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Mainzer Journal. Nr. 243. Mainz, 12. Oktober 1849.

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Mainzer Journal.


Nro 243. Freitag, den 12. October. 1849.


[Beginn Spaltensatz]
Vom bayrischen Landtage.

München 7. October. Von der Deputirtenkammer da-
hier läßt sich bis jetzt noch wenig sagen, ausgenommen, daß sie
in der obwohl verhältnißmäßig kurzen Zeit ihres Zusammenseyns
unverhältnißmäßig wenig gethan hat. Man hätte erwarten sollen
und dürfen, daß bei dem Zustande der Begriffsverwirrung und
der theilweisen revolutionären Auflösung Bayerns doch endlich
einmal die Bauleute jenen Eckstein zum Fundamente der Con-
struction wählen würden, welcher zum Unglücke für Land und
Leute bisher verworfen wurde. Allein leider weder von Oben
noch von Unten scheint man zur rechten Einsicht gelangt zu seyn
trotz des lautmahnenden Rufes, welcher aus den noch klaffenden
Wunden der Revolution, diesem durch gouvernementale Erschlaf-
fung und Leichtfertigkeit begünstigten und beschleunigten Resultate
der Jrreligiosität und Jmmoralität unserer in Materialismus
vielfach gesunkenen Gesellschaft, weithin ertönt. Man täusche sich
aber doch ja nicht und beherzige wohl, daß momentane scheinbare
Ruhe ein nur durch militärische Gewalt herbeigeführter Waffen-
stillstand ist, daß wir lange noch keinen dauernden Friedenszustand
haben, und wenn die Feinde von Ordnung und Gesetz sich stille
verhalten oder die Maske der Gesinnungsänderung annehmen,
dies nur aus Klugheit und Berechnung geschieht, um die Gewalt-
haber und ihre Rathgeber irre zu führen. Man bedenke aber und
abermal, daß wir jenes Friedens bedürfen, welchen die Welt
nicht geben kann, und daß nur durch diesen Frieden der Friede
der Welt möglich ist. Nicht Verfassung, nicht Gesetze, nicht die
Reorganisirung Deutschlands ist es, wovon zunächst Hilfe zu er-
warten ist, sondern lediglich Das, was allen politischen und so-
cialen Verhältnissen zu Grunde liegen muß, religiöse und
moralische Bildung, religiöser Unterricht und Er-
ziehung.

Hat nun aber die Deputirtenkammer irgend Etwas gethan,
um das moralische und politische Miasma, welches die Atmo-
sphäre der socialen Gesellschaft verunreinigt und verpestet, zu be-
seitigen und zu vertilgen? -- Gar nichts. -- Das Programm
der Kammer, denn die Adresse ist nichts Weiteres, sucht das Heil-
mittel nur in dem unerquicklichen und unheilsamen Räucherwerke
politischer Afterweisheit, wodurch, wie die Erfahrung eines hal-
ben Jahrhunderts gezeigt hat, das Uebel, mit welchem wir be-
haftet sind, nicht gehoben wird. Die Adresse, bei welcher das
Beste ist, daß sie nach kurzer Berathung fast in Bausch und
Bogen angenommen ward, ist gerade so reich an schönen Phrasen
und so arm an wahrer politischer Weisheit, als deren Verfasser,
"der liebenswürdige Staatsmann," der Freiherr v. Lerchenfeld,
dessen Ministerium und Präsidentschaft in gleich üblem Andenken
stehen. Außer dieser Adresse hat weiter die Kammer mit einer
Majorität von 80 Stimmen nach einer etwas siechen Debatte er-
klärt, -- was sich in einem geordneten Staate, zumal in einem
"Rechtsstaate," wie man sich in moderner Weise vornehm aus-
drückt, ganz von selbst versteht und rechtlicherweise gar nicht Ge-
genstand einer parlamentarischen Discussion hätte seyn sollen, --
daß nämlich zwei wegen Hochverraths in Untersuchung befindliche
Volksrepräsentanten, die "Bürger" Kolb und Mayer, vor
endlicher richterlicher Entscheidung unfähig sind, in der Kammer
zu sitzen. Bei der Verhandlung war nichts merkwürdig, als daß
56 Volksrepräsentanten es über sich bringen konnten, statt der so
verschrieenen Cabinetsjustiz eine Art Kammerjustiz ausüben zu
wollen. Freilich wird die Merkwürdigkeit dadurch etwas tempe-
rirt, wenn man erwägt, daß so manche in der Kammer sitzende
Volksrepräsentanten sich selbst nicht ganz rein fühlen und tiefer in
viele Dinge eingeweiht seyn mögen, als ihnen jetzt lieb ist, denen
deshalb auch nichts erwünschter wäre, als eine Amnestie en bloc,
d. h. die Ertheilung eines Freibriefes für alle Verbrecher, welche
ihren König verrathen, ihren Eid verletzt und Rebellion als Mit-
tel der Befriedigung ihrer selbstsüchtigen Zwecke direct gewählt
oder indirect begünstigt haben. Daß unter den 56 gegen die ge-
rechte Justiz opponirenden Stimmen die Stimme eines Rich-
[Spaltenumbruch] ters
sogar sich befindet, beweist, welche Rechtsprechung man von
einem solchen Richter zu gewärtigen hat.

Weiter war noch von Jnteresse zu hören, daß auch Exreichs-
regent Schüler, dessen Aufenthalt bisher für die Regierung ein
Geheimniß war, in dessen Besitz sich jedoch Pfarrer Tafel befin-
det, nur zu optiren hat, um in der bayrischen Kammer seinen
früheren Sitz wieder einzunehmen, worüber alle Freunde des
Rechtes und der gesetzlichen Ordnung, alle Feinde gesetzloser
Willkür und revolutionärer Anarchie eben so erstaunt seyn müs-
sen als darüber, daß eine Regierung gegen einen Mann, der in
ganz andere Räume als in einen Deputirtensaal gehört, der sich
schuldbewußt freiwillig exilirt hat, parlamentarische Complimente
macht, sowie sie endlich darüber erstaunt seyn müssen, daß der
hochwürdige und gesinnungstüchtige Herr Tafel seinen Freund
und Collegen, den Bürger Schüler, emphatisch einen " deut-
schen Mann
" ohne Widerspruch zu erfahren nennen konnte,
ihn, der mit Beihilfe einer aus Stuttgart vertriebenen wandern-
den Fraction der ehemaligen Frankfurter Versammlung wider-
rechtlich eine Regentschaft usurpirte, welche es sich zur Aufgabe
machte, unter dem Aushängeschilde deutscher Einheit und Frei-
heit, Verwirrung und Zwiespalt in Deutschlands Gauen zu brin-
gen, die bestehenden legitimen Gewalten zu stürzen, das Unglück
eines Bürgerkrieges herbeizuführen und am Ende die Franzo-
sen
herbeizurufen. Eine Kammer, in welcher außer obigen Dingen
nichts weiter vorkam, als die unbegreifliche Debatte über die
Aenderung des §. 26. der Constitution, als wenn es mit dem
dort den Deputirten ertheilten Privilegium nicht schon mehr als
genug wäre, verspricht nicht viel Gutes. Freilich eine Lerchen-
feld 'sche Politik, welche nicht kalt und nicht warm ist, und welcher
leider die Majorität zu huldigen scheint, kann nur zur Folge ha-
ben, was jede Zwitterpolitik zur Folge gehabt hat, einen Zustand,
welcher keinen Menschen befriedigt, weil sie ohne feste Principien
hin= und herschwankend eine unmögliche rechte Mitte sucht, welche
letztere nicht als Princip, sondern nur als Weg ein Princip ins
Leben einzuführen, Werth hat, und zum Schaffen des Guten und
Abschaffen des Schlechten gleich untauglich ist.

Eine ähnliche Politik wird auch, wie zuverlässige Nachrichten
uns belehren, in der Pfalz von der dortigen Regierung be-
folgt. Der neue Präsident, unbekannt mit den dortigen Verhält-
nissen, scheint leider von Leuten sich leiten zu lassen, welche schon
den früheren Präsidenten Alwens geleitet und verleitet haben.
Das bureaukratische Unwesen, die energielose Politik des Nichts-
thuns, wo das Thun am Platze wäre, sowie die übergroße Viel-
geschäftigkeit, wo das Gegentheil allein zweckmäßig ist, macht
sich in demselben Maße wie früher wieder geltend. Jst nun gar
die Aeußerung wirklich gemacht worden, welche Herr v. Zenetti
gegen einige katholische Geistliche 1), wie verlautet, sich erlaubt
haben soll, so ist dies ein schlimmes Zeichen für die Regierungs-
klugheit des dermaligen Präsidenten, es ist alsdann unverkenn-
bar, daß man die Tramontane ganz verloren und gänzlich ver-
kannt hat, wo die wahre Stütze für das Bestehen der staatlichen
Gesellschaft zu suchen und zu finden ist. Lange genug hat der
Staat den Versuch gemacht, durch seine Polizei die Kirche zu er-
setzen, durch jene über diese zu herrschen und die Schule, statt sie
dem heilsamen Einflusse der Kirche zu übergeben, seiner vermeint-
lichen polizeilichen Omnipotenz zu unterwerfen, er hat die Früchte
seines leichtsinnigen Gebahrens nun geerndet und ist durch die
That darüber belehrt, was dabei herauskommt, wenn man die
Staatsordnung auf den morschen Pfeiler eines bureaukratisch=or-
ganisirten Beamtenthums stützt und die Treue der Beamten mehr
auf eine materielle als auf eine moralische Grundlage zu basiren
sucht. Die Treue wird alsdann gerade so lange währen, als der
Vortheil, den man erwartet. Die Pfalz hat den Commentar zu
[Ende Spaltensatz]

1) Herr von Zenetti erklärte mehreren Geistlichen: "Der katholische
Klerus trägt Schuld an dem Aufstande in der Pfalz, weil er zu schroff
dem Radicalismus entgegengetreten ist."     Anm. d. Red.
Mainzer Journal.


Nro 243. Freitag, den 12. October. 1849.


[Beginn Spaltensatz]
Vom bayrischen Landtage.

✡ München 7. October. Von der Deputirtenkammer da-
hier läßt sich bis jetzt noch wenig sagen, ausgenommen, daß sie
in der obwohl verhältnißmäßig kurzen Zeit ihres Zusammenseyns
unverhältnißmäßig wenig gethan hat. Man hätte erwarten sollen
und dürfen, daß bei dem Zustande der Begriffsverwirrung und
der theilweisen revolutionären Auflösung Bayerns doch endlich
einmal die Bauleute jenen Eckstein zum Fundamente der Con-
struction wählen würden, welcher zum Unglücke für Land und
Leute bisher verworfen wurde. Allein leider weder von Oben
noch von Unten scheint man zur rechten Einsicht gelangt zu seyn
trotz des lautmahnenden Rufes, welcher aus den noch klaffenden
Wunden der Revolution, diesem durch gouvernementale Erschlaf-
fung und Leichtfertigkeit begünstigten und beschleunigten Resultate
der Jrreligiosität und Jmmoralität unserer in Materialismus
vielfach gesunkenen Gesellschaft, weithin ertönt. Man täusche sich
aber doch ja nicht und beherzige wohl, daß momentane scheinbare
Ruhe ein nur durch militärische Gewalt herbeigeführter Waffen-
stillstand ist, daß wir lange noch keinen dauernden Friedenszustand
haben, und wenn die Feinde von Ordnung und Gesetz sich stille
verhalten oder die Maske der Gesinnungsänderung annehmen,
dies nur aus Klugheit und Berechnung geschieht, um die Gewalt-
haber und ihre Rathgeber irre zu führen. Man bedenke aber und
abermal, daß wir jenes Friedens bedürfen, welchen die Welt
nicht geben kann, und daß nur durch diesen Frieden der Friede
der Welt möglich ist. Nicht Verfassung, nicht Gesetze, nicht die
Reorganisirung Deutschlands ist es, wovon zunächst Hilfe zu er-
warten ist, sondern lediglich Das, was allen politischen und so-
cialen Verhältnissen zu Grunde liegen muß, religiöse und
moralische Bildung, religiöser Unterricht und Er-
ziehung.

Hat nun aber die Deputirtenkammer irgend Etwas gethan,
um das moralische und politische Miasma, welches die Atmo-
sphäre der socialen Gesellschaft verunreinigt und verpestet, zu be-
seitigen und zu vertilgen? — Gar nichts. — Das Programm
der Kammer, denn die Adresse ist nichts Weiteres, sucht das Heil-
mittel nur in dem unerquicklichen und unheilsamen Räucherwerke
politischer Afterweisheit, wodurch, wie die Erfahrung eines hal-
ben Jahrhunderts gezeigt hat, das Uebel, mit welchem wir be-
haftet sind, nicht gehoben wird. Die Adresse, bei welcher das
Beste ist, daß sie nach kurzer Berathung fast in Bausch und
Bogen angenommen ward, ist gerade so reich an schönen Phrasen
und so arm an wahrer politischer Weisheit, als deren Verfasser,
„der liebenswürdige Staatsmann,“ der Freiherr v. Lerchenfeld,
dessen Ministerium und Präsidentschaft in gleich üblem Andenken
stehen. Außer dieser Adresse hat weiter die Kammer mit einer
Majorität von 80 Stimmen nach einer etwas siechen Debatte er-
klärt, — was sich in einem geordneten Staate, zumal in einem
„Rechtsstaate,“ wie man sich in moderner Weise vornehm aus-
drückt, ganz von selbst versteht und rechtlicherweise gar nicht Ge-
genstand einer parlamentarischen Discussion hätte seyn sollen, —
daß nämlich zwei wegen Hochverraths in Untersuchung befindliche
Volksrepräsentanten, die „Bürger“ Kolb und Mayer, vor
endlicher richterlicher Entscheidung unfähig sind, in der Kammer
zu sitzen. Bei der Verhandlung war nichts merkwürdig, als daß
56 Volksrepräsentanten es über sich bringen konnten, statt der so
verschrieenen Cabinetsjustiz eine Art Kammerjustiz ausüben zu
wollen. Freilich wird die Merkwürdigkeit dadurch etwas tempe-
rirt, wenn man erwägt, daß so manche in der Kammer sitzende
Volksrepräsentanten sich selbst nicht ganz rein fühlen und tiefer in
viele Dinge eingeweiht seyn mögen, als ihnen jetzt lieb ist, denen
deshalb auch nichts erwünschter wäre, als eine Amnestie en bloc,
d. h. die Ertheilung eines Freibriefes für alle Verbrecher, welche
ihren König verrathen, ihren Eid verletzt und Rebellion als Mit-
tel der Befriedigung ihrer selbstsüchtigen Zwecke direct gewählt
oder indirect begünstigt haben. Daß unter den 56 gegen die ge-
rechte Justiz opponirenden Stimmen die Stimme eines Rich-
[Spaltenumbruch] ters
sogar sich befindet, beweist, welche Rechtsprechung man von
einem solchen Richter zu gewärtigen hat.

Weiter war noch von Jnteresse zu hören, daß auch Exreichs-
regent Schüler, dessen Aufenthalt bisher für die Regierung ein
Geheimniß war, in dessen Besitz sich jedoch Pfarrer Tafel befin-
det, nur zu optiren hat, um in der bayrischen Kammer seinen
früheren Sitz wieder einzunehmen, worüber alle Freunde des
Rechtes und der gesetzlichen Ordnung, alle Feinde gesetzloser
Willkür und revolutionärer Anarchie eben so erstaunt seyn müs-
sen als darüber, daß eine Regierung gegen einen Mann, der in
ganz andere Räume als in einen Deputirtensaal gehört, der sich
schuldbewußt freiwillig exilirt hat, parlamentarische Complimente
macht, sowie sie endlich darüber erstaunt seyn müssen, daß der
hochwürdige und gesinnungstüchtige Herr Tafel seinen Freund
und Collegen, den Bürger Schüler, emphatisch einen „ deut-
schen Mann
“ ohne Widerspruch zu erfahren nennen konnte,
ihn, der mit Beihilfe einer aus Stuttgart vertriebenen wandern-
den Fraction der ehemaligen Frankfurter Versammlung wider-
rechtlich eine Regentschaft usurpirte, welche es sich zur Aufgabe
machte, unter dem Aushängeschilde deutscher Einheit und Frei-
heit, Verwirrung und Zwiespalt in Deutschlands Gauen zu brin-
gen, die bestehenden legitimen Gewalten zu stürzen, das Unglück
eines Bürgerkrieges herbeizuführen und am Ende die Franzo-
sen
herbeizurufen. Eine Kammer, in welcher außer obigen Dingen
nichts weiter vorkam, als die unbegreifliche Debatte über die
Aenderung des §. 26. der Constitution, als wenn es mit dem
dort den Deputirten ertheilten Privilegium nicht schon mehr als
genug wäre, verspricht nicht viel Gutes. Freilich eine Lerchen-
feld 'sche Politik, welche nicht kalt und nicht warm ist, und welcher
leider die Majorität zu huldigen scheint, kann nur zur Folge ha-
ben, was jede Zwitterpolitik zur Folge gehabt hat, einen Zustand,
welcher keinen Menschen befriedigt, weil sie ohne feste Principien
hin= und herschwankend eine unmögliche rechte Mitte sucht, welche
letztere nicht als Princip, sondern nur als Weg ein Princip ins
Leben einzuführen, Werth hat, und zum Schaffen des Guten und
Abschaffen des Schlechten gleich untauglich ist.

Eine ähnliche Politik wird auch, wie zuverlässige Nachrichten
uns belehren, in der Pfalz von der dortigen Regierung be-
folgt. Der neue Präsident, unbekannt mit den dortigen Verhält-
nissen, scheint leider von Leuten sich leiten zu lassen, welche schon
den früheren Präsidenten Alwens geleitet und verleitet haben.
Das bureaukratische Unwesen, die energielose Politik des Nichts-
thuns, wo das Thun am Platze wäre, sowie die übergroße Viel-
geschäftigkeit, wo das Gegentheil allein zweckmäßig ist, macht
sich in demselben Maße wie früher wieder geltend. Jst nun gar
die Aeußerung wirklich gemacht worden, welche Herr v. Zenetti
gegen einige katholische Geistliche 1), wie verlautet, sich erlaubt
haben soll, so ist dies ein schlimmes Zeichen für die Regierungs-
klugheit des dermaligen Präsidenten, es ist alsdann unverkenn-
bar, daß man die Tramontane ganz verloren und gänzlich ver-
kannt hat, wo die wahre Stütze für das Bestehen der staatlichen
Gesellschaft zu suchen und zu finden ist. Lange genug hat der
Staat den Versuch gemacht, durch seine Polizei die Kirche zu er-
setzen, durch jene über diese zu herrschen und die Schule, statt sie
dem heilsamen Einflusse der Kirche zu übergeben, seiner vermeint-
lichen polizeilichen Omnipotenz zu unterwerfen, er hat die Früchte
seines leichtsinnigen Gebahrens nun geerndet und ist durch die
That darüber belehrt, was dabei herauskommt, wenn man die
Staatsordnung auf den morschen Pfeiler eines bureaukratisch=or-
ganisirten Beamtenthums stützt und die Treue der Beamten mehr
auf eine materielle als auf eine moralische Grundlage zu basiren
sucht. Die Treue wird alsdann gerade so lange währen, als der
Vortheil, den man erwartet. Die Pfalz hat den Commentar zu
[Ende Spaltensatz]

1) Herr von Zenetti erklärte mehreren Geistlichen: „Der katholische
Klerus trägt Schuld an dem Aufstande in der Pfalz, weil er zu schroff
dem Radicalismus entgegengetreten ist.“     Anm. d. Red.
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Man täusche sich aber doch ja nicht und beherzige wohl, daß momentane scheinbare Ruhe ein nur durch militärische Gewalt herbeigeführter Waffen- stillstand ist, daß wir lange noch keinen dauernden Friedenszustand haben, und wenn die Feinde von Ordnung und Gesetz sich stille verhalten oder die Maske der Gesinnungsänderung annehmen, dies nur aus Klugheit und Berechnung geschieht, um die Gewalt- haber und ihre Rathgeber irre zu führen. Man bedenke aber und abermal, daß wir jenes Friedens bedürfen, welchen die Welt nicht geben kann, und daß nur durch diesen Frieden der Friede der Welt möglich ist. Nicht Verfassung, nicht Gesetze, nicht die Reorganisirung Deutschlands ist es, wovon zunächst Hilfe zu er- warten ist, sondern lediglich Das, was allen politischen und so- cialen Verhältnissen zu Grunde liegen muß, religiöse und moralische Bildung, religiöser Unterricht und Er- ziehung. Hat nun aber die Deputirtenkammer irgend Etwas gethan, um das moralische und politische Miasma, welches die Atmo- sphäre der socialen Gesellschaft verunreinigt und verpestet, zu be- seitigen und zu vertilgen? — Gar nichts. — Das Programm der Kammer, denn die Adresse ist nichts Weiteres, sucht das Heil- mittel nur in dem unerquicklichen und unheilsamen Räucherwerke politischer Afterweisheit, wodurch, wie die Erfahrung eines hal- ben Jahrhunderts gezeigt hat, das Uebel, mit welchem wir be- haftet sind, nicht gehoben wird. Die Adresse, bei welcher das Beste ist, daß sie nach kurzer Berathung fast in Bausch und Bogen angenommen ward, ist gerade so reich an schönen Phrasen und so arm an wahrer politischer Weisheit, als deren Verfasser, „der liebenswürdige Staatsmann,“ der Freiherr v. Lerchenfeld, dessen Ministerium und Präsidentschaft in gleich üblem Andenken stehen. Außer dieser Adresse hat weiter die Kammer mit einer Majorität von 80 Stimmen nach einer etwas siechen Debatte er- klärt, — was sich in einem geordneten Staate, zumal in einem „Rechtsstaate,“ wie man sich in moderner Weise vornehm aus- drückt, ganz von selbst versteht und rechtlicherweise gar nicht Ge- genstand einer parlamentarischen Discussion hätte seyn sollen, — daß nämlich zwei wegen Hochverraths in Untersuchung befindliche Volksrepräsentanten, die „Bürger“ Kolb und Mayer, vor endlicher richterlicher Entscheidung unfähig sind, in der Kammer zu sitzen. Bei der Verhandlung war nichts merkwürdig, als daß 56 Volksrepräsentanten es über sich bringen konnten, statt der so verschrieenen Cabinetsjustiz eine Art Kammerjustiz ausüben zu wollen. Freilich wird die Merkwürdigkeit dadurch etwas tempe- rirt, wenn man erwägt, daß so manche in der Kammer sitzende Volksrepräsentanten sich selbst nicht ganz rein fühlen und tiefer in viele Dinge eingeweiht seyn mögen, als ihnen jetzt lieb ist, denen deshalb auch nichts erwünschter wäre, als eine Amnestie en bloc, d. h. die Ertheilung eines Freibriefes für alle Verbrecher, welche ihren König verrathen, ihren Eid verletzt und Rebellion als Mit- tel der Befriedigung ihrer selbstsüchtigen Zwecke direct gewählt oder indirect begünstigt haben. Daß unter den 56 gegen die ge- rechte Justiz opponirenden Stimmen die Stimme eines Rich- ters sogar sich befindet, beweist, welche Rechtsprechung man von einem solchen Richter zu gewärtigen hat. Weiter war noch von Jnteresse zu hören, daß auch Exreichs- regent Schüler, dessen Aufenthalt bisher für die Regierung ein Geheimniß war, in dessen Besitz sich jedoch Pfarrer Tafel befin- det, nur zu optiren hat, um in der bayrischen Kammer seinen früheren Sitz wieder einzunehmen, worüber alle Freunde des Rechtes und der gesetzlichen Ordnung, alle Feinde gesetzloser Willkür und revolutionärer Anarchie eben so erstaunt seyn müs- sen als darüber, daß eine Regierung gegen einen Mann, der in ganz andere Räume als in einen Deputirtensaal gehört, der sich schuldbewußt freiwillig exilirt hat, parlamentarische Complimente macht, sowie sie endlich darüber erstaunt seyn müssen, daß der hochwürdige und gesinnungstüchtige Herr Tafel seinen Freund und Collegen, den Bürger Schüler, emphatisch einen „ deut- schen Mann “ ohne Widerspruch zu erfahren nennen konnte, ihn, der mit Beihilfe einer aus Stuttgart vertriebenen wandern- den Fraction der ehemaligen Frankfurter Versammlung wider- rechtlich eine Regentschaft usurpirte, welche es sich zur Aufgabe machte, unter dem Aushängeschilde deutscher Einheit und Frei- heit, Verwirrung und Zwiespalt in Deutschlands Gauen zu brin- gen, die bestehenden legitimen Gewalten zu stürzen, das Unglück eines Bürgerkrieges herbeizuführen und am Ende die Franzo- sen herbeizurufen. Eine Kammer, in welcher außer obigen Dingen nichts weiter vorkam, als die unbegreifliche Debatte über die Aenderung des §. 26. der Constitution, als wenn es mit dem dort den Deputirten ertheilten Privilegium nicht schon mehr als genug wäre, verspricht nicht viel Gutes. Freilich eine Lerchen- feld 'sche Politik, welche nicht kalt und nicht warm ist, und welcher leider die Majorität zu huldigen scheint, kann nur zur Folge ha- ben, was jede Zwitterpolitik zur Folge gehabt hat, einen Zustand, welcher keinen Menschen befriedigt, weil sie ohne feste Principien hin= und herschwankend eine unmögliche rechte Mitte sucht, welche letztere nicht als Princip, sondern nur als Weg ein Princip ins Leben einzuführen, Werth hat, und zum Schaffen des Guten und Abschaffen des Schlechten gleich untauglich ist. Eine ähnliche Politik wird auch, wie zuverlässige Nachrichten uns belehren, in der Pfalz von der dortigen Regierung be- folgt. Der neue Präsident, unbekannt mit den dortigen Verhält- nissen, scheint leider von Leuten sich leiten zu lassen, welche schon den früheren Präsidenten Alwens geleitet und verleitet haben. Das bureaukratische Unwesen, die energielose Politik des Nichts- thuns, wo das Thun am Platze wäre, sowie die übergroße Viel- geschäftigkeit, wo das Gegentheil allein zweckmäßig ist, macht sich in demselben Maße wie früher wieder geltend. Jst nun gar die Aeußerung wirklich gemacht worden, welche Herr v. Zenetti gegen einige katholische Geistliche 1), wie verlautet, sich erlaubt haben soll, so ist dies ein schlimmes Zeichen für die Regierungs- klugheit des dermaligen Präsidenten, es ist alsdann unverkenn- bar, daß man die Tramontane ganz verloren und gänzlich ver- kannt hat, wo die wahre Stütze für das Bestehen der staatlichen Gesellschaft zu suchen und zu finden ist. Lange genug hat der Staat den Versuch gemacht, durch seine Polizei die Kirche zu er- setzen, durch jene über diese zu herrschen und die Schule, statt sie dem heilsamen Einflusse der Kirche zu übergeben, seiner vermeint- lichen polizeilichen Omnipotenz zu unterwerfen, er hat die Früchte seines leichtsinnigen Gebahrens nun geerndet und ist durch die That darüber belehrt, was dabei herauskommt, wenn man die Staatsordnung auf den morschen Pfeiler eines bureaukratisch=or- ganisirten Beamtenthums stützt und die Treue der Beamten mehr auf eine materielle als auf eine moralische Grundlage zu basiren sucht. Die Treue wird alsdann gerade so lange währen, als der Vortheil, den man erwartet. Die Pfalz hat den Commentar zu 1) Herr von Zenetti erklärte mehreren Geistlichen: „Der katholische Klerus trägt Schuld an dem Aufstande in der Pfalz, weil er zu schroff dem Radicalismus entgegengetreten ist.“ Anm. d. Red.

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Zitationshilfe: Mainzer Journal. Nr. 243. Mainz, 12. Oktober 1849, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_mainzerjournal243_1849/1>, abgerufen am 23.11.2024.