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Mainzer Journal. Nr. 10. Mainz, 25. Juni 1848.

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[Beginn Spaltensatz] neben Mangel an militärischer Uebung bei den Leuten. Einem
der zweiten Kammer am 15. vorgelegten Entwurf des Minister-
präsidenten zufolge werden, wenn die Kammer ihn annimmt, in
Sardinien von neuem 15,000 Mann ausgehoben. Jn ihrer
Sitzung vom 16. beschloß die Kammer dem Minister des Jnnern
einen außerordentlichen Credit von vier Millionen Lire zu eröff-
nen, damit derselbe Flinten für die Nationalgarde anschaffe. ( A. Z. )

Der Krieg. Von einem Angriff Karl Alberts auf Verona
scheint so bald noch keine Rede zu seyn. Die Bewegung, welche
die Piemontesen früher nach Osten zu machten, ist, seitdem Ra-
detzky in Verona eintraf, wieder rückgängig geworden. Am 14.
hat das sardinische Heer wieder die alten Stellungen längs des
Mincio eingenommen. Die Eroberung von Vicenza hat überall
in Oberitalien einen tiefen Eindruck gemacht; bis jetzt ist in den
Zeitungen und wohl auch in den Menschen zweierlei vorherrschend,
die Ueberzeugung: Jtalien müsse den Krieg durch eigene Kraft
muthig fortsetzen bis die "Barbaren" über die Alpen gedrängt
sind, und furchtbare Erbitterung über den König von Neapel,
der durch Zurückziehen seiner Truppen die venetianischen Pro-
vinzen preisgegeben habe. Daneben werden einzelne Stimmen
laut -- wie es scheint, hauptsächlich die Republikaner -- welche
von einem Anrufe Frankreichs reden. Wenn die Angabe richtig
ist, daß die Oesterreicher in den venetianischen Provinzen Trup-
pen ausheben, so deutet das wohl darauf hin, daß sie diese in
Frieden zu räumen nicht beabsichtigen.

Gestern hier eingetroffene Briefe aus Venedig schildern die
Bestürzung und Verwirrung die in der "Republik von San
Marco" die Nachrichten vom raschen Falle Trevisos, Vicenza's
und Padua's dort hervorgebracht hatten. Man hatte dort eben
noch Feste gefeiert wegen der Einnahme von Peschiera und des
Treffens von Goito -- der einzigen ( zweifelhaften ) Waffenerfolge,
welche Karl Alberts große Armee seit drei Monaten davonge-
tragen -- da brachten die Schaaren von Flüchtlingen die Schrek-
kenskunde, die Oesterreicher stünden in der Nähe der Lagunen.
Venedig hatte bis dahin an dem Kampf auf offenem Feld sich fast
gar nicht betheiligt, noch weniger als Mailand; es hatte sich nur
ausgezeichnet durch Prahlereien und Schimpfreden, und durch
den treulosesten Bruch von Privatverpflichtungen gegen Deutsche;
es hatte auf eine schamlose Weise das geheime Polizei= und De-
nunciantensystem, das Erbrechen aller Briefe wiederhergestellt.
Den Einheitsbestrebungen Jtaliens setzte es seine alte Jsolirungs-
politik entgegen. Da naht der Feind. Die Stadt ist so leicht zu
vertheidigen, daß sie ohne Mühe sich Monate halten kann, be-
sonders da eine Flotte von 20 Kriegsschiffen im adriatischen
Meer sie vor jedem Mangel an Lebensmitteln und Munition, und
vor jedem Angriff von jener Seite sichert. Dennoch, im ersten
Augenblick, wo man in Venedig die Gegner acht Stunden von
der Stadt weiß, beschwört man die französische Republik Hülfe
zu senden. Es ist dies ein Beweis, wie sehr man in Venedig
( deren Zügel noch immer Manin, ein Jude, und Tommaseo,
der Dalmatiner, zu führen scheinen ) den Kopf verloren hatte.
Karl Albert und die Lombardei werden über die französische
Hülfgenossenschaft, welche der ganzen Lage Jtaliens plötzlich eine
andere Gestalt geben würde, nicht wenig erschrocken seyn und sich
daher beeilen, mit Oesterreich zu dem Frieden zu kommen, zu dem
letzteres die Hand bietet. ( A. Z. )

Frankreich.

*** Paris 22. Juni. Die gestrige Sitzung der Nationalver-
sammlung begann damit, daß die Abgeordneten Mauguin und
Pascal von Aix kurzweg die Abschaffung des Octrois und aller
indirecten Auflagen verlangten, also eine Revolution des ge-
sammten gegenwärtigen Steuersystemes vorschlugen. Die Kammer,
welche die Folgen der letzten politischen Umwälzung noch lange nicht
verwunden hat, faßte jedoch den Beschluß zu dieser Angelegenheit
erst nach Erörterung der bereits auf der Tagesordnung stehenden
Fragen überzugehen, zu welchen unter andern die über die Tranksteuer
gehörte. Auch hier wiederholten sich die alten Geschichten: vor
jeder Revolution und in dem ersten Taumel derselben werden dem
Volke goldene Berge und die Abschaffung der verhaßtesten Auf-
lagen versprochen; ist aber die Sache vorüber, so fehlt es eben an
allen Ecken an Geld, die alten Auflagen bleiben und auch die
Tranksteuer kommt, wenn es gut geht unter einem andern Namen,
wieder zum Vorschein. Das Ministerium erlitt indessen durch die
Abstimmung der Kammer wieder eine Niederlage, die es in Ver-
bindung mit den vielen andern Schlappen, die es schon erhalten,
in einem constitutionellen Staat schon längst von seinem Platze ge-
trieben hätte.

Eine größere Theilnahme, als diese ziemlich frostig geführten
[Spaltenumbruch] Erörterungen über die materielle Lage der Dinge fanden ein paar
politische Zwischenvorfälle. Der Finanzminister verlangte nämlich
eine Unterstützung von 100,000 Fr. für jene Männer, welche
unter der Monarchie ein Gegenstand politischer Verfolgung ge-
wesen. Es entging zwar der Weisheit der Kammer nicht, daß
alle diese Leutchen ihr Schäfchen bereits ins Trockene gebracht, --
die meisten stehen bereits im Staatsdienste und das Geld wurde
namentlich für die ersten Einrichtungskosten der neugebackenen
Beamten verlangt. Eben so mochte manchem Abgeordneten es
vorschweben, was er in den Tagen der Jugend im Cornelius
Nepos gelesen, daß ein ächter Republikaner sich vor allen Dingen
der Sparsamkeit, Mäßigung und eines nüchternen Lebens be-
fleißigen müsse. Was aber anfangen? Die Bittsteller und ihre
ganze Sippschaft sitzen zum Theile selbst in der Kammer, hinter
ihnen lauern die Clubs und so wurden die 100,000 Frs. ge-
nehmigt. Ohnedieß wäre es unbillig, wenn die Republik weni-
ger dankbar seyn wollte als ein König!

Bis jetzt war Alles noch ziemlich ruhig und friedlich abge-
laufen, als auf einmal wieder ein paar Deputirte auf den Einfall
geriethen, die Regierung durch ihre Jnterpellationen in die Enge
zu treiben. Unter Andern fragte Hr. Lagrange im Namen
der Clubbs, warum keine besseren Maßregeln gegen die
bonapartistischen Wühlereien ergriffen worden seyen und was
man gegen dieselben künftig zu thuen gedenke? Bekanntlich
kann ein Thor zehnmal mehr fragen, als der gescheidteste
Mann beantworten kann und die französischen Regierungsleute
müssen entweder sehr viel Geduld oder sehr viel Patriotismus ha-
ben, daß sie ob dieser ewigen Jnterpellationen, in welcher sie
gleich Bedienten heruntergehudelt werden, ohne je zu einer kräf-
tigen That zu kommen, nicht schon längst des Regierens müde ge-
worden sind. Die Regierung war jedoch, als sie Antwort geben
sollte, nicht mehr anwesend, und die Kammer beschloß, die Sache
bis zur nächsten Sitzung zu vertagen.

Der Minister des Jnnern Recurt hat ein sehr vernünftiges
Rundschreiben an die Beamten erlassen, in welchem er sie er-
mahnt, die goldene Mittelstraße einzuhalten nnd mit gleicher
Kraft allen anarchischen wie reactionären Bestrebungen entgegen-
zuwirken.

General Changarnier, kaum erst zum Gouverneur von
Algier ernannt und jetzt zum Deputirten erwählt, kehrt nach Pa-
ris in die Nationalversammlung zurück. Das militärische Trium-
virat Cavaignac, Changarnier und Lamoriciere ist
also jetzt beisammen und es sollte uns wundern, wenn dieses
nichts zu bedeuten hätte.

Aus Paris sollen 12,000 Arbeiter weggeschafft werden, um
an den Erdarbeiten bei der Eisenbahn von Tours nach Bordeaux
Hand anzulegen. Der neue Kunstausdruck für diese Beschäf-
tigung ist " attelier de terrassement!"

Die Alpenarmee -- merk's Deutschland! -- besteht aus 60
Bataillons, 50 Escadrons und einer furchtbaren Artillerie, im
Ganzen 50,000 Mann lauter gedienten Leute, die ihre Schule in
Afrika gemacht haben. Jm Nothfalle kann dieses Corps sofort
auf 100,000 Mann gebracht werden.

Vor einigen Tagen kündigte eine Kammerfrau ihrer Herr-
schaft den Dienst auf. Da diese Dienerin sich stets sehr wacker ge-
halten hatte, so verlor die Herrschaft sie ungern und gab ihr die
besten Worte zu bleiben. Allein Alles vergebens! "Jch kann
nicht länger bleiben, sagte die Kammerfrau, denn mein Mann ist
eben Präfect geworden."

De Lamennais erklärt, daß er an dem neuen Verfassungs-
entwurf durchaus keinen Antheil habe. Der seinige war auch nicht
viel besser!

Die Nationalwerkstätten sollen nun mit aller Gewalt aufge-
löst werden, um der Privatindustrie wieder auf die Beine zu hel-
fen. Den jungen Arbeitern von 17--25 Jahren, die keine Arbeit
bei Privaten finden, wird der Rath gegeben in die Armee einzu-
treten! Dieß also ist das Ende von der Organisation der Arbeit.

Den Pyrenäenbädern geht es wie den Taunusbädern, -- sie
stehen leer.

Börse vom 22. Juni. Noch größer als in den letzten
Tagen war die Geschäftsstille an der heutigen Börse und sind
die Course der Effecten größtentheils nominell. 3% Anfangs
Frs. 45. 50 schlossen mit Frs. 45 -- die 5% anfangs Frs. 68.
50 blieben Frs. 68. -- Bankactien Frs. 1255. -- Orleans 595.
Rouen 412. 50. Straßburg 355. Nantes 341. 25. Marseille
227. 75. Bordeaux 396. 25. Nordbahn 356. 25. Lyon 311. 25.
Straßburg=Basel 82. 50.

[Ende Spaltensatz]

Redacteur: Franz Sausen. -- Verlag von Kirchheim, Schott und Thielmann in Mainz. -- Druck von Florian Kupferberg.

[Beginn Spaltensatz] neben Mangel an militärischer Uebung bei den Leuten. Einem
der zweiten Kammer am 15. vorgelegten Entwurf des Minister-
präsidenten zufolge werden, wenn die Kammer ihn annimmt, in
Sardinien von neuem 15,000 Mann ausgehoben. Jn ihrer
Sitzung vom 16. beschloß die Kammer dem Minister des Jnnern
einen außerordentlichen Credit von vier Millionen Lire zu eröff-
nen, damit derselbe Flinten für die Nationalgarde anschaffe. ( A. Z. )

Der Krieg. Von einem Angriff Karl Alberts auf Verona
scheint so bald noch keine Rede zu seyn. Die Bewegung, welche
die Piemontesen früher nach Osten zu machten, ist, seitdem Ra-
detzky in Verona eintraf, wieder rückgängig geworden. Am 14.
hat das sardinische Heer wieder die alten Stellungen längs des
Mincio eingenommen. Die Eroberung von Vicenza hat überall
in Oberitalien einen tiefen Eindruck gemacht; bis jetzt ist in den
Zeitungen und wohl auch in den Menschen zweierlei vorherrschend,
die Ueberzeugung: Jtalien müsse den Krieg durch eigene Kraft
muthig fortsetzen bis die „Barbaren“ über die Alpen gedrängt
sind, und furchtbare Erbitterung über den König von Neapel,
der durch Zurückziehen seiner Truppen die venetianischen Pro-
vinzen preisgegeben habe. Daneben werden einzelne Stimmen
laut — wie es scheint, hauptsächlich die Republikaner — welche
von einem Anrufe Frankreichs reden. Wenn die Angabe richtig
ist, daß die Oesterreicher in den venetianischen Provinzen Trup-
pen ausheben, so deutet das wohl darauf hin, daß sie diese in
Frieden zu räumen nicht beabsichtigen.

Gestern hier eingetroffene Briefe aus Venedig schildern die
Bestürzung und Verwirrung die in der „Republik von San
Marco“ die Nachrichten vom raschen Falle Trevisos, Vicenza's
und Padua's dort hervorgebracht hatten. Man hatte dort eben
noch Feste gefeiert wegen der Einnahme von Peschiera und des
Treffens von Goito — der einzigen ( zweifelhaften ) Waffenerfolge,
welche Karl Alberts große Armee seit drei Monaten davonge-
tragen — da brachten die Schaaren von Flüchtlingen die Schrek-
kenskunde, die Oesterreicher stünden in der Nähe der Lagunen.
Venedig hatte bis dahin an dem Kampf auf offenem Feld sich fast
gar nicht betheiligt, noch weniger als Mailand; es hatte sich nur
ausgezeichnet durch Prahlereien und Schimpfreden, und durch
den treulosesten Bruch von Privatverpflichtungen gegen Deutsche;
es hatte auf eine schamlose Weise das geheime Polizei= und De-
nunciantensystem, das Erbrechen aller Briefe wiederhergestellt.
Den Einheitsbestrebungen Jtaliens setzte es seine alte Jsolirungs-
politik entgegen. Da naht der Feind. Die Stadt ist so leicht zu
vertheidigen, daß sie ohne Mühe sich Monate halten kann, be-
sonders da eine Flotte von 20 Kriegsschiffen im adriatischen
Meer sie vor jedem Mangel an Lebensmitteln und Munition, und
vor jedem Angriff von jener Seite sichert. Dennoch, im ersten
Augenblick, wo man in Venedig die Gegner acht Stunden von
der Stadt weiß, beschwört man die französische Republik Hülfe
zu senden. Es ist dies ein Beweis, wie sehr man in Venedig
( deren Zügel noch immer Manin, ein Jude, und Tommaseo,
der Dalmatiner, zu führen scheinen ) den Kopf verloren hatte.
Karl Albert und die Lombardei werden über die französische
Hülfgenossenschaft, welche der ganzen Lage Jtaliens plötzlich eine
andere Gestalt geben würde, nicht wenig erschrocken seyn und sich
daher beeilen, mit Oesterreich zu dem Frieden zu kommen, zu dem
letzteres die Hand bietet. ( A. Z. )

Frankreich.

*** Paris 22. Juni. Die gestrige Sitzung der Nationalver-
sammlung begann damit, daß die Abgeordneten Mauguin und
Pascal von Aix kurzweg die Abschaffung des Octrois und aller
indirecten Auflagen verlangten, also eine Revolution des ge-
sammten gegenwärtigen Steuersystemes vorschlugen. Die Kammer,
welche die Folgen der letzten politischen Umwälzung noch lange nicht
verwunden hat, faßte jedoch den Beschluß zu dieser Angelegenheit
erst nach Erörterung der bereits auf der Tagesordnung stehenden
Fragen überzugehen, zu welchen unter andern die über die Tranksteuer
gehörte. Auch hier wiederholten sich die alten Geschichten: vor
jeder Revolution und in dem ersten Taumel derselben werden dem
Volke goldene Berge und die Abschaffung der verhaßtesten Auf-
lagen versprochen; ist aber die Sache vorüber, so fehlt es eben an
allen Ecken an Geld, die alten Auflagen bleiben und auch die
Tranksteuer kommt, wenn es gut geht unter einem andern Namen,
wieder zum Vorschein. Das Ministerium erlitt indessen durch die
Abstimmung der Kammer wieder eine Niederlage, die es in Ver-
bindung mit den vielen andern Schlappen, die es schon erhalten,
in einem constitutionellen Staat schon längst von seinem Platze ge-
trieben hätte.

Eine größere Theilnahme, als diese ziemlich frostig geführten
[Spaltenumbruch] Erörterungen über die materielle Lage der Dinge fanden ein paar
politische Zwischenvorfälle. Der Finanzminister verlangte nämlich
eine Unterstützung von 100,000 Fr. für jene Männer, welche
unter der Monarchie ein Gegenstand politischer Verfolgung ge-
wesen. Es entging zwar der Weisheit der Kammer nicht, daß
alle diese Leutchen ihr Schäfchen bereits ins Trockene gebracht, —
die meisten stehen bereits im Staatsdienste und das Geld wurde
namentlich für die ersten Einrichtungskosten der neugebackenen
Beamten verlangt. Eben so mochte manchem Abgeordneten es
vorschweben, was er in den Tagen der Jugend im Cornelius
Nepos gelesen, daß ein ächter Republikaner sich vor allen Dingen
der Sparsamkeit, Mäßigung und eines nüchternen Lebens be-
fleißigen müsse. Was aber anfangen? Die Bittsteller und ihre
ganze Sippschaft sitzen zum Theile selbst in der Kammer, hinter
ihnen lauern die Clubs und so wurden die 100,000 Frs. ge-
nehmigt. Ohnedieß wäre es unbillig, wenn die Republik weni-
ger dankbar seyn wollte als ein König!

Bis jetzt war Alles noch ziemlich ruhig und friedlich abge-
laufen, als auf einmal wieder ein paar Deputirte auf den Einfall
geriethen, die Regierung durch ihre Jnterpellationen in die Enge
zu treiben. Unter Andern fragte Hr. Lagrange im Namen
der Clubbs, warum keine besseren Maßregeln gegen die
bonapartistischen Wühlereien ergriffen worden seyen und was
man gegen dieselben künftig zu thuen gedenke? Bekanntlich
kann ein Thor zehnmal mehr fragen, als der gescheidteste
Mann beantworten kann und die französischen Regierungsleute
müssen entweder sehr viel Geduld oder sehr viel Patriotismus ha-
ben, daß sie ob dieser ewigen Jnterpellationen, in welcher sie
gleich Bedienten heruntergehudelt werden, ohne je zu einer kräf-
tigen That zu kommen, nicht schon längst des Regierens müde ge-
worden sind. Die Regierung war jedoch, als sie Antwort geben
sollte, nicht mehr anwesend, und die Kammer beschloß, die Sache
bis zur nächsten Sitzung zu vertagen.

Der Minister des Jnnern Recurt hat ein sehr vernünftiges
Rundschreiben an die Beamten erlassen, in welchem er sie er-
mahnt, die goldene Mittelstraße einzuhalten nnd mit gleicher
Kraft allen anarchischen wie reactionären Bestrebungen entgegen-
zuwirken.

General Changarnier, kaum erst zum Gouverneur von
Algier ernannt und jetzt zum Deputirten erwählt, kehrt nach Pa-
ris in die Nationalversammlung zurück. Das militärische Trium-
virat Cavaignac, Changarnier und Lamoricière ist
also jetzt beisammen und es sollte uns wundern, wenn dieses
nichts zu bedeuten hätte.

Aus Paris sollen 12,000 Arbeiter weggeschafft werden, um
an den Erdarbeiten bei der Eisenbahn von Tours nach Bordeaux
Hand anzulegen. Der neue Kunstausdruck für diese Beschäf-
tigung ist « attelier de terrassement

Die Alpenarmee — merk's Deutschland! — besteht aus 60
Bataillons, 50 Escadrons und einer furchtbaren Artillerie, im
Ganzen 50,000 Mann lauter gedienten Leute, die ihre Schule in
Afrika gemacht haben. Jm Nothfalle kann dieses Corps sofort
auf 100,000 Mann gebracht werden.

Vor einigen Tagen kündigte eine Kammerfrau ihrer Herr-
schaft den Dienst auf. Da diese Dienerin sich stets sehr wacker ge-
halten hatte, so verlor die Herrschaft sie ungern und gab ihr die
besten Worte zu bleiben. Allein Alles vergebens! „Jch kann
nicht länger bleiben, sagte die Kammerfrau, denn mein Mann ist
eben Präfect geworden.“

De Lamennais erklärt, daß er an dem neuen Verfassungs-
entwurf durchaus keinen Antheil habe. Der seinige war auch nicht
viel besser!

Die Nationalwerkstätten sollen nun mit aller Gewalt aufge-
löst werden, um der Privatindustrie wieder auf die Beine zu hel-
fen. Den jungen Arbeitern von 17—25 Jahren, die keine Arbeit
bei Privaten finden, wird der Rath gegeben in die Armee einzu-
treten! Dieß also ist das Ende von der Organisation der Arbeit.

Den Pyrenäenbädern geht es wie den Taunusbädern, — sie
stehen leer.

Börse vom 22. Juni. Noch größer als in den letzten
Tagen war die Geschäftsstille an der heutigen Börse und sind
die Course der Effecten größtentheils nominell. 3% Anfangs
Frs. 45. 50 schlossen mit Frs. 45 — die 5% anfangs Frs. 68.
50 blieben Frs. 68. — Bankactien Frs. 1255. — Orleans 595.
Rouen 412. 50. Straßburg 355. Nantes 341. 25. Marseille
227. 75. Bordeaux 396. 25. Nordbahn 356. 25. Lyon 311. 25.
Straßburg=Basel 82. 50.

[Ende Spaltensatz]

Redacteur: Franz Sausen. — Verlag von Kirchheim, Schott und Thielmann in Mainz. — Druck von Florian Kupferberg.

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[0004] neben Mangel an militärischer Uebung bei den Leuten. Einem der zweiten Kammer am 15. vorgelegten Entwurf des Minister- präsidenten zufolge werden, wenn die Kammer ihn annimmt, in Sardinien von neuem 15,000 Mann ausgehoben. Jn ihrer Sitzung vom 16. beschloß die Kammer dem Minister des Jnnern einen außerordentlichen Credit von vier Millionen Lire zu eröff- nen, damit derselbe Flinten für die Nationalgarde anschaffe. ( A. Z. ) Der Krieg. Von einem Angriff Karl Alberts auf Verona scheint so bald noch keine Rede zu seyn. Die Bewegung, welche die Piemontesen früher nach Osten zu machten, ist, seitdem Ra- detzky in Verona eintraf, wieder rückgängig geworden. Am 14. hat das sardinische Heer wieder die alten Stellungen längs des Mincio eingenommen. Die Eroberung von Vicenza hat überall in Oberitalien einen tiefen Eindruck gemacht; bis jetzt ist in den Zeitungen und wohl auch in den Menschen zweierlei vorherrschend, die Ueberzeugung: Jtalien müsse den Krieg durch eigene Kraft muthig fortsetzen bis die „Barbaren“ über die Alpen gedrängt sind, und furchtbare Erbitterung über den König von Neapel, der durch Zurückziehen seiner Truppen die venetianischen Pro- vinzen preisgegeben habe. Daneben werden einzelne Stimmen laut — wie es scheint, hauptsächlich die Republikaner — welche von einem Anrufe Frankreichs reden. Wenn die Angabe richtig ist, daß die Oesterreicher in den venetianischen Provinzen Trup- pen ausheben, so deutet das wohl darauf hin, daß sie diese in Frieden zu räumen nicht beabsichtigen. Gestern hier eingetroffene Briefe aus Venedig schildern die Bestürzung und Verwirrung die in der „Republik von San Marco“ die Nachrichten vom raschen Falle Trevisos, Vicenza's und Padua's dort hervorgebracht hatten. Man hatte dort eben noch Feste gefeiert wegen der Einnahme von Peschiera und des Treffens von Goito — der einzigen ( zweifelhaften ) Waffenerfolge, welche Karl Alberts große Armee seit drei Monaten davonge- tragen — da brachten die Schaaren von Flüchtlingen die Schrek- kenskunde, die Oesterreicher stünden in der Nähe der Lagunen. Venedig hatte bis dahin an dem Kampf auf offenem Feld sich fast gar nicht betheiligt, noch weniger als Mailand; es hatte sich nur ausgezeichnet durch Prahlereien und Schimpfreden, und durch den treulosesten Bruch von Privatverpflichtungen gegen Deutsche; es hatte auf eine schamlose Weise das geheime Polizei= und De- nunciantensystem, das Erbrechen aller Briefe wiederhergestellt. Den Einheitsbestrebungen Jtaliens setzte es seine alte Jsolirungs- politik entgegen. Da naht der Feind. Die Stadt ist so leicht zu vertheidigen, daß sie ohne Mühe sich Monate halten kann, be- sonders da eine Flotte von 20 Kriegsschiffen im adriatischen Meer sie vor jedem Mangel an Lebensmitteln und Munition, und vor jedem Angriff von jener Seite sichert. Dennoch, im ersten Augenblick, wo man in Venedig die Gegner acht Stunden von der Stadt weiß, beschwört man die französische Republik Hülfe zu senden. Es ist dies ein Beweis, wie sehr man in Venedig ( deren Zügel noch immer Manin, ein Jude, und Tommaseo, der Dalmatiner, zu führen scheinen ) den Kopf verloren hatte. Karl Albert und die Lombardei werden über die französische Hülfgenossenschaft, welche der ganzen Lage Jtaliens plötzlich eine andere Gestalt geben würde, nicht wenig erschrocken seyn und sich daher beeilen, mit Oesterreich zu dem Frieden zu kommen, zu dem letzteres die Hand bietet. ( A. Z. ) Frankreich. *** Paris 22. Juni. Die gestrige Sitzung der Nationalver- sammlung begann damit, daß die Abgeordneten Mauguin und Pascal von Aix kurzweg die Abschaffung des Octrois und aller indirecten Auflagen verlangten, also eine Revolution des ge- sammten gegenwärtigen Steuersystemes vorschlugen. Die Kammer, welche die Folgen der letzten politischen Umwälzung noch lange nicht verwunden hat, faßte jedoch den Beschluß zu dieser Angelegenheit erst nach Erörterung der bereits auf der Tagesordnung stehenden Fragen überzugehen, zu welchen unter andern die über die Tranksteuer gehörte. Auch hier wiederholten sich die alten Geschichten: vor jeder Revolution und in dem ersten Taumel derselben werden dem Volke goldene Berge und die Abschaffung der verhaßtesten Auf- lagen versprochen; ist aber die Sache vorüber, so fehlt es eben an allen Ecken an Geld, die alten Auflagen bleiben und auch die Tranksteuer kommt, wenn es gut geht unter einem andern Namen, wieder zum Vorschein. Das Ministerium erlitt indessen durch die Abstimmung der Kammer wieder eine Niederlage, die es in Ver- bindung mit den vielen andern Schlappen, die es schon erhalten, in einem constitutionellen Staat schon längst von seinem Platze ge- trieben hätte. Eine größere Theilnahme, als diese ziemlich frostig geführten Erörterungen über die materielle Lage der Dinge fanden ein paar politische Zwischenvorfälle. Der Finanzminister verlangte nämlich eine Unterstützung von 100,000 Fr. für jene Männer, welche unter der Monarchie ein Gegenstand politischer Verfolgung ge- wesen. Es entging zwar der Weisheit der Kammer nicht, daß alle diese Leutchen ihr Schäfchen bereits ins Trockene gebracht, — die meisten stehen bereits im Staatsdienste und das Geld wurde namentlich für die ersten Einrichtungskosten der neugebackenen Beamten verlangt. Eben so mochte manchem Abgeordneten es vorschweben, was er in den Tagen der Jugend im Cornelius Nepos gelesen, daß ein ächter Republikaner sich vor allen Dingen der Sparsamkeit, Mäßigung und eines nüchternen Lebens be- fleißigen müsse. Was aber anfangen? Die Bittsteller und ihre ganze Sippschaft sitzen zum Theile selbst in der Kammer, hinter ihnen lauern die Clubs und so wurden die 100,000 Frs. ge- nehmigt. Ohnedieß wäre es unbillig, wenn die Republik weni- ger dankbar seyn wollte als ein König! Bis jetzt war Alles noch ziemlich ruhig und friedlich abge- laufen, als auf einmal wieder ein paar Deputirte auf den Einfall geriethen, die Regierung durch ihre Jnterpellationen in die Enge zu treiben. Unter Andern fragte Hr. Lagrange im Namen der Clubbs, warum keine besseren Maßregeln gegen die bonapartistischen Wühlereien ergriffen worden seyen und was man gegen dieselben künftig zu thuen gedenke? Bekanntlich kann ein Thor zehnmal mehr fragen, als der gescheidteste Mann beantworten kann und die französischen Regierungsleute müssen entweder sehr viel Geduld oder sehr viel Patriotismus ha- ben, daß sie ob dieser ewigen Jnterpellationen, in welcher sie gleich Bedienten heruntergehudelt werden, ohne je zu einer kräf- tigen That zu kommen, nicht schon längst des Regierens müde ge- worden sind. Die Regierung war jedoch, als sie Antwort geben sollte, nicht mehr anwesend, und die Kammer beschloß, die Sache bis zur nächsten Sitzung zu vertagen. Der Minister des Jnnern Recurt hat ein sehr vernünftiges Rundschreiben an die Beamten erlassen, in welchem er sie er- mahnt, die goldene Mittelstraße einzuhalten nnd mit gleicher Kraft allen anarchischen wie reactionären Bestrebungen entgegen- zuwirken. General Changarnier, kaum erst zum Gouverneur von Algier ernannt und jetzt zum Deputirten erwählt, kehrt nach Pa- ris in die Nationalversammlung zurück. Das militärische Trium- virat Cavaignac, Changarnier und Lamoricière ist also jetzt beisammen und es sollte uns wundern, wenn dieses nichts zu bedeuten hätte. Aus Paris sollen 12,000 Arbeiter weggeschafft werden, um an den Erdarbeiten bei der Eisenbahn von Tours nach Bordeaux Hand anzulegen. Der neue Kunstausdruck für diese Beschäf- tigung ist « attelier de terrassement!» Die Alpenarmee — merk's Deutschland! — besteht aus 60 Bataillons, 50 Escadrons und einer furchtbaren Artillerie, im Ganzen 50,000 Mann lauter gedienten Leute, die ihre Schule in Afrika gemacht haben. Jm Nothfalle kann dieses Corps sofort auf 100,000 Mann gebracht werden. Vor einigen Tagen kündigte eine Kammerfrau ihrer Herr- schaft den Dienst auf. Da diese Dienerin sich stets sehr wacker ge- halten hatte, so verlor die Herrschaft sie ungern und gab ihr die besten Worte zu bleiben. Allein Alles vergebens! „Jch kann nicht länger bleiben, sagte die Kammerfrau, denn mein Mann ist eben Präfect geworden.“ De Lamennais erklärt, daß er an dem neuen Verfassungs- entwurf durchaus keinen Antheil habe. Der seinige war auch nicht viel besser! Die Nationalwerkstätten sollen nun mit aller Gewalt aufge- löst werden, um der Privatindustrie wieder auf die Beine zu hel- fen. Den jungen Arbeitern von 17—25 Jahren, die keine Arbeit bei Privaten finden, wird der Rath gegeben in die Armee einzu- treten! Dieß also ist das Ende von der Organisation der Arbeit. Den Pyrenäenbädern geht es wie den Taunusbädern, — sie stehen leer. Börse vom 22. Juni. Noch größer als in den letzten Tagen war die Geschäftsstille an der heutigen Börse und sind die Course der Effecten größtentheils nominell. 3% Anfangs Frs. 45. 50 schlossen mit Frs. 45 — die 5% anfangs Frs. 68. 50 blieben Frs. 68. — Bankactien Frs. 1255. — Orleans 595. Rouen 412. 50. Straßburg 355. Nantes 341. 25. Marseille 227. 75. Bordeaux 396. 25. Nordbahn 356. 25. Lyon 311. 25. Straßburg=Basel 82. 50. Redacteur: Franz Sausen. — Verlag von Kirchheim, Schott und Thielmann in Mainz. — Druck von Florian Kupferberg.

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Deutsches Textarchiv: Metadatenerfassung
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Susanne Haaf, Rahel Hartz, Nicole Postelt: Nachkorrektur und Vervollständigung der TEI/DTABf-Annotation
Rahel Hartz: Artikelstrukturierung

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Zitationshilfe: Mainzer Journal. Nr. 10. Mainz, 25. Juni 1848, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_mainzerjournal010_1848/4>, abgerufen am 16.07.2024.