Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Mainzer Journal. Nr. 19. Mainz, 4. Juli 1848.

Bild:
<< vorherige Seite

[Beginn Spaltensatz] mit einer Visitation der Gefängnisse und Spitäler beauftragt hatte,
ist die Lage der Gefangenen etwas verbessert worden. Jn dem
Gefängnisse in der Straße Tournon z. B. sind 1500 Personen
zusammengepreßt, in den feuchten Kellern der Tuilerien lagen de-
ren achthundert. Da man befürchtete, der Typhus möge unter ih-
nen ausbrechen, so wurden sie theils in andere gesündere Locale
vertheilt, theils in die detachirten Forts vor Paris gebracht.

Während die Polizei in Paris jetzt wieder etwas milder gewor-
den ist, hat sie ihr Hauptquartier vor den Thoren der Stadt auf-
geschlagen. Viele Jnsurgenten haben sich nämlich auf das Land
geworfen und man befürchtet, sie möchten einen Handstreich auf
die in der Nähe gelegenen Dörfer versuchen. Starke Cavallerie-
patrouillen streifen deßhalb in der ganzen Umgebung von Paris
und wer sich durch seine Legitimationspapiere nicht gehörig aus-
weisen kann, wird arretirt. Jn der Stadt selbst dauern die Haus-
suchungen und Verhaftungen fort, namentlich wurden in den
letzten Tagen mehrere Offiziere der fünften, achten, neunten und
zwölften Legion der Nationalgarde in Verhaft genommen.

Das "Journal des Debats" tröstet sich damit, daß so viele
Nationalgarden aus den Departements den Parisern zu Hülfe ge-
kommen seyen und meint, ganz Europa müsse, wenn es dieses
"magnifique Spectakel" sehe, an die französische Einheit glauben.
Der "National" ermahnt einfach zu Liebe und Brudersinn und
warnt, gleich allen Vernünftigen in Deutschland, eben so sehr
vor der brutalen Gewalt der Anarchie, als den trägen Still-
standsgelüsten jener Leute, die Alles gern beim Alten lassen
möchten.

Auf den ersten Blick mag es befremden, daß es den Jnsur-
genten, beiläufig 1500 an der Zahl, gelungen ist sich durch die
Flucht aus der Vorstadt St. Antoine zu retten, nachdem rings-
herum die Vorstadt mit so beträchtlichen Truppenmassen umgeben
war, und nachdem sich dieselben auf Gnade und Ungnade ergeben
hatten. Sichern Erkundigungen zufolge befand sich unter den Jn-
surgenten der Vorstadt St. Antoine eine nicht unbedeutende
Zahl von Galeerensträflingen, die um keinen Preis in die Hände
der Gerechtigkeit fallen wollten. Da sie, von den Truppen
umringt, nicht entkommen konnten, so drohten sie in die zahl-
reichen in der Vorstadt St. Antoine liegenden Unterrichtsan-
stalten einzubrechen, und aus den darin erzogenen Knaden
und Mädchen
sich eine Brustwehr zu bilden. General Cavaig-
nac, von diesem Vorhaben unterrichtet, ließ ihnen durch Ent-
fernung der Truppen von einzelnen Puncten einen Ausgang
öffnen, stellte jedoch zwei Cuirassierregimenter so auf, daß die
meisten Flüchtlinge gleich wieder aufgegriffen oder niedergehanen
wurden. Damit war die Jnsurrection zu Ende.

Wenn in den Blättern häufig von dem vielen Geld die Rede
ist, welches man bei den Jnsurgenten gefunden hat, so ist daraus
keineswegs zu folgern, daß sie es von irgend welchen Seiten her
bekommen haben, da es nur zu gewiß ist, daß sie in den von ihnen
occupirten Stadttheilen sich dasselbe selbst zugeeignet haben. Ein
Beweis dessen liegt namentlich auch darin, daß man oft bei Bu-
ben große Summen gefunden hat, deren Händen gewiß keine Par-
tei so viel oder irgend Etwas anvertraut hat.

Lyon 28. Juni. Polizeiliche Nachforschungen führten zur
Entdeckung heimlicher Waffenvorräthe, die alsbald mit Beschlag be-
legt wurden. Mehrere Clubs wurden auf Befehl der Behörden ge-
schlossen, und es war bereits die Absicht des Befehlshabers der
Truppen, die Stadt in einen provisorischen Kriegszustand zu erklä-
ren, als der Commissar der Republik diese Maßregel zu hintertreiben
wußte. Die Zusammenrottungen von Arbeitern, die man vielleicht
zu sehr fürchtete, verliefen sich allmählich. Die in der Umgegend
lagernden Truppen der Alpenarmee hatten sich bereits in großer Zahl
gegen unsere Stadt bewegt, und schon waren Dragoner herbei-
geeilt, die Emeute zu bekämpfen, als sich plötzlich eine unerwartete
Ruhe in allen Stadtvierteln einstellte und Nationalgarde wie Li-
nie von ihrem beschwerlichen Dienste befreit werden konnten.

Großbritannien.

London 29. Juni. Die prächtige Kathedrale, welche die
Katholiken am rechten Ufer der Themse, im Stadttheile Lambeth,
erbauen, ist jetzt beinahe vollendet. Es fehlt bloß der hohe
Thurm über dem Eingange, um die Kirche zu einer der schönsten
Zierden der Hauptstadt zu machen. Das Schiff ist größer als
das von Westminster Abbey. Lord Shrewsbury und viele ange-
sehene Katholiken haben den Bau mit der preiswürdigsten Frei-
gebigkeit unterstützt. Am Dienstag soll er mit der größten Feier-
lichkeit eingeweiht und dem Gottesdienste übergeben werden. Von
allen Theilen des Königreichs und auch vom Festlande werden
Prälaten und Geistliche erwartet, um einer Feier beizuwohnen,
[Spaltenumbruch] welche für die ganze katholische Christenheit von hoher Bedeu-
tung ist.

Der "Globe" bemerkt in seinem Börsenberichte: Die Divi-
denden der französischen Staatspapiere wurden vorige Woche,
trotz aller Unruhen, richtig ausbezahlt, -- ein Umstand, welcher
der Regierung zu großer Ehre gereicht. Allerdings sind die fran-
zösischen Finanzen in sehr bedrängter Lage, aber es ist wahr-
scheinlich, daß die nene Regierung unter der kräftigen Leitung des
Generals Cavaignac Vertrauen einflößen und nicht bloß den
Handel beleben, sondern auch ein regelmäßigeres Eingehen der
Steuern herbeiführen wird. Die Handelsbriefe aus Paris sind
in der That schon etwas muthiger. Die Dinge lassen sich auf
dem Festlande überhaupt besser an und man hofft, daß Vermit-
telung in Jtalien und Deutschland alles zuwege bringen wird,
was durch Kriege erreicht werden könnte.

Belgien.

Brüssel 25. Juni. Hr. Bellocq, der bisherige Minister der
französischen Republik beim hiesigen Hofe, ist abberufen und an
seine Stelle Hr. Quinette, der Sohn eines Mitglieds des Natio-
nalconvents, der lange in Brüssel als Verbannter gelebt hat,
ernannt worden. Dieser schnelle Wechsel hat zu manchen Bemer-
kungen und selbst Besorgnissen Anlaß gegeben, denn man wollte
wissen, Hr. Bellocq werde deßwegen von hier weggenommen,
weil seine Beziehungen zum hiesigen Hof sich auf eine, den Pariser
und den hiesigen Republikanern mißfällige Weise gestaltet hätten,
und man sich von ihm keine Propaganda versprechen könne. Zur
Bestärkung dieser Besorgnisse wurde hinzugefügt, dem neuen
Minister würde ein Secretär mit ganz ungewöhnlich hoher Besol-
dung beigegeben werden, damit dieser um so nachdrucksamer in
gewissem Sinne zu wirken und sich Anhang zu erwerben wisse.
Das hiesige ministerielle Blatt " Jndependance " widerlegt nun
zwar diese Besorgnisse und findet den Wechsel ganz unverfänglich,
auch den Charakter des Hrn. Quinette in jedem Sinne zuverlässig
und über den Verdacht unwürdiger Jntriguen erhaben; dennoch
wird diese halbofficielle Sprache nicht ganz ihren Zweck erreichen,
weil gerade in diesem Augenblick von einer andern Seite her un-
bezweifelbare Beweise auftauchen, daß die Männer, die jetzt in
Paris am Ruder sind, darauf ausgehen, die an Frankreich an-
stoßenden Länder zu republikanisiren 1) .

Diese Beweise finden wir ganz besonders in dem merkwürdi-
gen Schreiben des Hrn. v. Boissy vom 10. d. M. an Hrn. Bastide,
den gegenwärtigen Minister der auswärtigen Angelegenheiten
Frankreichs. Mit Recht erregt dieses Schreiben, woraus man
unter anderm erfährt, daß das französische diplomatische Corps
sich in der neuesten Zeit aus Souffleurlöchern und Prostitutions-
häusern ergänzt hat, ein ungemeines Aufsehen. Hr. v. Boissy
nun sagt dem Minister gerade ins Gesicht: als er die Mission
nach Florenz angenommen habe, sey noch an Lamartine's Pro-
gramm festgehalten worden, und keine Rede davon gewesen,
Jtalien zu republikanisiren; er bleibe der Ueberzeugung, daß
Frankreich sich selbst schade, indem es durch seine Emissäre die
Nachbarländer in Republiken umzugestalten suche. Die Absicht
ist also vorhanden, es wird in diesem Sinne gewirkt, und --
hat man es auf Jtalien abgesehen, so wird Belgien gewiß auch
nicht unbeachtet bleiben, da hier, wo der Tochtermann Ludwig
Philipps auf dem Thron sitzt und für den Fall eines europäischen
Krieges eine so höchst wichtige Stellung ist, mehr Gründe wie
sonst irgendwo für eine derartige Propaganda vorhanden sind.
Belgien mag sich also vorsehen. ( A. Z. )

Schweden und Norwegen.

Lübeck 24. Juni. Nach den Aussagen von Reisenden, die
in diesen Tagen von Stockholm hierher kamen, dauern die
Kriegsrüstungen in Schweden unausgesetzt fort, und
zwar zu Wasser wie zu Lande. Die Armirung und Verprovian-
tirung, namentlich kleinerer Kriegsfahrzeuge ( Kanonenboote ) ,
wird mit einem Eifer betrieben, die auf einen andern Zweck schlies-
sen lassen als auf Unterstützung der Dänen gegen die Deutschen.
Man bringt sie in Verbindung mit der Anwesenheit einer russi-
schen Flottenabtheilung in der Ostsee, worunter Schiffe von 150
Kanonen, die 30 bis 40 Fuß tief gehen. Rußlands Zumuthung,
einem Truppencorps von Finnland aus den Durchzug durch
Schweden, Dänemark zur Hülfe, zu gestatten, scheint noch unver-
gessen und gewisse Besorgnisse wieder rege zu machen. ( L. K. )

[Ende Spaltensatz]

Redacteur: Franz Sausen. -- Verlag von Kirchheim und Schott in Mainz. -- Druck von Florian Kupferberg.

1) Der Brief ist vor der letzten Pariser Revolution geschrieben.
Die Verhältnisse sind aber in diesem Puncte nicht anders geworden.

[Beginn Spaltensatz] mit einer Visitation der Gefängnisse und Spitäler beauftragt hatte,
ist die Lage der Gefangenen etwas verbessert worden. Jn dem
Gefängnisse in der Straße Tournon z. B. sind 1500 Personen
zusammengepreßt, in den feuchten Kellern der Tuilerien lagen de-
ren achthundert. Da man befürchtete, der Typhus möge unter ih-
nen ausbrechen, so wurden sie theils in andere gesündere Locale
vertheilt, theils in die detachirten Forts vor Paris gebracht.

Während die Polizei in Paris jetzt wieder etwas milder gewor-
den ist, hat sie ihr Hauptquartier vor den Thoren der Stadt auf-
geschlagen. Viele Jnsurgenten haben sich nämlich auf das Land
geworfen und man befürchtet, sie möchten einen Handstreich auf
die in der Nähe gelegenen Dörfer versuchen. Starke Cavallerie-
patrouillen streifen deßhalb in der ganzen Umgebung von Paris
und wer sich durch seine Legitimationspapiere nicht gehörig aus-
weisen kann, wird arretirt. Jn der Stadt selbst dauern die Haus-
suchungen und Verhaftungen fort, namentlich wurden in den
letzten Tagen mehrere Offiziere der fünften, achten, neunten und
zwölften Legion der Nationalgarde in Verhaft genommen.

Das „Journal des Debats“ tröstet sich damit, daß so viele
Nationalgarden aus den Departements den Parisern zu Hülfe ge-
kommen seyen und meint, ganz Europa müsse, wenn es dieses
„magnifique Spectakel“ sehe, an die französische Einheit glauben.
Der „National“ ermahnt einfach zu Liebe und Brudersinn und
warnt, gleich allen Vernünftigen in Deutschland, eben so sehr
vor der brutalen Gewalt der Anarchie, als den trägen Still-
standsgelüsten jener Leute, die Alles gern beim Alten lassen
möchten.

Auf den ersten Blick mag es befremden, daß es den Jnsur-
genten, beiläufig 1500 an der Zahl, gelungen ist sich durch die
Flucht aus der Vorstadt St. Antoine zu retten, nachdem rings-
herum die Vorstadt mit so beträchtlichen Truppenmassen umgeben
war, und nachdem sich dieselben auf Gnade und Ungnade ergeben
hatten. Sichern Erkundigungen zufolge befand sich unter den Jn-
surgenten der Vorstadt St. Antoine eine nicht unbedeutende
Zahl von Galeerensträflingen, die um keinen Preis in die Hände
der Gerechtigkeit fallen wollten. Da sie, von den Truppen
umringt, nicht entkommen konnten, so drohten sie in die zahl-
reichen in der Vorstadt St. Antoine liegenden Unterrichtsan-
stalten einzubrechen, und aus den darin erzogenen Knaden
und Mädchen
sich eine Brustwehr zu bilden. General Cavaig-
nac, von diesem Vorhaben unterrichtet, ließ ihnen durch Ent-
fernung der Truppen von einzelnen Puncten einen Ausgang
öffnen, stellte jedoch zwei Cuirassierregimenter so auf, daß die
meisten Flüchtlinge gleich wieder aufgegriffen oder niedergehanen
wurden. Damit war die Jnsurrection zu Ende.

Wenn in den Blättern häufig von dem vielen Geld die Rede
ist, welches man bei den Jnsurgenten gefunden hat, so ist daraus
keineswegs zu folgern, daß sie es von irgend welchen Seiten her
bekommen haben, da es nur zu gewiß ist, daß sie in den von ihnen
occupirten Stadttheilen sich dasselbe selbst zugeeignet haben. Ein
Beweis dessen liegt namentlich auch darin, daß man oft bei Bu-
ben große Summen gefunden hat, deren Händen gewiß keine Par-
tei so viel oder irgend Etwas anvertraut hat.

Lyon 28. Juni. Polizeiliche Nachforschungen führten zur
Entdeckung heimlicher Waffenvorräthe, die alsbald mit Beschlag be-
legt wurden. Mehrere Clubs wurden auf Befehl der Behörden ge-
schlossen, und es war bereits die Absicht des Befehlshabers der
Truppen, die Stadt in einen provisorischen Kriegszustand zu erklä-
ren, als der Commissar der Republik diese Maßregel zu hintertreiben
wußte. Die Zusammenrottungen von Arbeitern, die man vielleicht
zu sehr fürchtete, verliefen sich allmählich. Die in der Umgegend
lagernden Truppen der Alpenarmee hatten sich bereits in großer Zahl
gegen unsere Stadt bewegt, und schon waren Dragoner herbei-
geeilt, die Emeute zu bekämpfen, als sich plötzlich eine unerwartete
Ruhe in allen Stadtvierteln einstellte und Nationalgarde wie Li-
nie von ihrem beschwerlichen Dienste befreit werden konnten.

Großbritannien.

London 29. Juni. Die prächtige Kathedrale, welche die
Katholiken am rechten Ufer der Themse, im Stadttheile Lambeth,
erbauen, ist jetzt beinahe vollendet. Es fehlt bloß der hohe
Thurm über dem Eingange, um die Kirche zu einer der schönsten
Zierden der Hauptstadt zu machen. Das Schiff ist größer als
das von Westminster Abbey. Lord Shrewsbury und viele ange-
sehene Katholiken haben den Bau mit der preiswürdigsten Frei-
gebigkeit unterstützt. Am Dienstag soll er mit der größten Feier-
lichkeit eingeweiht und dem Gottesdienste übergeben werden. Von
allen Theilen des Königreichs und auch vom Festlande werden
Prälaten und Geistliche erwartet, um einer Feier beizuwohnen,
[Spaltenumbruch] welche für die ganze katholische Christenheit von hoher Bedeu-
tung ist.

Der „Globe“ bemerkt in seinem Börsenberichte: Die Divi-
denden der französischen Staatspapiere wurden vorige Woche,
trotz aller Unruhen, richtig ausbezahlt, — ein Umstand, welcher
der Regierung zu großer Ehre gereicht. Allerdings sind die fran-
zösischen Finanzen in sehr bedrängter Lage, aber es ist wahr-
scheinlich, daß die nene Regierung unter der kräftigen Leitung des
Generals Cavaignac Vertrauen einflößen und nicht bloß den
Handel beleben, sondern auch ein regelmäßigeres Eingehen der
Steuern herbeiführen wird. Die Handelsbriefe aus Paris sind
in der That schon etwas muthiger. Die Dinge lassen sich auf
dem Festlande überhaupt besser an und man hofft, daß Vermit-
telung in Jtalien und Deutschland alles zuwege bringen wird,
was durch Kriege erreicht werden könnte.

Belgien.

Brüssel 25. Juni. Hr. Bellocq, der bisherige Minister der
französischen Republik beim hiesigen Hofe, ist abberufen und an
seine Stelle Hr. Quinette, der Sohn eines Mitglieds des Natio-
nalconvents, der lange in Brüssel als Verbannter gelebt hat,
ernannt worden. Dieser schnelle Wechsel hat zu manchen Bemer-
kungen und selbst Besorgnissen Anlaß gegeben, denn man wollte
wissen, Hr. Bellocq werde deßwegen von hier weggenommen,
weil seine Beziehungen zum hiesigen Hof sich auf eine, den Pariser
und den hiesigen Republikanern mißfällige Weise gestaltet hätten,
und man sich von ihm keine Propaganda versprechen könne. Zur
Bestärkung dieser Besorgnisse wurde hinzugefügt, dem neuen
Minister würde ein Secretär mit ganz ungewöhnlich hoher Besol-
dung beigegeben werden, damit dieser um so nachdrucksamer in
gewissem Sinne zu wirken und sich Anhang zu erwerben wisse.
Das hiesige ministerielle Blatt „ Jndépendance “ widerlegt nun
zwar diese Besorgnisse und findet den Wechsel ganz unverfänglich,
auch den Charakter des Hrn. Quinette in jedem Sinne zuverlässig
und über den Verdacht unwürdiger Jntriguen erhaben; dennoch
wird diese halbofficielle Sprache nicht ganz ihren Zweck erreichen,
weil gerade in diesem Augenblick von einer andern Seite her un-
bezweifelbare Beweise auftauchen, daß die Männer, die jetzt in
Paris am Ruder sind, darauf ausgehen, die an Frankreich an-
stoßenden Länder zu republikanisiren 1) .

Diese Beweise finden wir ganz besonders in dem merkwürdi-
gen Schreiben des Hrn. v. Boissy vom 10. d. M. an Hrn. Bastide,
den gegenwärtigen Minister der auswärtigen Angelegenheiten
Frankreichs. Mit Recht erregt dieses Schreiben, woraus man
unter anderm erfährt, daß das französische diplomatische Corps
sich in der neuesten Zeit aus Souffleurlöchern und Prostitutions-
häusern ergänzt hat, ein ungemeines Aufsehen. Hr. v. Boissy
nun sagt dem Minister gerade ins Gesicht: als er die Mission
nach Florenz angenommen habe, sey noch an Lamartine's Pro-
gramm festgehalten worden, und keine Rede davon gewesen,
Jtalien zu republikanisiren; er bleibe der Ueberzeugung, daß
Frankreich sich selbst schade, indem es durch seine Emissäre die
Nachbarländer in Republiken umzugestalten suche. Die Absicht
ist also vorhanden, es wird in diesem Sinne gewirkt, und —
hat man es auf Jtalien abgesehen, so wird Belgien gewiß auch
nicht unbeachtet bleiben, da hier, wo der Tochtermann Ludwig
Philipps auf dem Thron sitzt und für den Fall eines europäischen
Krieges eine so höchst wichtige Stellung ist, mehr Gründe wie
sonst irgendwo für eine derartige Propaganda vorhanden sind.
Belgien mag sich also vorsehen. ( A. Z. )

Schweden und Norwegen.

Lübeck 24. Juni. Nach den Aussagen von Reisenden, die
in diesen Tagen von Stockholm hierher kamen, dauern die
Kriegsrüstungen in Schweden unausgesetzt fort, und
zwar zu Wasser wie zu Lande. Die Armirung und Verprovian-
tirung, namentlich kleinerer Kriegsfahrzeuge ( Kanonenboote ) ,
wird mit einem Eifer betrieben, die auf einen andern Zweck schlies-
sen lassen als auf Unterstützung der Dänen gegen die Deutschen.
Man bringt sie in Verbindung mit der Anwesenheit einer russi-
schen Flottenabtheilung in der Ostsee, worunter Schiffe von 150
Kanonen, die 30 bis 40 Fuß tief gehen. Rußlands Zumuthung,
einem Truppencorps von Finnland aus den Durchzug durch
Schweden, Dänemark zur Hülfe, zu gestatten, scheint noch unver-
gessen und gewisse Besorgnisse wieder rege zu machen. ( L. K. )

[Ende Spaltensatz]

Redacteur: Franz Sausen. — Verlag von Kirchheim und Schott in Mainz. — Druck von Florian Kupferberg.

1) Der Brief ist vor der letzten Pariser Revolution geschrieben.
Die Verhältnisse sind aber in diesem Puncte nicht anders geworden.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="jPoliticalNews" n="1">
        <div type="jArticle" n="2">
          <p><pb facs="#f0004"/><cb type="start"/>
mit einer Visitation der Gefängnisse und Spitäler beauftragt hatte,<lb/>
ist die Lage der Gefangenen etwas verbessert worden. Jn dem<lb/>
Gefängnisse in der Straße Tournon z. B. sind 1500 Personen<lb/>
zusammengepreßt, in den feuchten Kellern der Tuilerien lagen de-<lb/>
ren achthundert. Da man befürchtete, der Typhus möge unter ih-<lb/>
nen ausbrechen, so wurden sie theils in andere gesündere Locale<lb/>
vertheilt, theils in die detachirten Forts vor Paris gebracht.</p><lb/>
          <p>Während die Polizei in Paris jetzt wieder etwas milder gewor-<lb/>
den ist, hat sie ihr Hauptquartier vor den Thoren der Stadt auf-<lb/>
geschlagen. Viele Jnsurgenten haben sich nämlich auf das Land<lb/>
geworfen und man befürchtet, sie möchten einen Handstreich auf<lb/>
die in der Nähe gelegenen Dörfer versuchen. Starke Cavallerie-<lb/>
patrouillen streifen deßhalb in der ganzen Umgebung von Paris<lb/>
und wer sich durch seine Legitimationspapiere nicht gehörig aus-<lb/>
weisen kann, wird arretirt. Jn der Stadt selbst dauern die Haus-<lb/>
suchungen und Verhaftungen fort, namentlich wurden in den<lb/>
letzten Tagen mehrere Offiziere der fünften, achten, neunten und<lb/>
zwölften Legion der Nationalgarde in Verhaft genommen.</p><lb/>
          <p>Das &#x201E;Journal des Debats&#x201C; tröstet sich damit, daß so viele<lb/>
Nationalgarden aus den Departements den Parisern zu Hülfe ge-<lb/>
kommen seyen und meint, ganz Europa müsse, wenn es dieses<lb/>
&#x201E;magnifique Spectakel&#x201C; sehe, an die französische Einheit glauben.<lb/>
Der &#x201E;National&#x201C; ermahnt einfach zu Liebe und Brudersinn und<lb/>
warnt, gleich allen Vernünftigen in Deutschland, eben so sehr<lb/>
vor der brutalen Gewalt der Anarchie, als den trägen Still-<lb/>
standsgelüsten jener Leute, die Alles gern beim Alten lassen<lb/>
möchten.</p><lb/>
          <p>Auf den ersten Blick mag es befremden, daß es den Jnsur-<lb/>
genten, beiläufig 1500 an der Zahl, gelungen ist sich durch die<lb/>
Flucht aus der Vorstadt St. Antoine zu retten, nachdem rings-<lb/>
herum die Vorstadt mit so beträchtlichen Truppenmassen umgeben<lb/>
war, und nachdem sich dieselben auf Gnade und Ungnade ergeben<lb/>
hatten. Sichern Erkundigungen zufolge befand sich unter den Jn-<lb/>
surgenten der Vorstadt St. Antoine eine nicht unbedeutende<lb/>
Zahl von Galeerensträflingen, die um keinen Preis in die Hände<lb/>
der Gerechtigkeit fallen wollten. Da sie, von den Truppen<lb/>
umringt, nicht entkommen konnten, so drohten sie in die zahl-<lb/>
reichen in der Vorstadt St. Antoine liegenden Unterrichtsan-<lb/>
stalten einzubrechen, und aus den darin erzogenen <hi rendition="#g">Knaden<lb/>
und Mädchen</hi> sich eine Brustwehr zu bilden. General Cavaig-<lb/>
nac, von diesem Vorhaben unterrichtet, ließ ihnen durch Ent-<lb/>
fernung der Truppen von einzelnen Puncten einen Ausgang<lb/>
öffnen, stellte jedoch zwei Cuirassierregimenter so auf, daß die<lb/>
meisten Flüchtlinge gleich wieder aufgegriffen oder niedergehanen<lb/>
wurden. Damit war die Jnsurrection zu Ende.</p><lb/>
          <p>Wenn in den Blättern häufig von dem vielen Geld die Rede<lb/>
ist, welches man bei den Jnsurgenten gefunden hat, so ist daraus<lb/>
keineswegs zu folgern, daß sie es von irgend welchen Seiten her<lb/>
bekommen haben, da es nur zu gewiß ist, daß sie in den von ihnen<lb/>
occupirten Stadttheilen sich dasselbe selbst zugeeignet haben. Ein<lb/>
Beweis dessen liegt namentlich auch darin, daß man oft bei Bu-<lb/>
ben große Summen gefunden hat, deren Händen gewiß keine Par-<lb/>
tei so viel oder irgend Etwas anvertraut hat.</p>
        </div><lb/>
        <div type="jArticle" n="2">
          <p>Lyon 28. Juni. Polizeiliche Nachforschungen führten zur<lb/>
Entdeckung heimlicher Waffenvorräthe, die alsbald mit Beschlag be-<lb/>
legt wurden. Mehrere Clubs wurden auf Befehl der Behörden ge-<lb/>
schlossen, und es war bereits die Absicht des Befehlshabers der<lb/>
Truppen, die Stadt in einen provisorischen Kriegszustand zu erklä-<lb/>
ren, als der Commissar der Republik diese Maßregel zu hintertreiben<lb/>
wußte. Die Zusammenrottungen von Arbeitern, die man vielleicht<lb/>
zu sehr fürchtete, verliefen sich allmählich. Die in der Umgegend<lb/>
lagernden Truppen der Alpenarmee hatten sich bereits in großer Zahl<lb/>
gegen unsere Stadt bewegt, und schon waren Dragoner herbei-<lb/>
geeilt, die Emeute zu bekämpfen, als sich plötzlich eine unerwartete<lb/>
Ruhe in allen Stadtvierteln einstellte und Nationalgarde wie Li-<lb/>
nie von ihrem beschwerlichen Dienste befreit werden konnten.</p>
        </div><lb/>
      </div>
      <div type="jPoliticalNews" n="1">
        <head> <hi rendition="#g">Großbritannien.</hi> </head><lb/>
        <p>London 29. Juni. Die prächtige Kathedrale, welche die<lb/>
Katholiken am rechten Ufer der Themse, im Stadttheile Lambeth,<lb/>
erbauen, ist jetzt beinahe vollendet. Es fehlt bloß der hohe<lb/>
Thurm über dem Eingange, um die Kirche zu einer der schönsten<lb/>
Zierden der Hauptstadt zu machen. Das Schiff ist größer als<lb/>
das von Westminster Abbey. Lord Shrewsbury und viele ange-<lb/>
sehene Katholiken haben den Bau mit der preiswürdigsten Frei-<lb/>
gebigkeit unterstützt. Am Dienstag soll er mit der größten Feier-<lb/>
lichkeit eingeweiht und dem Gottesdienste übergeben werden. Von<lb/>
allen Theilen des Königreichs und auch vom Festlande werden<lb/>
Prälaten und Geistliche erwartet, um einer Feier beizuwohnen,<lb/><cb n="2"/>
welche für die ganze katholische Christenheit von hoher Bedeu-<lb/>
tung ist.</p><lb/>
        <p>Der &#x201E;Globe&#x201C; bemerkt in seinem Börsenberichte: Die Divi-<lb/>
denden der französischen Staatspapiere wurden vorige Woche,<lb/>
trotz aller Unruhen, richtig ausbezahlt, &#x2014; ein Umstand, welcher<lb/>
der Regierung zu großer Ehre gereicht. Allerdings sind die fran-<lb/>
zösischen Finanzen in sehr bedrängter Lage, aber es ist wahr-<lb/>
scheinlich, daß die nene Regierung unter der kräftigen Leitung des<lb/>
Generals Cavaignac Vertrauen einflößen und nicht bloß den<lb/>
Handel beleben, sondern auch ein regelmäßigeres Eingehen der<lb/>
Steuern herbeiführen wird. Die Handelsbriefe aus Paris sind<lb/>
in der That schon etwas muthiger. Die Dinge lassen sich auf<lb/>
dem Festlande überhaupt besser an und man hofft, daß Vermit-<lb/>
telung in Jtalien und Deutschland alles zuwege bringen wird,<lb/>
was durch Kriege erreicht werden könnte.</p>
      </div><lb/>
      <div type="jPoliticalNews" n="1">
        <head> <hi rendition="#g">Belgien.</hi> </head><lb/>
        <p>Brüssel 25. Juni. Hr. Bellocq, der bisherige Minister der<lb/>
französischen Republik beim hiesigen Hofe, ist abberufen und an<lb/>
seine Stelle Hr. Quinette, der Sohn eines Mitglieds des Natio-<lb/>
nalconvents, der lange in Brüssel als Verbannter gelebt hat,<lb/>
ernannt worden. Dieser schnelle Wechsel hat zu manchen Bemer-<lb/>
kungen und selbst Besorgnissen Anlaß gegeben, denn man wollte<lb/>
wissen, Hr. Bellocq werde deßwegen von hier weggenommen,<lb/>
weil seine Beziehungen zum hiesigen Hof sich auf eine, den Pariser<lb/>
und den hiesigen Republikanern mißfällige Weise gestaltet hätten,<lb/>
und man sich von ihm keine Propaganda versprechen könne. Zur<lb/>
Bestärkung dieser Besorgnisse wurde hinzugefügt, dem neuen<lb/>
Minister würde ein Secretär mit ganz ungewöhnlich hoher Besol-<lb/>
dung beigegeben werden, damit dieser um so nachdrucksamer in<lb/>
gewissem Sinne zu wirken und sich Anhang zu erwerben wisse.<lb/>
Das hiesige ministerielle Blatt &#x201E; Jnd<hi rendition="#aq">é</hi>pendance &#x201C; widerlegt nun<lb/>
zwar diese Besorgnisse und findet den Wechsel ganz unverfänglich,<lb/>
auch den Charakter des Hrn. Quinette in jedem Sinne zuverlässig<lb/>
und über den Verdacht unwürdiger Jntriguen erhaben; dennoch<lb/>
wird diese halbofficielle Sprache nicht ganz ihren Zweck erreichen,<lb/>
weil gerade in diesem Augenblick von einer andern Seite her un-<lb/>
bezweifelbare Beweise auftauchen, daß die Männer, die jetzt in<lb/>
Paris am Ruder sind, darauf ausgehen, die an Frankreich an-<lb/>
stoßenden Länder zu republikanisiren <note place="foot" n="1)">Der Brief ist vor der letzten Pariser Revolution geschrieben.<lb/>
Die Verhältnisse sind aber in diesem Puncte nicht anders geworden.</note> .</p><lb/>
        <p>Diese Beweise finden wir ganz besonders in dem merkwürdi-<lb/>
gen Schreiben des Hrn. v. Boissy vom 10. d. M. an Hrn. Bastide,<lb/>
den gegenwärtigen Minister der auswärtigen Angelegenheiten<lb/>
Frankreichs. Mit Recht erregt dieses Schreiben, woraus man<lb/>
unter anderm erfährt, daß das französische diplomatische Corps<lb/>
sich in der neuesten Zeit aus Souffleurlöchern und Prostitutions-<lb/>
häusern ergänzt hat, ein ungemeines Aufsehen. Hr. v. Boissy<lb/>
nun sagt dem Minister gerade ins Gesicht: als er die Mission<lb/>
nach Florenz angenommen habe, sey noch an Lamartine's Pro-<lb/>
gramm festgehalten worden, und keine Rede davon gewesen,<lb/>
Jtalien zu republikanisiren; er bleibe der Ueberzeugung, daß<lb/>
Frankreich sich selbst schade, indem es durch seine Emissäre die<lb/>
Nachbarländer in Republiken umzugestalten suche. Die Absicht<lb/>
ist also vorhanden, es wird in diesem Sinne gewirkt, und &#x2014;<lb/>
hat man es auf Jtalien abgesehen, so wird Belgien gewiß auch<lb/>
nicht unbeachtet bleiben, da hier, wo der Tochtermann Ludwig<lb/>
Philipps auf dem Thron sitzt und für den Fall eines europäischen<lb/>
Krieges eine so höchst wichtige Stellung ist, mehr Gründe wie<lb/>
sonst irgendwo für eine derartige Propaganda vorhanden sind.<lb/>
Belgien mag sich also vorsehen. <hi rendition="#right">( A. Z. )</hi> </p>
      </div><lb/>
      <div type="jPoliticalNews" n="1">
        <head>Schweden und Norwegen.</head><lb/>
        <p>Lübeck 24. Juni. Nach den Aussagen von Reisenden, die<lb/>
in diesen Tagen von <hi rendition="#g">Stockholm</hi> hierher kamen, dauern die<lb/><hi rendition="#g">Kriegsrüstungen in Schweden</hi> unausgesetzt fort, und<lb/>
zwar zu Wasser wie zu Lande. Die Armirung und Verprovian-<lb/>
tirung, namentlich kleinerer Kriegsfahrzeuge ( Kanonenboote ) ,<lb/>
wird mit einem Eifer betrieben, die auf einen andern Zweck schlies-<lb/>
sen lassen als auf Unterstützung der Dänen gegen die Deutschen.<lb/>
Man bringt sie in Verbindung mit der Anwesenheit einer russi-<lb/>
schen Flottenabtheilung in der Ostsee, worunter Schiffe von 150<lb/>
Kanonen, die 30 bis 40 Fuß tief gehen. Rußlands Zumuthung,<lb/>
einem Truppencorps von Finnland aus den Durchzug durch<lb/>
Schweden, Dänemark zur Hülfe, zu gestatten, scheint noch unver-<lb/>
gessen und gewisse Besorgnisse wieder rege zu machen. <hi rendition="#right">( L. K. )</hi> </p>
      </div><lb/>
      <cb type="end"/>
      <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
    </body>
    <back>
      <div type="imprint" n="1">
        <p>Redacteur: Franz Sausen. &#x2014; Verlag von Kirchheim und Schott in Mainz. &#x2014; Druck von Florian Kupferberg.</p>
      </div><lb/>
    </back>
  </text>
</TEI>
[0004] mit einer Visitation der Gefängnisse und Spitäler beauftragt hatte, ist die Lage der Gefangenen etwas verbessert worden. Jn dem Gefängnisse in der Straße Tournon z. B. sind 1500 Personen zusammengepreßt, in den feuchten Kellern der Tuilerien lagen de- ren achthundert. Da man befürchtete, der Typhus möge unter ih- nen ausbrechen, so wurden sie theils in andere gesündere Locale vertheilt, theils in die detachirten Forts vor Paris gebracht. Während die Polizei in Paris jetzt wieder etwas milder gewor- den ist, hat sie ihr Hauptquartier vor den Thoren der Stadt auf- geschlagen. Viele Jnsurgenten haben sich nämlich auf das Land geworfen und man befürchtet, sie möchten einen Handstreich auf die in der Nähe gelegenen Dörfer versuchen. Starke Cavallerie- patrouillen streifen deßhalb in der ganzen Umgebung von Paris und wer sich durch seine Legitimationspapiere nicht gehörig aus- weisen kann, wird arretirt. Jn der Stadt selbst dauern die Haus- suchungen und Verhaftungen fort, namentlich wurden in den letzten Tagen mehrere Offiziere der fünften, achten, neunten und zwölften Legion der Nationalgarde in Verhaft genommen. Das „Journal des Debats“ tröstet sich damit, daß so viele Nationalgarden aus den Departements den Parisern zu Hülfe ge- kommen seyen und meint, ganz Europa müsse, wenn es dieses „magnifique Spectakel“ sehe, an die französische Einheit glauben. Der „National“ ermahnt einfach zu Liebe und Brudersinn und warnt, gleich allen Vernünftigen in Deutschland, eben so sehr vor der brutalen Gewalt der Anarchie, als den trägen Still- standsgelüsten jener Leute, die Alles gern beim Alten lassen möchten. Auf den ersten Blick mag es befremden, daß es den Jnsur- genten, beiläufig 1500 an der Zahl, gelungen ist sich durch die Flucht aus der Vorstadt St. Antoine zu retten, nachdem rings- herum die Vorstadt mit so beträchtlichen Truppenmassen umgeben war, und nachdem sich dieselben auf Gnade und Ungnade ergeben hatten. Sichern Erkundigungen zufolge befand sich unter den Jn- surgenten der Vorstadt St. Antoine eine nicht unbedeutende Zahl von Galeerensträflingen, die um keinen Preis in die Hände der Gerechtigkeit fallen wollten. Da sie, von den Truppen umringt, nicht entkommen konnten, so drohten sie in die zahl- reichen in der Vorstadt St. Antoine liegenden Unterrichtsan- stalten einzubrechen, und aus den darin erzogenen Knaden und Mädchen sich eine Brustwehr zu bilden. General Cavaig- nac, von diesem Vorhaben unterrichtet, ließ ihnen durch Ent- fernung der Truppen von einzelnen Puncten einen Ausgang öffnen, stellte jedoch zwei Cuirassierregimenter so auf, daß die meisten Flüchtlinge gleich wieder aufgegriffen oder niedergehanen wurden. Damit war die Jnsurrection zu Ende. Wenn in den Blättern häufig von dem vielen Geld die Rede ist, welches man bei den Jnsurgenten gefunden hat, so ist daraus keineswegs zu folgern, daß sie es von irgend welchen Seiten her bekommen haben, da es nur zu gewiß ist, daß sie in den von ihnen occupirten Stadttheilen sich dasselbe selbst zugeeignet haben. Ein Beweis dessen liegt namentlich auch darin, daß man oft bei Bu- ben große Summen gefunden hat, deren Händen gewiß keine Par- tei so viel oder irgend Etwas anvertraut hat. Lyon 28. Juni. Polizeiliche Nachforschungen führten zur Entdeckung heimlicher Waffenvorräthe, die alsbald mit Beschlag be- legt wurden. Mehrere Clubs wurden auf Befehl der Behörden ge- schlossen, und es war bereits die Absicht des Befehlshabers der Truppen, die Stadt in einen provisorischen Kriegszustand zu erklä- ren, als der Commissar der Republik diese Maßregel zu hintertreiben wußte. Die Zusammenrottungen von Arbeitern, die man vielleicht zu sehr fürchtete, verliefen sich allmählich. Die in der Umgegend lagernden Truppen der Alpenarmee hatten sich bereits in großer Zahl gegen unsere Stadt bewegt, und schon waren Dragoner herbei- geeilt, die Emeute zu bekämpfen, als sich plötzlich eine unerwartete Ruhe in allen Stadtvierteln einstellte und Nationalgarde wie Li- nie von ihrem beschwerlichen Dienste befreit werden konnten. Großbritannien. London 29. Juni. Die prächtige Kathedrale, welche die Katholiken am rechten Ufer der Themse, im Stadttheile Lambeth, erbauen, ist jetzt beinahe vollendet. Es fehlt bloß der hohe Thurm über dem Eingange, um die Kirche zu einer der schönsten Zierden der Hauptstadt zu machen. Das Schiff ist größer als das von Westminster Abbey. Lord Shrewsbury und viele ange- sehene Katholiken haben den Bau mit der preiswürdigsten Frei- gebigkeit unterstützt. Am Dienstag soll er mit der größten Feier- lichkeit eingeweiht und dem Gottesdienste übergeben werden. Von allen Theilen des Königreichs und auch vom Festlande werden Prälaten und Geistliche erwartet, um einer Feier beizuwohnen, welche für die ganze katholische Christenheit von hoher Bedeu- tung ist. Der „Globe“ bemerkt in seinem Börsenberichte: Die Divi- denden der französischen Staatspapiere wurden vorige Woche, trotz aller Unruhen, richtig ausbezahlt, — ein Umstand, welcher der Regierung zu großer Ehre gereicht. Allerdings sind die fran- zösischen Finanzen in sehr bedrängter Lage, aber es ist wahr- scheinlich, daß die nene Regierung unter der kräftigen Leitung des Generals Cavaignac Vertrauen einflößen und nicht bloß den Handel beleben, sondern auch ein regelmäßigeres Eingehen der Steuern herbeiführen wird. Die Handelsbriefe aus Paris sind in der That schon etwas muthiger. Die Dinge lassen sich auf dem Festlande überhaupt besser an und man hofft, daß Vermit- telung in Jtalien und Deutschland alles zuwege bringen wird, was durch Kriege erreicht werden könnte. Belgien. Brüssel 25. Juni. Hr. Bellocq, der bisherige Minister der französischen Republik beim hiesigen Hofe, ist abberufen und an seine Stelle Hr. Quinette, der Sohn eines Mitglieds des Natio- nalconvents, der lange in Brüssel als Verbannter gelebt hat, ernannt worden. Dieser schnelle Wechsel hat zu manchen Bemer- kungen und selbst Besorgnissen Anlaß gegeben, denn man wollte wissen, Hr. Bellocq werde deßwegen von hier weggenommen, weil seine Beziehungen zum hiesigen Hof sich auf eine, den Pariser und den hiesigen Republikanern mißfällige Weise gestaltet hätten, und man sich von ihm keine Propaganda versprechen könne. Zur Bestärkung dieser Besorgnisse wurde hinzugefügt, dem neuen Minister würde ein Secretär mit ganz ungewöhnlich hoher Besol- dung beigegeben werden, damit dieser um so nachdrucksamer in gewissem Sinne zu wirken und sich Anhang zu erwerben wisse. Das hiesige ministerielle Blatt „ Jndépendance “ widerlegt nun zwar diese Besorgnisse und findet den Wechsel ganz unverfänglich, auch den Charakter des Hrn. Quinette in jedem Sinne zuverlässig und über den Verdacht unwürdiger Jntriguen erhaben; dennoch wird diese halbofficielle Sprache nicht ganz ihren Zweck erreichen, weil gerade in diesem Augenblick von einer andern Seite her un- bezweifelbare Beweise auftauchen, daß die Männer, die jetzt in Paris am Ruder sind, darauf ausgehen, die an Frankreich an- stoßenden Länder zu republikanisiren 1) . Diese Beweise finden wir ganz besonders in dem merkwürdi- gen Schreiben des Hrn. v. Boissy vom 10. d. M. an Hrn. Bastide, den gegenwärtigen Minister der auswärtigen Angelegenheiten Frankreichs. Mit Recht erregt dieses Schreiben, woraus man unter anderm erfährt, daß das französische diplomatische Corps sich in der neuesten Zeit aus Souffleurlöchern und Prostitutions- häusern ergänzt hat, ein ungemeines Aufsehen. Hr. v. Boissy nun sagt dem Minister gerade ins Gesicht: als er die Mission nach Florenz angenommen habe, sey noch an Lamartine's Pro- gramm festgehalten worden, und keine Rede davon gewesen, Jtalien zu republikanisiren; er bleibe der Ueberzeugung, daß Frankreich sich selbst schade, indem es durch seine Emissäre die Nachbarländer in Republiken umzugestalten suche. Die Absicht ist also vorhanden, es wird in diesem Sinne gewirkt, und — hat man es auf Jtalien abgesehen, so wird Belgien gewiß auch nicht unbeachtet bleiben, da hier, wo der Tochtermann Ludwig Philipps auf dem Thron sitzt und für den Fall eines europäischen Krieges eine so höchst wichtige Stellung ist, mehr Gründe wie sonst irgendwo für eine derartige Propaganda vorhanden sind. Belgien mag sich also vorsehen. ( A. Z. ) Schweden und Norwegen. Lübeck 24. Juni. Nach den Aussagen von Reisenden, die in diesen Tagen von Stockholm hierher kamen, dauern die Kriegsrüstungen in Schweden unausgesetzt fort, und zwar zu Wasser wie zu Lande. Die Armirung und Verprovian- tirung, namentlich kleinerer Kriegsfahrzeuge ( Kanonenboote ) , wird mit einem Eifer betrieben, die auf einen andern Zweck schlies- sen lassen als auf Unterstützung der Dänen gegen die Deutschen. Man bringt sie in Verbindung mit der Anwesenheit einer russi- schen Flottenabtheilung in der Ostsee, worunter Schiffe von 150 Kanonen, die 30 bis 40 Fuß tief gehen. Rußlands Zumuthung, einem Truppencorps von Finnland aus den Durchzug durch Schweden, Dänemark zur Hülfe, zu gestatten, scheint noch unver- gessen und gewisse Besorgnisse wieder rege zu machen. ( L. K. ) Redacteur: Franz Sausen. — Verlag von Kirchheim und Schott in Mainz. — Druck von Florian Kupferberg. 1) Der Brief ist vor der letzten Pariser Revolution geschrieben. Die Verhältnisse sind aber in diesem Puncte nicht anders geworden.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Peter Fankhauser: Automatische Transformation von TUSTEP nach TEI P5 (DTA-Basisformat).
Deutsches Textarchiv: Metadatenerfassung
Institut für Deutsche Sprache, Mannheim: Bereitstellung der Bilddigitalisate und Volltext-Transkription
Susanne Haaf, Rahel Hartz, Nicole Postelt: Nachkorrektur und Vervollständigung der TEI/DTABf-Annotation
Rahel Hartz: Artikelstrukturierung

Weitere Informationen:

Dieser Text wurde aus dem TUSTEP-Format nach TEI-P5 konvertiert und anschließend in das DTA-Basisformat überführt.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/nn_mainzerjournal019_1848
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/nn_mainzerjournal019_1848/4
Zitationshilfe: Mainzer Journal. Nr. 19. Mainz, 4. Juli 1848, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_mainzerjournal019_1848/4>, abgerufen am 11.12.2024.