wenn sie wieder nothwendig erscheine,
“ welcher es
obendrein noch gewagt hat, mit sykophantischer Unverschämtheit die
pfälzischen Herren Staatsprocuratoren das schimpfliche Joch seines com-
prommittirenden Lobes passiren zu lassen.
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[0002] tung noch je der Fall gewesen ist; die Zukunft wird das Weitere lehren 1). Das Aergste aber bei dem Amnestiegesetz ist das Ende, wor- nach alle Kosten der niedergeschlagenen Untersuchungen von der Staatscasse, d. h. von dem Gelde Derer bezahlt wer- den, welche unschuldig und der legitimen Regie- rung hold und treu geblieben sind und schon mehr als genug die schrecklichen Folgen der versuchten Revolution empfun- den haben. Wie dies versöhnend wirken soll, vermögen wir nicht einzusehen. Man hätte wahrhaftig besser diese Untersuch- ungen gar nicht angefangen und wenn einmal doch nichts Rechtes geschehen soll, lieber _________Allesehen und stehen lassen, dann wäre doch wenigstens etwas gewonnen, nämlich die Kostenersparniß, während man jetzt mit bedeutendem Kostenaufwande viel Lärm um nichts gemacht hat. Wir zweifeln übrigens nicht im Gering- sten daran, daß die linke Seite der Kammer ihr Möglichstes thun wird, mit der Gerechtigkeit noch sparsamer umzugehen, dagegen die Armencasse des Volkes noch weiter zu öffnen. Sie wird aber immer mehr und mehr dazu beitragen, wie denn die linke Seite aller Kammern, von der sich souverän nennenden großen Frankfur- ter Volkskammer an bis zur kleinsten Volkskammer des kleinsten deutschen Staates herab, vor und seit den Märzerrungenschaften das Jhrige dazu beigetragen hat, das ständische Regiment in Mißeredit zu bringen, so daß man am Ende in der monarchischen Autokratie das einzige Schutzmittel für Ruhe und Ordnung zu suchen gezwungen wird. Die einzige erfreuliche Erscheinung unserer kritischen Zeit ist das endlich ob zwar mühevoll und mit genauer Noth zwischen den beiden hegemonischen Staaten Deutschlands, zwischen Oester- reich und Preußen zu Stande gekommene Jnterim. Wir wün- schen recht sehr, daß dieses politische Jnterim von 1849 einen freundlicheren Ausgang nehme als das religiöse Jnterim von 1548. Jedenfalls ist dasselbe der einzige Weg, auf welchem eine definitive Gestaltung der deutschen öffentlichen Verhältnisse reali- sirt und eine verbesserte Auflage der Bundesacte veranstaltet wer- den kann, während die durch „einen Compromiß zwischen den Parteien“ lebensunfähig geborene Frankfurter Reichsverfassung und das unglückliche Project der preußischen Dreikönigsverfassung nur geeignet waren, die noch bestehenden Bruchstücke des eyemaligen Reiches deutscher Nation in einen nur dem Auslande frommenden unheilbaren Conflict zu bringen und die politische Asthenie Deutsch- lands zu verewigen. Der ehrenvolle Austritt der Königreiche Hannover und Sachsen aus dem Sonderbunde und der ton- angebende Beitritt des Königreichs Bayern zum Jnterim eröffnen eine etwas weniger trübe Aussicht in die Zu- kunft. Wir begrüßen daher das Jnterim als eine hoffentlich Joyeuse Entrée zu einer baldigen Einigung und Eintracht der deutschen Stämme. Nur beklagen kann man es daher, wenn der „gefeierte“ Heinrich v. Gagern, welcher Deutschlands Zer- rissenheit, die in den deutschen Staaten in Fülle vorhandenen chemischen Stoffe und das heillose Treiben der Meneurs der revolutionären Partei kennen zu lernen so viele Gelegenheit und Veranlassung hatte, es über sich gewinnen konnte, in Gesellschaft eines Herrn Mathy als politischer Commis voyageur im Jn- teresse des preußischen Sonderbundes eine Rundreise zu machen und in Bremen und Hamburg, und zwar an letzterem Orte in Compagnie des Rebellen Klapka wohlpräparirte Festreden zu halten. Er hat vollkommen Recht gehabt an der Bremer Tafel feierlich dagegen zu protestiren, daß er ein Staatsmann sey, welcher nach tiefdurchdachtem Plane die Geschicke eines Volkes zu regeln vermöge. Wahrlich dies Geschick besitzt er nicht, und Wen sein früheres Wirken bei der Frankfurter Versammlung davon nicht überzeugen konnte, den mußten die an der Tafel zu Bremen abgelegten Bekenntnisse darüber auf das Schlagendste belehren, daß dieser Mann der politischen Semiotik ebenso unkundig ist, als der politischen Therapeutik. Und dazu kommt nun noch Herrn Mathy's Accompagnement, welches selbst die beste Sache zu verderben geeignet ist. War es doch der ehemalige Reichs- Unterstaatssecretär und nunmehrige hochbesoldete badische Staats- rath Mathy, welcher nach der in der Schweizer Demagogen- schule erhaltenen Vorbildung mit Vater Jtzstein und Consorten Alles aufgeboten hat unter der Firma des deutschen Geistes in Baden den revolutionären Unrath in solcher Masse anzuhäufen, daß dieses Land darunter so tief und schmachvoll gesunken ist, als wir gegenwärtig sehen. Wenn daher Herr Mathy in Bremen einen Toast ausbrachte „dem wahren Oberhaupte des deutschen Reiches, dem deutschen Geiste,“ so hat dieser Toast aus solchem Munde einen ebenso widerlichen als schauerlichen Klang. Wir wissen es zwar leider wohl, es gibt gewisse Gebrechen, die sich nicht leicht heilen lassen und sowie man Beispiele hat, daß ein Bandwurm sich so tief in das Leben seines Trägers verflochten hat, daß dessen Tödtung auch den Letzteren mit tödtete, so ist man versucht dies auch von dem gegenwärtig so tief in den Organis- mus unserer Staaten verflochtenen demokratischen Pruritus zu behaupten. Hier bleibt nichts übrig als es zu machen wie es in der Musik gemacht wird, wo es auch Dissonanzen gibt, die sich einmal nicht aufheben lassen und welche ein geschickter Compositeur durch Vertheilung temperirt. Mit aller Kraft und dem äußersten Nachdruck muß jedoch dahin gewirkt werden, daß die Demokratie nicht in Dämonokratie ausarte, wie dies in Baden und der Pfalz, in Wien und Berlin, in Paris und Rom, in Jtalien und Un- garn geschehen ist und, wenn nicht bei Zeiten gehörige nachhaltige Vorsorge getroffen wird, wieder geschehen kann. Gegen die dämonokratische Gewalt kann aber nur in deren Gegensatz Schutz und Schirm gefunden werden, in der theokratischen Gewalt, alle anderen Mittel und Mittelchen bleiben hier stets ungenügende, nur suspensive Palliative. Deutschland. Wien 6. November. Ueber die Differenzen mit der Türkei, ob und wie nahe ihre Lösung bevorsteht, herrscht hier vollkommene Unkunde. Nach den Berichten des „Wanderers“ scheint es, als deuteten die Rüstungen der Pforte wie Englands auf ernste Ka- tastrophen; im Allgemeinen glaubt man in ihnen nichts als eine nöthige Vorsichtsmaßregel zu sehen, um bei einer unerwarteten Wendung der Dinge „schlagfertig“ zu seyn. Bedeutungsvoll er- scheinen dem „Wanderer“ einerseits sowohl der Rückzug der russischen Truppen aus Galizien, als die von ihm behauptete Geneigtheit Rußlands zu Unterhandlungen mit Cirkassien und die neu angeordnete Rekrutirung, andererseits die stillen Rüstun- gen der Pforte, die Einreihungen der Rajahs, die Verlegung des polnischen Generals Wysocki mit seiner Schaar nach Schumla, wo auch Bem sich befinde, und besonders die Unerschütterlichkeit des gegenwärtigen Ministeriums, dessen gefährlicher Feind Musta Pascha jetzt entfernt sey. — Diesen Augurien gegenüber stellen Nachrichten aus der Militärgrenze, wiewohl sie nicht leugnen, daß auch dort eine Partei den Bruch für unvermeidlich halte, eine friedliche Lösung mit aller Bestimmtheit in Aussicht. Nicht blose Vermuthung, sondern Thatsache ist, daß in Croatien und Bos- nien die kriegerische Stimmung vorherrscht. Es ist kaum möglich, im Urtheile all' den umfassenden, sich so schnell auf einander folgenden organischen Gesetzen zu folgen, wie sie das officielle Organ der Wiener Zeitung fast täg- lich bringt. Die heute kundgemachte Organisation des Ge- richtswesens in Ungarn verdient alle Aufmerksamkeit. Man kann dieses höchst wichtige Actenstück nicht durchlesen, ohne von den ungeheueren Schwierigkeiten, die sich der Durchführung jeder regelmäßigen richterlichen Thätigkeit in einem Lande wie Ungarn in den Weg stellen, einen wirklich entmuthigenden Ein- druck zu erhalten. Minister Schmerling hat Recht, es muß Alles neu geschaffen und von Grund aus gebaut werden. Wo es an Allem fehlt, die Gesetzbücher unvollkommen, die Gerichte nicht organisirt sind, das Verfahren in Civil= und Straffällen durch zahllose, hier legale Ausflüchte gehemmt ist, wie läßt sich da auf das Vorhandene bauen? — Eine gänzlich neue Einrichtung nach den Principien der Gleichberechtigung Aller läßt sich nicht im Augenblicke hervorzaubern. Wo die Richter finden und wie die Gesetze im Verlaufe einiger Tage abfassen? — Man muß gerecht seyn, der Minister hat gethan, was unter solchen Um- ständen zu thun möglich war, er hat die Einführung eines besseren Zustandes vorbereitet. Jn wenigen Tagen erwartet man eine Verordnung über die Reorganisation Galiziens. Jm Laufe des nächsten Mo- nates werden, wie verlautet, die Landesverfassungen für die einzelnen Kronländer ausgegeben werden. Die Regierung ist fest entschlossen, sich durch diese Operate des Oberhauses am künftigen Reichstage zu versichern; was sie fürchtet, ist der Fö- deralismus, der namentlich bei den Slaven zur fixen Jdee ge- worden ist. Wenn man die Zustände Oesterreichs beurtheilt, darf man nicht vergessen, daß die Nothwendigkeit, die Centralisation zu erzwingen, ein strengeres Festhalten an der von der Regie- rung zu übenden Executivgewalt fordert und einzelne Abweichun- gen vom constitutionellen Geiste nothwendig machen kann. 1) Es bedarf hier keiner besonderen politischen Mantik; man darf sich nur an die Worte erinnern, welche der hochwürdige, jetzt amnestirte Herr Tafel unlängst in der Kammer keck ausgesprochen hat, „ daß er die pfälzische Rebellion von Herzen billige und billigen werde, wenn sie wieder nothwendig erscheine, “ welcher es obendrein noch gewagt hat, mit sykophantischer Unverschämtheit die pfälzischen Herren Staatsprocuratoren das schimpfliche Joch seines com- prommittirenden Lobes passiren zu lassen.

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Zitationshilfe: Mainzer Journal. Nr. 267. Mainz, 10. November 1849, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_mainzerjournal267_1849/2>, abgerufen am 14.08.2024.