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Mainzer Journal. Nr. 253. Mainz, 24. Oktober 1849.

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Beilage zum Mainzer Journal.


Nro 253. Donnerstag, den 25. October. 1849.


[Beginn Spaltensatz]
Deutschland.

* Wien 20. October. Es hatte sich während einiger Tage
das Gerücht erhalten, daß eine Verminderung des Heeres
vorgenommen werden solle. Jetzt hört man, daß statt einer Ver-
minderung eine Vermehrung bis auf 700,000 Mann und
mehr stattfinden wird. Die Armee, die jetzt etwa 650,000 Mann
stark ist, wird in vier große Korps getheilt: ein italiänisches, ein
ungarisches, ein westliches ( Tirol, Steiermark, Oberösterreich )
und ein nördliches ( Böhmen, Mähren und Galizien ) . Sämmt-
liche Arsenale werden auf den Kriegsfuß eingerichtet, und
an die Waffenfabriken sind neue Bestellungen ergangen. Der
jetzige Kriegsminister Gyulai wird das Commando eines dieser
Korps erhalten und somit seine Stelle einem Anderen abtreten.
Man sagt F. M. L. Dahlen solle sein Nachfolger werden, An-
dere bezeichnen wieder den F. Z. M. Heß. -- Jn der türkischen
Frage haben sich wieder Schwierigkeiten erhoben. Oesterreich und
Rußland gehen von ihrer Forderung nicht ab. Unser Cabinet wäre
übrigens ganz zufrieden, wenn die Pforte den Flüchtlingen den
weiteren Aufenthalt verweigern und sie aus der nächsten Nähe
Oesterreichs entfernen würde. Welche Haltung Frankreich bei
diesen diplomatischen Wirren beobachtet, läßt sich aus dem Um-
stande schließen, daß die hiesige französische Gesandtschaft durch-
aus für keine politischen Flüchtlinge Pässe nach Frankreich visirt,
und es der Verwendung, ja fast der Garantie der -- russischen
Gesandtschaft bedurfte, um für einen solchen das Visa des Herrn
v. Beaumont zu erlangen.

Die Eröffnung der hiesigen Universität und aller Lehranstal-
ten hat seit dem 15. begonnen, und es wurde in der Universitäts-
Kirche in der Stadt für die Studirenden und in der Karlskirche
nächst dem polytechnischen Jnstitute für die Techniker ein Heilig-
Geistamt abgehalten. Allein von welchem Geiste die studirende
Jugend trotz den bitteren Erfahrungen des vorigen Jahres beseelt
ist, mag der Umstand beweisen, daß keine hundert Studenten er-
schienen. Jn der Karlskirche verließen sämmtliche Schüler die
Kirche, als die Orgel eine nach der Volkshymne umgearbeitete
Melodie zu spielen begann. Der Civil= und Militär=Gouverneur
v. Welden ließ deshalb die Vertrauensmänner der Vorstadt Wie-
den, zu deren Bezirk die Karlskirche gehört, zu sich rufen und
ermahnte sie, ein wachsames Auge zu haben. -- Ein am Sonn-
tage erschienener Artikel in dem Flugblatte der "Telegraph," wel-
cher in einem der Regierung feindlichen Sinne geschrieben ist,
wurde in vielen Exemplaren von den Studirenden und Technikern
verbreitet und trug nicht wenig zu dieser gereizten Stimmung bei.
Auch sind aus Komorn viele Legionärs zurückgekehrt, von denen
die meisten einen bösen Geist zu verbreiten suchen. So die " Bres-
lauer Zeitung." Und doch klagen die Leute über Fortdauer des
Militärregimentes!

Berlin 22. October. ( D. Z. ) Von den Kammern wird eine
Anfrage des Ministeriums gewärtigt, ob dieselben ein gleichzeiti-
ges Tagen der preußischen Volksvertretung und des "Reichstages"
rathsam erachten. Das Gutachten wird voraussichtlich verneinend
ausfallen. Die Folge wäre, wie ausgezeichnete Mitglieder der
Kammern als gewiß annehmen, keine Verschiebung des Reichs-
tages, sondern eine Vorlage in Betreff der Vertagung der Kam-
mern für die frühere Berufung des Parlamentes, deren Annahme
durch jene vorherige Frage und Antwort sichergestellt seyn würde.
[ Das Einfachste wäre wohl, die preußischen Kammern gleichzeitig
zum "deutschen Reichstag" zu declariren. ]

Briefe aus München sprechen von dort umlaufenden Ge-
rüchten einer Ministerveränderung, wobei Namen als Minister-
candidaten genannt werden, die unwahrscheinlich genug klingen.
Ueberhaupt scheint das ganze Gerücht noch sicherer Begründung
zu entbehren. Herr v. Link, der Ausschußreferent in der deutschen
Frage, soll einen außerordentlich ausführlichen Bericht erstattet
haben.

Aus dem Breisgau 20. October. ( Karlsr. Z. ) Bei einem
kleinen Ausfluge habe ich mehrfach Gelegenheit gehabt, mich über
die Stimmung des Landvolkes zu verlässigen und erlaube mir
darum, Jhnen meine Wahrnehmungen mitzutheilen.

Zunächst war es wohlthuend für mich, die "Gestalten," die
verflossenes Jahr bei einer ähnlichen Reise in dieser Gegend um
dieselbe Zeit überall längs der Eisenbahn sich blicken ließen, heuer
nicht zu bemerken. Die Pickelhauben sind keine gesuchte Nachbar-
[Spaltenumbruch] schaft für jene Zugvögel. Auf dem Lande ist es für den Augen-
blick ruhiger; die Wirthshäuser sind nicht mehr in dem Maße be-
sucht, wie früher, wo fast jede Arbeit darüber vernachlässigt
wurde; das Zusammensitzen, um sich da gegenseitig zu belügen
und zu erhitzen, hat in so fern aufgehört, als es eben nicht mehr
in dem früheren Uebermaße geschieht und also kaum mehr bemerkt
wird; die Bedrohungen Gutgesinnter werden wenigstens
nicht mehr offen
ausgesprochen. Das Fieber hat ausgesetzt,
obwohl es keineswegs geheilt ist. Die Demokraten wären jede
Stunde bereit, wieder loszuschlagen, wenn man nur auf irgend
eine Weise die Preußen entfernen könnte. Alles, was nur einiger-
maßen einem Hoffnungsschimmer für sie ähnlich sieht, wird be-
gierig erfaßt. Sie hoffen auf ein Zerwürfniß zwischen Oesterreich
und Preußen; sie erwarten einen neuen Umsturz in Frankreich;
sie machen sich sogar Hoffnung auf die Türken; -- helfe, was
helfen mag. Der wühlerische Geist, den man in diesem sonst guten
Völkchen Jahre lang großgezogen hat, lebt fort und wird so bald
seine Natur nicht ändern. Das Traurige dabei ist, daß die Leute
gar nicht glauben, nur etwas Unrechtes gethan zu haben, worin
sie freilich auch durch Beispiele der Straflosigkeit bestärkt werden.

Fragt man dann erfahrene Bauern nach den Ursachen jener
Erscheinung, so begegnet man überall der Klage ( und ich habe
sie mehrfach von Solchen gehört, die mir aufrichtig gestanden,
"nicht ganz sauber" gewesen zu seyn ) , daß eben in den Gemein-
den die "Lumpen" bei den Abstimmungen immer die Oberhand
hätten, daß also eine ordentliche Gemeindebehörde gar schwer zu
Stand komme und daß, so lange Jeder, ob er an den Lasten
Theil nehme oder nicht, das gleiche Recht bei den Abstimmungen
und den Wahlen habe, auch keine bessere Ordnung in den Ge-
meinden möglich sey. So stimme bei Dingen, die das Gemeinde-
vermögen, Umlagen betreffen, eine Menge Leute mit, die selbst
keinen Kreuzer daran zu tragen und somit auch keinerlei Jnteresse
am wahren Wohle der Gemeinde haben. Jn gleicher Weise gehe
es bei den Wahlen überhaupt, sie mögen heißen, wie sie wollen.
Dadurch werde dem besser gesinnten Bürger in solchen Gemein-
den der Muth genommen und wenn er nicht als Zielscheibe der
rohesten Verfolgung dastehen wolle, so müsse er eben auch " mit-
machen."

Sie sehen, die Bauern meinen's mit dem "allgemeinen Stimm-
recht " nicht zum Besten. "Wie die Pflicht, so das Recht," ist ein
Grundsatz, der ihnen als praktisch einleuchtet. Wer Nichts
an den Lasten trägt, soll auch nicht darüber mit-
stimmen;
Das halten sie für unerläßlich.

Mannheim 24. October. ( B. M. ) Die heutige Standge-
richtssitzung beschäftigte sich mit der Anklage des Staatsanwaltes
v. Freidorff gegen den katholischen Pfarrer Franz Anton
Grimmer von Unterschüpf, Amtes Boxberg; der Antrag ging
wegen thätiger Mitwirkung zu den Planen der Umsturzpartei auf
zehnjährige Zuchthausstrafe. Die Vertheidigung führte Dr. Uih-
lein
von hier. Das Urtheil lautete mit Stimmeneinhelligkeit auf
zehn Jahre Zuchthaus und Tragung der Straf= und Untersuch-
ungskosten.

# Mainz 25. October. Stand der Brechruhr. Jn Mainz
sind keine weiteren Erkrankungs= und Sterbefälle vorgekommen,
dagegen ist ein Genesungsfall angezeigt worden.

Frankfurt a. M. 20. October. ( A. Z. ) Die Abstimmung
Hessen=Darmstadts in dem Berliner Verwaltungsrath gegen die
Einführung des Jnterim ist nach sicherer Quelle durch die Ga-
gern 'sche Coterie bestimmt worden, welche glaubt, daß bei dem
Bestande des Jnterim die Berufung des Reichstages in Erfurt
und sonach auch die Behauptung des Bündnisses und Verfas-
sungsentwurfes vom 26. Mai d. J. nicht möglich sey. -- Jst man
hier recht unterrichtet, so hat dieser ohne sichtbare formelle Mit-
wirkung eines dritten deutschen Staates geschlossene Bund seinen
Ursprung zum Theil auch in den persönlichen Zuneigungen des
Kaisers von Oesterreich und des Königs von Preußen. Sie erin-
nern sich an deren Zusammenkunft in Töplitz. Es war keine Con-
ferenz von Staatsmännern, aber immer ist es wichtig und folgen-
reich, wenn zwei so mächtige Monarchen sich geistig persönlich näh-
ern. Franz Joseph soll unter anderm dabei lebhaft geäußert haben,
daß Preußen und Oesterreich, auch wenn sie wollten, sich nicht
trennen können. Ein Avis au lecteur für alle Publicisten, welche
[Ende Spaltensatz]

Beilage zum Mainzer Journal.


Nro 253. Donnerstag, den 25. October. 1849.


[Beginn Spaltensatz]
Deutschland.

* Wien 20. October. Es hatte sich während einiger Tage
das Gerücht erhalten, daß eine Verminderung des Heeres
vorgenommen werden solle. Jetzt hört man, daß statt einer Ver-
minderung eine Vermehrung bis auf 700,000 Mann und
mehr stattfinden wird. Die Armee, die jetzt etwa 650,000 Mann
stark ist, wird in vier große Korps getheilt: ein italiänisches, ein
ungarisches, ein westliches ( Tirol, Steiermark, Oberösterreich )
und ein nördliches ( Böhmen, Mähren und Galizien ) . Sämmt-
liche Arsenale werden auf den Kriegsfuß eingerichtet, und
an die Waffenfabriken sind neue Bestellungen ergangen. Der
jetzige Kriegsminister Gyulai wird das Commando eines dieser
Korps erhalten und somit seine Stelle einem Anderen abtreten.
Man sagt F. M. L. Dahlen solle sein Nachfolger werden, An-
dere bezeichnen wieder den F. Z. M. Heß. — Jn der türkischen
Frage haben sich wieder Schwierigkeiten erhoben. Oesterreich und
Rußland gehen von ihrer Forderung nicht ab. Unser Cabinet wäre
übrigens ganz zufrieden, wenn die Pforte den Flüchtlingen den
weiteren Aufenthalt verweigern und sie aus der nächsten Nähe
Oesterreichs entfernen würde. Welche Haltung Frankreich bei
diesen diplomatischen Wirren beobachtet, läßt sich aus dem Um-
stande schließen, daß die hiesige französische Gesandtschaft durch-
aus für keine politischen Flüchtlinge Pässe nach Frankreich visirt,
und es der Verwendung, ja fast der Garantie der — russischen
Gesandtschaft bedurfte, um für einen solchen das Visa des Herrn
v. Beaumont zu erlangen.

Die Eröffnung der hiesigen Universität und aller Lehranstal-
ten hat seit dem 15. begonnen, und es wurde in der Universitäts-
Kirche in der Stadt für die Studirenden und in der Karlskirche
nächst dem polytechnischen Jnstitute für die Techniker ein Heilig-
Geistamt abgehalten. Allein von welchem Geiste die studirende
Jugend trotz den bitteren Erfahrungen des vorigen Jahres beseelt
ist, mag der Umstand beweisen, daß keine hundert Studenten er-
schienen. Jn der Karlskirche verließen sämmtliche Schüler die
Kirche, als die Orgel eine nach der Volkshymne umgearbeitete
Melodie zu spielen begann. Der Civil= und Militär=Gouverneur
v. Welden ließ deshalb die Vertrauensmänner der Vorstadt Wie-
den, zu deren Bezirk die Karlskirche gehört, zu sich rufen und
ermahnte sie, ein wachsames Auge zu haben. — Ein am Sonn-
tage erschienener Artikel in dem Flugblatte der „Telegraph,“ wel-
cher in einem der Regierung feindlichen Sinne geschrieben ist,
wurde in vielen Exemplaren von den Studirenden und Technikern
verbreitet und trug nicht wenig zu dieser gereizten Stimmung bei.
Auch sind aus Komorn viele Legionärs zurückgekehrt, von denen
die meisten einen bösen Geist zu verbreiten suchen. So die „ Bres-
lauer Zeitung.“ Und doch klagen die Leute über Fortdauer des
Militärregimentes!

Berlin 22. October. ( D. Z. ) Von den Kammern wird eine
Anfrage des Ministeriums gewärtigt, ob dieselben ein gleichzeiti-
ges Tagen der preußischen Volksvertretung und des „Reichstages“
rathsam erachten. Das Gutachten wird voraussichtlich verneinend
ausfallen. Die Folge wäre, wie ausgezeichnete Mitglieder der
Kammern als gewiß annehmen, keine Verschiebung des Reichs-
tages, sondern eine Vorlage in Betreff der Vertagung der Kam-
mern für die frühere Berufung des Parlamentes, deren Annahme
durch jene vorherige Frage und Antwort sichergestellt seyn würde.
[ Das Einfachste wäre wohl, die preußischen Kammern gleichzeitig
zum „deutschen Reichstag“ zu declariren. ]

Briefe aus München sprechen von dort umlaufenden Ge-
rüchten einer Ministerveränderung, wobei Namen als Minister-
candidaten genannt werden, die unwahrscheinlich genug klingen.
Ueberhaupt scheint das ganze Gerücht noch sicherer Begründung
zu entbehren. Herr v. Link, der Ausschußreferent in der deutschen
Frage, soll einen außerordentlich ausführlichen Bericht erstattet
haben.

Aus dem Breisgau 20. October. ( Karlsr. Z. ) Bei einem
kleinen Ausfluge habe ich mehrfach Gelegenheit gehabt, mich über
die Stimmung des Landvolkes zu verlässigen und erlaube mir
darum, Jhnen meine Wahrnehmungen mitzutheilen.

Zunächst war es wohlthuend für mich, die „Gestalten,“ die
verflossenes Jahr bei einer ähnlichen Reise in dieser Gegend um
dieselbe Zeit überall längs der Eisenbahn sich blicken ließen, heuer
nicht zu bemerken. Die Pickelhauben sind keine gesuchte Nachbar-
[Spaltenumbruch] schaft für jene Zugvögel. Auf dem Lande ist es für den Augen-
blick ruhiger; die Wirthshäuser sind nicht mehr in dem Maße be-
sucht, wie früher, wo fast jede Arbeit darüber vernachlässigt
wurde; das Zusammensitzen, um sich da gegenseitig zu belügen
und zu erhitzen, hat in so fern aufgehört, als es eben nicht mehr
in dem früheren Uebermaße geschieht und also kaum mehr bemerkt
wird; die Bedrohungen Gutgesinnter werden wenigstens
nicht mehr offen
ausgesprochen. Das Fieber hat ausgesetzt,
obwohl es keineswegs geheilt ist. Die Demokraten wären jede
Stunde bereit, wieder loszuschlagen, wenn man nur auf irgend
eine Weise die Preußen entfernen könnte. Alles, was nur einiger-
maßen einem Hoffnungsschimmer für sie ähnlich sieht, wird be-
gierig erfaßt. Sie hoffen auf ein Zerwürfniß zwischen Oesterreich
und Preußen; sie erwarten einen neuen Umsturz in Frankreich;
sie machen sich sogar Hoffnung auf die Türken; — helfe, was
helfen mag. Der wühlerische Geist, den man in diesem sonst guten
Völkchen Jahre lang großgezogen hat, lebt fort und wird so bald
seine Natur nicht ändern. Das Traurige dabei ist, daß die Leute
gar nicht glauben, nur etwas Unrechtes gethan zu haben, worin
sie freilich auch durch Beispiele der Straflosigkeit bestärkt werden.

Fragt man dann erfahrene Bauern nach den Ursachen jener
Erscheinung, so begegnet man überall der Klage ( und ich habe
sie mehrfach von Solchen gehört, die mir aufrichtig gestanden,
„nicht ganz sauber“ gewesen zu seyn ) , daß eben in den Gemein-
den die „Lumpen“ bei den Abstimmungen immer die Oberhand
hätten, daß also eine ordentliche Gemeindebehörde gar schwer zu
Stand komme und daß, so lange Jeder, ob er an den Lasten
Theil nehme oder nicht, das gleiche Recht bei den Abstimmungen
und den Wahlen habe, auch keine bessere Ordnung in den Ge-
meinden möglich sey. So stimme bei Dingen, die das Gemeinde-
vermögen, Umlagen betreffen, eine Menge Leute mit, die selbst
keinen Kreuzer daran zu tragen und somit auch keinerlei Jnteresse
am wahren Wohle der Gemeinde haben. Jn gleicher Weise gehe
es bei den Wahlen überhaupt, sie mögen heißen, wie sie wollen.
Dadurch werde dem besser gesinnten Bürger in solchen Gemein-
den der Muth genommen und wenn er nicht als Zielscheibe der
rohesten Verfolgung dastehen wolle, so müsse er eben auch „ mit-
machen.“

Sie sehen, die Bauern meinen's mit dem „allgemeinen Stimm-
recht “ nicht zum Besten. „Wie die Pflicht, so das Recht,“ ist ein
Grundsatz, der ihnen als praktisch einleuchtet. Wer Nichts
an den Lasten trägt, soll auch nicht darüber mit-
stimmen;
Das halten sie für unerläßlich.

Mannheim 24. October. ( B. M. ) Die heutige Standge-
richtssitzung beschäftigte sich mit der Anklage des Staatsanwaltes
v. Freidorff gegen den katholischen Pfarrer Franz Anton
Grimmer von Unterschüpf, Amtes Boxberg; der Antrag ging
wegen thätiger Mitwirkung zu den Planen der Umsturzpartei auf
zehnjährige Zuchthausstrafe. Die Vertheidigung führte Dr. Uih-
lein
von hier. Das Urtheil lautete mit Stimmeneinhelligkeit auf
zehn Jahre Zuchthaus und Tragung der Straf= und Untersuch-
ungskosten.

# Mainz 25. October. Stand der Brechruhr. Jn Mainz
sind keine weiteren Erkrankungs= und Sterbefälle vorgekommen,
dagegen ist ein Genesungsfall angezeigt worden.

Frankfurt a. M. 20. October. ( A. Z. ) Die Abstimmung
Hessen=Darmstadts in dem Berliner Verwaltungsrath gegen die
Einführung des Jnterim ist nach sicherer Quelle durch die Ga-
gern 'sche Coterie bestimmt worden, welche glaubt, daß bei dem
Bestande des Jnterim die Berufung des Reichstages in Erfurt
und sonach auch die Behauptung des Bündnisses und Verfas-
sungsentwurfes vom 26. Mai d. J. nicht möglich sey. — Jst man
hier recht unterrichtet, so hat dieser ohne sichtbare formelle Mit-
wirkung eines dritten deutschen Staates geschlossene Bund seinen
Ursprung zum Theil auch in den persönlichen Zuneigungen des
Kaisers von Oesterreich und des Königs von Preußen. Sie erin-
nern sich an deren Zusammenkunft in Töplitz. Es war keine Con-
ferenz von Staatsmännern, aber immer ist es wichtig und folgen-
reich, wenn zwei so mächtige Monarchen sich geistig persönlich näh-
ern. Franz Joseph soll unter anderm dabei lebhaft geäußert haben,
daß Preußen und Oesterreich, auch wenn sie wollten, sich nicht
trennen können. Ein Avis au lecteur für alle Publicisten, welche
[Ende Spaltensatz]

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[0005] Beilage zum Mainzer Journal. Nro 253. Donnerstag, den 25. October. 1849. Deutschland. * Wien 20. October. Es hatte sich während einiger Tage das Gerücht erhalten, daß eine Verminderung des Heeres vorgenommen werden solle. Jetzt hört man, daß statt einer Ver- minderung eine Vermehrung bis auf 700,000 Mann und mehr stattfinden wird. Die Armee, die jetzt etwa 650,000 Mann stark ist, wird in vier große Korps getheilt: ein italiänisches, ein ungarisches, ein westliches ( Tirol, Steiermark, Oberösterreich ) und ein nördliches ( Böhmen, Mähren und Galizien ) . Sämmt- liche Arsenale werden auf den Kriegsfuß eingerichtet, und an die Waffenfabriken sind neue Bestellungen ergangen. Der jetzige Kriegsminister Gyulai wird das Commando eines dieser Korps erhalten und somit seine Stelle einem Anderen abtreten. Man sagt F. M. L. Dahlen solle sein Nachfolger werden, An- dere bezeichnen wieder den F. Z. M. Heß. — Jn der türkischen Frage haben sich wieder Schwierigkeiten erhoben. Oesterreich und Rußland gehen von ihrer Forderung nicht ab. Unser Cabinet wäre übrigens ganz zufrieden, wenn die Pforte den Flüchtlingen den weiteren Aufenthalt verweigern und sie aus der nächsten Nähe Oesterreichs entfernen würde. Welche Haltung Frankreich bei diesen diplomatischen Wirren beobachtet, läßt sich aus dem Um- stande schließen, daß die hiesige französische Gesandtschaft durch- aus für keine politischen Flüchtlinge Pässe nach Frankreich visirt, und es der Verwendung, ja fast der Garantie der — russischen Gesandtschaft bedurfte, um für einen solchen das Visa des Herrn v. Beaumont zu erlangen. Die Eröffnung der hiesigen Universität und aller Lehranstal- ten hat seit dem 15. begonnen, und es wurde in der Universitäts- Kirche in der Stadt für die Studirenden und in der Karlskirche nächst dem polytechnischen Jnstitute für die Techniker ein Heilig- Geistamt abgehalten. Allein von welchem Geiste die studirende Jugend trotz den bitteren Erfahrungen des vorigen Jahres beseelt ist, mag der Umstand beweisen, daß keine hundert Studenten er- schienen. Jn der Karlskirche verließen sämmtliche Schüler die Kirche, als die Orgel eine nach der Volkshymne umgearbeitete Melodie zu spielen begann. Der Civil= und Militär=Gouverneur v. Welden ließ deshalb die Vertrauensmänner der Vorstadt Wie- den, zu deren Bezirk die Karlskirche gehört, zu sich rufen und ermahnte sie, ein wachsames Auge zu haben. — Ein am Sonn- tage erschienener Artikel in dem Flugblatte der „Telegraph,“ wel- cher in einem der Regierung feindlichen Sinne geschrieben ist, wurde in vielen Exemplaren von den Studirenden und Technikern verbreitet und trug nicht wenig zu dieser gereizten Stimmung bei. Auch sind aus Komorn viele Legionärs zurückgekehrt, von denen die meisten einen bösen Geist zu verbreiten suchen. So die „ Bres- lauer Zeitung.“ Und doch klagen die Leute über Fortdauer des Militärregimentes! Berlin 22. October. ( D. Z. ) Von den Kammern wird eine Anfrage des Ministeriums gewärtigt, ob dieselben ein gleichzeiti- ges Tagen der preußischen Volksvertretung und des „Reichstages“ rathsam erachten. Das Gutachten wird voraussichtlich verneinend ausfallen. Die Folge wäre, wie ausgezeichnete Mitglieder der Kammern als gewiß annehmen, keine Verschiebung des Reichs- tages, sondern eine Vorlage in Betreff der Vertagung der Kam- mern für die frühere Berufung des Parlamentes, deren Annahme durch jene vorherige Frage und Antwort sichergestellt seyn würde. [ Das Einfachste wäre wohl, die preußischen Kammern gleichzeitig zum „deutschen Reichstag“ zu declariren. ] Briefe aus München sprechen von dort umlaufenden Ge- rüchten einer Ministerveränderung, wobei Namen als Minister- candidaten genannt werden, die unwahrscheinlich genug klingen. Ueberhaupt scheint das ganze Gerücht noch sicherer Begründung zu entbehren. Herr v. Link, der Ausschußreferent in der deutschen Frage, soll einen außerordentlich ausführlichen Bericht erstattet haben. Aus dem Breisgau 20. October. ( Karlsr. Z. ) Bei einem kleinen Ausfluge habe ich mehrfach Gelegenheit gehabt, mich über die Stimmung des Landvolkes zu verlässigen und erlaube mir darum, Jhnen meine Wahrnehmungen mitzutheilen. Zunächst war es wohlthuend für mich, die „Gestalten,“ die verflossenes Jahr bei einer ähnlichen Reise in dieser Gegend um dieselbe Zeit überall längs der Eisenbahn sich blicken ließen, heuer nicht zu bemerken. Die Pickelhauben sind keine gesuchte Nachbar- schaft für jene Zugvögel. Auf dem Lande ist es für den Augen- blick ruhiger; die Wirthshäuser sind nicht mehr in dem Maße be- sucht, wie früher, wo fast jede Arbeit darüber vernachlässigt wurde; das Zusammensitzen, um sich da gegenseitig zu belügen und zu erhitzen, hat in so fern aufgehört, als es eben nicht mehr in dem früheren Uebermaße geschieht und also kaum mehr bemerkt wird; die Bedrohungen Gutgesinnter werden wenigstens nicht mehr offen ausgesprochen. Das Fieber hat ausgesetzt, obwohl es keineswegs geheilt ist. Die Demokraten wären jede Stunde bereit, wieder loszuschlagen, wenn man nur auf irgend eine Weise die Preußen entfernen könnte. Alles, was nur einiger- maßen einem Hoffnungsschimmer für sie ähnlich sieht, wird be- gierig erfaßt. Sie hoffen auf ein Zerwürfniß zwischen Oesterreich und Preußen; sie erwarten einen neuen Umsturz in Frankreich; sie machen sich sogar Hoffnung auf die Türken; — helfe, was helfen mag. Der wühlerische Geist, den man in diesem sonst guten Völkchen Jahre lang großgezogen hat, lebt fort und wird so bald seine Natur nicht ändern. Das Traurige dabei ist, daß die Leute gar nicht glauben, nur etwas Unrechtes gethan zu haben, worin sie freilich auch durch Beispiele der Straflosigkeit bestärkt werden. Fragt man dann erfahrene Bauern nach den Ursachen jener Erscheinung, so begegnet man überall der Klage ( und ich habe sie mehrfach von Solchen gehört, die mir aufrichtig gestanden, „nicht ganz sauber“ gewesen zu seyn ) , daß eben in den Gemein- den die „Lumpen“ bei den Abstimmungen immer die Oberhand hätten, daß also eine ordentliche Gemeindebehörde gar schwer zu Stand komme und daß, so lange Jeder, ob er an den Lasten Theil nehme oder nicht, das gleiche Recht bei den Abstimmungen und den Wahlen habe, auch keine bessere Ordnung in den Ge- meinden möglich sey. So stimme bei Dingen, die das Gemeinde- vermögen, Umlagen betreffen, eine Menge Leute mit, die selbst keinen Kreuzer daran zu tragen und somit auch keinerlei Jnteresse am wahren Wohle der Gemeinde haben. Jn gleicher Weise gehe es bei den Wahlen überhaupt, sie mögen heißen, wie sie wollen. Dadurch werde dem besser gesinnten Bürger in solchen Gemein- den der Muth genommen und wenn er nicht als Zielscheibe der rohesten Verfolgung dastehen wolle, so müsse er eben auch „ mit- machen.“ Sie sehen, die Bauern meinen's mit dem „allgemeinen Stimm- recht “ nicht zum Besten. „Wie die Pflicht, so das Recht,“ ist ein Grundsatz, der ihnen als praktisch einleuchtet. Wer Nichts an den Lasten trägt, soll auch nicht darüber mit- stimmen; Das halten sie für unerläßlich. Mannheim 24. October. ( B. M. ) Die heutige Standge- richtssitzung beschäftigte sich mit der Anklage des Staatsanwaltes v. Freidorff gegen den katholischen Pfarrer Franz Anton Grimmer von Unterschüpf, Amtes Boxberg; der Antrag ging wegen thätiger Mitwirkung zu den Planen der Umsturzpartei auf zehnjährige Zuchthausstrafe. Die Vertheidigung führte Dr. Uih- lein von hier. Das Urtheil lautete mit Stimmeneinhelligkeit auf zehn Jahre Zuchthaus und Tragung der Straf= und Untersuch- ungskosten. # Mainz 25. October. Stand der Brechruhr. Jn Mainz sind keine weiteren Erkrankungs= und Sterbefälle vorgekommen, dagegen ist ein Genesungsfall angezeigt worden. Frankfurt a. M. 20. October. ( A. Z. ) Die Abstimmung Hessen=Darmstadts in dem Berliner Verwaltungsrath gegen die Einführung des Jnterim ist nach sicherer Quelle durch die Ga- gern 'sche Coterie bestimmt worden, welche glaubt, daß bei dem Bestande des Jnterim die Berufung des Reichstages in Erfurt und sonach auch die Behauptung des Bündnisses und Verfas- sungsentwurfes vom 26. Mai d. J. nicht möglich sey. — Jst man hier recht unterrichtet, so hat dieser ohne sichtbare formelle Mit- wirkung eines dritten deutschen Staates geschlossene Bund seinen Ursprung zum Theil auch in den persönlichen Zuneigungen des Kaisers von Oesterreich und des Königs von Preußen. Sie erin- nern sich an deren Zusammenkunft in Töplitz. Es war keine Con- ferenz von Staatsmännern, aber immer ist es wichtig und folgen- reich, wenn zwei so mächtige Monarchen sich geistig persönlich näh- ern. Franz Joseph soll unter anderm dabei lebhaft geäußert haben, daß Preußen und Oesterreich, auch wenn sie wollten, sich nicht trennen können. Ein Avis au lecteur für alle Publicisten, welche

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Zitationshilfe: Mainzer Journal. Nr. 253. Mainz, 24. Oktober 1849, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_mainzerjournal253_1849/5>, abgerufen am 27.11.2024.