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Mainzer Journal. Nr. 84. Mainz, 12. September 1848.

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Beilage zum Mainzer Journal.


Nro 84. Mittwoch, den 13. September. 1848.


[Beginn Spaltensatz]
Deutschland.
Reichstag.

f Frankfurt 12. September. Der Präsident, Herr v.
Gagern, eröffnet die Sitzung und beginnt mit der Verlesung
neuer Beiträge für den Flottenbau. Stedtmann stattet darauf
Bericht ab über die in den vereinigten Ausschüssen für interna-
tionale Verhältnisse und für die Centralgewalt in Betreff der
Waffenstillstandsfrage seither gepflogenen Verhandlungen. Trotz
der ernstlichsten Prüfung walte eine absolute Majorität in beiden
Ausschüssen nicht ob. Jn der letzten Sitzung hätten sich von 21
Mitgliedern 11 für die Verwerfung des Waffenstillstandes und 10
für dessen Annahme erklärt. Er stellt Namens der vereinigten
Ausschüsse den Antrag auf eine am morgigen Tage zur Berath-
ung über die schleswig=holsteinische Frage abzuhaltende Sitzung
der Reichsversammlung. Claussen zeigt an, daß die Majorität
der vereinigten Ausschüsse um ein Mitglied, also auf 12 Personen
gestiegen sey. v. Lindenau behält sich für die auf morgen an-
zuberaumende außerordentliche Sitzung einen selbstständigen An-
trag in der obschwebenden Angelegenheit vor. v. Auerswald
verlangt, daß die Versammlung in den vollständigen Besitz der
Berichte gesetzt werde, bevor sie auf die Verhandlung selbst ein-
gehe. Schwarzenberg beantragt den Druck der von der
schleswig=holsteinischen Landesversammlung an das deutsche Par-
lament gesendeten Adresse und deren sofortige Vertheilung an die
Abgeordneten. [ Wir geben dieselbe heute Nachmittag. ] Nach-
dem über mehrere minder wichtige Dinge zur Tagesordnung
übergegangen worden, verliest der Präsident einen Antrag
von Blum und Genossen, dahin lautend: "Die Nationalver-
sammlung möge in Erwägung der in Schleswig=Holstein
wachsenden Gefahren, der gegen die Versicherungen des
Reichsministeriums in Eilmärschen vollzogenen Truppenrückkehr
und der Nothwendigkeit einer Vollziehung der Parlamentsbe-
schlüsse, die Absendung einer Deputation von fünfzehn Mitglie-
dern an den Reichsverweser verfügen, um denselben um schleu-
nige Beendigung der Ministerkrisis zu ersuchen." Die Be-
gründung der Dringlichkeit dieses Antrags wird mit 219 gegen
208 Stimmen abgelehnt. Ebenso wird ein Antrag Schlöffels
verworfen, welcher auf den Grund, daß die preußische Re-
gierung in der Waffenstillstandsfrage die Vollmacht der Cen-
tralgewalt überschritten, und dadurch ein Attentat auf die
Ehre Deutschlands begangen habe, die sofortige Uebersendung
der auf diesen Gegenstand bezüglichen Actenstücke an die Mit-
glieder der preußischen Nationalversammlung verlangte. Die
Berathung ging darauf zu den Grundrechten über und
es wurden §. 15. und 16. in folgender Fassung angenommen:
§. 15. "Niemand soll zu einer kirchlichen Handlung und Feier-
lichkeit gezwungen werden. Die Form des Eides soll eine für
Alle gleichmäßige und an kein bestimmtes Religionsbekenntniß
geknüpft seyn. §. 16. Die bürgerliche Gültigkeit der Ehe ist nur
von der Vollziehung des Civilactes abhängig; die kirchliche
Trauung kann erst nach der Vollziehung des Civilactes stattfinden.
Die Religionsverschiedenheit ist kein bürgerliches Ehehinderniß.
Die Standesbücher werden von den bürgerlichen Behörden
geführt."

Wien 7. September. ( D. A. Z. ) Man kann als entschie-
den annehmen, daß das Ministerium bleibt. Selbst der
bestimmte Austritt Minister Schwarzer's ist noch verschoben.
Dagegen wird dem "Schwäbischen Merkur" unter demselben Da-
tum gemeldet: Seit zwei Tagen ist allgemein von einem Mini-
sterwechsel
die Rede, der theilweise wenistens wohl bald erfol-
gen wird. Am unhaltbarsten zeigt sich die Stellung des Herrn v.
Schwarzer, der auf den Schultern des Radicalismus zur Ge-
walt emporgeklommen, in seiner neuen Stellung ihn auch wieder
durch Schrift und That verläugnet hat. Als sein Nachfolger wird
der mit reichen Kenntnissen und Erfahrungen ausgestattete Direc-
tor des Triester Lloyds, Hr. v. Bruck, bezeichnet. Auch Baron
Doblhoff soll bei dieser Veränderung ausscheiden und, wie
man vernimmt, von dem bisherigen Justizminister, Dr. Bach,
ersetzt werden, welcher letztere sich mit Entschiedenheit nunmehr an
die conservativ=constitutionelle Partei, die dermalen schon die bei
weitem stärkere, angeschlossen hat. -- Die Jnterpellation des Ab-
geordneten Borrosch im Reichstage, welcher das Recht oder,
wenn man will, die Unerläßlichkeit der Sanctionirung der reichs-
tägigen Beschlüsse vom Monarchen der souveränen constituirenden
[Spaltenumbruch] Versammlung gegenüber in Abrede zu stellen suchte, hat die Kam-
mer in zwei noch schärfere Hälften geschieden, und die neue Ge-
staltung des Ministeriums in der Farbe des siegenden Theils, der,
wie kaum zu zweifeln, der conservative, wird noch wirksamer auf-
treten können. Der demokratische Verein hat inzwischen
schon in bester Hoffnung Hrn. Borrosch gestern für seine Bemüh-
ungen einen Fackelzug gebracht, von ihm aber in einer Anrede die
mehr als zweifelhafte Dankbezeugung erhalten, er ( Borrosch )
habe sich diesem Vereine nur angeschlossen, nm ihn auf dem Bo-
den des Rechts erhalten zu helfen und vor Uebergriffen zu warnen.

Berlin 9. September. ( D. A. Z. ) Die gestern Abend ver-
breitete Version von einem Ministerium Waldeck hat sich nicht
bestätigt. Eine Depesche soll die HH. v. Beckerath und Me-
vissen
nach Berlin berufen, damit sie die Geschäfte übernehmen.
Man ist einigermaßen in der Stadt beruhigt, da die Gewitter-
wolke, die Berlin bedrohte und die sich im Geschützesdonner zu
entladen das Ansehen hatte, für jetzt beseitigt erscheint. Aber wo-
hin wir blicken, zu unseren Füßen klaffende Abgründe, die mensch-
liche Einsicht schwerlich zu überhüpfen versteht. Die Dinge sind zu
einer innern Collision, zu einem unversöhnlichen Gegensatz ge-
kommen. Auf der einen Seite das Bewußtseyn eines souveränen,
decretirenden Convents im Namen des Volkes; auf der anderen
das Vorgeben, es handle sich um eine berathende und verein-
barende Versammlung. Wo ist hier an eine durchgreifende Ver-
söhnung zu denken oder gar an eine segensreiche Thätigkeit, wenn
auch pausirende Vermittelungsschläge gefunden werden? Und
doch ist die innere, ich möchte sagen: die theoretische Zerklüftung
bedrohlicher als die in das Lebende spielende Physiognomie. Denn
es herrscht die tiefste Ruhe; und es bleibt bezeichnend für unsere
Epoche, daß man Revolutionen mit lachendem Munde vollführt.
Aber, sehr schlimme Elemente fangen an in die Bürgerwehr, in
das Militär hinüber sich zu ziehen; das wächst, durch die Um-
stände getragen, lawinenartig. Niemand kann hier sagen, wie es
morgen aussieht; ein übel verstandener Befehl, eine Farce, ein
Mißverständniß kann ein Blutbad über Berlin, über Preußen
bringen. Das ist der Fluch unserer Zustände, daß sie gleichsam
unterirdischen Mächten verfallen sind, die dämonisch in das zer-
trümmerte Leben hineinragen. O, daß doch ein schöpferischer Geist,
ein auf das Ewige bedachter Geist über unsere besseren Demokra-
ten käme, damit wir aus der stinkenden Luft hinausgetragen wür-
den in das wahrhaft Freie! Jm Ganzen benehmen sich die Pri-
vatversammlungen und die Organe der Linken mäßig. Jn den
ersteren ist beschlossen worden, bis nächsten Freitag auf weitere
Vertagung einzugehen und dann erst ohne ein Ministerium zu ver-
handeln; auch ist man nicht abgeneigt, die Form des verhängniß-
vollen Circulars zu ignoriren und sich de facto mit einem im Tam-
nau 'schen Sinn abgefaßten Documente zu begnügen, Annäher-
ungsversuche zwischen der Rechten und dem linken Centrum finden
statt, wahrscheinlich um ein Uebergreifen der consequenten Linken
zu beseitigen. Doch möchte dies sehr schwer, nach bekannten Ana-
logien in der Geschichte fast unmöglich seyn; denn die Löwen las-
sen sich ihre Beute nicht entreißen, am wenigsten lassen sie sich
vorschieben, um die Privatanimosität der Füchse zu befriedigen.
Die Löwen arbeiten für sich und zerreißen zuletzt diejenigen, welche
sich ihrer zu bedienen glaubten. Uebrigens sind sämmtliche Mi-
nister heute wieder nach Potsdam gegangen, und bis heute Nach-
mittag 3 Uhr hatten sie noch keine definitive Antwort auf ihr an
den König gerichtetes Entlassungsgesuch. Fürst Radziwill ist hier
angekommen; Wrangel wird erwartet.

Die Neue Berliner Zeitung bemerkt unterm 9. September 3
Uhr Nachmittags: Von allen Combinationen, die man sich heute
über die neue Bildung unseres Ministeriums macht, ist bis
jetzt nur die eine Nachricht als verbürgt mitzutheilen, daß der Hr.
v. Beckerath aus Frankfurt a. M. zum König berufen sey. Man
erzählt sich, daß der König einen Armeebefehl im Sinne des be-
schlossenen Erlasses ergehen lassen und derselbe von dem jetzigen
Ministerium noch contrasignirt seyn würde. Am meisten wird
davon gesprochen, daß der König die eingereichte Entlassung der
Minister noch nicht angenommen habe, so viel wenigstens glaubt
man versichern zu können, daß die Minister Milde, Märcker und
Gierke im Amte bleiben würden. Sicher ist, daß die Nachricht
von der Berufung Mevissen's und Radowitz' übereilt war.

sqrt Jn ganz Schwaben herrscht wegen des preußisch=dänischen
Waffenstillstandes die größte Aufregung und es gehen von allen
[Ende Spaltensatz]

Beilage zum Mainzer Journal.


Nro 84. Mittwoch, den 13. September. 1848.


[Beginn Spaltensatz]
Deutschland.
Reichstag.

f Frankfurt 12. September. Der Präsident, Herr v.
Gagern, eröffnet die Sitzung und beginnt mit der Verlesung
neuer Beiträge für den Flottenbau. Stedtmann stattet darauf
Bericht ab über die in den vereinigten Ausschüssen für interna-
tionale Verhältnisse und für die Centralgewalt in Betreff der
Waffenstillstandsfrage seither gepflogenen Verhandlungen. Trotz
der ernstlichsten Prüfung walte eine absolute Majorität in beiden
Ausschüssen nicht ob. Jn der letzten Sitzung hätten sich von 21
Mitgliedern 11 für die Verwerfung des Waffenstillstandes und 10
für dessen Annahme erklärt. Er stellt Namens der vereinigten
Ausschüsse den Antrag auf eine am morgigen Tage zur Berath-
ung über die schleswig=holsteinische Frage abzuhaltende Sitzung
der Reichsversammlung. Claussen zeigt an, daß die Majorität
der vereinigten Ausschüsse um ein Mitglied, also auf 12 Personen
gestiegen sey. v. Lindenau behält sich für die auf morgen an-
zuberaumende außerordentliche Sitzung einen selbstständigen An-
trag in der obschwebenden Angelegenheit vor. v. Auerswald
verlangt, daß die Versammlung in den vollständigen Besitz der
Berichte gesetzt werde, bevor sie auf die Verhandlung selbst ein-
gehe. Schwarzenberg beantragt den Druck der von der
schleswig=holsteinischen Landesversammlung an das deutsche Par-
lament gesendeten Adresse und deren sofortige Vertheilung an die
Abgeordneten. [ Wir geben dieselbe heute Nachmittag. ] Nach-
dem über mehrere minder wichtige Dinge zur Tagesordnung
übergegangen worden, verliest der Präsident einen Antrag
von Blum und Genossen, dahin lautend: „Die Nationalver-
sammlung möge in Erwägung der in Schleswig=Holstein
wachsenden Gefahren, der gegen die Versicherungen des
Reichsministeriums in Eilmärschen vollzogenen Truppenrückkehr
und der Nothwendigkeit einer Vollziehung der Parlamentsbe-
schlüsse, die Absendung einer Deputation von fünfzehn Mitglie-
dern an den Reichsverweser verfügen, um denselben um schleu-
nige Beendigung der Ministerkrisis zu ersuchen.“ Die Be-
gründung der Dringlichkeit dieses Antrags wird mit 219 gegen
208 Stimmen abgelehnt. Ebenso wird ein Antrag Schlöffels
verworfen, welcher auf den Grund, daß die preußische Re-
gierung in der Waffenstillstandsfrage die Vollmacht der Cen-
tralgewalt überschritten, und dadurch ein Attentat auf die
Ehre Deutschlands begangen habe, die sofortige Uebersendung
der auf diesen Gegenstand bezüglichen Actenstücke an die Mit-
glieder der preußischen Nationalversammlung verlangte. Die
Berathung ging darauf zu den Grundrechten über und
es wurden §. 15. und 16. in folgender Fassung angenommen:
§. 15. „Niemand soll zu einer kirchlichen Handlung und Feier-
lichkeit gezwungen werden. Die Form des Eides soll eine für
Alle gleichmäßige und an kein bestimmtes Religionsbekenntniß
geknüpft seyn. §. 16. Die bürgerliche Gültigkeit der Ehe ist nur
von der Vollziehung des Civilactes abhängig; die kirchliche
Trauung kann erst nach der Vollziehung des Civilactes stattfinden.
Die Religionsverschiedenheit ist kein bürgerliches Ehehinderniß.
Die Standesbücher werden von den bürgerlichen Behörden
geführt.“

Wien 7. September. ( D. A. Z. ) Man kann als entschie-
den annehmen, daß das Ministerium bleibt. Selbst der
bestimmte Austritt Minister Schwarzer's ist noch verschoben.
Dagegen wird dem „Schwäbischen Merkur“ unter demselben Da-
tum gemeldet: Seit zwei Tagen ist allgemein von einem Mini-
sterwechsel
die Rede, der theilweise wenistens wohl bald erfol-
gen wird. Am unhaltbarsten zeigt sich die Stellung des Herrn v.
Schwarzer, der auf den Schultern des Radicalismus zur Ge-
walt emporgeklommen, in seiner neuen Stellung ihn auch wieder
durch Schrift und That verläugnet hat. Als sein Nachfolger wird
der mit reichen Kenntnissen und Erfahrungen ausgestattete Direc-
tor des Triester Lloyds, Hr. v. Bruck, bezeichnet. Auch Baron
Doblhoff soll bei dieser Veränderung ausscheiden und, wie
man vernimmt, von dem bisherigen Justizminister, Dr. Bach,
ersetzt werden, welcher letztere sich mit Entschiedenheit nunmehr an
die conservativ=constitutionelle Partei, die dermalen schon die bei
weitem stärkere, angeschlossen hat. — Die Jnterpellation des Ab-
geordneten Borrosch im Reichstage, welcher das Recht oder,
wenn man will, die Unerläßlichkeit der Sanctionirung der reichs-
tägigen Beschlüsse vom Monarchen der souveränen constituirenden
[Spaltenumbruch] Versammlung gegenüber in Abrede zu stellen suchte, hat die Kam-
mer in zwei noch schärfere Hälften geschieden, und die neue Ge-
staltung des Ministeriums in der Farbe des siegenden Theils, der,
wie kaum zu zweifeln, der conservative, wird noch wirksamer auf-
treten können. Der demokratische Verein hat inzwischen
schon in bester Hoffnung Hrn. Borrosch gestern für seine Bemüh-
ungen einen Fackelzug gebracht, von ihm aber in einer Anrede die
mehr als zweifelhafte Dankbezeugung erhalten, er ( Borrosch )
habe sich diesem Vereine nur angeschlossen, nm ihn auf dem Bo-
den des Rechts erhalten zu helfen und vor Uebergriffen zu warnen.

Berlin 9. September. ( D. A. Z. ) Die gestern Abend ver-
breitete Version von einem Ministerium Waldeck hat sich nicht
bestätigt. Eine Depesche soll die HH. v. Beckerath und Me-
vissen
nach Berlin berufen, damit sie die Geschäfte übernehmen.
Man ist einigermaßen in der Stadt beruhigt, da die Gewitter-
wolke, die Berlin bedrohte und die sich im Geschützesdonner zu
entladen das Ansehen hatte, für jetzt beseitigt erscheint. Aber wo-
hin wir blicken, zu unseren Füßen klaffende Abgründe, die mensch-
liche Einsicht schwerlich zu überhüpfen versteht. Die Dinge sind zu
einer innern Collision, zu einem unversöhnlichen Gegensatz ge-
kommen. Auf der einen Seite das Bewußtseyn eines souveränen,
decretirenden Convents im Namen des Volkes; auf der anderen
das Vorgeben, es handle sich um eine berathende und verein-
barende Versammlung. Wo ist hier an eine durchgreifende Ver-
söhnung zu denken oder gar an eine segensreiche Thätigkeit, wenn
auch pausirende Vermittelungsschläge gefunden werden? Und
doch ist die innere, ich möchte sagen: die theoretische Zerklüftung
bedrohlicher als die in das Lebende spielende Physiognomie. Denn
es herrscht die tiefste Ruhe; und es bleibt bezeichnend für unsere
Epoche, daß man Revolutionen mit lachendem Munde vollführt.
Aber, sehr schlimme Elemente fangen an in die Bürgerwehr, in
das Militär hinüber sich zu ziehen; das wächst, durch die Um-
stände getragen, lawinenartig. Niemand kann hier sagen, wie es
morgen aussieht; ein übel verstandener Befehl, eine Farce, ein
Mißverständniß kann ein Blutbad über Berlin, über Preußen
bringen. Das ist der Fluch unserer Zustände, daß sie gleichsam
unterirdischen Mächten verfallen sind, die dämonisch in das zer-
trümmerte Leben hineinragen. O, daß doch ein schöpferischer Geist,
ein auf das Ewige bedachter Geist über unsere besseren Demokra-
ten käme, damit wir aus der stinkenden Luft hinausgetragen wür-
den in das wahrhaft Freie! Jm Ganzen benehmen sich die Pri-
vatversammlungen und die Organe der Linken mäßig. Jn den
ersteren ist beschlossen worden, bis nächsten Freitag auf weitere
Vertagung einzugehen und dann erst ohne ein Ministerium zu ver-
handeln; auch ist man nicht abgeneigt, die Form des verhängniß-
vollen Circulars zu ignoriren und sich de facto mit einem im Tam-
nau 'schen Sinn abgefaßten Documente zu begnügen, Annäher-
ungsversuche zwischen der Rechten und dem linken Centrum finden
statt, wahrscheinlich um ein Uebergreifen der consequenten Linken
zu beseitigen. Doch möchte dies sehr schwer, nach bekannten Ana-
logien in der Geschichte fast unmöglich seyn; denn die Löwen las-
sen sich ihre Beute nicht entreißen, am wenigsten lassen sie sich
vorschieben, um die Privatanimosität der Füchse zu befriedigen.
Die Löwen arbeiten für sich und zerreißen zuletzt diejenigen, welche
sich ihrer zu bedienen glaubten. Uebrigens sind sämmtliche Mi-
nister heute wieder nach Potsdam gegangen, und bis heute Nach-
mittag 3 Uhr hatten sie noch keine definitive Antwort auf ihr an
den König gerichtetes Entlassungsgesuch. Fürst Radziwill ist hier
angekommen; Wrangel wird erwartet.

Die Neue Berliner Zeitung bemerkt unterm 9. September 3
Uhr Nachmittags: Von allen Combinationen, die man sich heute
über die neue Bildung unseres Ministeriums macht, ist bis
jetzt nur die eine Nachricht als verbürgt mitzutheilen, daß der Hr.
v. Beckerath aus Frankfurt a. M. zum König berufen sey. Man
erzählt sich, daß der König einen Armeebefehl im Sinne des be-
schlossenen Erlasses ergehen lassen und derselbe von dem jetzigen
Ministerium noch contrasignirt seyn würde. Am meisten wird
davon gesprochen, daß der König die eingereichte Entlassung der
Minister noch nicht angenommen habe, so viel wenigstens glaubt
man versichern zu können, daß die Minister Milde, Märcker und
Gierke im Amte bleiben würden. Sicher ist, daß die Nachricht
von der Berufung Mevissen's und Radowitz' übereilt war.

√ Jn ganz Schwaben herrscht wegen des preußisch=dänischen
Waffenstillstandes die größte Aufregung und es gehen von allen
[Ende Spaltensatz]

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[0005] Beilage zum Mainzer Journal. Nro 84. Mittwoch, den 13. September. 1848. Deutschland. Reichstag. f Frankfurt 12. September. Der Präsident, Herr v. Gagern, eröffnet die Sitzung und beginnt mit der Verlesung neuer Beiträge für den Flottenbau. Stedtmann stattet darauf Bericht ab über die in den vereinigten Ausschüssen für interna- tionale Verhältnisse und für die Centralgewalt in Betreff der Waffenstillstandsfrage seither gepflogenen Verhandlungen. Trotz der ernstlichsten Prüfung walte eine absolute Majorität in beiden Ausschüssen nicht ob. Jn der letzten Sitzung hätten sich von 21 Mitgliedern 11 für die Verwerfung des Waffenstillstandes und 10 für dessen Annahme erklärt. Er stellt Namens der vereinigten Ausschüsse den Antrag auf eine am morgigen Tage zur Berath- ung über die schleswig=holsteinische Frage abzuhaltende Sitzung der Reichsversammlung. Claussen zeigt an, daß die Majorität der vereinigten Ausschüsse um ein Mitglied, also auf 12 Personen gestiegen sey. v. Lindenau behält sich für die auf morgen an- zuberaumende außerordentliche Sitzung einen selbstständigen An- trag in der obschwebenden Angelegenheit vor. v. Auerswald verlangt, daß die Versammlung in den vollständigen Besitz der Berichte gesetzt werde, bevor sie auf die Verhandlung selbst ein- gehe. Schwarzenberg beantragt den Druck der von der schleswig=holsteinischen Landesversammlung an das deutsche Par- lament gesendeten Adresse und deren sofortige Vertheilung an die Abgeordneten. [ Wir geben dieselbe heute Nachmittag. ] Nach- dem über mehrere minder wichtige Dinge zur Tagesordnung übergegangen worden, verliest der Präsident einen Antrag von Blum und Genossen, dahin lautend: „Die Nationalver- sammlung möge in Erwägung der in Schleswig=Holstein wachsenden Gefahren, der gegen die Versicherungen des Reichsministeriums in Eilmärschen vollzogenen Truppenrückkehr und der Nothwendigkeit einer Vollziehung der Parlamentsbe- schlüsse, die Absendung einer Deputation von fünfzehn Mitglie- dern an den Reichsverweser verfügen, um denselben um schleu- nige Beendigung der Ministerkrisis zu ersuchen.“ Die Be- gründung der Dringlichkeit dieses Antrags wird mit 219 gegen 208 Stimmen abgelehnt. Ebenso wird ein Antrag Schlöffels verworfen, welcher auf den Grund, daß die preußische Re- gierung in der Waffenstillstandsfrage die Vollmacht der Cen- tralgewalt überschritten, und dadurch ein Attentat auf die Ehre Deutschlands begangen habe, die sofortige Uebersendung der auf diesen Gegenstand bezüglichen Actenstücke an die Mit- glieder der preußischen Nationalversammlung verlangte. Die Berathung ging darauf zu den Grundrechten über und es wurden §. 15. und 16. in folgender Fassung angenommen: §. 15. „Niemand soll zu einer kirchlichen Handlung und Feier- lichkeit gezwungen werden. Die Form des Eides soll eine für Alle gleichmäßige und an kein bestimmtes Religionsbekenntniß geknüpft seyn. §. 16. Die bürgerliche Gültigkeit der Ehe ist nur von der Vollziehung des Civilactes abhängig; die kirchliche Trauung kann erst nach der Vollziehung des Civilactes stattfinden. Die Religionsverschiedenheit ist kein bürgerliches Ehehinderniß. Die Standesbücher werden von den bürgerlichen Behörden geführt.“ Wien 7. September. ( D. A. Z. ) Man kann als entschie- den annehmen, daß das Ministerium bleibt. Selbst der bestimmte Austritt Minister Schwarzer's ist noch verschoben. Dagegen wird dem „Schwäbischen Merkur“ unter demselben Da- tum gemeldet: Seit zwei Tagen ist allgemein von einem Mini- sterwechsel die Rede, der theilweise wenistens wohl bald erfol- gen wird. Am unhaltbarsten zeigt sich die Stellung des Herrn v. Schwarzer, der auf den Schultern des Radicalismus zur Ge- walt emporgeklommen, in seiner neuen Stellung ihn auch wieder durch Schrift und That verläugnet hat. Als sein Nachfolger wird der mit reichen Kenntnissen und Erfahrungen ausgestattete Direc- tor des Triester Lloyds, Hr. v. Bruck, bezeichnet. Auch Baron Doblhoff soll bei dieser Veränderung ausscheiden und, wie man vernimmt, von dem bisherigen Justizminister, Dr. Bach, ersetzt werden, welcher letztere sich mit Entschiedenheit nunmehr an die conservativ=constitutionelle Partei, die dermalen schon die bei weitem stärkere, angeschlossen hat. — Die Jnterpellation des Ab- geordneten Borrosch im Reichstage, welcher das Recht oder, wenn man will, die Unerläßlichkeit der Sanctionirung der reichs- tägigen Beschlüsse vom Monarchen der souveränen constituirenden Versammlung gegenüber in Abrede zu stellen suchte, hat die Kam- mer in zwei noch schärfere Hälften geschieden, und die neue Ge- staltung des Ministeriums in der Farbe des siegenden Theils, der, wie kaum zu zweifeln, der conservative, wird noch wirksamer auf- treten können. Der demokratische Verein hat inzwischen schon in bester Hoffnung Hrn. Borrosch gestern für seine Bemüh- ungen einen Fackelzug gebracht, von ihm aber in einer Anrede die mehr als zweifelhafte Dankbezeugung erhalten, er ( Borrosch ) habe sich diesem Vereine nur angeschlossen, nm ihn auf dem Bo- den des Rechts erhalten zu helfen und vor Uebergriffen zu warnen. Berlin 9. September. ( D. A. Z. ) Die gestern Abend ver- breitete Version von einem Ministerium Waldeck hat sich nicht bestätigt. Eine Depesche soll die HH. v. Beckerath und Me- vissen nach Berlin berufen, damit sie die Geschäfte übernehmen. Man ist einigermaßen in der Stadt beruhigt, da die Gewitter- wolke, die Berlin bedrohte und die sich im Geschützesdonner zu entladen das Ansehen hatte, für jetzt beseitigt erscheint. Aber wo- hin wir blicken, zu unseren Füßen klaffende Abgründe, die mensch- liche Einsicht schwerlich zu überhüpfen versteht. Die Dinge sind zu einer innern Collision, zu einem unversöhnlichen Gegensatz ge- kommen. Auf der einen Seite das Bewußtseyn eines souveränen, decretirenden Convents im Namen des Volkes; auf der anderen das Vorgeben, es handle sich um eine berathende und verein- barende Versammlung. Wo ist hier an eine durchgreifende Ver- söhnung zu denken oder gar an eine segensreiche Thätigkeit, wenn auch pausirende Vermittelungsschläge gefunden werden? Und doch ist die innere, ich möchte sagen: die theoretische Zerklüftung bedrohlicher als die in das Lebende spielende Physiognomie. Denn es herrscht die tiefste Ruhe; und es bleibt bezeichnend für unsere Epoche, daß man Revolutionen mit lachendem Munde vollführt. Aber, sehr schlimme Elemente fangen an in die Bürgerwehr, in das Militär hinüber sich zu ziehen; das wächst, durch die Um- stände getragen, lawinenartig. Niemand kann hier sagen, wie es morgen aussieht; ein übel verstandener Befehl, eine Farce, ein Mißverständniß kann ein Blutbad über Berlin, über Preußen bringen. Das ist der Fluch unserer Zustände, daß sie gleichsam unterirdischen Mächten verfallen sind, die dämonisch in das zer- trümmerte Leben hineinragen. O, daß doch ein schöpferischer Geist, ein auf das Ewige bedachter Geist über unsere besseren Demokra- ten käme, damit wir aus der stinkenden Luft hinausgetragen wür- den in das wahrhaft Freie! Jm Ganzen benehmen sich die Pri- vatversammlungen und die Organe der Linken mäßig. Jn den ersteren ist beschlossen worden, bis nächsten Freitag auf weitere Vertagung einzugehen und dann erst ohne ein Ministerium zu ver- handeln; auch ist man nicht abgeneigt, die Form des verhängniß- vollen Circulars zu ignoriren und sich de facto mit einem im Tam- nau 'schen Sinn abgefaßten Documente zu begnügen, Annäher- ungsversuche zwischen der Rechten und dem linken Centrum finden statt, wahrscheinlich um ein Uebergreifen der consequenten Linken zu beseitigen. Doch möchte dies sehr schwer, nach bekannten Ana- logien in der Geschichte fast unmöglich seyn; denn die Löwen las- sen sich ihre Beute nicht entreißen, am wenigsten lassen sie sich vorschieben, um die Privatanimosität der Füchse zu befriedigen. Die Löwen arbeiten für sich und zerreißen zuletzt diejenigen, welche sich ihrer zu bedienen glaubten. Uebrigens sind sämmtliche Mi- nister heute wieder nach Potsdam gegangen, und bis heute Nach- mittag 3 Uhr hatten sie noch keine definitive Antwort auf ihr an den König gerichtetes Entlassungsgesuch. Fürst Radziwill ist hier angekommen; Wrangel wird erwartet. Die Neue Berliner Zeitung bemerkt unterm 9. September 3 Uhr Nachmittags: Von allen Combinationen, die man sich heute über die neue Bildung unseres Ministeriums macht, ist bis jetzt nur die eine Nachricht als verbürgt mitzutheilen, daß der Hr. v. Beckerath aus Frankfurt a. M. zum König berufen sey. Man erzählt sich, daß der König einen Armeebefehl im Sinne des be- schlossenen Erlasses ergehen lassen und derselbe von dem jetzigen Ministerium noch contrasignirt seyn würde. Am meisten wird davon gesprochen, daß der König die eingereichte Entlassung der Minister noch nicht angenommen habe, so viel wenigstens glaubt man versichern zu können, daß die Minister Milde, Märcker und Gierke im Amte bleiben würden. Sicher ist, daß die Nachricht von der Berufung Mevissen's und Radowitz' übereilt war. √ Jn ganz Schwaben herrscht wegen des preußisch=dänischen Waffenstillstandes die größte Aufregung und es gehen von allen

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Zitationshilfe: Mainzer Journal. Nr. 84. Mainz, 12. September 1848, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_mainzerjournal084_1848/5>, abgerufen am 24.11.2024.