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Mainzer Journal. Nr. 161. Mainz, 11. Dezember 1848.

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[Beginn Spaltensatz] längst planmäßig, aber vergeblich bearbeiteten Militärs gerechnet.
Nur ein einziger Soldat trat zum Volke über und soll vorgestern
erschossen worden seyn. Man hatte gehofft den Petersberg zu
überrumpeln und die Stadt, eine Festung zweiten Ranges, in die
Gewalt zu bekommen. Sie sollte als Operationsbasis und Cen-
tralpunkt für den auch anderwärts vorbereiteten Aufstand dienen,
durch welchen man das Signal geben wollte für die Gesinnungs-
verwandten in anderen Theilen der Monarchie. Mit Stockmann
standen die Erfurter in nächster Beziehung. Berlepsch und Straube
sind entkommen, ersterer, indem er über die Mauer in den Wall-
graben sprang und denselben durchwatete. Lors dagegen, seines
Zeichens ebenfalls Buchhändler und Jsraelit, ist gefangen; mit
ihm etwa 180 der Meistgravirten. Die Landwehr, welche sich bei
dem ganzen Vorfalle passiv verhalten hatte, ist eingekleidet und
am 29. nach Merseburg abgegangen. Dem bekannten Krackrügge
wurde von der wieder erstarkten Ordnungspartei die Aufforde-
rung zur Niederlegung seines Mandates zugesandt, desgleichen
eine Adresse ans Ministerium, worin dasselbe gebeten wird den
Belagerungszustand bis zur Proclamation der neuen Verfassung,
oder doch bis zur völligen Sicherheit bestehen zu lassen.

x Aus der Wetterau 10. December. Alles klagt über die
schlechte Zeit in unserer Gegend. Der Landmann kann seine
Früchte nicht los werden; die Handwerksleute haben keine Ar-
beit; kurz Handel und Wandel stockt allenthalben, und dazu
kommt noch die ständige Einquartirung, die den Stadt= und
Landleuten nicht nur viel kostet, sondern auch viel Unannehm-
liches verursacht. Kein Wunder, daß die meisten Leute die Hoff-
nung aufgeben, als ob aus den sogenannten Märzerrungenschaften
ihnen eine wirklich bessere Zeit erstehe, und Manche laut und sehr
Viele still bei sich sagen: "Hätten wir nur einmal wieder die
sichere Aussicht auf Ruhe und Frieden, wir wollten von den vie-
len Freiheiten, die man uns da vormalt, einige gern verschmer-
zen!" Nur die Wirthe machen bei dem ewigen Wirwarr die
besten Geschäfte und dennoch sind sie nicht zufrieden ( wenigstens
viele nicht ) , und sie sind es häufig, die auf die Republik speculiren;
allein warum? Weil man ihnen vormacht, die Accise hörte dann
auf. Auch die Einkommensteuer, ebenfalls eine den Franzosen
aberrungene Errungenschaft, trägt ihr Scherflein zur Unzufrie-
denheit bei, jedoch nicht an und für sich die Steuer, sondern, daß
man genöthigt ist, seinen ganzen Haushalt den Ortsbehörden
auszukramen, namentlich, daß, wenn es der ganze Ort noch nicht
weiß, es Jedermann darin vielleicht recht bald weiß, wie viel
Zinsen Der und Jener zu zahlen hat. Wir wollen hiermit nicht
behaupten, als ob die oder jene Ortsbehörde nicht schweigsam
sey; allein möglich ist es doch, daß es hier und da Plaudermän-
ner gebe, die einem sonst angesehenen Manne seinen ganzen Cre-
dit nehmen können. Wäre es nicht viel besser, wenn man seine
Angaben -- Activa und Passiva -- versiegelt der Regierung selber
überschicken dürfte, zumal die Einkommensteuer auf der Gewissen-
haftigkeit des Steuerpflichtigen basirt? -- So eben verbreitet sich
das Gerücht, die großherzoglichen Truppen zögen in Bälde von
hier fort ins Preußische, während einige tausend Preußen bei
uns einquartirt werden sollen. -- Unsere constitutionellen Ver-
eine in Friedberg, Hungen u. s. w. ließen dieser Tage
Adressen an die Nationalversammlung zu Frankfurt und auch an
den Präsidenten v. Gagern ergehen, worin man um entschiedenes
Auftreten gegen den Particularismus Oesterreichs und Preußens
auffordert. Es wäre zu wünschen, daß diese Vereine einen größe-
ren Einfluß auf die Masse des Volkes ausübten. -- Das Ner-
venfieber grassirt arg und hat schon viele Opfer weggerafft.

^ Vom Rheine 9. December. Ueber die Zusammensetzung
des Bezirksrathes zu Mainz wundert man sich im Allge-
meinen sehr, obwohl einzelne Nadicale und dergleichen Blätt-
chen von der gedeihlichen Wirksamkeit desselben reden wollen.
Man hat es vielfach für unmöglich gehalten, daß solche Leute
gewählt würden, aber nicht bedacht, daß wenn nur die
rührigsten Demokraten
wählen, natürlich auch lauter
Menschen solcher Gesinnung in den Rath kommen. Jn einer Ge-
meinde von wenigstens 1200 Stimmfähigen haben nur 350 ge-
wählt und so war es wahrscheinlich ziemlich überall, ein Beweis,
welchen Sinn das Volk für alle diese Einrichtungen hat und wel-
ches Gewicht es denselben beilege! Das Verfahren des Bezirks-
rathes namentlich in Sachen der Bürgeraufnahme hat nicht ge-
rade überrascht, da man überzeugt ist, daß derselbe noch unum-
schränkter auftreten würde, wenn Gelegenheit geboten wäre,
denn die echten Demokraten sind unfehlbar und berufen, Alles,
weil es schlecht ist, abzuschaffen und allein gut zu machen. Die
[unleserliches Material - 11 Zeichen fehlen]Blumsfeiern sind doch nicht so zahlreich gewesen, als man hätte
vermuthen sollen. Die Sammlungen für die Familie gehen,
wie ich glaube, im Allgemeinen schlecht. Viele geben Nichts,
weil sie sagen, daß sie es ihren Armen zuwenden wollen, die
[Spaltenumbruch] Leipziger sollten für die Wittwe Blum sorgen; aus diesem
Grunde wurde in einer Gemeinde die ganze Sammlung zurück-
behalten. Obschon Manche so etwa in dem Style sammeln,
wie der Aufruf zur Jllumination geschehen ist: wer nicht illu-
minirt, dem werden die Fenster eingeworfen; so haben doch
Viele jetzt die Kraft, Beiträge zu verweigern. Nur Entschieden-
heit der Gesinnung und Einsicht fehlt, freilich Viel! Neulich war
das Gerücht verbreitet, Blum lebe noch, er sey mit falschen Ku-
geln geschossen worden. Bei großen Männern, wie z. B. bei
Napoleon, konnte man nie recht an ihren Tod glauben. Viele
stellen sich übrigens Blum als eine Art von Heiland vor, der,
wenn er am Leben geblieben wäre, von allem Uebel, z. B. den
Einen von seinen Schulden, den Andern von seiner Armuth er-
lößt und Glück und Segen in Hülle und Fülle gebracht hätte,
Jedem nach seinem Sinne. Man glaubte, da, jetzt ist er todt,
jetzt ist nichts mehr zu hoffen! daher oft wirkliche Trauer bei ge-
wöhnlichen Leuten. Dies kommt aber davon, daß das Volk un-
ter den Märzerrungenschaften hauptsächlich Erleichterung viel-
facher Lasten, Hebung des Wohlstandes verstanden, Manche
die glänzendsten Bilder des jetzt kommenden Glückes sich gemacht
haben. Und da das Alte geblieben, ich wollte sagen das alte
Gute geschwunden, das alte Uebel aber geblieben und sich an-
sehnlich vermehrt hat, so wissen die Leute nicht, was sie denken
sollen. Ueberall wird ihnen vorgeredet von der glücklichen neuen
Zeit und sie sehen doch gar nichts davon!

Frankreich.

M Paris 7. December. Sie werden sich noch erinnern, daß
am 1. März durch Verordnung der provisorischen Regierung eine
Commission zur Vertheilung von Nationalbelohnungen eingesetzt
wurde. Diese Commission, die sich erst am 5. Mai definitiv orga-
nisirte, hatte die vielen bei ihr eingelaufenen Bittschriften ver-
arbeitet und von 7804 eingereichten Gesuchen 5018 am 1. Sep-
tember für der Berücksichtigung werth erklärt. Auf die allgemeinen
Nachweisungen der Commission hin legte nun der damalige Mi-
nister des Jnnern Senard der Kammer am 19. September
einen Gesetzentwurf über die Nationalbelohnungen vor und das
Comit e der Kammer verlangte behufs der Prüfung dieses Pro-
jectes die Vorlage aller Vorarbeiten, besonders die Namensver-
zeichnisse, welche sich noch in den Händen der am 1. März nieder-
gesetzten Commission befanden. Die Actenstücke wurden dem Co-
mit e von dem Minister des Jnnern Dufaure mitgetheilt.

So weit war Alles in der Ordnung, von nun an aber be-
ginnt der Scandal und zwar ein unerhörter Scandal. Wissen
Sie, wer von dieser Commission ganz besonders mit Pensionen
bedacht worden ist? -- Die Verwandten Fieschi's, die Wittwe
und die Kinder Pepins, die Verwandten Morey's, die Schwester
Alibauds, die Schwester Lecomte's, die Verwandten und Mit-
schuldigen von Darmes und noch einige andere Jndividuen dessel-
ben Schlages, deren ganzes Verdienst darin besteht, daß sie auf
Louis Philipp, auf die Herzoge von Orleans, Nemours und
Aumale Mordversuche machten, außerdem erhält noch eine Menge
anderer Kerle, die wegen Diebstahls, verbrecherischer ( nicht poli-
tischer ) Verbindungen und Angriffe auf die Sittlichkeit zu infa-
mirenden Strafen verurtheilt worden waren, Pensionen und
Nationalbelohnungen! Neben diesem Gesindel paradiren, eben-
falls als Empfänger von Nationalbelohnungen, die Herren Mar-
rast, Flocon, Recurt, Altaroche u. s. w. Die Sensation, welche
diese Kunde bei der Nationalversammlung und unter dem Publicum
hervorbrachte, war eine ungeheure, und die Regierung versuchte es
in aller Eile etwaige Vorwürfe von sich abzulenken. Senard, Ca-
vaignac und Dufaure gaben nach einander Explicationen, aus denen
so viel hervorgeht, daß Keiner von ihnen wußte, wer pensionirt
werden sollte, wenn sie gefehlt, so geschah es blos aus Leichtsinn,
indem sie sich um das Thatsächliche und die Personalien durchaus
nicht bekümmert, sondern, wie es bei Ministern oft zu gehen pflegt,
die Sache Anderen überlassen haben. Sie haben mit einem Worte
nicht gewußt, was sie gethan und wir müssen uns mit dieser Er-
klärung wohl begnügen, denn was sollten wir sonst von Män-
nern halten, die den Repräsentanten Frankreichs den Vorschlag
machen, Mördern und Dieben eine Leibrente zu geben? Die Na-
tionalversammlung ging nach einer langen Debatte zur einfachen
Tagesordnung über und gewährte der Regierung dadurch eine
Jndemnitäts=Bill, -- das Einzige, was sie thun konnte. Jn wel-
chem Lichte die öffentliche Meinung den Mann oder die Männer
betrachtet, welche die Regierung in diese böse Geschichte verwickelt,
brauche ich Jhnen nicht erst zu melden. Es ist dieses eine der
schmählichsten Episoden der Februarrevolution und es muß weit
gekommen seyn, wenn die Staatsgelder zur Bezahlung von
Meuchelmördern verwendet werden! Es wird nun allerdings nicht
geschehen, allein ohne einen Zufall, ohne die Neugierde des
Comite 's, wäre es ganz gewiß geschehen.

[Ende Spaltensatz]

Redacteur: Franz Sausen. -- Verlag von Kirchheim und Schott in Mainz. -- Druck von Florian Kupferberg.

[Beginn Spaltensatz] längst planmäßig, aber vergeblich bearbeiteten Militärs gerechnet.
Nur ein einziger Soldat trat zum Volke über und soll vorgestern
erschossen worden seyn. Man hatte gehofft den Petersberg zu
überrumpeln und die Stadt, eine Festung zweiten Ranges, in die
Gewalt zu bekommen. Sie sollte als Operationsbasis und Cen-
tralpunkt für den auch anderwärts vorbereiteten Aufstand dienen,
durch welchen man das Signal geben wollte für die Gesinnungs-
verwandten in anderen Theilen der Monarchie. Mit Stockmann
standen die Erfurter in nächster Beziehung. Berlepsch und Straube
sind entkommen, ersterer, indem er über die Mauer in den Wall-
graben sprang und denselben durchwatete. Lors dagegen, seines
Zeichens ebenfalls Buchhändler und Jsraelit, ist gefangen; mit
ihm etwa 180 der Meistgravirten. Die Landwehr, welche sich bei
dem ganzen Vorfalle passiv verhalten hatte, ist eingekleidet und
am 29. nach Merseburg abgegangen. Dem bekannten Krackrügge
wurde von der wieder erstarkten Ordnungspartei die Aufforde-
rung zur Niederlegung seines Mandates zugesandt, desgleichen
eine Adresse ans Ministerium, worin dasselbe gebeten wird den
Belagerungszustand bis zur Proclamation der neuen Verfassung,
oder doch bis zur völligen Sicherheit bestehen zu lassen.

× Aus der Wetterau 10. December. Alles klagt über die
schlechte Zeit in unserer Gegend. Der Landmann kann seine
Früchte nicht los werden; die Handwerksleute haben keine Ar-
beit; kurz Handel und Wandel stockt allenthalben, und dazu
kommt noch die ständige Einquartirung, die den Stadt= und
Landleuten nicht nur viel kostet, sondern auch viel Unannehm-
liches verursacht. Kein Wunder, daß die meisten Leute die Hoff-
nung aufgeben, als ob aus den sogenannten Märzerrungenschaften
ihnen eine wirklich bessere Zeit erstehe, und Manche laut und sehr
Viele still bei sich sagen: „Hätten wir nur einmal wieder die
sichere Aussicht auf Ruhe und Frieden, wir wollten von den vie-
len Freiheiten, die man uns da vormalt, einige gern verschmer-
zen!“ Nur die Wirthe machen bei dem ewigen Wirwarr die
besten Geschäfte und dennoch sind sie nicht zufrieden ( wenigstens
viele nicht ) , und sie sind es häufig, die auf die Republik speculiren;
allein warum? Weil man ihnen vormacht, die Accise hörte dann
auf. Auch die Einkommensteuer, ebenfalls eine den Franzosen
aberrungene Errungenschaft, trägt ihr Scherflein zur Unzufrie-
denheit bei, jedoch nicht an und für sich die Steuer, sondern, daß
man genöthigt ist, seinen ganzen Haushalt den Ortsbehörden
auszukramen, namentlich, daß, wenn es der ganze Ort noch nicht
weiß, es Jedermann darin vielleicht recht bald weiß, wie viel
Zinsen Der und Jener zu zahlen hat. Wir wollen hiermit nicht
behaupten, als ob die oder jene Ortsbehörde nicht schweigsam
sey; allein möglich ist es doch, daß es hier und da Plaudermän-
ner gebe, die einem sonst angesehenen Manne seinen ganzen Cre-
dit nehmen können. Wäre es nicht viel besser, wenn man seine
Angaben — Activa und Passiva — versiegelt der Regierung selber
überschicken dürfte, zumal die Einkommensteuer auf der Gewissen-
haftigkeit des Steuerpflichtigen basirt? — So eben verbreitet sich
das Gerücht, die großherzoglichen Truppen zögen in Bälde von
hier fort ins Preußische, während einige tausend Preußen bei
uns einquartirt werden sollen. — Unsere constitutionellen Ver-
eine in Friedberg, Hungen u. s. w. ließen dieser Tage
Adressen an die Nationalversammlung zu Frankfurt und auch an
den Präsidenten v. Gagern ergehen, worin man um entschiedenes
Auftreten gegen den Particularismus Oesterreichs und Preußens
auffordert. Es wäre zu wünschen, daß diese Vereine einen größe-
ren Einfluß auf die Masse des Volkes ausübten. — Das Ner-
venfieber grassirt arg und hat schon viele Opfer weggerafft.

△ Vom Rheine 9. December. Ueber die Zusammensetzung
des Bezirksrathes zu Mainz wundert man sich im Allge-
meinen sehr, obwohl einzelne Nadicale und dergleichen Blätt-
chen von der gedeihlichen Wirksamkeit desselben reden wollen.
Man hat es vielfach für unmöglich gehalten, daß solche Leute
gewählt würden, aber nicht bedacht, daß wenn nur die
rührigsten Demokraten
wählen, natürlich auch lauter
Menschen solcher Gesinnung in den Rath kommen. Jn einer Ge-
meinde von wenigstens 1200 Stimmfähigen haben nur 350 ge-
wählt und so war es wahrscheinlich ziemlich überall, ein Beweis,
welchen Sinn das Volk für alle diese Einrichtungen hat und wel-
ches Gewicht es denselben beilege! Das Verfahren des Bezirks-
rathes namentlich in Sachen der Bürgeraufnahme hat nicht ge-
rade überrascht, da man überzeugt ist, daß derselbe noch unum-
schränkter auftreten würde, wenn Gelegenheit geboten wäre,
denn die echten Demokraten sind unfehlbar und berufen, Alles,
weil es schlecht ist, abzuschaffen und allein gut zu machen. Die
[unleserliches Material – 11 Zeichen fehlen]Blumsfeiern sind doch nicht so zahlreich gewesen, als man hätte
vermuthen sollen. Die Sammlungen für die Familie gehen,
wie ich glaube, im Allgemeinen schlecht. Viele geben Nichts,
weil sie sagen, daß sie es ihren Armen zuwenden wollen, die
[Spaltenumbruch] Leipziger sollten für die Wittwe Blum sorgen; aus diesem
Grunde wurde in einer Gemeinde die ganze Sammlung zurück-
behalten. Obschon Manche so etwa in dem Style sammeln,
wie der Aufruf zur Jllumination geschehen ist: wer nicht illu-
minirt, dem werden die Fenster eingeworfen; so haben doch
Viele jetzt die Kraft, Beiträge zu verweigern. Nur Entschieden-
heit der Gesinnung und Einsicht fehlt, freilich Viel! Neulich war
das Gerücht verbreitet, Blum lebe noch, er sey mit falschen Ku-
geln geschossen worden. Bei großen Männern, wie z. B. bei
Napoleon, konnte man nie recht an ihren Tod glauben. Viele
stellen sich übrigens Blum als eine Art von Heiland vor, der,
wenn er am Leben geblieben wäre, von allem Uebel, z. B. den
Einen von seinen Schulden, den Andern von seiner Armuth er-
lößt und Glück und Segen in Hülle und Fülle gebracht hätte,
Jedem nach seinem Sinne. Man glaubte, da, jetzt ist er todt,
jetzt ist nichts mehr zu hoffen! daher oft wirkliche Trauer bei ge-
wöhnlichen Leuten. Dies kommt aber davon, daß das Volk un-
ter den Märzerrungenschaften hauptsächlich Erleichterung viel-
facher Lasten, Hebung des Wohlstandes verstanden, Manche
die glänzendsten Bilder des jetzt kommenden Glückes sich gemacht
haben. Und da das Alte geblieben, ich wollte sagen das alte
Gute geschwunden, das alte Uebel aber geblieben und sich an-
sehnlich vermehrt hat, so wissen die Leute nicht, was sie denken
sollen. Ueberall wird ihnen vorgeredet von der glücklichen neuen
Zeit und sie sehen doch gar nichts davon!

Frankreich.

M Paris 7. December. Sie werden sich noch erinnern, daß
am 1. März durch Verordnung der provisorischen Regierung eine
Commission zur Vertheilung von Nationalbelohnungen eingesetzt
wurde. Diese Commission, die sich erst am 5. Mai definitiv orga-
nisirte, hatte die vielen bei ihr eingelaufenen Bittschriften ver-
arbeitet und von 7804 eingereichten Gesuchen 5018 am 1. Sep-
tember für der Berücksichtigung werth erklärt. Auf die allgemeinen
Nachweisungen der Commission hin legte nun der damalige Mi-
nister des Jnnern Senard der Kammer am 19. September
einen Gesetzentwurf über die Nationalbelohnungen vor und das
Comit é der Kammer verlangte behufs der Prüfung dieses Pro-
jectes die Vorlage aller Vorarbeiten, besonders die Namensver-
zeichnisse, welche sich noch in den Händen der am 1. März nieder-
gesetzten Commission befanden. Die Actenstücke wurden dem Co-
mit é von dem Minister des Jnnern Dufaure mitgetheilt.

So weit war Alles in der Ordnung, von nun an aber be-
ginnt der Scandal und zwar ein unerhörter Scandal. Wissen
Sie, wer von dieser Commission ganz besonders mit Pensionen
bedacht worden ist? — Die Verwandten Fieschi's, die Wittwe
und die Kinder Pepins, die Verwandten Morey's, die Schwester
Alibauds, die Schwester Lecomte's, die Verwandten und Mit-
schuldigen von Darmés und noch einige andere Jndividuen dessel-
ben Schlages, deren ganzes Verdienst darin besteht, daß sie auf
Louis Philipp, auf die Herzoge von Orleans, Nemours und
Aumale Mordversuche machten, außerdem erhält noch eine Menge
anderer Kerle, die wegen Diebstahls, verbrecherischer ( nicht poli-
tischer ) Verbindungen und Angriffe auf die Sittlichkeit zu infa-
mirenden Strafen verurtheilt worden waren, Pensionen und
Nationalbelohnungen! Neben diesem Gesindel paradiren, eben-
falls als Empfänger von Nationalbelohnungen, die Herren Mar-
rast, Flocon, Recurt, Altaroche u. s. w. Die Sensation, welche
diese Kunde bei der Nationalversammlung und unter dem Publicum
hervorbrachte, war eine ungeheure, und die Regierung versuchte es
in aller Eile etwaige Vorwürfe von sich abzulenken. Senard, Ca-
vaignac und Dufaure gaben nach einander Explicationen, aus denen
so viel hervorgeht, daß Keiner von ihnen wußte, wer pensionirt
werden sollte, wenn sie gefehlt, so geschah es blos aus Leichtsinn,
indem sie sich um das Thatsächliche und die Personalien durchaus
nicht bekümmert, sondern, wie es bei Ministern oft zu gehen pflegt,
die Sache Anderen überlassen haben. Sie haben mit einem Worte
nicht gewußt, was sie gethan und wir müssen uns mit dieser Er-
klärung wohl begnügen, denn was sollten wir sonst von Män-
nern halten, die den Repräsentanten Frankreichs den Vorschlag
machen, Mördern und Dieben eine Leibrente zu geben? Die Na-
tionalversammlung ging nach einer langen Debatte zur einfachen
Tagesordnung über und gewährte der Regierung dadurch eine
Jndemnitäts=Bill, — das Einzige, was sie thun konnte. Jn wel-
chem Lichte die öffentliche Meinung den Mann oder die Männer
betrachtet, welche die Regierung in diese böse Geschichte verwickelt,
brauche ich Jhnen nicht erst zu melden. Es ist dieses eine der
schmählichsten Episoden der Februarrevolution und es muß weit
gekommen seyn, wenn die Staatsgelder zur Bezahlung von
Meuchelmördern verwendet werden! Es wird nun allerdings nicht
geschehen, allein ohne einen Zufall, ohne die Neugierde des
Comité 's, wäre es ganz gewiß geschehen.

[Ende Spaltensatz]

Redacteur: Franz Sausen. — Verlag von Kirchheim und Schott in Mainz. — Druck von Florian Kupferberg.

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[0004] längst planmäßig, aber vergeblich bearbeiteten Militärs gerechnet. Nur ein einziger Soldat trat zum Volke über und soll vorgestern erschossen worden seyn. Man hatte gehofft den Petersberg zu überrumpeln und die Stadt, eine Festung zweiten Ranges, in die Gewalt zu bekommen. Sie sollte als Operationsbasis und Cen- tralpunkt für den auch anderwärts vorbereiteten Aufstand dienen, durch welchen man das Signal geben wollte für die Gesinnungs- verwandten in anderen Theilen der Monarchie. Mit Stockmann standen die Erfurter in nächster Beziehung. Berlepsch und Straube sind entkommen, ersterer, indem er über die Mauer in den Wall- graben sprang und denselben durchwatete. Lors dagegen, seines Zeichens ebenfalls Buchhändler und Jsraelit, ist gefangen; mit ihm etwa 180 der Meistgravirten. Die Landwehr, welche sich bei dem ganzen Vorfalle passiv verhalten hatte, ist eingekleidet und am 29. nach Merseburg abgegangen. Dem bekannten Krackrügge wurde von der wieder erstarkten Ordnungspartei die Aufforde- rung zur Niederlegung seines Mandates zugesandt, desgleichen eine Adresse ans Ministerium, worin dasselbe gebeten wird den Belagerungszustand bis zur Proclamation der neuen Verfassung, oder doch bis zur völligen Sicherheit bestehen zu lassen. × Aus der Wetterau 10. December. Alles klagt über die schlechte Zeit in unserer Gegend. Der Landmann kann seine Früchte nicht los werden; die Handwerksleute haben keine Ar- beit; kurz Handel und Wandel stockt allenthalben, und dazu kommt noch die ständige Einquartirung, die den Stadt= und Landleuten nicht nur viel kostet, sondern auch viel Unannehm- liches verursacht. Kein Wunder, daß die meisten Leute die Hoff- nung aufgeben, als ob aus den sogenannten Märzerrungenschaften ihnen eine wirklich bessere Zeit erstehe, und Manche laut und sehr Viele still bei sich sagen: „Hätten wir nur einmal wieder die sichere Aussicht auf Ruhe und Frieden, wir wollten von den vie- len Freiheiten, die man uns da vormalt, einige gern verschmer- zen!“ Nur die Wirthe machen bei dem ewigen Wirwarr die besten Geschäfte und dennoch sind sie nicht zufrieden ( wenigstens viele nicht ) , und sie sind es häufig, die auf die Republik speculiren; allein warum? Weil man ihnen vormacht, die Accise hörte dann auf. Auch die Einkommensteuer, ebenfalls eine den Franzosen aberrungene Errungenschaft, trägt ihr Scherflein zur Unzufrie- denheit bei, jedoch nicht an und für sich die Steuer, sondern, daß man genöthigt ist, seinen ganzen Haushalt den Ortsbehörden auszukramen, namentlich, daß, wenn es der ganze Ort noch nicht weiß, es Jedermann darin vielleicht recht bald weiß, wie viel Zinsen Der und Jener zu zahlen hat. Wir wollen hiermit nicht behaupten, als ob die oder jene Ortsbehörde nicht schweigsam sey; allein möglich ist es doch, daß es hier und da Plaudermän- ner gebe, die einem sonst angesehenen Manne seinen ganzen Cre- dit nehmen können. Wäre es nicht viel besser, wenn man seine Angaben — Activa und Passiva — versiegelt der Regierung selber überschicken dürfte, zumal die Einkommensteuer auf der Gewissen- haftigkeit des Steuerpflichtigen basirt? — So eben verbreitet sich das Gerücht, die großherzoglichen Truppen zögen in Bälde von hier fort ins Preußische, während einige tausend Preußen bei uns einquartirt werden sollen. — Unsere constitutionellen Ver- eine in Friedberg, Hungen u. s. w. ließen dieser Tage Adressen an die Nationalversammlung zu Frankfurt und auch an den Präsidenten v. Gagern ergehen, worin man um entschiedenes Auftreten gegen den Particularismus Oesterreichs und Preußens auffordert. Es wäre zu wünschen, daß diese Vereine einen größe- ren Einfluß auf die Masse des Volkes ausübten. — Das Ner- venfieber grassirt arg und hat schon viele Opfer weggerafft. △ Vom Rheine 9. December. Ueber die Zusammensetzung des Bezirksrathes zu Mainz wundert man sich im Allge- meinen sehr, obwohl einzelne Nadicale und dergleichen Blätt- chen von der gedeihlichen Wirksamkeit desselben reden wollen. Man hat es vielfach für unmöglich gehalten, daß solche Leute gewählt würden, aber nicht bedacht, daß wenn nur die rührigsten Demokraten wählen, natürlich auch lauter Menschen solcher Gesinnung in den Rath kommen. Jn einer Ge- meinde von wenigstens 1200 Stimmfähigen haben nur 350 ge- wählt und so war es wahrscheinlich ziemlich überall, ein Beweis, welchen Sinn das Volk für alle diese Einrichtungen hat und wel- ches Gewicht es denselben beilege! Das Verfahren des Bezirks- rathes namentlich in Sachen der Bürgeraufnahme hat nicht ge- rade überrascht, da man überzeugt ist, daß derselbe noch unum- schränkter auftreten würde, wenn Gelegenheit geboten wäre, denn die echten Demokraten sind unfehlbar und berufen, Alles, weil es schlecht ist, abzuschaffen und allein gut zu machen. Die ___________Blumsfeiern sind doch nicht so zahlreich gewesen, als man hätte vermuthen sollen. Die Sammlungen für die Familie gehen, wie ich glaube, im Allgemeinen schlecht. Viele geben Nichts, weil sie sagen, daß sie es ihren Armen zuwenden wollen, die Leipziger sollten für die Wittwe Blum sorgen; aus diesem Grunde wurde in einer Gemeinde die ganze Sammlung zurück- behalten. Obschon Manche so etwa in dem Style sammeln, wie der Aufruf zur Jllumination geschehen ist: wer nicht illu- minirt, dem werden die Fenster eingeworfen; so haben doch Viele jetzt die Kraft, Beiträge zu verweigern. Nur Entschieden- heit der Gesinnung und Einsicht fehlt, freilich Viel! Neulich war das Gerücht verbreitet, Blum lebe noch, er sey mit falschen Ku- geln geschossen worden. Bei großen Männern, wie z. B. bei Napoleon, konnte man nie recht an ihren Tod glauben. Viele stellen sich übrigens Blum als eine Art von Heiland vor, der, wenn er am Leben geblieben wäre, von allem Uebel, z. B. den Einen von seinen Schulden, den Andern von seiner Armuth er- lößt und Glück und Segen in Hülle und Fülle gebracht hätte, Jedem nach seinem Sinne. Man glaubte, da, jetzt ist er todt, jetzt ist nichts mehr zu hoffen! daher oft wirkliche Trauer bei ge- wöhnlichen Leuten. Dies kommt aber davon, daß das Volk un- ter den Märzerrungenschaften hauptsächlich Erleichterung viel- facher Lasten, Hebung des Wohlstandes verstanden, Manche die glänzendsten Bilder des jetzt kommenden Glückes sich gemacht haben. Und da das Alte geblieben, ich wollte sagen das alte Gute geschwunden, das alte Uebel aber geblieben und sich an- sehnlich vermehrt hat, so wissen die Leute nicht, was sie denken sollen. Ueberall wird ihnen vorgeredet von der glücklichen neuen Zeit und sie sehen doch gar nichts davon! Frankreich. M Paris 7. December. Sie werden sich noch erinnern, daß am 1. März durch Verordnung der provisorischen Regierung eine Commission zur Vertheilung von Nationalbelohnungen eingesetzt wurde. Diese Commission, die sich erst am 5. Mai definitiv orga- nisirte, hatte die vielen bei ihr eingelaufenen Bittschriften ver- arbeitet und von 7804 eingereichten Gesuchen 5018 am 1. Sep- tember für der Berücksichtigung werth erklärt. Auf die allgemeinen Nachweisungen der Commission hin legte nun der damalige Mi- nister des Jnnern Senard der Kammer am 19. September einen Gesetzentwurf über die Nationalbelohnungen vor und das Comit é der Kammer verlangte behufs der Prüfung dieses Pro- jectes die Vorlage aller Vorarbeiten, besonders die Namensver- zeichnisse, welche sich noch in den Händen der am 1. März nieder- gesetzten Commission befanden. Die Actenstücke wurden dem Co- mit é von dem Minister des Jnnern Dufaure mitgetheilt. So weit war Alles in der Ordnung, von nun an aber be- ginnt der Scandal und zwar ein unerhörter Scandal. Wissen Sie, wer von dieser Commission ganz besonders mit Pensionen bedacht worden ist? — Die Verwandten Fieschi's, die Wittwe und die Kinder Pepins, die Verwandten Morey's, die Schwester Alibauds, die Schwester Lecomte's, die Verwandten und Mit- schuldigen von Darmés und noch einige andere Jndividuen dessel- ben Schlages, deren ganzes Verdienst darin besteht, daß sie auf Louis Philipp, auf die Herzoge von Orleans, Nemours und Aumale Mordversuche machten, außerdem erhält noch eine Menge anderer Kerle, die wegen Diebstahls, verbrecherischer ( nicht poli- tischer ) Verbindungen und Angriffe auf die Sittlichkeit zu infa- mirenden Strafen verurtheilt worden waren, Pensionen und Nationalbelohnungen! Neben diesem Gesindel paradiren, eben- falls als Empfänger von Nationalbelohnungen, die Herren Mar- rast, Flocon, Recurt, Altaroche u. s. w. Die Sensation, welche diese Kunde bei der Nationalversammlung und unter dem Publicum hervorbrachte, war eine ungeheure, und die Regierung versuchte es in aller Eile etwaige Vorwürfe von sich abzulenken. Senard, Ca- vaignac und Dufaure gaben nach einander Explicationen, aus denen so viel hervorgeht, daß Keiner von ihnen wußte, wer pensionirt werden sollte, wenn sie gefehlt, so geschah es blos aus Leichtsinn, indem sie sich um das Thatsächliche und die Personalien durchaus nicht bekümmert, sondern, wie es bei Ministern oft zu gehen pflegt, die Sache Anderen überlassen haben. Sie haben mit einem Worte nicht gewußt, was sie gethan und wir müssen uns mit dieser Er- klärung wohl begnügen, denn was sollten wir sonst von Män- nern halten, die den Repräsentanten Frankreichs den Vorschlag machen, Mördern und Dieben eine Leibrente zu geben? Die Na- tionalversammlung ging nach einer langen Debatte zur einfachen Tagesordnung über und gewährte der Regierung dadurch eine Jndemnitäts=Bill, — das Einzige, was sie thun konnte. Jn wel- chem Lichte die öffentliche Meinung den Mann oder die Männer betrachtet, welche die Regierung in diese böse Geschichte verwickelt, brauche ich Jhnen nicht erst zu melden. Es ist dieses eine der schmählichsten Episoden der Februarrevolution und es muß weit gekommen seyn, wenn die Staatsgelder zur Bezahlung von Meuchelmördern verwendet werden! Es wird nun allerdings nicht geschehen, allein ohne einen Zufall, ohne die Neugierde des Comité 's, wäre es ganz gewiß geschehen. Redacteur: Franz Sausen. — Verlag von Kirchheim und Schott in Mainz. — Druck von Florian Kupferberg.

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Peter Fankhauser: Automatische Transformation von TUSTEP nach TEI P5 (DTA-Basisformat).
Deutsches Textarchiv: Metadatenerfassung
Institut für Deutsche Sprache, Mannheim: Bereitstellung der Bilddigitalisate und Volltext-Transkription
Susanne Haaf, Rahel Hartz, Nicole Postelt: Nachkorrektur und Vervollständigung der TEI/DTABf-Annotation
Rahel Hartz: Artikelstrukturierung

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Zitationshilfe: Mainzer Journal. Nr. 161. Mainz, 11. Dezember 1848, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_mainzerjournal161_1848/4>, abgerufen am 11.12.2024.