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Märkische Blätter. Jahrgang 4, Nr. 77. Hattingen, 25. September 1852.

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[Beginn Spaltensatz] dem eigenen Dach hausen was die Väter erbaut und bewohnt haben,
und daran hat uns bisher Niemand gehindert."

"Jch weiß doch nicht, Mary," meinte John, indem er seine
kräftigen Arme ausreckte, als sollte er eine schwere Last heben, "ich
weiß nicht; aber mir ist, ich könnte so wie ich jetzt bin, nicht länger
im Lande bleiben. Jch gehöre zu Nichts und Niemanden. Am
Ende wär' es besser, wir zögen auch über See."

Bei diesen Worten hatten sie ihre schmucke kleine Wohnung er-
reicht. Sie leuchtete ihnen freundlich in den Strahlen des auf-
gehenden Mondes entgegen, dessen Silberlicht das stille Thal übergoß.
Mary hatte ihr Häuschen seit Jahren im Herzen getragen; aber es
fiel ihr jetzt zum ersten Mal auf, daß es auch hübsch anzusehen sei.
Zwei große Ulmen beschatteten es mit sammt dem kleinen Gärtchen,
und das nahe Bergwasser, was schimmernd und schäumend von den
Schluchten des Slieve=na=mon herabrauschte, schien ihr einen freund-
lichen Willkommen zuzurufen. "Es verlassen, John!" rief sie mit
tiefer Angstbewegung; "dies Häuschen verlassen!"

"Nun," meinte John, "was ist's am Ende -- vier Lehmwände
und ein Dach!"

"Nur vier Wände, ja wohl, John!" sprach sie ihm nach, "nur
vier elende Wände! Vier Wände, in die ich als Deine Braut einge-
treten, in denen ich Dein Weib und die Muter Deiner Kinder ge-
worden bin! Vier Wände, in denen uns die Hitze des bösen Fiebers
verzehrt hat, in denen unsere Dankgebete zu Gott aufgestiegen, als er
uns das Leben geschenkt, woran wir schon verzweifelten; Wände, die
uns vor Kälte und Nässe geschützt haben, in denen die behagliche
Glut unseres Herdes und um ihn her Dein und der Kinder frohe
Augen mir in's Herz geleuchtet haben. Nein, diese vier Lehmwinde
könnte ich nicht hingeben, nicht für des Königs Palast! Es ist nur
eine Hütte, aber in ihr hab ich das erste Weinen meines ersten Kin-
des gehört; und in ihr hat es gelernt Dich Vater nennen, John
Magee; in ihr haben wir noch nie erlebt, was Herzensnoth ist. Laß
uns daran festhalten, John, und an dem Stückchen Land. Wenn
wir diese Hütte und das Land verlassen müssen, John, dann folgt
Dir Dein Weib, aber mit gebrochenem Herzen."

"Nun, nun, Mary," sagte John beruhigend und seinem eigenen
den ihrigen so entsprechenden Gefühle nachgebend; "Du sollst Deinen
Willen haben; aber ich kann nicht im Lande bleiben, wenn alle weit
und breit mich für ein feiges, niedriges Geschöpf halten. Wenn ich
bleibe so muß ich es machen wie die Anderen -- ich will nicht, daß
mich die Leute schief ansehen und mit den Fingern auf mich weisen
-- und dabei bleibt's! Die Leute halten zusammen zu ihrem eigenen
Vortheil und in ihrem guten Recht, und da seh' ich kein großes Un-
glück dabei!"

Mary antwortete nur mit Thränen und Schluchzen. Sie war
ganz verstört durch den Gedanken an die Trennung von dem heimi-
schen Herde, an den sich das ganze Bewußtsein ihres bescheidenen
stillen Glückes knüpfte. Endlich fand sie in John's Worten eine Art
von Beruhigung für den Augenblick und gegen diese so plötzlich ihr
nahe getretene Gefahr, während seine Andeutungen wieder neue Sor-
gen in ihr weckten.

Die Zeit verging. John hatte sich denen angeschlossen, deren
Wege im Dunkeln sind. Doch hatte er sich noch bei keiner eigent-
lichen Gewaltthat betheiligt; man setzte eben kein großes Vertrauen
auf ihn. Er war bisher immer im Stande gewesen, sein Pachtgeld
zur rechten Zeit zu zahlen, und sein Grundherr hatte ihm keinerlei
Ursache zur Klage gegeben So kam es, daß er sich im Vergleich
mit Anderen sehr ruhig, zurückhaltend und fast schüchtern und unent-
schlossen zeigte, und obgleich auch er sich eidlich verpflichtet hatte, je-
den, auch den blutigsten Befehl der geheimen Oberen auszusühren, so
hatte man doch bisher seine Dienste nicht für solche Dinge in An-
spruch genommen. Eines Abends aber, als er halbschlummernd am
Troffeuer seines Herdes saß, trat ein Mitglied des geheimen Bundes
ein und machte ihm ein Zeichen zu, was er nur zu gut verstand.
Nach einer kleinen Weile unruhiger Erwägung verließ er die Hütte
mit der Ueberzeugung, daß auf dem Sammelplatz ihm etwas Wich-
tiges eröffnet werden solle. Mary richtete keine Frage an ihn, aber
ihr thränenschweres Auge verrieth deutlich genug, welche bange Ah-
nungen schon lange an die Stelle des ehemaligen heitern Friedens
getreten. "Gott sei mit Dir! Gott sei mit Dir!" rief sie ihm nach
[Spaltenumbruch] und wiederholte die Worte noch lange für sich in hinbrütender Her-
zensangst. Dazwischen sagte sie, wie um sich zu beruhigen: "Nun,
es ist ja Alles für unser Bestes, und es hält ihn doch wenigstens
im Lande -- im lieben alten Lande!" Dann kniete sie neben ihren
schlafenden Kindern nieder, und bald trocknete ein frommes Gebet
ihre Thränen.

John betrat den für diese Versammlung bezeichneten Platz --
einen großen Heustadel, einsam auf einem öden Moor gelegen. Der
flackernde Schein von zwei kümmerlichen Talglichtern auf einem bau-
fälligen Tisch konnte kaum in einem bezchränkten Kreise die Finster-
niß des weiten Gaumes und die Wolken von Tabaksrauch überwin-
den, welche sich immer dichter anhäuften. Die Luft war zum Er-
sticken schwer und heiß durch die Ausdünstung der dicht gedrängten
Menschenmenge; betäubend durch die Dünste des Tabaks und des
Whisky. Als John sich mühsam durch die Menge nach dem hellern
Mittelpunkt hingedrängt hatte, konnte er Anfangs die ihn umgeben-
den Gegenstände nicht unterscheiden; allmälig aber traten ringsumher
mehr oder weniger deutlich, oder im Hiutergrund zu unheimlichen
Schatten verdichtet, Hunderte von Menschenantlitzen hervor in äußer-
ster Spannung und Aufregung dem Redner zugewendet, der die ei-
gentlichen Geschäfte des Abends mit einer Ansprache einleitete, hefti-
ger, aufreizender, als John noch je etwas vernommen. Jn der Menge
unterschied er Bekannte und Unbekannte -- kräftige volle Züge, noch
ausdrucksvoller durch die innere Aufregung -- schwächliche, kümmer-
liche, blasse Züge, allmählig von der sie umgebenden Aufregung er-
griffen, geröthet, bewegt. -- Nur wenig weiße oder graue Häupter
zeigten sich in der Masse -- fast lauter Männer in ihrer besten Kraft,
oder junge gewandte Burschen. Der ganze Schlag von Menschen
war ein solcher, auf den jedes Land der Erde hätte stolz sein können,
und Alle zu jeder kühnen, gewaltsamen That bereit. Einige verrie-
then durch zerrissene, schmutzige Kleidung Armuth oder Verwilderung;
aber im Ganzen herrschten die Anzeichen einer gewissen Wohlhaben-
heit vor, wie die, deren auch Magee sich erfreute. Weiber waren
gar nicht zugegen.

Alle lauschten lautlos.

Mehr und mehr schien das Feuer der Rede, dem sich die
Menge zudrängte, alle besonderen Gedanken und Züge in den ge-
meinsamen Ausdruck der Stimmung zu verschmelzen, welche der Red-
ner hervorzubringen [unleserliches Material - 13 Zeichen fehlen]deabsichtigte. Das Aeußere des Mannes stand
eher im Gegensatz zu der Heftigkeit seiner Worte. Er hatte nichts
Wildes, Gewaltthätiges; er war klein, schwächlich, blond und blaß
-- unschöne Züge, aber eine hohe, breite, bedeutende Stirn -- sein
Mund wie in Bitterkeit zusammengezogen -- der ganze Ausdruck der
einer auf einen Gegenstand gerichteten, mächtigen Leidenschaft. Kaum
gibt es ein Volk, auf welches menschliche Schönheit so viel Einfluß
hat, als das irische, so daß bei einer so unbedeutenden äußern Er-
scheinung eine um so größere geistige oder sittliche Ueberlegenheit dazu
gehörte, um einen solchen Einfluß auf die Menge zu üben, wie dieser
Führer ihn offenbar besaß. Nach einigen allgemeinen Phrasen ver-
sicherte er, bestimmt zu wissen, daß der bedeutendste Grundherr der
Gegend -- er nannte den, dessen Pächter Magee war -- die Absicht
habe, allen seinen kleinen Pächten zu kündigen und nur große Pach-
ten, nach englischer Weise, auszuthun. Das Wort traf John wie
ein Donnerschlag. Er wurde schwindlich, der Kreis aufgeregter Ge-
sichter drehte sich vor seinen Augen herum -- immer schneller. Mit
halberstickter Stimme rief er dem Redner zu: das Wort zu wieder-
holen, wenn es wahr sei. Der Redner wiederholte seine in den Au-
gen vieler Männer schwere Anklage mit neuen ausführlicheren Anga-
ben, und keiner der Anwesenden hatte den geringsten Zweifel mehr,
daß Alles gegründet sei, Alle begleiteten die wiederholte und gestei-
gerte Schilderung eines grausamen Grundherrn mit tiefem grimmigem
Gestöhne, die Aufforderung zur Rache mit lautem, wildem Jubel.
Magee übertraf alle Andere an leidenschaftlichem Gebahren. Einstim-
mig wurde beschlossen, daß an den Grundherrn die gewöhnliche Auf-
forderung und Warnung erlassen und wenn er seinen Entschluß nicht
ändere, dann weiter gegen ihn verfahren werden solle -- wie es in
solchen Fällen üblich. Es bedurfte kaum der erneuten Beweisführung
des Redners, um alle Anwesenden von der vollkommensten Berechti-
gung dieses Systems von heimlichem Terrorismus, von Drohung
und Mord zu überzeugen. Manche der edelsten, gesundesten Gefühle
[Ende Spaltensatz]

[Beginn Spaltensatz] dem eigenen Dach hausen was die Väter erbaut und bewohnt haben,
und daran hat uns bisher Niemand gehindert.“

„Jch weiß doch nicht, Mary,“ meinte John, indem er seine
kräftigen Arme ausreckte, als sollte er eine schwere Last heben, „ich
weiß nicht; aber mir ist, ich könnte so wie ich jetzt bin, nicht länger
im Lande bleiben. Jch gehöre zu Nichts und Niemanden. Am
Ende wär' es besser, wir zögen auch über See.“

Bei diesen Worten hatten sie ihre schmucke kleine Wohnung er-
reicht. Sie leuchtete ihnen freundlich in den Strahlen des auf-
gehenden Mondes entgegen, dessen Silberlicht das stille Thal übergoß.
Mary hatte ihr Häuschen seit Jahren im Herzen getragen; aber es
fiel ihr jetzt zum ersten Mal auf, daß es auch hübsch anzusehen sei.
Zwei große Ulmen beschatteten es mit sammt dem kleinen Gärtchen,
und das nahe Bergwasser, was schimmernd und schäumend von den
Schluchten des Slieve=na=mon herabrauschte, schien ihr einen freund-
lichen Willkommen zuzurufen. „Es verlassen, John!“ rief sie mit
tiefer Angstbewegung; „dies Häuschen verlassen!“

„Nun,“ meinte John, „was ist's am Ende — vier Lehmwände
und ein Dach!“

„Nur vier Wände, ja wohl, John!“ sprach sie ihm nach, „nur
vier elende Wände! Vier Wände, in die ich als Deine Braut einge-
treten, in denen ich Dein Weib und die Muter Deiner Kinder ge-
worden bin! Vier Wände, in denen uns die Hitze des bösen Fiebers
verzehrt hat, in denen unsere Dankgebete zu Gott aufgestiegen, als er
uns das Leben geschenkt, woran wir schon verzweifelten; Wände, die
uns vor Kälte und Nässe geschützt haben, in denen die behagliche
Glut unseres Herdes und um ihn her Dein und der Kinder frohe
Augen mir in's Herz geleuchtet haben. Nein, diese vier Lehmwinde
könnte ich nicht hingeben, nicht für des Königs Palast! Es ist nur
eine Hütte, aber in ihr hab ich das erste Weinen meines ersten Kin-
des gehört; und in ihr hat es gelernt Dich Vater nennen, John
Magee; in ihr haben wir noch nie erlebt, was Herzensnoth ist. Laß
uns daran festhalten, John, und an dem Stückchen Land. Wenn
wir diese Hütte und das Land verlassen müssen, John, dann folgt
Dir Dein Weib, aber mit gebrochenem Herzen.“

„Nun, nun, Mary,“ sagte John beruhigend und seinem eigenen
den ihrigen so entsprechenden Gefühle nachgebend; „Du sollst Deinen
Willen haben; aber ich kann nicht im Lande bleiben, wenn alle weit
und breit mich für ein feiges, niedriges Geschöpf halten. Wenn ich
bleibe so muß ich es machen wie die Anderen — ich will nicht, daß
mich die Leute schief ansehen und mit den Fingern auf mich weisen
— und dabei bleibt's! Die Leute halten zusammen zu ihrem eigenen
Vortheil und in ihrem guten Recht, und da seh' ich kein großes Un-
glück dabei!“

Mary antwortete nur mit Thränen und Schluchzen. Sie war
ganz verstört durch den Gedanken an die Trennung von dem heimi-
schen Herde, an den sich das ganze Bewußtsein ihres bescheidenen
stillen Glückes knüpfte. Endlich fand sie in John's Worten eine Art
von Beruhigung für den Augenblick und gegen diese so plötzlich ihr
nahe getretene Gefahr, während seine Andeutungen wieder neue Sor-
gen in ihr weckten.

Die Zeit verging. John hatte sich denen angeschlossen, deren
Wege im Dunkeln sind. Doch hatte er sich noch bei keiner eigent-
lichen Gewaltthat betheiligt; man setzte eben kein großes Vertrauen
auf ihn. Er war bisher immer im Stande gewesen, sein Pachtgeld
zur rechten Zeit zu zahlen, und sein Grundherr hatte ihm keinerlei
Ursache zur Klage gegeben So kam es, daß er sich im Vergleich
mit Anderen sehr ruhig, zurückhaltend und fast schüchtern und unent-
schlossen zeigte, und obgleich auch er sich eidlich verpflichtet hatte, je-
den, auch den blutigsten Befehl der geheimen Oberen auszusühren, so
hatte man doch bisher seine Dienste nicht für solche Dinge in An-
spruch genommen. Eines Abends aber, als er halbschlummernd am
Troffeuer seines Herdes saß, trat ein Mitglied des geheimen Bundes
ein und machte ihm ein Zeichen zu, was er nur zu gut verstand.
Nach einer kleinen Weile unruhiger Erwägung verließ er die Hütte
mit der Ueberzeugung, daß auf dem Sammelplatz ihm etwas Wich-
tiges eröffnet werden solle. Mary richtete keine Frage an ihn, aber
ihr thränenschweres Auge verrieth deutlich genug, welche bange Ah-
nungen schon lange an die Stelle des ehemaligen heitern Friedens
getreten. „Gott sei mit Dir! Gott sei mit Dir!“ rief sie ihm nach
[Spaltenumbruch] und wiederholte die Worte noch lange für sich in hinbrütender Her-
zensangst. Dazwischen sagte sie, wie um sich zu beruhigen: „Nun,
es ist ja Alles für unser Bestes, und es hält ihn doch wenigstens
im Lande — im lieben alten Lande!“ Dann kniete sie neben ihren
schlafenden Kindern nieder, und bald trocknete ein frommes Gebet
ihre Thränen.

John betrat den für diese Versammlung bezeichneten Platz —
einen großen Heustadel, einsam auf einem öden Moor gelegen. Der
flackernde Schein von zwei kümmerlichen Talglichtern auf einem bau-
fälligen Tisch konnte kaum in einem bezchränkten Kreise die Finster-
niß des weiten Gaumes und die Wolken von Tabaksrauch überwin-
den, welche sich immer dichter anhäuften. Die Luft war zum Er-
sticken schwer und heiß durch die Ausdünstung der dicht gedrängten
Menschenmenge; betäubend durch die Dünste des Tabaks und des
Whisky. Als John sich mühsam durch die Menge nach dem hellern
Mittelpunkt hingedrängt hatte, konnte er Anfangs die ihn umgeben-
den Gegenstände nicht unterscheiden; allmälig aber traten ringsumher
mehr oder weniger deutlich, oder im Hiutergrund zu unheimlichen
Schatten verdichtet, Hunderte von Menschenantlitzen hervor in äußer-
ster Spannung und Aufregung dem Redner zugewendet, der die ei-
gentlichen Geschäfte des Abends mit einer Ansprache einleitete, hefti-
ger, aufreizender, als John noch je etwas vernommen. Jn der Menge
unterschied er Bekannte und Unbekannte — kräftige volle Züge, noch
ausdrucksvoller durch die innere Aufregung — schwächliche, kümmer-
liche, blasse Züge, allmählig von der sie umgebenden Aufregung er-
griffen, geröthet, bewegt. — Nur wenig weiße oder graue Häupter
zeigten sich in der Masse — fast lauter Männer in ihrer besten Kraft,
oder junge gewandte Burschen. Der ganze Schlag von Menschen
war ein solcher, auf den jedes Land der Erde hätte stolz sein können,
und Alle zu jeder kühnen, gewaltsamen That bereit. Einige verrie-
then durch zerrissene, schmutzige Kleidung Armuth oder Verwilderung;
aber im Ganzen herrschten die Anzeichen einer gewissen Wohlhaben-
heit vor, wie die, deren auch Magee sich erfreute. Weiber waren
gar nicht zugegen.

Alle lauschten lautlos.

Mehr und mehr schien das Feuer der Rede, dem sich die
Menge zudrängte, alle besonderen Gedanken und Züge in den ge-
meinsamen Ausdruck der Stimmung zu verschmelzen, welche der Red-
ner hervorzubringen [unleserliches Material – 13 Zeichen fehlen]deabsichtigte. Das Aeußere des Mannes stand
eher im Gegensatz zu der Heftigkeit seiner Worte. Er hatte nichts
Wildes, Gewaltthätiges; er war klein, schwächlich, blond und blaß
— unschöne Züge, aber eine hohe, breite, bedeutende Stirn — sein
Mund wie in Bitterkeit zusammengezogen — der ganze Ausdruck der
einer auf einen Gegenstand gerichteten, mächtigen Leidenschaft. Kaum
gibt es ein Volk, auf welches menschliche Schönheit so viel Einfluß
hat, als das irische, so daß bei einer so unbedeutenden äußern Er-
scheinung eine um so größere geistige oder sittliche Ueberlegenheit dazu
gehörte, um einen solchen Einfluß auf die Menge zu üben, wie dieser
Führer ihn offenbar besaß. Nach einigen allgemeinen Phrasen ver-
sicherte er, bestimmt zu wissen, daß der bedeutendste Grundherr der
Gegend — er nannte den, dessen Pächter Magee war — die Absicht
habe, allen seinen kleinen Pächten zu kündigen und nur große Pach-
ten, nach englischer Weise, auszuthun. Das Wort traf John wie
ein Donnerschlag. Er wurde schwindlich, der Kreis aufgeregter Ge-
sichter drehte sich vor seinen Augen herum — immer schneller. Mit
halberstickter Stimme rief er dem Redner zu: das Wort zu wieder-
holen, wenn es wahr sei. Der Redner wiederholte seine in den Au-
gen vieler Männer schwere Anklage mit neuen ausführlicheren Anga-
ben, und keiner der Anwesenden hatte den geringsten Zweifel mehr,
daß Alles gegründet sei, Alle begleiteten die wiederholte und gestei-
gerte Schilderung eines grausamen Grundherrn mit tiefem grimmigem
Gestöhne, die Aufforderung zur Rache mit lautem, wildem Jubel.
Magee übertraf alle Andere an leidenschaftlichem Gebahren. Einstim-
mig wurde beschlossen, daß an den Grundherrn die gewöhnliche Auf-
forderung und Warnung erlassen und wenn er seinen Entschluß nicht
ändere, dann weiter gegen ihn verfahren werden solle — wie es in
solchen Fällen üblich. Es bedurfte kaum der erneuten Beweisführung
des Redners, um alle Anwesenden von der vollkommensten Berechti-
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[0002] dem eigenen Dach hausen was die Väter erbaut und bewohnt haben, und daran hat uns bisher Niemand gehindert.“ „Jch weiß doch nicht, Mary,“ meinte John, indem er seine kräftigen Arme ausreckte, als sollte er eine schwere Last heben, „ich weiß nicht; aber mir ist, ich könnte so wie ich jetzt bin, nicht länger im Lande bleiben. Jch gehöre zu Nichts und Niemanden. Am Ende wär' es besser, wir zögen auch über See.“ Bei diesen Worten hatten sie ihre schmucke kleine Wohnung er- reicht. Sie leuchtete ihnen freundlich in den Strahlen des auf- gehenden Mondes entgegen, dessen Silberlicht das stille Thal übergoß. Mary hatte ihr Häuschen seit Jahren im Herzen getragen; aber es fiel ihr jetzt zum ersten Mal auf, daß es auch hübsch anzusehen sei. Zwei große Ulmen beschatteten es mit sammt dem kleinen Gärtchen, und das nahe Bergwasser, was schimmernd und schäumend von den Schluchten des Slieve=na=mon herabrauschte, schien ihr einen freund- lichen Willkommen zuzurufen. „Es verlassen, John!“ rief sie mit tiefer Angstbewegung; „dies Häuschen verlassen!“ „Nun,“ meinte John, „was ist's am Ende — vier Lehmwände und ein Dach!“ „Nur vier Wände, ja wohl, John!“ sprach sie ihm nach, „nur vier elende Wände! Vier Wände, in die ich als Deine Braut einge- treten, in denen ich Dein Weib und die Muter Deiner Kinder ge- worden bin! Vier Wände, in denen uns die Hitze des bösen Fiebers verzehrt hat, in denen unsere Dankgebete zu Gott aufgestiegen, als er uns das Leben geschenkt, woran wir schon verzweifelten; Wände, die uns vor Kälte und Nässe geschützt haben, in denen die behagliche Glut unseres Herdes und um ihn her Dein und der Kinder frohe Augen mir in's Herz geleuchtet haben. Nein, diese vier Lehmwinde könnte ich nicht hingeben, nicht für des Königs Palast! Es ist nur eine Hütte, aber in ihr hab ich das erste Weinen meines ersten Kin- des gehört; und in ihr hat es gelernt Dich Vater nennen, John Magee; in ihr haben wir noch nie erlebt, was Herzensnoth ist. Laß uns daran festhalten, John, und an dem Stückchen Land. Wenn wir diese Hütte und das Land verlassen müssen, John, dann folgt Dir Dein Weib, aber mit gebrochenem Herzen.“ „Nun, nun, Mary,“ sagte John beruhigend und seinem eigenen den ihrigen so entsprechenden Gefühle nachgebend; „Du sollst Deinen Willen haben; aber ich kann nicht im Lande bleiben, wenn alle weit und breit mich für ein feiges, niedriges Geschöpf halten. Wenn ich bleibe so muß ich es machen wie die Anderen — ich will nicht, daß mich die Leute schief ansehen und mit den Fingern auf mich weisen — und dabei bleibt's! Die Leute halten zusammen zu ihrem eigenen Vortheil und in ihrem guten Recht, und da seh' ich kein großes Un- glück dabei!“ Mary antwortete nur mit Thränen und Schluchzen. Sie war ganz verstört durch den Gedanken an die Trennung von dem heimi- schen Herde, an den sich das ganze Bewußtsein ihres bescheidenen stillen Glückes knüpfte. Endlich fand sie in John's Worten eine Art von Beruhigung für den Augenblick und gegen diese so plötzlich ihr nahe getretene Gefahr, während seine Andeutungen wieder neue Sor- gen in ihr weckten. Die Zeit verging. John hatte sich denen angeschlossen, deren Wege im Dunkeln sind. Doch hatte er sich noch bei keiner eigent- lichen Gewaltthat betheiligt; man setzte eben kein großes Vertrauen auf ihn. Er war bisher immer im Stande gewesen, sein Pachtgeld zur rechten Zeit zu zahlen, und sein Grundherr hatte ihm keinerlei Ursache zur Klage gegeben So kam es, daß er sich im Vergleich mit Anderen sehr ruhig, zurückhaltend und fast schüchtern und unent- schlossen zeigte, und obgleich auch er sich eidlich verpflichtet hatte, je- den, auch den blutigsten Befehl der geheimen Oberen auszusühren, so hatte man doch bisher seine Dienste nicht für solche Dinge in An- spruch genommen. Eines Abends aber, als er halbschlummernd am Troffeuer seines Herdes saß, trat ein Mitglied des geheimen Bundes ein und machte ihm ein Zeichen zu, was er nur zu gut verstand. Nach einer kleinen Weile unruhiger Erwägung verließ er die Hütte mit der Ueberzeugung, daß auf dem Sammelplatz ihm etwas Wich- tiges eröffnet werden solle. Mary richtete keine Frage an ihn, aber ihr thränenschweres Auge verrieth deutlich genug, welche bange Ah- nungen schon lange an die Stelle des ehemaligen heitern Friedens getreten. „Gott sei mit Dir! Gott sei mit Dir!“ rief sie ihm nach und wiederholte die Worte noch lange für sich in hinbrütender Her- zensangst. Dazwischen sagte sie, wie um sich zu beruhigen: „Nun, es ist ja Alles für unser Bestes, und es hält ihn doch wenigstens im Lande — im lieben alten Lande!“ Dann kniete sie neben ihren schlafenden Kindern nieder, und bald trocknete ein frommes Gebet ihre Thränen. John betrat den für diese Versammlung bezeichneten Platz — einen großen Heustadel, einsam auf einem öden Moor gelegen. Der flackernde Schein von zwei kümmerlichen Talglichtern auf einem bau- fälligen Tisch konnte kaum in einem bezchränkten Kreise die Finster- niß des weiten Gaumes und die Wolken von Tabaksrauch überwin- den, welche sich immer dichter anhäuften. Die Luft war zum Er- sticken schwer und heiß durch die Ausdünstung der dicht gedrängten Menschenmenge; betäubend durch die Dünste des Tabaks und des Whisky. Als John sich mühsam durch die Menge nach dem hellern Mittelpunkt hingedrängt hatte, konnte er Anfangs die ihn umgeben- den Gegenstände nicht unterscheiden; allmälig aber traten ringsumher mehr oder weniger deutlich, oder im Hiutergrund zu unheimlichen Schatten verdichtet, Hunderte von Menschenantlitzen hervor in äußer- ster Spannung und Aufregung dem Redner zugewendet, der die ei- gentlichen Geschäfte des Abends mit einer Ansprache einleitete, hefti- ger, aufreizender, als John noch je etwas vernommen. Jn der Menge unterschied er Bekannte und Unbekannte — kräftige volle Züge, noch ausdrucksvoller durch die innere Aufregung — schwächliche, kümmer- liche, blasse Züge, allmählig von der sie umgebenden Aufregung er- griffen, geröthet, bewegt. — Nur wenig weiße oder graue Häupter zeigten sich in der Masse — fast lauter Männer in ihrer besten Kraft, oder junge gewandte Burschen. Der ganze Schlag von Menschen war ein solcher, auf den jedes Land der Erde hätte stolz sein können, und Alle zu jeder kühnen, gewaltsamen That bereit. Einige verrie- then durch zerrissene, schmutzige Kleidung Armuth oder Verwilderung; aber im Ganzen herrschten die Anzeichen einer gewissen Wohlhaben- heit vor, wie die, deren auch Magee sich erfreute. Weiber waren gar nicht zugegen. Alle lauschten lautlos. Mehr und mehr schien das Feuer der Rede, dem sich die Menge zudrängte, alle besonderen Gedanken und Züge in den ge- meinsamen Ausdruck der Stimmung zu verschmelzen, welche der Red- ner hervorzubringen _____________deabsichtigte. Das Aeußere des Mannes stand eher im Gegensatz zu der Heftigkeit seiner Worte. Er hatte nichts Wildes, Gewaltthätiges; er war klein, schwächlich, blond und blaß — unschöne Züge, aber eine hohe, breite, bedeutende Stirn — sein Mund wie in Bitterkeit zusammengezogen — der ganze Ausdruck der einer auf einen Gegenstand gerichteten, mächtigen Leidenschaft. Kaum gibt es ein Volk, auf welches menschliche Schönheit so viel Einfluß hat, als das irische, so daß bei einer so unbedeutenden äußern Er- scheinung eine um so größere geistige oder sittliche Ueberlegenheit dazu gehörte, um einen solchen Einfluß auf die Menge zu üben, wie dieser Führer ihn offenbar besaß. Nach einigen allgemeinen Phrasen ver- sicherte er, bestimmt zu wissen, daß der bedeutendste Grundherr der Gegend — er nannte den, dessen Pächter Magee war — die Absicht habe, allen seinen kleinen Pächten zu kündigen und nur große Pach- ten, nach englischer Weise, auszuthun. Das Wort traf John wie ein Donnerschlag. Er wurde schwindlich, der Kreis aufgeregter Ge- sichter drehte sich vor seinen Augen herum — immer schneller. Mit halberstickter Stimme rief er dem Redner zu: das Wort zu wieder- holen, wenn es wahr sei. Der Redner wiederholte seine in den Au- gen vieler Männer schwere Anklage mit neuen ausführlicheren Anga- ben, und keiner der Anwesenden hatte den geringsten Zweifel mehr, daß Alles gegründet sei, Alle begleiteten die wiederholte und gestei- gerte Schilderung eines grausamen Grundherrn mit tiefem grimmigem Gestöhne, die Aufforderung zur Rache mit lautem, wildem Jubel. Magee übertraf alle Andere an leidenschaftlichem Gebahren. Einstim- mig wurde beschlossen, daß an den Grundherrn die gewöhnliche Auf- forderung und Warnung erlassen und wenn er seinen Entschluß nicht ändere, dann weiter gegen ihn verfahren werden solle — wie es in solchen Fällen üblich. Es bedurfte kaum der erneuten Beweisführung des Redners, um alle Anwesenden von der vollkommensten Berechti- gung dieses Systems von heimlichem Terrorismus, von Drohung und Mord zu überzeugen. Manche der edelsten, gesundesten Gefühle

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Zitationshilfe: Märkische Blätter. Jahrgang 4, Nr. 77. Hattingen, 25. September 1852, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_maerkische077_1852/2>, abgerufen am 23.11.2024.