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Mainzer Journal. Nr. 261. Mainz, 3. November 1849.

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Erste Beilage zum Mainzer Journal.


Nro 261. Sonntag, den 4. November. 1849.


[Beginn Spaltensatz]
Das Ministerium des Präsidenten.

* * * Paris 1. November. Es läßt sich nicht läugnen -- es
war ein kühner Streich diese plötzliche Entlassung des alten und
die überraschende Bildung eines neuen Ministeriums durch den
Präsidenten, um so kühner, als die alten Minister eben nicht
"in Gnaden," sondern ziemlich cavaliermäßig vor die Thüre ge-
setzt worden seyn sollen. Ob der Präsident klug gehandelt hat?
-- nun die nächsten Tage müssen es zeigen und wenn die Ereig-
nisse ihm Recht geben, so wird ihn unfehlbar alle Welt für den
gescheidtesten Mann unter der Sonne erklären! Bis jetzt ist in-
dessen sehr wenig Aussicht auf eine so glückliche Wendung der
Dinge, denn es liegt offen auf der Hand, daß Louis Napoleon
durch diesen seinen neuesten "kühnen Griff" alle Parteien, Legiti-
misten, Orleanisten, Rothe und Tiers=parti, außerdem noch --
da Persönlichkeiten und Jntriguen in der besten aller Staatsfor-
men eine sehr bedeutende Rolle spielen, -- eine Menge wirklicher
oder eingebildeter Staatsmänner, die alle wohlbegründete An-
rechte aus ein Portefeuille zu haben glaubten, gegen sich aufge-
bracht hat. Was vermag gegen eine solche Masse das Häuflein
getreuer Bonapartisten und wohldienerischer Palast Eunuchen, was
vermag gegen sie ein rein persönliches Ministerium, das dazu
noch größtentheils aus politischen und parlamentarischen Nulli-
täten zusammengesetzt ist? Es bleibt also dem Präsidenten keine
andere Hoffnung als das Heer. Es ist indessen noch eine große
Frage, ob dieses ihn seinem seligen Onkel zu Liebe zum Kaiser
ausrufen wird, denn wenn die Prätorianer Einen auf den Schild
erheben, so wählen sie in der Regel Einen ihres Gleichen und
um Kaiser zu werden reicht es nicht aus, daß man des Kaisers
Hut und Adler besitzt, sondern man muß des Kaisers Thaten ge-
than haben.

Zu einem solchen Resultate führt die vernünftige Betrachtung.
Jndessen ist seit Jahr und Tag schon so viel Komödie in Frank-
reich gespielt worden und wir haben so viele überraschende Sce-
nenwechsel erlebt, daß auch jetzt wieder das Unglaubliche eintreten
kann, wie ja bei der Wahl des Präsidenten schon das Unerwartete
geschehen ist. Es ist darum immerhin möglich, daß das Heer
Louis Napoleon zufällt, es ist möglich, ja sogar wahrscheinlich,
daß dann Bürger und Bauern ihm gleichfalls zujauchzen werden,
die politischen Mantelträger werden in diesem Falle auch nicht
ausbleiben und wir haben dann einen Kaiser, der über Nacht ge-
backen worden ist. Möglich ist es aber auch, daß der Präsident,
der sich jetzt persönliche Satisfaction verschafft hat, sich mit seiner
Präsidentenrolle begnügt, wie denn unsere ganze Politik eben nur
eine Politik der Eventualitäten ist. Die einzige Wirklichkeit ist
das neue nicht auf Rosen gebettete Ministerium, von welchem ich
Jhnen nun ein paar Personalnotizen beifügen will.

General d'Hautpoul gilt in der Armee für einen braven
Soldaten, besonders aber als guter Administrator. Der Name,
welchen er trägt, gelangte unter dem Kaiserreiche durch die großen
Verdienste und den Tod seines Onkels des Generales d'Hautpoul
auf dem Schlachtfelde bei Eilau zu großer Berühmtheit.

Ferdinand Barrot ( Minister des Jnnern ) , Advocat seit
zwanzig Jahren, ist der jüngste der drei Brüder Odilon Barrots.
Er wurde im Jahre 1842 durch den Bezirk Loches zum Depu-
tirten erwählt. Auf der Tribune hat er stets nur einen unterge-
ordneten Rang eingenommen. Seine politischen Freunde tadelten
es, daß er im Jahre 1840 die Stelle eines Advocaten des
Staatsschatzes mit einem Gehalte von 15,000 Fr. und seitdem
reichliche Länderconcessionen in Algier annahm. Nach dem 24.
Februar, in dem Augenblicke, wo Odilon Barrot Bedenken trug,
sich für die Wahl Louis Napoleons auszusprechen, erklärte er sich
entschieden für letztere und gegen Cavaignac in einem an das
" Siecle " gerichteten Briefe. Diesem Schritte verdankt er die
Stelle eines Präsidialsecretärs, zu welcher ihn Louis Napoleon
im Monat Juni d. J. mit dem nämlichen Gehalte berief, welchen
er als Advocat des Schatzes unter Louis Philipp genoß.

Der Finanzminister Achille Fould, ein Jsraelit, gehörte
früher als Deputirter der Majorität der Conservativen an, von
welcher er sich nur bei Finanzfragen trennte, über welche er mit
einigem Talente sprach. Herr A. Fould war Banquier in Paris,
und machte seit einigen Jahren sehr umfangreiche Geschäfte an
der Börse, wo er gewöhnlich in der Baisse figurirte, sehr viele
[Spaltenumbruch] Feinde zählt und seine Person nothwendigerweise von bösen Zun-
gen sehr zerfetzt werden wird. Herr Goudchaux, gleichfalls Js-
raelit, beschuldigte s. Z. Hrn. Fould in öffentlicher Sitzung der
Constituante, er habe der provisorischen Regierung im März
1848 zu einer Banqueroutserklärung gerathen.

Der Justizminister Rouher, Advocat an dem Appelhofe zu
Riom, erschien zum ersten Male auf dem politischen Schauplatze
als Repräsentant in der Constituante. Er machte sich da durch
einige Reden und schriftliche Arbeiten bekannt.

Ganz dasselbe gilt von Parrieu, Minister des öffentlichen
Unterrichtes, auch Advocat an dem Appelhofe in Riom. Doch
soll er ein mehr entschiedener Charakter als Rouher seyn. Herr
Parrieu ist ein religiöser Mann und allgemein geachtet, er ge-
hörte lange Zeit unter der Constituante zur Partei Cavaignac.

Herr von Rayneval ist der bekannte Diplomat und Ge-
sandte in Neapel. Das Ministerium des Auswärtigen wurde ihm
erst angeboten, nachdem Perier und Flavigny es abgelehnt hatten.
Der Minister der öffentlichen Arbeiten Herr Bineau, seines
Zeichens ein Bergmann, gehörte früher in der Deputirtenkammer
zum linken Centrum, in der Constituante sprach er nur einmal
als Berichterstatter über das Budget von 1848. Er soll ziemlich
beschränkter, schweigsamer und kalter Natur, überhaupt ein
wunderlicher Kauz seyn, mit welchem selbst seine eigene Partei nie
ausgekommen ist. Admiral Romain=Desfosses, ein tüchti-
ger Seeoffizier, commandirte früher auf der Jnsel Bourbon und
Madagascar, in der letzten Zeit war ihm ein Commando am la
Platastrome zugedacht. Herr Dumas, Minister des Handels
und Ackerbaues, ist der berühmte Chemiker von europäischem
Rufe, er spricht gut. Sechs dieser Herren sind etwa vierzig Jahre
alt, die übrigen sind an Alter bereits weiter vorangeschritten.

Die seit einigen Tagen mit Truppenmassen wieder überfüllte
Hauptstadt ist ruhig, aber in der lebhaftesten Bestürzung über das,
wie den Volksvertretern, so der ganzen Bevölkerung unerwartete
Ereigniß des gestrigen Tages. Noch hat sich der Einfluß der rein
von oben herab hervorgerufenen Krisis nicht geltend gemacht.
Das Organ O. Barrot's, "l'Ordre" bringt den folgenden Arti-
kel: "Wir wissen, daß der Präsident ein eigenhändiges, in Aus-
drücken voll Dankbarkeit und Zuneigung abgefaßtes Schreiben an
O. Barrot sandte. Es war also offenbar nicht sein Wunsch, die
Gefühle desselben zu verwunden, aber das amtliche Manifest
bleibt deshalb nicht minder da mit der ungerechten Kälte seiner
Würdigungen. Ueberdies scheint es gewiß zu seyn, daß O. Bar-
rot, den Unpäßlichkeit zu Bougival festhielt, eben so wohl, wie
seine Collegen, ersetzt wurde, ohne irgend eine vorhergegangene
Anzeige empfangen zu haben. Er ward erst gestern von der Auf-
lösung des Cabinets durch ein Schreiben seines Collegen de Toc-
queville unterrichtet. Hier drängt sich aber von selbst der Ge-
danke auf: wie kommt es, daß die Mitglieder der Majorität, de-
nen das Ministerium unter so unannehmbaren Bedingungen ange-
boten ward, nicht durch eine einmüthige Weigerung antworteten?
Warum ahmten sie nicht dem Sohne des glorreichen Casimir Perier
nach, den der Präsident zur Leitung der auswärtigen Angelegen-
heiten berief und der ehrerbietig antwortete: "Jch habe keine per-
sönlichen Ansprüche auf einen solchen Posten; ich verdanke die
Ehre, welche Sie mir zudenken, blos dem Namen meines Va-
ters, aber diesen Namen will ich nicht compromittiren." Warum
folgten sie nicht dem Beispiele de Flavigny's, der, als er nach
Casimir Perier für jenen Posten ausgewählt ward, ablehnte und
mit der Eisenbahn nach Tours abfuhr, um jedem ferneren An-
dringen auszuweichen? Warum? Der Grund ist sehr einfach:
es ist der einzige, welcher ihr Verhalten rechtfertigen kann und
welcher der Majorität allerdings nicht die Aufgebung ihrer Rechte,
aber eine beharrliche Uebereinstimmung und die äußerste Klugheit
anräth; er besteht darin, daß, wenn jene Minister, die, obgleich
von geringer Erfahrung, sämmtlich aus den Reihen der Majo-
rität gewählt sind und die zum größten Theile schon Beweise von
Talent gegeben haben, das Amt nicht angenommen hätten, ein
anderes Ministerium ernannt worden wäre, welches durch die
blose Thatsache seines Auftretens in einen Kampf mit der Natio-
nalversammlung gerathen seyn würde." -- Fortwährend [unleserliches Material - 5 Zeichen fehlen]heißt
es, daß L. Napoleon am Sonntage große Heerschau über die
Truppen und die Nationalgarde halten werde. Gestern war das
Gerücht von Changarnier's Absetzung verbreitet, dasselbe scheint
[Ende Spaltensatz]

Erste Beilage zum Mainzer Journal.


Nro 261. Sonntag, den 4. November. 1849.


[Beginn Spaltensatz]
Das Ministerium des Präsidenten.

* * * Paris 1. November. Es läßt sich nicht läugnen — es
war ein kühner Streich diese plötzliche Entlassung des alten und
die überraschende Bildung eines neuen Ministeriums durch den
Präsidenten, um so kühner, als die alten Minister eben nicht
„in Gnaden,“ sondern ziemlich cavaliermäßig vor die Thüre ge-
setzt worden seyn sollen. Ob der Präsident klug gehandelt hat?
— nun die nächsten Tage müssen es zeigen und wenn die Ereig-
nisse ihm Recht geben, so wird ihn unfehlbar alle Welt für den
gescheidtesten Mann unter der Sonne erklären! Bis jetzt ist in-
dessen sehr wenig Aussicht auf eine so glückliche Wendung der
Dinge, denn es liegt offen auf der Hand, daß Louis Napoleon
durch diesen seinen neuesten „kühnen Griff“ alle Parteien, Legiti-
misten, Orleanisten, Rothe und Tiers=parti, außerdem noch —
da Persönlichkeiten und Jntriguen in der besten aller Staatsfor-
men eine sehr bedeutende Rolle spielen, — eine Menge wirklicher
oder eingebildeter Staatsmänner, die alle wohlbegründete An-
rechte aus ein Portefeuille zu haben glaubten, gegen sich aufge-
bracht hat. Was vermag gegen eine solche Masse das Häuflein
getreuer Bonapartisten und wohldienerischer Palast Eunuchen, was
vermag gegen sie ein rein persönliches Ministerium, das dazu
noch größtentheils aus politischen und parlamentarischen Nulli-
täten zusammengesetzt ist? Es bleibt also dem Präsidenten keine
andere Hoffnung als das Heer. Es ist indessen noch eine große
Frage, ob dieses ihn seinem seligen Onkel zu Liebe zum Kaiser
ausrufen wird, denn wenn die Prätorianer Einen auf den Schild
erheben, so wählen sie in der Regel Einen ihres Gleichen und
um Kaiser zu werden reicht es nicht aus, daß man des Kaisers
Hut und Adler besitzt, sondern man muß des Kaisers Thaten ge-
than haben.

Zu einem solchen Resultate führt die vernünftige Betrachtung.
Jndessen ist seit Jahr und Tag schon so viel Komödie in Frank-
reich gespielt worden und wir haben so viele überraschende Sce-
nenwechsel erlebt, daß auch jetzt wieder das Unglaubliche eintreten
kann, wie ja bei der Wahl des Präsidenten schon das Unerwartete
geschehen ist. Es ist darum immerhin möglich, daß das Heer
Louis Napoleon zufällt, es ist möglich, ja sogar wahrscheinlich,
daß dann Bürger und Bauern ihm gleichfalls zujauchzen werden,
die politischen Mantelträger werden in diesem Falle auch nicht
ausbleiben und wir haben dann einen Kaiser, der über Nacht ge-
backen worden ist. Möglich ist es aber auch, daß der Präsident,
der sich jetzt persönliche Satisfaction verschafft hat, sich mit seiner
Präsidentenrolle begnügt, wie denn unsere ganze Politik eben nur
eine Politik der Eventualitäten ist. Die einzige Wirklichkeit ist
das neue nicht auf Rosen gebettete Ministerium, von welchem ich
Jhnen nun ein paar Personalnotizen beifügen will.

General d'Hautpoul gilt in der Armee für einen braven
Soldaten, besonders aber als guter Administrator. Der Name,
welchen er trägt, gelangte unter dem Kaiserreiche durch die großen
Verdienste und den Tod seines Onkels des Generales d'Hautpoul
auf dem Schlachtfelde bei Eilau zu großer Berühmtheit.

Ferdinand Barrot ( Minister des Jnnern ) , Advocat seit
zwanzig Jahren, ist der jüngste der drei Brüder Odilon Barrots.
Er wurde im Jahre 1842 durch den Bezirk Loches zum Depu-
tirten erwählt. Auf der Tribune hat er stets nur einen unterge-
ordneten Rang eingenommen. Seine politischen Freunde tadelten
es, daß er im Jahre 1840 die Stelle eines Advocaten des
Staatsschatzes mit einem Gehalte von 15,000 Fr. und seitdem
reichliche Länderconcessionen in Algier annahm. Nach dem 24.
Februar, in dem Augenblicke, wo Odilon Barrot Bedenken trug,
sich für die Wahl Louis Napoleons auszusprechen, erklärte er sich
entschieden für letztere und gegen Cavaignac in einem an das
„ Siècle “ gerichteten Briefe. Diesem Schritte verdankt er die
Stelle eines Präsidialsecretärs, zu welcher ihn Louis Napoleon
im Monat Juni d. J. mit dem nämlichen Gehalte berief, welchen
er als Advocat des Schatzes unter Louis Philipp genoß.

Der Finanzminister Achille Fould, ein Jsraelit, gehörte
früher als Deputirter der Majorität der Conservativen an, von
welcher er sich nur bei Finanzfragen trennte, über welche er mit
einigem Talente sprach. Herr A. Fould war Banquier in Paris,
und machte seit einigen Jahren sehr umfangreiche Geschäfte an
der Börse, wo er gewöhnlich in der Baisse figurirte, sehr viele
[Spaltenumbruch] Feinde zählt und seine Person nothwendigerweise von bösen Zun-
gen sehr zerfetzt werden wird. Herr Goudchaux, gleichfalls Js-
raelit, beschuldigte s. Z. Hrn. Fould in öffentlicher Sitzung der
Constituante, er habe der provisorischen Regierung im März
1848 zu einer Banqueroutserklärung gerathen.

Der Justizminister Rouher, Advocat an dem Appelhofe zu
Riom, erschien zum ersten Male auf dem politischen Schauplatze
als Repräsentant in der Constituante. Er machte sich da durch
einige Reden und schriftliche Arbeiten bekannt.

Ganz dasselbe gilt von Parrieu, Minister des öffentlichen
Unterrichtes, auch Advocat an dem Appelhofe in Riom. Doch
soll er ein mehr entschiedener Charakter als Rouher seyn. Herr
Parrieu ist ein religiöser Mann und allgemein geachtet, er ge-
hörte lange Zeit unter der Constituante zur Partei Cavaignac.

Herr von Rayneval ist der bekannte Diplomat und Ge-
sandte in Neapel. Das Ministerium des Auswärtigen wurde ihm
erst angeboten, nachdem Perier und Flavigny es abgelehnt hatten.
Der Minister der öffentlichen Arbeiten Herr Bineau, seines
Zeichens ein Bergmann, gehörte früher in der Deputirtenkammer
zum linken Centrum, in der Constituante sprach er nur einmal
als Berichterstatter über das Budget von 1848. Er soll ziemlich
beschränkter, schweigsamer und kalter Natur, überhaupt ein
wunderlicher Kauz seyn, mit welchem selbst seine eigene Partei nie
ausgekommen ist. Admiral Romain=Desfossés, ein tüchti-
ger Seeoffizier, commandirte früher auf der Jnsel Bourbon und
Madagascar, in der letzten Zeit war ihm ein Commando am la
Platastrome zugedacht. Herr Dumas, Minister des Handels
und Ackerbaues, ist der berühmte Chemiker von europäischem
Rufe, er spricht gut. Sechs dieser Herren sind etwa vierzig Jahre
alt, die übrigen sind an Alter bereits weiter vorangeschritten.

Die seit einigen Tagen mit Truppenmassen wieder überfüllte
Hauptstadt ist ruhig, aber in der lebhaftesten Bestürzung über das,
wie den Volksvertretern, so der ganzen Bevölkerung unerwartete
Ereigniß des gestrigen Tages. Noch hat sich der Einfluß der rein
von oben herab hervorgerufenen Krisis nicht geltend gemacht.
Das Organ O. Barrot's, „l'Ordre“ bringt den folgenden Arti-
kel: „Wir wissen, daß der Präsident ein eigenhändiges, in Aus-
drücken voll Dankbarkeit und Zuneigung abgefaßtes Schreiben an
O. Barrot sandte. Es war also offenbar nicht sein Wunsch, die
Gefühle desselben zu verwunden, aber das amtliche Manifest
bleibt deshalb nicht minder da mit der ungerechten Kälte seiner
Würdigungen. Ueberdies scheint es gewiß zu seyn, daß O. Bar-
rot, den Unpäßlichkeit zu Bougival festhielt, eben so wohl, wie
seine Collegen, ersetzt wurde, ohne irgend eine vorhergegangene
Anzeige empfangen zu haben. Er ward erst gestern von der Auf-
lösung des Cabinets durch ein Schreiben seines Collegen de Toc-
queville unterrichtet. Hier drängt sich aber von selbst der Ge-
danke auf: wie kommt es, daß die Mitglieder der Majorität, de-
nen das Ministerium unter so unannehmbaren Bedingungen ange-
boten ward, nicht durch eine einmüthige Weigerung antworteten?
Warum ahmten sie nicht dem Sohne des glorreichen Casimir Perier
nach, den der Präsident zur Leitung der auswärtigen Angelegen-
heiten berief und der ehrerbietig antwortete: „Jch habe keine per-
sönlichen Ansprüche auf einen solchen Posten; ich verdanke die
Ehre, welche Sie mir zudenken, blos dem Namen meines Va-
ters, aber diesen Namen will ich nicht compromittiren.“ Warum
folgten sie nicht dem Beispiele de Flavigny's, der, als er nach
Casimir Perier für jenen Posten ausgewählt ward, ablehnte und
mit der Eisenbahn nach Tours abfuhr, um jedem ferneren An-
dringen auszuweichen? Warum? Der Grund ist sehr einfach:
es ist der einzige, welcher ihr Verhalten rechtfertigen kann und
welcher der Majorität allerdings nicht die Aufgebung ihrer Rechte,
aber eine beharrliche Uebereinstimmung und die äußerste Klugheit
anräth; er besteht darin, daß, wenn jene Minister, die, obgleich
von geringer Erfahrung, sämmtlich aus den Reihen der Majo-
rität gewählt sind und die zum größten Theile schon Beweise von
Talent gegeben haben, das Amt nicht angenommen hätten, ein
anderes Ministerium ernannt worden wäre, welches durch die
blose Thatsache seines Auftretens in einen Kampf mit der Natio-
nalversammlung gerathen seyn würde.“ — Fortwährend [unleserliches Material – 5 Zeichen fehlen]heißt
es, daß L. Napoleon am Sonntage große Heerschau über die
Truppen und die Nationalgarde halten werde. Gestern war das
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[Ende Spaltensatz]

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[0005] Erste Beilage zum Mainzer Journal. Nro 261. Sonntag, den 4. November. 1849. Das Ministerium des Präsidenten. * * * Paris 1. November. Es läßt sich nicht läugnen — es war ein kühner Streich diese plötzliche Entlassung des alten und die überraschende Bildung eines neuen Ministeriums durch den Präsidenten, um so kühner, als die alten Minister eben nicht „in Gnaden,“ sondern ziemlich cavaliermäßig vor die Thüre ge- setzt worden seyn sollen. Ob der Präsident klug gehandelt hat? — nun die nächsten Tage müssen es zeigen und wenn die Ereig- nisse ihm Recht geben, so wird ihn unfehlbar alle Welt für den gescheidtesten Mann unter der Sonne erklären! Bis jetzt ist in- dessen sehr wenig Aussicht auf eine so glückliche Wendung der Dinge, denn es liegt offen auf der Hand, daß Louis Napoleon durch diesen seinen neuesten „kühnen Griff“ alle Parteien, Legiti- misten, Orleanisten, Rothe und Tiers=parti, außerdem noch — da Persönlichkeiten und Jntriguen in der besten aller Staatsfor- men eine sehr bedeutende Rolle spielen, — eine Menge wirklicher oder eingebildeter Staatsmänner, die alle wohlbegründete An- rechte aus ein Portefeuille zu haben glaubten, gegen sich aufge- bracht hat. Was vermag gegen eine solche Masse das Häuflein getreuer Bonapartisten und wohldienerischer Palast Eunuchen, was vermag gegen sie ein rein persönliches Ministerium, das dazu noch größtentheils aus politischen und parlamentarischen Nulli- täten zusammengesetzt ist? Es bleibt also dem Präsidenten keine andere Hoffnung als das Heer. Es ist indessen noch eine große Frage, ob dieses ihn seinem seligen Onkel zu Liebe zum Kaiser ausrufen wird, denn wenn die Prätorianer Einen auf den Schild erheben, so wählen sie in der Regel Einen ihres Gleichen und um Kaiser zu werden reicht es nicht aus, daß man des Kaisers Hut und Adler besitzt, sondern man muß des Kaisers Thaten ge- than haben. Zu einem solchen Resultate führt die vernünftige Betrachtung. Jndessen ist seit Jahr und Tag schon so viel Komödie in Frank- reich gespielt worden und wir haben so viele überraschende Sce- nenwechsel erlebt, daß auch jetzt wieder das Unglaubliche eintreten kann, wie ja bei der Wahl des Präsidenten schon das Unerwartete geschehen ist. Es ist darum immerhin möglich, daß das Heer Louis Napoleon zufällt, es ist möglich, ja sogar wahrscheinlich, daß dann Bürger und Bauern ihm gleichfalls zujauchzen werden, die politischen Mantelträger werden in diesem Falle auch nicht ausbleiben und wir haben dann einen Kaiser, der über Nacht ge- backen worden ist. Möglich ist es aber auch, daß der Präsident, der sich jetzt persönliche Satisfaction verschafft hat, sich mit seiner Präsidentenrolle begnügt, wie denn unsere ganze Politik eben nur eine Politik der Eventualitäten ist. Die einzige Wirklichkeit ist das neue nicht auf Rosen gebettete Ministerium, von welchem ich Jhnen nun ein paar Personalnotizen beifügen will. General d'Hautpoul gilt in der Armee für einen braven Soldaten, besonders aber als guter Administrator. Der Name, welchen er trägt, gelangte unter dem Kaiserreiche durch die großen Verdienste und den Tod seines Onkels des Generales d'Hautpoul auf dem Schlachtfelde bei Eilau zu großer Berühmtheit. Ferdinand Barrot ( Minister des Jnnern ) , Advocat seit zwanzig Jahren, ist der jüngste der drei Brüder Odilon Barrots. Er wurde im Jahre 1842 durch den Bezirk Loches zum Depu- tirten erwählt. Auf der Tribune hat er stets nur einen unterge- ordneten Rang eingenommen. Seine politischen Freunde tadelten es, daß er im Jahre 1840 die Stelle eines Advocaten des Staatsschatzes mit einem Gehalte von 15,000 Fr. und seitdem reichliche Länderconcessionen in Algier annahm. Nach dem 24. Februar, in dem Augenblicke, wo Odilon Barrot Bedenken trug, sich für die Wahl Louis Napoleons auszusprechen, erklärte er sich entschieden für letztere und gegen Cavaignac in einem an das „ Siècle “ gerichteten Briefe. Diesem Schritte verdankt er die Stelle eines Präsidialsecretärs, zu welcher ihn Louis Napoleon im Monat Juni d. J. mit dem nämlichen Gehalte berief, welchen er als Advocat des Schatzes unter Louis Philipp genoß. Der Finanzminister Achille Fould, ein Jsraelit, gehörte früher als Deputirter der Majorität der Conservativen an, von welcher er sich nur bei Finanzfragen trennte, über welche er mit einigem Talente sprach. Herr A. Fould war Banquier in Paris, und machte seit einigen Jahren sehr umfangreiche Geschäfte an der Börse, wo er gewöhnlich in der Baisse figurirte, sehr viele Feinde zählt und seine Person nothwendigerweise von bösen Zun- gen sehr zerfetzt werden wird. Herr Goudchaux, gleichfalls Js- raelit, beschuldigte s. Z. Hrn. Fould in öffentlicher Sitzung der Constituante, er habe der provisorischen Regierung im März 1848 zu einer Banqueroutserklärung gerathen. Der Justizminister Rouher, Advocat an dem Appelhofe zu Riom, erschien zum ersten Male auf dem politischen Schauplatze als Repräsentant in der Constituante. Er machte sich da durch einige Reden und schriftliche Arbeiten bekannt. Ganz dasselbe gilt von Parrieu, Minister des öffentlichen Unterrichtes, auch Advocat an dem Appelhofe in Riom. Doch soll er ein mehr entschiedener Charakter als Rouher seyn. Herr Parrieu ist ein religiöser Mann und allgemein geachtet, er ge- hörte lange Zeit unter der Constituante zur Partei Cavaignac. Herr von Rayneval ist der bekannte Diplomat und Ge- sandte in Neapel. Das Ministerium des Auswärtigen wurde ihm erst angeboten, nachdem Perier und Flavigny es abgelehnt hatten. Der Minister der öffentlichen Arbeiten Herr Bineau, seines Zeichens ein Bergmann, gehörte früher in der Deputirtenkammer zum linken Centrum, in der Constituante sprach er nur einmal als Berichterstatter über das Budget von 1848. Er soll ziemlich beschränkter, schweigsamer und kalter Natur, überhaupt ein wunderlicher Kauz seyn, mit welchem selbst seine eigene Partei nie ausgekommen ist. Admiral Romain=Desfossés, ein tüchti- ger Seeoffizier, commandirte früher auf der Jnsel Bourbon und Madagascar, in der letzten Zeit war ihm ein Commando am la Platastrome zugedacht. Herr Dumas, Minister des Handels und Ackerbaues, ist der berühmte Chemiker von europäischem Rufe, er spricht gut. Sechs dieser Herren sind etwa vierzig Jahre alt, die übrigen sind an Alter bereits weiter vorangeschritten. Die seit einigen Tagen mit Truppenmassen wieder überfüllte Hauptstadt ist ruhig, aber in der lebhaftesten Bestürzung über das, wie den Volksvertretern, so der ganzen Bevölkerung unerwartete Ereigniß des gestrigen Tages. Noch hat sich der Einfluß der rein von oben herab hervorgerufenen Krisis nicht geltend gemacht. Das Organ O. Barrot's, „l'Ordre“ bringt den folgenden Arti- kel: „Wir wissen, daß der Präsident ein eigenhändiges, in Aus- drücken voll Dankbarkeit und Zuneigung abgefaßtes Schreiben an O. Barrot sandte. Es war also offenbar nicht sein Wunsch, die Gefühle desselben zu verwunden, aber das amtliche Manifest bleibt deshalb nicht minder da mit der ungerechten Kälte seiner Würdigungen. Ueberdies scheint es gewiß zu seyn, daß O. Bar- rot, den Unpäßlichkeit zu Bougival festhielt, eben so wohl, wie seine Collegen, ersetzt wurde, ohne irgend eine vorhergegangene Anzeige empfangen zu haben. Er ward erst gestern von der Auf- lösung des Cabinets durch ein Schreiben seines Collegen de Toc- queville unterrichtet. Hier drängt sich aber von selbst der Ge- danke auf: wie kommt es, daß die Mitglieder der Majorität, de- nen das Ministerium unter so unannehmbaren Bedingungen ange- boten ward, nicht durch eine einmüthige Weigerung antworteten? Warum ahmten sie nicht dem Sohne des glorreichen Casimir Perier nach, den der Präsident zur Leitung der auswärtigen Angelegen- heiten berief und der ehrerbietig antwortete: „Jch habe keine per- sönlichen Ansprüche auf einen solchen Posten; ich verdanke die Ehre, welche Sie mir zudenken, blos dem Namen meines Va- ters, aber diesen Namen will ich nicht compromittiren.“ Warum folgten sie nicht dem Beispiele de Flavigny's, der, als er nach Casimir Perier für jenen Posten ausgewählt ward, ablehnte und mit der Eisenbahn nach Tours abfuhr, um jedem ferneren An- dringen auszuweichen? Warum? Der Grund ist sehr einfach: es ist der einzige, welcher ihr Verhalten rechtfertigen kann und welcher der Majorität allerdings nicht die Aufgebung ihrer Rechte, aber eine beharrliche Uebereinstimmung und die äußerste Klugheit anräth; er besteht darin, daß, wenn jene Minister, die, obgleich von geringer Erfahrung, sämmtlich aus den Reihen der Majo- rität gewählt sind und die zum größten Theile schon Beweise von Talent gegeben haben, das Amt nicht angenommen hätten, ein anderes Ministerium ernannt worden wäre, welches durch die blose Thatsache seines Auftretens in einen Kampf mit der Natio- nalversammlung gerathen seyn würde.“ — Fortwährend _____heißt es, daß L. Napoleon am Sonntage große Heerschau über die Truppen und die Nationalgarde halten werde. Gestern war das Gerücht von Changarnier's Absetzung verbreitet, dasselbe scheint

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Zitationshilfe: Mainzer Journal. Nr. 261. Mainz, 3. November 1849, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_mainzerjournal261_1849/5>, abgerufen am 27.11.2024.