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Mainzer Journal. Nr. 167. Mainz, 18. Dezember 1848.

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[Beginn Spaltensatz] flößt uns Besorgnisse ein, -- wohl aber die gegenwärtige deutsche
Charakterlosigkeit, die überall, im Norden wie im Süden, faust-
dick sitzt!

Schweiz.

Bern. Damit der größte Canton der Schweiz auf dem Wege
der Civilisation nicht hinter anderen zurückbleibe, hat die Regie-
rung von Bern beschlossen, beim großen Rathe die Aufhebung
des Ursulinerstiftes in Pruntrunt, des einzig noch bestehenden
Klosters im Cantone Bern, zu beantragen, und überdies die im
Amtsbezirke Pruntrunt niedergelassenen barmherzigen
Schwestern
und Schulschwestern, welche Ausländerinnen
sind, polizeilich aus dem Cantone zu verweisen. Das ist der
Welt Lohn für die edlen Werke bewährter Christenliebe.

Freiburg. Seit mehreren Wochen ist Herr Alt=Staatsrath
Charles verhaftet -- warum? Etwa weil eine Klage gegen ihn
vorliegt? Nein, sondern nur deswegen, weil die Freiburger
Tyrannen fürchten, er könnte reden und schreiben, wie es ihnen
mißfällig wäre, und dies bietet in Freiburg Grund genug, einen
schuldlosen Ehrenmann Jahr und Tag gefangen zu halten.

Es wird erzählt, man habe dem Hochwürdigsten Bischof von
Freiburg in der Gefangenschaft zu Chillon eines Abends zu ver-
stehen gegeben, es stehe ihm diese Nacht das Thor offen, wenn er
heimlich entfliehen wolle. Der ehrwürdige Prälat wies aber sol-
ches Ansinnen mit Würde von der Hand, und hat hierauf ohne
Zweifel ruhiger geschlafen, als jene Tyrannen, welche ihn einge-
kerkert haben und nun gern seiner los wären.

Tessin. Da die italiänischen Flüchtlinge sich in das Jnnere
der Schweiz zurückgezogen haben, so werden sämmtliche im Can-
tone Tessin stationirten eidgen. Truppen in ihre Heimath entlassen.

Frankreich.

# Paris 14. December 1). Jch wollte eigentlich mit meinem
Berichte so lange warten, bis ich Jhnen ein definitives Resultat
der Wahl melden könnte, da dieses sich indessen mit ziemlicher
Gewißheit voraussehen läßt, so ergreife ich jetzt schon die Feder.
Jm Departement der Seine, dem wichtigsten von allen, ist
das Resultat der Wahlhandlung schon bekannt und hat sich fol-
gendermaßen gestaltet: Louis Napoleon erhielt in Paris und
der Banlieue 191,565, Cavaignac 88,745, Ledru=Rollin 25,313,
Raspail 15,420, Lamartine 3,580 Stimmen. Nach den bis
jetzt noch sehr unvollständigen Berichten aus den Provinzen hat
Louis Napoleon ungefähr 778,978, Cavaignac 213,242, Ledru-
Rollin 46,139, Raspail 17,243, Lamartine 4,281 Stimmen er-
halten. Sie sehen, Louis Napoleon wird Präsident der fran-
zösischen Republik werden und zwar mit absoluter Majorität, das
Land hat das gewaltigste aller Rechte geltend gemacht, seine Ab-
stimmung drückt eine bestimmte Majorität aus, sein Wille wird
und muß das höchste Gesetz seyn. Das Land hat es so gewollt,
und ich will mich vorläufig auf so lange noch eines jeden Urtheils
über die Wahl der Nation enthalten, bis das Programm der
neuen Regierung vorliegt. Offen gesprochen, wir sind über die
Gefahren, die ich Jhnen schon früher angedeutet, noch lange nicht
hinaus, und die unversöhnlichen Feinde der socialen Ordnung
werden die von dem Volke getroffene Wahl schon auszubeuten
suchen. Meines Erachtens liegt die Hauptschwierigkeit unserer
Lage darin, daß die Majorität, welche Louis Napoleon erhalten
hat, aus so vielen verschiedenartigen Elementen besteht, daß er
unmöglich alle die Parteien, welche ihm ihre Stimmen gegeben,
wird zufrieden stellen können, und das gibt naturgemäß wieder
eine Menge Unzufriedener, die sich mit den geborenen Feinden
einer jeden Regierung verbinden und eine furchtbare Opposition
bilden werden.

Schon früher schrieb ich Jhnen, daß der Geist der Gewaltthat
und Ausschließlichkeit, welcher sich bei den ersten Republikanern
kund gab, der Republik selbst viele Feinde gemacht habe, und
meine damalige Wahrnehmung hat jetzt ihre Bestätigung durch die
Thatsachen gefunden, denn viele Wähler haben ihre Stimme nur
darum Napoleon gegeben, um auf diese Weise die Republik zu
stürtzen. Jch hoffe indessen, daß es doch nicht so kommen wird,
denn wir haben schon mehr als einmal die traurige Erfahrung
gemacht, daß mit jeder Revolution furchtbare Krisen verbunden
sind, die wir um keinen Preis mehr durchmachen wollen. Wir
sind des Revolutionirens durchaus müde, und vielleicht erhält ge-
rade dieser Umstand der Republik das Leben, so wenig lebens-
fähig sie auch an und für sich seyn mag. Jn dieser Beziehung hat
neulich ein Deputirter auf der Tribune ganz richtig bemerkt:
"Selbst wenn die Wahl unseren Wünschen nicht entsprechen sollte,
so wollen wir dennoch der Ordnung, der Gerechtigkeit und dem
[Spaltenumbruch] wahren Rechte uns fügen und den Ausdruck derselben nicht in dem
leidenschaftlichen Treiben der Parteien, sondern in der friedlichen,
ruhigen und geordneten Offenbarung der National=Souveränetät
suchen, welche ganz Frankreich einstimmig proclamirt hat."

Mehrere Blätter waren unverschämt genug, die Loyalität
Cavaignacs in Zweifel zu ziehen und haben das Gerücht verbreitet,
es sey noch gar nicht ausgemacht, ob er die Regierung so ohne
Weiteres an seinen Nachfolger übergeben werde. Es ist dieses
jedoch weiter, nichts, als eine infame Verläumdung, gleich jenen
vielen anderen, die in der letzten Zeit auf das Haupt des Gene-
rals gehäuft und durch welche, namentlich auf dem Lande,
die öffentliche Meinung förmlich corrumpirt worden ist.
Der General denkt im Gegentheile so wenig daran, sich
im Besitze der Gewalt zu erhalten, daß er erst dieser Tage
eine Proclamation an das Volk erlassen hat, in welcher er
erklärt, daß er der Wahl des Volkes sich füge, daß er vor allen
Anderen vor dem Willen der Nation sich beuge und es für eine
Ehrensache halte, seine Gewalt unversehrt in die Hände des
neuen Präsidenten niederzulegen. Und wohl dürfen wir sagen:
er wird sie würdig niederlegen die Last der Geschäfte, wie er sie
fünf Monate lang mit Würde getragen hat, und wir wollen
hoffen, daß sein Nachfolger sich in den nächsten fünf Monaten
eben so viele Ansprüche auf die Dankbarkeit der Nation erwerben
möge, wie der General. Louis Napoleon wird sich sein Ministe-
rium größtentheils aus der ehemaligen dynastischen Linken wäh-
len und die noch unverbürgten Listen desselben werden Jhnen
schon aus den Blättern bekannt geworden seyn. Was die Vice-
präsidentschaft betrifft, so ist von Lamartine, Garnier=Pages oder
Odilon=Barot die Rede, die verfassungsmäßig der Nationalver-
sammlung vorzuschlagen sind und wahrscheinlich wird diese aus
den drei Candidaten Odilon=Barot zum Vicepräsidenten der Re-
publik wählen. Daß tausendfache Gerüchte sich kreuzen, daß man
im Grunde gar nicht weiß, woran man mit dem Prinzen ist,
brauche ich Jhnen nicht erst zu bemerken. Von politischen Grund-
sätzen, von einer entschiedenen Gesinnung hat bis jetzt noch kein
Mensch eine Spur an Louis Napoleon wahrgenommen, den
Sitzungen der Nationalversammlung hat er fast nie beige-
wohnt, eine Rede hat er dort nie gehalten, und im Ganzen
nur zweimal mitgestimmt. Es fehlt also durchaus an Anteceden-
zien, aus welchen sich ein Schluß auf sein künftiges Verhalten
und auf die Bahn machen ließe, welche er nach seiner Proclami-
rung als Präsident einzuschlagen gedenkt.

* * * Paris 16. December. Auch im südlichen und westlichen
Frankreich hat Louis Napoleon den Sieg davon getragen und den
General Cavaignac bedeutend überflügelt. Hier hegte man ge-
stern einen Augenblick Besorgniß für Erhaltung der Ruhe, der
Tag und die Jahresfeier des Begräbnisses des Kaisers im Jn-
validenhotel gingen jedoch ganz ruhig vorüber. Bei Odilon-
Barrot war große Conferenz und es wurde ausgemacht, daß
Falloux auf jeden Fall das Ministerium des öffentlichen Unterrich-
tes übernehmen müsse. Herr de Falloux erklärte sich jedoch nur
unter der Bedingung bereit dazu, wenn noch ein anderer Gegner
des monopolisirenden Schulmeisterthumes, Herr von Tracy, in
die Verwaltung eintreten würde. Tracy soll jetzt die Marine
übernehmen, Achille Fould Handelsminister werden. Daß Drouyn
de Lhuys die auswärtigen Angelegenheiten bekommt ist gewiß.
Sobald er das Portefeuille übernommen, beginnt die Säuberung
des diplomatischen Corps und die alten erfahrenen Diplomaten
aus der Schule Louis Philippes, Bourqueney, Pontois, Wa-
lewski, Lagrenee und Piscatory überkommen wieder die Leitung
der Geschäfte.

Zum Präsidenten der Nationalversammlung ist bei der letzten
Wahl Marrast wieder ernannt worden und es bleibt ihm somit
das angenehme Geschäft, den neuen Präsidenten zu proclamiren
und einzuführen. Die Ruhe, welche hier herrscht, ist wirklich
auffallend, Regierung und Bevölkerung sind fest entschlossen dem
Treiben der Wühler endlich einmal ein Ziel zu setzen und der
Enthusiasmus für die Ordnung geht so weit, daß sogar die alten
Soldaten, welche früher alle Jahre am 15. in ihren Uni-
formen in das Jnvalidenhotel zogen und dort dem Trauergottes-
dienste für den Kaiser beiwohnten, diesmal weggeblieben sind,
um auch den Schatten einer Demonstration zu vermeiden. Die
Rothen und Socialisten, welche bei der Präsidentenwahl so über-
aus wenige Stimmen zusammengebracht, sagen jetzt, um ihre
Niederlage zu maskiren, sie hätten für den "Prinzen" gestimmt.
Die Ausrede ist aber herzlich schlecht, denn alle Welt weiß hier,
daß sie für Ledru=Rollin und Raspail gestimmt haben, und wenn
beide Bürger so wenig Stimmen erhielten, so hat dieses einzig
und allein in der Schwäche der Partei seinen Grund, zu deren
Haupttugenden eben auch das Dickthuen und die Mundfertigkeit
gehören.

[Ende Spaltensatz]

Redacteur: Franz Sausen. -- Verlag von Kirchheim und Schott in Mainz. -- Druck von Florian Kupferberg.

1) Von einem Franzosen.

[Beginn Spaltensatz] flößt uns Besorgnisse ein, — wohl aber die gegenwärtige deutsche
Charakterlosigkeit, die überall, im Norden wie im Süden, faust-
dick sitzt!

Schweiz.

Bern. Damit der größte Canton der Schweiz auf dem Wege
der Civilisation nicht hinter anderen zurückbleibe, hat die Regie-
rung von Bern beschlossen, beim großen Rathe die Aufhebung
des Ursulinerstiftes in Pruntrunt, des einzig noch bestehenden
Klosters im Cantone Bern, zu beantragen, und überdies die im
Amtsbezirke Pruntrunt niedergelassenen barmherzigen
Schwestern
und Schulschwestern, welche Ausländerinnen
sind, polizeilich aus dem Cantone zu verweisen. Das ist der
Welt Lohn für die edlen Werke bewährter Christenliebe.

Freiburg. Seit mehreren Wochen ist Herr Alt=Staatsrath
Charles verhaftet — warum? Etwa weil eine Klage gegen ihn
vorliegt? Nein, sondern nur deswegen, weil die Freiburger
Tyrannen fürchten, er könnte reden und schreiben, wie es ihnen
mißfällig wäre, und dies bietet in Freiburg Grund genug, einen
schuldlosen Ehrenmann Jahr und Tag gefangen zu halten.

Es wird erzählt, man habe dem Hochwürdigsten Bischof von
Freiburg in der Gefangenschaft zu Chillon eines Abends zu ver-
stehen gegeben, es stehe ihm diese Nacht das Thor offen, wenn er
heimlich entfliehen wolle. Der ehrwürdige Prälat wies aber sol-
ches Ansinnen mit Würde von der Hand, und hat hierauf ohne
Zweifel ruhiger geschlafen, als jene Tyrannen, welche ihn einge-
kerkert haben und nun gern seiner los wären.

Tessin. Da die italiänischen Flüchtlinge sich in das Jnnere
der Schweiz zurückgezogen haben, so werden sämmtliche im Can-
tone Tessin stationirten eidgen. Truppen in ihre Heimath entlassen.

Frankreich.

□ Paris 14. December 1). Jch wollte eigentlich mit meinem
Berichte so lange warten, bis ich Jhnen ein definitives Resultat
der Wahl melden könnte, da dieses sich indessen mit ziemlicher
Gewißheit voraussehen läßt, so ergreife ich jetzt schon die Feder.
Jm Departement der Seine, dem wichtigsten von allen, ist
das Resultat der Wahlhandlung schon bekannt und hat sich fol-
gendermaßen gestaltet: Louis Napoleon erhielt in Paris und
der Banlieue 191,565, Cavaignac 88,745, Ledru=Rollin 25,313,
Raspail 15,420, Lamartine 3,580 Stimmen. Nach den bis
jetzt noch sehr unvollständigen Berichten aus den Provinzen hat
Louis Napoleon ungefähr 778,978, Cavaignac 213,242, Ledru-
Rollin 46,139, Raspail 17,243, Lamartine 4,281 Stimmen er-
halten. Sie sehen, Louis Napoleon wird Präsident der fran-
zösischen Republik werden und zwar mit absoluter Majorität, das
Land hat das gewaltigste aller Rechte geltend gemacht, seine Ab-
stimmung drückt eine bestimmte Majorität aus, sein Wille wird
und muß das höchste Gesetz seyn. Das Land hat es so gewollt,
und ich will mich vorläufig auf so lange noch eines jeden Urtheils
über die Wahl der Nation enthalten, bis das Programm der
neuen Regierung vorliegt. Offen gesprochen, wir sind über die
Gefahren, die ich Jhnen schon früher angedeutet, noch lange nicht
hinaus, und die unversöhnlichen Feinde der socialen Ordnung
werden die von dem Volke getroffene Wahl schon auszubeuten
suchen. Meines Erachtens liegt die Hauptschwierigkeit unserer
Lage darin, daß die Majorität, welche Louis Napoleon erhalten
hat, aus so vielen verschiedenartigen Elementen besteht, daß er
unmöglich alle die Parteien, welche ihm ihre Stimmen gegeben,
wird zufrieden stellen können, und das gibt naturgemäß wieder
eine Menge Unzufriedener, die sich mit den geborenen Feinden
einer jeden Regierung verbinden und eine furchtbare Opposition
bilden werden.

Schon früher schrieb ich Jhnen, daß der Geist der Gewaltthat
und Ausschließlichkeit, welcher sich bei den ersten Republikanern
kund gab, der Republik selbst viele Feinde gemacht habe, und
meine damalige Wahrnehmung hat jetzt ihre Bestätigung durch die
Thatsachen gefunden, denn viele Wähler haben ihre Stimme nur
darum Napoleon gegeben, um auf diese Weise die Republik zu
stürtzen. Jch hoffe indessen, daß es doch nicht so kommen wird,
denn wir haben schon mehr als einmal die traurige Erfahrung
gemacht, daß mit jeder Revolution furchtbare Krisen verbunden
sind, die wir um keinen Preis mehr durchmachen wollen. Wir
sind des Revolutionirens durchaus müde, und vielleicht erhält ge-
rade dieser Umstand der Republik das Leben, so wenig lebens-
fähig sie auch an und für sich seyn mag. Jn dieser Beziehung hat
neulich ein Deputirter auf der Tribune ganz richtig bemerkt:
„Selbst wenn die Wahl unseren Wünschen nicht entsprechen sollte,
so wollen wir dennoch der Ordnung, der Gerechtigkeit und dem
[Spaltenumbruch] wahren Rechte uns fügen und den Ausdruck derselben nicht in dem
leidenschaftlichen Treiben der Parteien, sondern in der friedlichen,
ruhigen und geordneten Offenbarung der National=Souveränetät
suchen, welche ganz Frankreich einstimmig proclamirt hat.“

Mehrere Blätter waren unverschämt genug, die Loyalität
Cavaignacs in Zweifel zu ziehen und haben das Gerücht verbreitet,
es sey noch gar nicht ausgemacht, ob er die Regierung so ohne
Weiteres an seinen Nachfolger übergeben werde. Es ist dieses
jedoch weiter, nichts, als eine infame Verläumdung, gleich jenen
vielen anderen, die in der letzten Zeit auf das Haupt des Gene-
rals gehäuft und durch welche, namentlich auf dem Lande,
die öffentliche Meinung förmlich corrumpirt worden ist.
Der General denkt im Gegentheile so wenig daran, sich
im Besitze der Gewalt zu erhalten, daß er erst dieser Tage
eine Proclamation an das Volk erlassen hat, in welcher er
erklärt, daß er der Wahl des Volkes sich füge, daß er vor allen
Anderen vor dem Willen der Nation sich beuge und es für eine
Ehrensache halte, seine Gewalt unversehrt in die Hände des
neuen Präsidenten niederzulegen. Und wohl dürfen wir sagen:
er wird sie würdig niederlegen die Last der Geschäfte, wie er sie
fünf Monate lang mit Würde getragen hat, und wir wollen
hoffen, daß sein Nachfolger sich in den nächsten fünf Monaten
eben so viele Ansprüche auf die Dankbarkeit der Nation erwerben
möge, wie der General. Louis Napoleon wird sich sein Ministe-
rium größtentheils aus der ehemaligen dynastischen Linken wäh-
len und die noch unverbürgten Listen desselben werden Jhnen
schon aus den Blättern bekannt geworden seyn. Was die Vice-
präsidentschaft betrifft, so ist von Lamartine, Garnier=Pagès oder
Odilon=Barot die Rede, die verfassungsmäßig der Nationalver-
sammlung vorzuschlagen sind und wahrscheinlich wird diese aus
den drei Candidaten Odilon=Barot zum Vicepräsidenten der Re-
publik wählen. Daß tausendfache Gerüchte sich kreuzen, daß man
im Grunde gar nicht weiß, woran man mit dem Prinzen ist,
brauche ich Jhnen nicht erst zu bemerken. Von politischen Grund-
sätzen, von einer entschiedenen Gesinnung hat bis jetzt noch kein
Mensch eine Spur an Louis Napoleon wahrgenommen, den
Sitzungen der Nationalversammlung hat er fast nie beige-
wohnt, eine Rede hat er dort nie gehalten, und im Ganzen
nur zweimal mitgestimmt. Es fehlt also durchaus an Anteceden-
zien, aus welchen sich ein Schluß auf sein künftiges Verhalten
und auf die Bahn machen ließe, welche er nach seiner Proclami-
rung als Präsident einzuschlagen gedenkt.

* * * Paris 16. December. Auch im südlichen und westlichen
Frankreich hat Louis Napoleon den Sieg davon getragen und den
General Cavaignac bedeutend überflügelt. Hier hegte man ge-
stern einen Augenblick Besorgniß für Erhaltung der Ruhe, der
Tag und die Jahresfeier des Begräbnisses des Kaisers im Jn-
validenhotel gingen jedoch ganz ruhig vorüber. Bei Odilon-
Barrot war große Conferenz und es wurde ausgemacht, daß
Falloux auf jeden Fall das Ministerium des öffentlichen Unterrich-
tes übernehmen müsse. Herr de Falloux erklärte sich jedoch nur
unter der Bedingung bereit dazu, wenn noch ein anderer Gegner
des monopolisirenden Schulmeisterthumes, Herr von Tracy, in
die Verwaltung eintreten würde. Tracy soll jetzt die Marine
übernehmen, Achille Fould Handelsminister werden. Daß Drouyn
de Lhuys die auswärtigen Angelegenheiten bekommt ist gewiß.
Sobald er das Portefeuille übernommen, beginnt die Säuberung
des diplomatischen Corps und die alten erfahrenen Diplomaten
aus der Schule Louis Philippes, Bourqueney, Pontois, Wa-
lewski, Lagrenée und Piscatory überkommen wieder die Leitung
der Geschäfte.

Zum Präsidenten der Nationalversammlung ist bei der letzten
Wahl Marrast wieder ernannt worden und es bleibt ihm somit
das angenehme Geschäft, den neuen Präsidenten zu proclamiren
und einzuführen. Die Ruhe, welche hier herrscht, ist wirklich
auffallend, Regierung und Bevölkerung sind fest entschlossen dem
Treiben der Wühler endlich einmal ein Ziel zu setzen und der
Enthusiasmus für die Ordnung geht so weit, daß sogar die alten
Soldaten, welche früher alle Jahre am 15. in ihren Uni-
formen in das Jnvalidenhotel zogen und dort dem Trauergottes-
dienste für den Kaiser beiwohnten, diesmal weggeblieben sind,
um auch den Schatten einer Demonstration zu vermeiden. Die
Rothen und Socialisten, welche bei der Präsidentenwahl so über-
aus wenige Stimmen zusammengebracht, sagen jetzt, um ihre
Niederlage zu maskiren, sie hätten für den „Prinzen“ gestimmt.
Die Ausrede ist aber herzlich schlecht, denn alle Welt weiß hier,
daß sie für Ledru=Rollin und Raspail gestimmt haben, und wenn
beide Bürger so wenig Stimmen erhielten, so hat dieses einzig
und allein in der Schwäche der Partei seinen Grund, zu deren
Haupttugenden eben auch das Dickthuen und die Mundfertigkeit
gehören.

[Ende Spaltensatz]

Redacteur: Franz Sausen. — Verlag von Kirchheim und Schott in Mainz. — Druck von Florian Kupferberg.

1) Von einem Franzosen.
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[0004] flößt uns Besorgnisse ein, — wohl aber die gegenwärtige deutsche Charakterlosigkeit, die überall, im Norden wie im Süden, faust- dick sitzt! Schweiz. Bern. Damit der größte Canton der Schweiz auf dem Wege der Civilisation nicht hinter anderen zurückbleibe, hat die Regie- rung von Bern beschlossen, beim großen Rathe die Aufhebung des Ursulinerstiftes in Pruntrunt, des einzig noch bestehenden Klosters im Cantone Bern, zu beantragen, und überdies die im Amtsbezirke Pruntrunt niedergelassenen barmherzigen Schwestern und Schulschwestern, welche Ausländerinnen sind, polizeilich aus dem Cantone zu verweisen. Das ist der Welt Lohn für die edlen Werke bewährter Christenliebe. Freiburg. Seit mehreren Wochen ist Herr Alt=Staatsrath Charles verhaftet — warum? Etwa weil eine Klage gegen ihn vorliegt? Nein, sondern nur deswegen, weil die Freiburger Tyrannen fürchten, er könnte reden und schreiben, wie es ihnen mißfällig wäre, und dies bietet in Freiburg Grund genug, einen schuldlosen Ehrenmann Jahr und Tag gefangen zu halten. Es wird erzählt, man habe dem Hochwürdigsten Bischof von Freiburg in der Gefangenschaft zu Chillon eines Abends zu ver- stehen gegeben, es stehe ihm diese Nacht das Thor offen, wenn er heimlich entfliehen wolle. Der ehrwürdige Prälat wies aber sol- ches Ansinnen mit Würde von der Hand, und hat hierauf ohne Zweifel ruhiger geschlafen, als jene Tyrannen, welche ihn einge- kerkert haben und nun gern seiner los wären. Tessin. Da die italiänischen Flüchtlinge sich in das Jnnere der Schweiz zurückgezogen haben, so werden sämmtliche im Can- tone Tessin stationirten eidgen. Truppen in ihre Heimath entlassen. Frankreich. □ Paris 14. December 1). Jch wollte eigentlich mit meinem Berichte so lange warten, bis ich Jhnen ein definitives Resultat der Wahl melden könnte, da dieses sich indessen mit ziemlicher Gewißheit voraussehen läßt, so ergreife ich jetzt schon die Feder. Jm Departement der Seine, dem wichtigsten von allen, ist das Resultat der Wahlhandlung schon bekannt und hat sich fol- gendermaßen gestaltet: Louis Napoleon erhielt in Paris und der Banlieue 191,565, Cavaignac 88,745, Ledru=Rollin 25,313, Raspail 15,420, Lamartine 3,580 Stimmen. Nach den bis jetzt noch sehr unvollständigen Berichten aus den Provinzen hat Louis Napoleon ungefähr 778,978, Cavaignac 213,242, Ledru- Rollin 46,139, Raspail 17,243, Lamartine 4,281 Stimmen er- halten. Sie sehen, Louis Napoleon wird Präsident der fran- zösischen Republik werden und zwar mit absoluter Majorität, das Land hat das gewaltigste aller Rechte geltend gemacht, seine Ab- stimmung drückt eine bestimmte Majorität aus, sein Wille wird und muß das höchste Gesetz seyn. Das Land hat es so gewollt, und ich will mich vorläufig auf so lange noch eines jeden Urtheils über die Wahl der Nation enthalten, bis das Programm der neuen Regierung vorliegt. Offen gesprochen, wir sind über die Gefahren, die ich Jhnen schon früher angedeutet, noch lange nicht hinaus, und die unversöhnlichen Feinde der socialen Ordnung werden die von dem Volke getroffene Wahl schon auszubeuten suchen. Meines Erachtens liegt die Hauptschwierigkeit unserer Lage darin, daß die Majorität, welche Louis Napoleon erhalten hat, aus so vielen verschiedenartigen Elementen besteht, daß er unmöglich alle die Parteien, welche ihm ihre Stimmen gegeben, wird zufrieden stellen können, und das gibt naturgemäß wieder eine Menge Unzufriedener, die sich mit den geborenen Feinden einer jeden Regierung verbinden und eine furchtbare Opposition bilden werden. Schon früher schrieb ich Jhnen, daß der Geist der Gewaltthat und Ausschließlichkeit, welcher sich bei den ersten Republikanern kund gab, der Republik selbst viele Feinde gemacht habe, und meine damalige Wahrnehmung hat jetzt ihre Bestätigung durch die Thatsachen gefunden, denn viele Wähler haben ihre Stimme nur darum Napoleon gegeben, um auf diese Weise die Republik zu stürtzen. Jch hoffe indessen, daß es doch nicht so kommen wird, denn wir haben schon mehr als einmal die traurige Erfahrung gemacht, daß mit jeder Revolution furchtbare Krisen verbunden sind, die wir um keinen Preis mehr durchmachen wollen. Wir sind des Revolutionirens durchaus müde, und vielleicht erhält ge- rade dieser Umstand der Republik das Leben, so wenig lebens- fähig sie auch an und für sich seyn mag. Jn dieser Beziehung hat neulich ein Deputirter auf der Tribune ganz richtig bemerkt: „Selbst wenn die Wahl unseren Wünschen nicht entsprechen sollte, so wollen wir dennoch der Ordnung, der Gerechtigkeit und dem wahren Rechte uns fügen und den Ausdruck derselben nicht in dem leidenschaftlichen Treiben der Parteien, sondern in der friedlichen, ruhigen und geordneten Offenbarung der National=Souveränetät suchen, welche ganz Frankreich einstimmig proclamirt hat.“ Mehrere Blätter waren unverschämt genug, die Loyalität Cavaignacs in Zweifel zu ziehen und haben das Gerücht verbreitet, es sey noch gar nicht ausgemacht, ob er die Regierung so ohne Weiteres an seinen Nachfolger übergeben werde. Es ist dieses jedoch weiter, nichts, als eine infame Verläumdung, gleich jenen vielen anderen, die in der letzten Zeit auf das Haupt des Gene- rals gehäuft und durch welche, namentlich auf dem Lande, die öffentliche Meinung förmlich corrumpirt worden ist. Der General denkt im Gegentheile so wenig daran, sich im Besitze der Gewalt zu erhalten, daß er erst dieser Tage eine Proclamation an das Volk erlassen hat, in welcher er erklärt, daß er der Wahl des Volkes sich füge, daß er vor allen Anderen vor dem Willen der Nation sich beuge und es für eine Ehrensache halte, seine Gewalt unversehrt in die Hände des neuen Präsidenten niederzulegen. Und wohl dürfen wir sagen: er wird sie würdig niederlegen die Last der Geschäfte, wie er sie fünf Monate lang mit Würde getragen hat, und wir wollen hoffen, daß sein Nachfolger sich in den nächsten fünf Monaten eben so viele Ansprüche auf die Dankbarkeit der Nation erwerben möge, wie der General. Louis Napoleon wird sich sein Ministe- rium größtentheils aus der ehemaligen dynastischen Linken wäh- len und die noch unverbürgten Listen desselben werden Jhnen schon aus den Blättern bekannt geworden seyn. Was die Vice- präsidentschaft betrifft, so ist von Lamartine, Garnier=Pagès oder Odilon=Barot die Rede, die verfassungsmäßig der Nationalver- sammlung vorzuschlagen sind und wahrscheinlich wird diese aus den drei Candidaten Odilon=Barot zum Vicepräsidenten der Re- publik wählen. Daß tausendfache Gerüchte sich kreuzen, daß man im Grunde gar nicht weiß, woran man mit dem Prinzen ist, brauche ich Jhnen nicht erst zu bemerken. Von politischen Grund- sätzen, von einer entschiedenen Gesinnung hat bis jetzt noch kein Mensch eine Spur an Louis Napoleon wahrgenommen, den Sitzungen der Nationalversammlung hat er fast nie beige- wohnt, eine Rede hat er dort nie gehalten, und im Ganzen nur zweimal mitgestimmt. Es fehlt also durchaus an Anteceden- zien, aus welchen sich ein Schluß auf sein künftiges Verhalten und auf die Bahn machen ließe, welche er nach seiner Proclami- rung als Präsident einzuschlagen gedenkt. * * * Paris 16. December. Auch im südlichen und westlichen Frankreich hat Louis Napoleon den Sieg davon getragen und den General Cavaignac bedeutend überflügelt. Hier hegte man ge- stern einen Augenblick Besorgniß für Erhaltung der Ruhe, der Tag und die Jahresfeier des Begräbnisses des Kaisers im Jn- validenhotel gingen jedoch ganz ruhig vorüber. Bei Odilon- Barrot war große Conferenz und es wurde ausgemacht, daß Falloux auf jeden Fall das Ministerium des öffentlichen Unterrich- tes übernehmen müsse. Herr de Falloux erklärte sich jedoch nur unter der Bedingung bereit dazu, wenn noch ein anderer Gegner des monopolisirenden Schulmeisterthumes, Herr von Tracy, in die Verwaltung eintreten würde. Tracy soll jetzt die Marine übernehmen, Achille Fould Handelsminister werden. Daß Drouyn de Lhuys die auswärtigen Angelegenheiten bekommt ist gewiß. Sobald er das Portefeuille übernommen, beginnt die Säuberung des diplomatischen Corps und die alten erfahrenen Diplomaten aus der Schule Louis Philippes, Bourqueney, Pontois, Wa- lewski, Lagrenée und Piscatory überkommen wieder die Leitung der Geschäfte. Zum Präsidenten der Nationalversammlung ist bei der letzten Wahl Marrast wieder ernannt worden und es bleibt ihm somit das angenehme Geschäft, den neuen Präsidenten zu proclamiren und einzuführen. Die Ruhe, welche hier herrscht, ist wirklich auffallend, Regierung und Bevölkerung sind fest entschlossen dem Treiben der Wühler endlich einmal ein Ziel zu setzen und der Enthusiasmus für die Ordnung geht so weit, daß sogar die alten Soldaten, welche früher alle Jahre am 15. in ihren Uni- formen in das Jnvalidenhotel zogen und dort dem Trauergottes- dienste für den Kaiser beiwohnten, diesmal weggeblieben sind, um auch den Schatten einer Demonstration zu vermeiden. Die Rothen und Socialisten, welche bei der Präsidentenwahl so über- aus wenige Stimmen zusammengebracht, sagen jetzt, um ihre Niederlage zu maskiren, sie hätten für den „Prinzen“ gestimmt. Die Ausrede ist aber herzlich schlecht, denn alle Welt weiß hier, daß sie für Ledru=Rollin und Raspail gestimmt haben, und wenn beide Bürger so wenig Stimmen erhielten, so hat dieses einzig und allein in der Schwäche der Partei seinen Grund, zu deren Haupttugenden eben auch das Dickthuen und die Mundfertigkeit gehören. Redacteur: Franz Sausen. — Verlag von Kirchheim und Schott in Mainz. — Druck von Florian Kupferberg. 1) Von einem Franzosen.

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Rahel Hartz: Artikelstrukturierung

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Zitationshilfe: Mainzer Journal. Nr. 167. Mainz, 18. Dezember 1848, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_mainzerjournal167_1848/4>, abgerufen am 05.12.2024.