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Mainzer Journal. Nr. 10. Mainz, 25. Juni 1848.

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Beilage zum Mainzer Journal.


Nro 10. Sonntag, den 25. Juni. 1848.


[Beginn Spaltensatz]
Deutschland.

Prag 20. Juni. Die Fürstin Windischgrätz ist von dem
Techniker Muhr erschossen worden. Der Sohn des Fürsten erhielt
zwei Schüsse im Carolinum ( Universitätsgebäude ) , wohin er
von seinem Vater als Parlamentär gesendet worden war. Er
soll bereits gestorben seyn. Feldmarschalllieutenant von Köck
wurde von einem Frauenzimmer erschossen. Der Oberstlieute-
nant von Hohenegg Jnfanterie, dessen Adjutant nebst mehreren
andern Offizieren sind geblieben. Der Verlust, welchen das
Civil erlitten hat, läßt sich nicht ermitteln, denn die Todten
und Verwundeten wurden sogleich verschleppt. Durch die Be-
schießung der Stadt vom Laurenziberg aus haben am meisten das
Clementinum, das Kreuzherrenkloster, die Mühlen und einige
Thürme gelitten. Der kleinseitener Brückenthurm war zugemauert.
Graf Deym, Graf Bouquoi, Baron Villani, sind am 19. Juni
verhaftet nebst einer großen Anzahl der Mitglieder der Svornost
sowie der Studentenschaft. Aus den vorgefundenen Papieren
ergibt sich, daß der lange vorbereitete Aufstand erst am 15. Juni
losbrechen sollte. Auf dem Lande ist es ruhig, obwohl die Emis-
sare Alles aufbieten, den Sturm von neuem heraufzubeschwören.
Jn vielen böhmischen Ortschaften werden vom Landvolke Kugeln
gegossen. Sämmtliche böhmische Kreishauptleute sind angewiesen,
bei weitern Ruhestörungen das Standrecht zu publiciren.

( D. A. Z. )

Prag 20. Juni. Die Svornost ( der Verein zur Förderung
der slavischen Einheit ) sollen größtentheils arretirt seyn, viele der
wegen der blutigen Ereignisse Geflüchteten kehren zurück; Prag
ist ruhig wie eine Festung; die Gewölbe sind all wieder
geöffnet. Fürst Windisch=Grätz erließ eine beruhigende Procla-
mation, daß man ja nicht glaube, daß die Constitution oder gar
die Freiheit durch diese Ereignisse oder durch seine Person ge-
schmälert werde, beide sind ihm als Diener des Kaisers heilig;
wenn er jetzt strenge Maßregeln für kurze Zeit ergriffen habe,
so wäre es zur Unterdrückung der muthwillig hergeschleppten
Anarchie geschehen, die er jederzeit niederhalten werde. Zeitun-
gen sind noch nicht erschienen. ( D. J. )

Pesth 16. Juni. Die Politik des Kaiserhauses hat sich nun-
mehr entschieden zu Gunsten Ungarns gewendet. Der König hat
die Union sanctionirt, an die sächsische und die walachische De-
putation eine Antwort ertheilt, in welcher er ihre Beschwerden
gegen die Union für grundlos erklärt, sie dagegen auf die Frei-
heiten und Vortheile aufmerksam macht, die ihnen die Union ge-
währt. An den österreichischen Kriegsminister, Grafen Latour,
hat der Kaiser ein Cabinetsschreiben gerichtet, welches ihm anzeigt,
daß alle Militärcommandos in Ungarn, Siebenbürgen und seinen
Nebenländern, sowie auch die Militärgrenze ausschließlich unter
den Befehlen des ungarischen Kriegsministeriums in Ofen=Pesth
stehen. ( D. A. Z. )

Berlin 21. Juni. Gestern Nachmittag begab sich eine städtische
Deputation, an deren Spitze sich der Bürgermeister Naunyn be-
fand, zu Hrn. Camphausen, um von ihm die Gründe der
Auflösung des bisherigen Cabinets und der Niederlegung seiner
Stelle als Ministerpräsident zu erforschen. Die Veranlassung zu
diesem Schritte lag in der gestrigen bedeutend gedrückten Stim-
mung der Hauptstadt, die auch in den Cursen der hiesigen Börse
ihren Ausdruck fand, vollkommen gegeben. Hr. Camphausen äus-
serte sich eben so bescheiden als würdevoll über seine bisherigen
Bestrebungen, von denen er nur deshalb zurücktrete, um einem
neuen, von dem Minister Hansemann zu bildenden Cabinet
Platz zu machen, welches sich in seiner Stellung auf die Ma-
jorität, wie sich dieselbe zuletzt in der Nationalversammlung aus-
gesprochen, lehnen werde. Zugleich widerlegte Herr Camphausen
die Anfrage wegen der Besorgnisse über einen nahe bevorstehen-
den Krieg mit Rußland durch die ganz entschiedene Erklä-
rung: daß diese Besorgnisse, die hier seit vorgestern in allen
Kreisen eine ungeheure Aufregung unterhalten, durchaus unge-
gründet seyen und nicht die geringste factische Berechtigung für sich
hätten! ( D. A. Z. )

Danzig 17. Juni. Das hiesige Gouvernement hat den Be-
fehl erhalten, sämmtliche Festungswerke unserer Stadt
kriegsgemäß zu armiren. Dem Vernehmen nach soll die Be-
satzung bis auf 18,000 Mann erhöht werden. — Sämmtliche
Oder= und Weichselkähne, welche die Gegend von Thorn
[Spaltenumbruch] passiren, werden bei der genannten Stadt angehalten und zur
Disposition des Gouvernements gestellt, damit, falls eilige Trup-
penmärsche über die Weichsel nothwendig werden sollten, das
nöthige Material zum Bau von Schiffbrücken gleich zur Hand
sey. — Von Memel ist dem Oberpräsidenten von Königsberg
die Anzeige geworden, daß, während bis jetzt die dortige Grenze
von russischen Truppen frei geblieben, nunmehr ein bedeu-
tendes Corps hart an die Grenze gerückt ist und ein Lager be-
zogen hat.

Stuttgart 22. Juni. Eine Erklärung Würtembergs, daß
es sich den Beschlüssen der Nationalversammlung unterwerfe,
steht, wie ich Jhnen bereits meldete, unmittelbar bevor. Man
vernimmt, daß die zur Reorganisirung unseres gesammten Staats-
lebens niedergesetzte Commission diese Erklärung von der Regier-
ung verlangt; es wird versichert, daß die höchste Genehmigung
derselben bereits erfolgt sey und es ist wohl alsbaldige Veröf-
fentlichung zu hoffen, um so mehr, als sie in unserem engeren
wie weiteren Vaterland nur von den segensreichsten Folgen be-
gleitet seyn kann. Weiter vernimmt man, daß eben jene Com-
mission sich bereits für Verminderung der Civilliste und für Ab-
schaffung unnöthiger Gesandtschaften ausgesprochen hat, zwei
Punkte, welche in den Kreisen, wo Noth herrscht, nicht ver-
fehlen werden, den Glauben wieder herbeizuführen, daß die Re-
gierung auch wirklich die versprochenen Erleichterungen eintreten
lassen werde. ( D. Z. )

== Mainz 23. Juni. Den bekannten Brief von Thiers,
in welchem dieser allen Gegnern der Unterrichtsfreiheit erklärt, daß
er seit der Februarrevolution seine frühere Meinung geändert
habe und fortan die Freiheit des Unterrichts vertheidigen werde,
wobei er zugleich seine Hochachtung gegen den Katholicismus
ausspricht, — diesen Brief bringt die gestrige Nummer der
„Rheinischen Zeitung“ auszugsweise, mit einer Vorbemerkung,
die wir nicht ungerügt lassen dürfen. Sie sucht nämlich jener
Erklärung von Thiers dadurch die Spitze abzubrechen, daß sie
ihre Verwunderung darüber ausdrückt, daß dieser wackere
Kämpfer gegen die „Uebergriffe der Ultramontanen“ und die
„Auswüchse auf dem Gebiet des Katholicismus“ ein solches
Glaubensbekenntniß habe ablegen können. Was hat aber Thiers
in dem fraglichen Schreiben gethan? Er hat sich 1 ) für die
Unterrichtsfreiheit,
für diesen höchst wesentlichen Bestand-
theil der rechtlichen und geistigen Freiheit eines Volkes erklärt,
und hierin sieht die Rheinische Zeitung ein Unrecht! und weil die
Katholiken Frankreichs schon seit Jahren diese Freiheit — nicht
etwa für sich allein, sondern für Alle fordern — so brand-
markt sie dieses als „Uebergriffe der Ultramontanen“ und „ Aus-
wüchse auf dem Gebiet des Katholicismus!“ Es hat 2 ) Thiers
der Religion des französischen Volkes seine Achtung bezeugt und
dieselbe den letzten Rettungsanker gegen den Verfall der mensch-
lichen Gesellschaft genannt, — sollte vielleicht dieses in den Au-
gen der Rheinischen Zeitung etwas Tadelnswerthes seyn? Die
Rheinische Zeitung und jede Zeitung, wo immer sie die Freiheit
und das Recht vertheidigt, wird uns stets als Bundesgenossen
finden; wo wir aber die Prinzipien der gleichen Freiheit verletzt
sehen, oder wo ungebührliche Ausfälle mit unterlaufen, werden
wir mit aller Offenheit dagegen uns jedesmal aussprechen. Es
ist überhaupt räthselhaft, warum die Rheinische Zeitung gerade
jetzt
einen Artikel über den Brief von Thiers mit ihrer Vorbe-
merkung bringt, da jenes Schreiben, wenn auch gerade nicht
ganz vollständig, bereits vor mehreren Wochen die Runde
durch die französischen Blätter gemacht hat, mithin längst keine
Neuigkeit mehr ist. Sollte sie dadurch vielleicht ihre Mißbilligung
dagegen aussprechen wollen, daß jetzt auch in Deutschland von
allen Seiten diese Unterrichtsfreiheit gefordert wird?

Darmstadt 24. Juni. Wie von wohlunterrichteten Perso-
nen versichert wird, gedenkt unser neuer Großherzog nicht nur
im Staatshaushalte, wo es thunlich, sondern auch in der groß-
herzoglichen Hofhaltung bedeutende Einschränkungen zu machen
und den großen Hofstaat zu reduciren. Schwerlich dürfte, wie
dieß früher häufig der Brauch, eine Pensionirung mit vollem
Gehalte bei den nun aus dem Hofdienste Austretenden stattfinden.
Diese Ersparnisse kommen nicht nur dem Lande zu gut, sondern
es wird dadurch auch den andern deutschen Fürsten ein Beispiel
gegeben, das hoffentlich seine Nachahmung finden wird. Der
[Ende Spaltensatz]

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Zitationshilfe: Mainzer Journal. Nr. 10. Mainz, 25. Juni 1848, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_mainzerjournal010_1848/5>, abgerufen am 18.02.2025.