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Mährisches Tagblatt. Nr. 198, Olmütz, 31.08.1885.

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[Spaltenumbruch]

der russischen Blätter hat die Kremsierer Kaiser-
Zusammenkunft und die dabei zu Stande ge-
kommene Annäherung zwischen Oesterreich und
Rußland mit Freude und Genugthuung begrüßt.
An der Spitze dieser befriedigenden Kundgebung
steht die hochofficiöse Aeußerung des Journal
de St. Petersbourg, welche bereits vor mehreren
Tagen auf telegrafischem Wege mitgetheilt wor-
den ist, und die gewissermaßen als eine für ganz
Europa bestimmte Manifestation der russischen
Regierung zu betrachten sein dürfte. Nun, nach-
dem das diplomatische Organ der russischen
Reichskanzlei gesprochen hat, beeilen sich auch die
anderen Blätter, die Entrevue von Kremsier als
ein neues Unterpfand für die Aufrechterhaltung
des europäischen Friedens zu bezeichnen.

Das größte Interesse verdient die Aeußerung
des in der russischen Nachbarprovinz erscheinenden
amtlichen Dniewnek Werszawski. Das russische
Regierungsblatt bemerkt unter Anderen:

Wir hoffen, daß die engere Annäherung an
Oesterreich-Ungarn den verschiedenen Ausbrüchen
von Russophobie, den verschiedenen "schwarzen
Puncten", welche auf Seite Oesterreichs in Cis-
und Transleithanien und nach der Skierniewicer
Entrevue auftauchten, ein Ende machen wird.
Seit der Zeit dieser Entrevue hat, so viel wir
uns erinnern können, weder in den russischen
Regierungs-Sphären noch in unserer Presse, noch
in irgend einer der Erscheinungen unserer öffent-
lichen Meinung auch nur eine störende, falsche
Note sich vernehmen lassen, welche durch ihre
scharfe Dissonanz unsere wieder befestigten freund-
schaftlichen Beziehungen zu Oesterreich hätte stören
können; unsere südwestlichen Nachbarn thäten Un-
recht, wenn sie sich über uns beklagen würden.
Aber in einigen Provinzen des österreichisch-un-
garischen Reiches, welche zu nennen überflüssig
wären, wurden Demonstrationen verübt, welche
offen feindselig gegen Rußland waren. Wie soll
man diese Allen bekannte Thatsache erklären? In
einigen dieser Fälle kann die österreichische Regie-
rung sich auf den bekannten Dualismus und die
Unabhängigkeit Transleithaniens, seiner Presse
und öffentlichen Meinung berufen. Doch kann
diese Unabhängigkeit nicht an die Absurdität rei-
chen und so weit gehen, daß "die Linke nicht
wüßte, was die Rechte thut", und dann wird
die Richtung der äußeren Politik und der Charac-
ter der Beziehungen zu den fremden Mächten in
Wien und nicht in Pest bestimmt. Im zweiten
Falle erscheint die constitutionelle Freiheit der
Presse, der Versammlungen u. s. w. als eine
sehr gute Aufklärung. Ist das aber eine Recht-
fertigung? Gegenüber der Presse macht die öster-
reichische Regierung nicht viel Wesens, sobald es
ihr nicht paßt, und sehr häufig finden Consis-
cationen und gerichtliche Verfolgungen statt ...
Jedes Einvernehmen ist nur bei Gegenseitigkeit
der von demselben allen Theilnehmern auferleg-
ten Verpflichtungen fest, bis heute hat es aber
leider diese Gegenseitigkeit nicht gegeben. Graf
[Spaltenumbruch] Taaffe wurde ohne Zweifel zu dem Zwecke nach
Kremsier berufen, damit er die Möglichkeit habe,
sich an Ort und Stelle mit den beiden Ministern
des Aeußern zu besprechen, von denselben die Re-
sultate ihrer Berathungen zu erfahren, sich von
den von ihnen festgesetzten Principien durchdrin-
gen zu lassen und die innere Politik, besonders
in Bezug auf Galizien, in die gehörige Ueber-
einstimmung mit der auswärtigen zu bringen ..."

Eine merkwürdige, vielleicht nicht ganz un-
gerechtfertigte Auffassung der Folgen der Entrevue
hat der "Petersburger Herold". Dieses Blatt will
sich von Combinationen fernhalten und nur die
eminente Bedeutung der Kaiser-Begegnung für
den europäischen Frieden betonen. "Natürlich nur
für den europäischen", fügt der "Herold" hinzu.

("Die slavische Idee.")

In einem Artikel
über die Kremsierer Entrevue führen die "Nar.
Listy" aus, daß die slavische Idee wieder stärker
auflebe, daß jedoch der "Austroslavismus", wel-
cher den österreichischen Slaven als ein Surrogat
für die slavische Idee vorgelegt worden sei, kein
Slavismus sei. Das Jungtschechenblatt citirt so-
dann einen Ausspruch Havliceks's, daß Rußland
"unser reicher Onkel sei." Aber auch der große
Herr Onkel müsse gegenüber seinen kleineren
Verwandten seine Pflicht thun. "Wir fühlen sehr
wohl unsere politische Unzulänglichkeit im Augen-
blicke, wo "Onkelchen Czar" Gast auf dem ge-
heiligten Boden unseres Königreiches ist und wir
mit Anspannung aller Kräfte mit Noth erreicht
haben, daß an die Begrüßungsansprache im frem-
den Idiom zum Schlusse zwei oder drei Worte
unseres slavischen Idioms hinzugefügt wurden.
Allein die Massen unseres Volkes, deren begei-
stertes Hoch! über Cylinder und Tschakos direct
zum Herzen des weißen Czaren flog, gaben deut-
lich zu erkennen, wie und was wir fühlen und
hoffen im Augenblicke, wo die beiden slav. Impe-
ratoren sich freundschaftlich die Rechte drücken."

(Die Königinhofer-Affaire und die
Politik.)

Unter der Wirkung der Angst vor
den möglichen Folgen der Königinhofer Affaire
weint die "Politik" wahre Krokodilsthränen, indem
sie schreibt:

"Wir stehen auf dem Puncte, die Sympa-
thien als Culturvolk zu verlieren. Wir sind be-
droht, auch die Freundschaft unserer heutigen
politischen Verbündeten im Inlande zu verlieren.
Videant consules! Schon tauchen in den pol-
nischen und conservativen Blättern Stimmen
auf, die uns tadeln, und leider Gottes ist die
Art, wie ein Prager gewiß gut nationales Blatt
manche Fragen behandelt, ganz danach angethan,
Jenen das Handwerk zu erleichtern, die uns voll-
ständig isoliren wollen. Haben wir denn um des
Himmelswillen nicht schon Gegner und Feinde
genug, und ist ihre politische Position so fest,
daß wir kühn allen Eventualitäten durch die eigene
Kraft die Spitze bieten könnten? Es gibt keine
unglückseligere Phrase bei uns, als daß die Tsche-
chen immer dann am stärksten waren, wenn sie
[Spaltenumbruch] die halbe Welt gegen sich hatten. Auf Taus folgte
Lipan, auf deu Fenstersturz der Weiße Berg.
Man wiege sich nicht in optimistischen Träu-
men, man erwarte nichts von dem im Völker-
leben so trügerischen Gesetze der Wahlverwandt-
schaft. Die Sache unseres Volkes ist heute ernst-
lich gefährdet, und täuschen wir uns nicht, die
Ausbeutung der Königinhofer Vorfälle verfehlt
ihre Wirkung nicht, weder nach Unten noch nach
Oben. Wenn die Verblendeten von Königinhof
wüßten, welches maßlose Unheil sie angerichtet
haben, sie müßten sich das Haar vom Kopfe
reißen und blutige Thränen weinen." Aus all
diesen Jammerrufen spricht nur die Angst des
bösen Gewissens.

(Die Vorgänge in Reichenberg.)

In
Reichenberg sind in den letzten Tagen Ansamm-
lungen von Lehrlingen und Handwerksburschen
vorgekommen, über welche die "Bohemia" folgen-
des berichtet: "Nach amtlichen Erhebungen wur-
den in den letzten drei Tagen bei drei deut-
schen
und bei drei tschechischen Inwohnern
52 Fensterscheiben eingeschlagen. Einer der Thäteer,
ein 17jährige Schlosserlehrling wurde verhaftet,
und dem Strafgerichte eingeliefert. Von einem
Ueberfalle und einer Durchprügelung Reichen-
berger Tschechen ist keine Rede".

Die Reichenberger Tschechen benützten diese
Vorkommnisse um an den Abgeordneten Trojan
folgendes Telegramm abzusenden: "Seit drei
Tagen bereits werden die Reichenberger Tschechen
ohne jegliche Ursache zu Hause und auf der
Straße bedroht, überfallen und geprügelt. Gestern
wurden abermals in mehreren Orten den Tsche-
chen mit bis zu zwei Kilogramm schweren Steinen
die Fenster eingeschlagen. Die Polizei ist ohn-
mächtig und bitten wir um schleunigste Abhilfe".

Wie verlogen diese Meldung ist geht aus
dem nachfolgenden Berichte der amtlichen
Prager Zeitung hervor, welcher derselben aus
Reichenberg zugesendes wurde und lautet:

"Die Vorfälle in Königinhof haben hier
insbesondere in den niederen Schichten
der Bevölkerung eine hochgradige
Erregung hervorgerufen,
welche zur
Folge hatte, daß sich vor der Beseda Ansamm-
lungen bildeten und in der vorgestrigen Nacht
von unbekannten Thätern drei Fenster der Beseda
eingeschlagen wurden. Auch soll gestern Nachts
ein Setzer in der Karlsgasse von jungen Leuten
überfallen und mißhandelt worden sein. Die an
beiden Tagen vor der Beseda angesammelte
Menge bestand fast ausschließlich aus Lehr-
lingen
und Handwerksburschen. Die
Wachorgane schritten energisch ein, so daß es zu
keinen weiteren Excessen kam. Die Strafhandlung
wurde eingeleitet und wurden umfassende Sicher-
heitsvorkehrungen getroffen.






[Spaltenumbruch]

Aber bald wäre Sr. Majestät die Freude
zu Wasser geworden durch einen Zwischenfall,
auf welchen weder der an unbedingten Gehorsam
gewöhnte Monarch, noch auch sein Intendant
gefaßt sein konnten. Frau Wolter hatte ihre Costüme
nach München mitgebracht, allein der König wollte
nicht zugeben, daß sie vor ihm in einem Kleide
erscheine, welches bereits durch gewöhnliche Sterb-
liche applaudirt worden, während er selbst die
für sie bestimmten Gewänder entworfen hatte.
Aber die Künstlerin blieb fest gegenüber der
königlichen Laune und erklärte, sie sei gewohnt,
in ihren eigenen Costümen zu spielen und nicht
geneigt, von dieser Gewohnheit abzugehen. Ein
alter Kammerherr, der bei der Geburt des Königs
zugegen gewesen und einzig das Vorrecht genießt,
direkt mit dem Souverän zu verkehren, über-
nahm die Verhandlungen und führte sie zu gutem
Ende. Der König ließ der Künstlerin ihren Willen,
wahrte jedoch die Form, indem er sich die Costüme
ins Schloß bringen ließ, sie dann genehmigte.
Zugleich ordnete er die Vorstellung für die Mit-
ternachtsstunde des nächsten Tages an.

Frau Wolter gab mir eine bis in die ge-
ringsten Details gehende Schilderung dieser Thea-
ternacht, wobei sie eine große Ehrerbietung gegen
ihren unsichtbaren Zuschauer bekundete. Sie er-
blickt in der Theatermanie des Königs nichts, als
wahre Begeisterung für ihre Kunst. Es scheine,
daß das Theater den König in eine Art von
Ekstase versetzte -- Leute ohne Ehrfurcht wür-
[Spaltenumbruch] den Hallucination sagen -- während welcher er
sich einbildet, wirklich in jener Epoche zu leben,
welche vor seinen Augen dargestellt wird. Ueber
die Vorstellung selbst erzählte mir die berühmte
Künstlerin, der ich nun das Wort überlasse, das
Folgende:

"Um halb 12 Uhr waren die Schauspieler
auf der Bühne versammelt. Es herrschte eine
absolute Stille. Durch den Vorhang konnte
man wahrnehmen, daß nur die Lampen der Rampe
brannten, im übrigen Theile des Saales herrschte
die tiefste Finsterniß. Genau um Mitternacht er-
hielt der Intendant durch ein electrisches Signal
die Anzeige, daß der König soeben seinen Palast
verlasse, um sich in das Theater zu begeben. Er
benützt hiezu eine spärlich beleuchtete Galerie, die
von Hellebardieren bewacht ist, damit kein pro-
fanes Auge das Antlitz des Herrschers erblicken
könne. Ein zweites Signal zeigte an, daß der
König in seiner Loge Platz genommen habe --
ganz allein. Sofort erhebt sich der Vorhang,
denn wenn eine Verzögerung selbst nur von
einer Minute einträte, würde sie zuverlässig die
Absetzung des Intendanten nach sich ziehen. Der
König läßt keinen Grund dafür gelten, daß man
Se. Majestät warten lasse. Er ist das strahlende
Gestirn seines Zeitalters und würde gerne zu-
geben, daß man ihn den Roi-Soleil nenne, wenn
nicht Ludwig XIV. diesen Titel vor ihm geführt
hätte. --

Als der Vorhang aufgezogen war, überfiel
[Spaltenumbruch] mich zwischen den Coulissen, wo Niemand zu
sprechen wagte ein nervöses Zittern. Wie sollte
ich vor diesem leeren und finsteren Saale spielen?
Endlich betrat ich die Scene. Ich, die ich ge-
wohnt bin, vor gedrängt vollen Häusern zu
spielen, sah mich nun dem Nichts gegenüber. Ich
strengte mich vergebens an, durch die Finsterniß
hindurch selbst nur die Umrisse der Person mei-
nes einzigen Zuschauers wahrzunehmen. Nichts! Es
fehlte mir der zwischen dem Publicum und den
Künstlern bestehende electrische Contact. Zum
ersten Male befand ich mich in einer so aben-
teuerlichen Lage und es bedurfte großen Muthes,
um nicht den Kopf zu verlieren. Was mich auf-
recht erhielt, war der Gedanke, daß mein unsicht-
barer Zuschauer großen Sinn für die Kunst be-
sitzt und daß man bei diesem König, abgesehen
von seinen Excentricitäten, eine wahre Leidenschaft
für meine Kunst fände. Dieser Gedanke war für
mich schmeichelhaft und gab mir meine Ruhe
wieder. Ich wußte, daß der König mich nicht
aus dem Auge ließ, daß er in seiner Loge saß,
in vollständiger Sammlung und Aufmerksamkeit
und so tief in Ekstase versunken, daß er selbst den
Athem zurückhielt, um nicht seine Anwesenheit zu
verrathen und um sich nicht selbst zu stören. Dies
Alles war mir neu und fremd. Es schien mir,
als spiele ich meine Rolle im Traume und ich
glaube, daß ich sie nie in so fieberhafter Stim-
mung spielte."

"Was mich einigermaßen aus der Fassung


[Spaltenumbruch]

der ruſſiſchen Blätter hat die Kremſierer Kaiſer-
Zuſammenkunft und die dabei zu Stande ge-
kommene Annäherung zwiſchen Oeſterreich und
Rußland mit Freude und Genugthuung begrüßt.
An der Spitze dieſer befriedigenden Kundgebung
ſteht die hochofficiöſe Aeußerung des Journal
de St. Pétersbourg, welche bereits vor mehreren
Tagen auf telegrafiſchem Wege mitgetheilt wor-
den iſt, und die gewiſſermaßen als eine für ganz
Europa beſtimmte Manifeſtation der ruſſiſchen
Regierung zu betrachten ſein dürfte. Nun, nach-
dem das diplomatiſche Organ der ruſſiſchen
Reichskanzlei geſprochen hat, beeilen ſich auch die
anderen Blätter, die Entrevue von Kremſier als
ein neues Unterpfand für die Aufrechterhaltung
des europäiſchen Friedens zu bezeichnen.

Das größte Intereſſe verdient die Aeußerung
des in der ruſſiſchen Nachbarprovinz erſcheinenden
amtlichen Dniewnek Werszawski. Das ruſſiſche
Regierungsblatt bemerkt unter Anderen:

Wir hoffen, daß die engere Annäherung an
Oeſterreich-Ungarn den verſchiedenen Ausbrüchen
von Ruſſophobie, den verſchiedenen „ſchwarzen
Puncten“, welche auf Seite Oeſterreichs in Cis-
und Transleithanien und nach der Skierniewicer
Entrevue auftauchten, ein Ende machen wird.
Seit der Zeit dieſer Entrevue hat, ſo viel wir
uns erinnern können, weder in den ruſſiſchen
Regierungs-Sphären noch in unſerer Preſſe, noch
in irgend einer der Erſcheinungen unſerer öffent-
lichen Meinung auch nur eine ſtörende, falſche
Note ſich vernehmen laſſen, welche durch ihre
ſcharfe Diſſonanz unſere wieder befeſtigten freund-
ſchaftlichen Beziehungen zu Oeſterreich hätte ſtören
können; unſere ſüdweſtlichen Nachbarn thäten Un-
recht, wenn ſie ſich über uns beklagen würden.
Aber in einigen Provinzen des öſterreichiſch-un-
gariſchen Reiches, welche zu nennen überflüſſig
wären, wurden Demonſtrationen verübt, welche
offen feindſelig gegen Rußland waren. Wie ſoll
man dieſe Allen bekannte Thatſache erklären? In
einigen dieſer Fälle kann die öſterreichiſche Regie-
rung ſich auf den bekannten Dualismus und die
Unabhängigkeit Transleithaniens, ſeiner Preſſe
und öffentlichen Meinung berufen. Doch kann
dieſe Unabhängigkeit nicht an die Abſurdität rei-
chen und ſo weit gehen, daß „die Linke nicht
wüßte, was die Rechte thut“, und dann wird
die Richtung der äußeren Politik und der Charac-
ter der Beziehungen zu den fremden Mächten in
Wien und nicht in Peſt beſtimmt. Im zweiten
Falle erſcheint die conſtitutionelle Freiheit der
Preſſe, der Verſammlungen u. ſ. w. als eine
ſehr gute Aufklärung. Iſt das aber eine Recht-
fertigung? Gegenüber der Preſſe macht die öſter-
reichiſche Regierung nicht viel Weſens, ſobald es
ihr nicht paßt, und ſehr häufig finden Conſis-
cationen und gerichtliche Verfolgungen ſtatt ...
Jedes Einvernehmen iſt nur bei Gegenſeitigkeit
der von demſelben allen Theilnehmern auferleg-
ten Verpflichtungen feſt, bis heute hat es aber
leider dieſe Gegenſeitigkeit nicht gegeben. Graf
[Spaltenumbruch] Taaffe wurde ohne Zweifel zu dem Zwecke nach
Kremſier berufen, damit er die Möglichkeit habe,
ſich an Ort und Stelle mit den beiden Miniſtern
des Aeußern zu beſprechen, von denſelben die Re-
ſultate ihrer Berathungen zu erfahren, ſich von
den von ihnen feſtgeſetzten Principien durchdrin-
gen zu laſſen und die innere Politik, beſonders
in Bezug auf Galizien, in die gehörige Ueber-
einſtimmung mit der auswärtigen zu bringen ...“

Eine merkwürdige, vielleicht nicht ganz un-
gerechtfertigte Auffaſſung der Folgen der Entrevue
hat der „Petersburger Herold“. Dieſes Blatt will
ſich von Combinationen fernhalten und nur die
eminente Bedeutung der Kaiſer-Begegnung für
den europäiſchen Frieden betonen. „Natürlich nur
für den europäiſchen“, fügt der „Herold“ hinzu.

(„Die ſlaviſche Idee.“)

In einem Artikel
über die Kremſierer Entrevue führen die „Nár.
Liſty“ aus, daß die ſlaviſche Idee wieder ſtärker
auflebe, daß jedoch der „Auſtroſlavismus“, wel-
cher den öſterreichiſchen Slaven als ein Surrogat
für die ſlaviſche Idee vorgelegt worden ſei, kein
Slavismus ſei. Das Jungtſchechenblatt citirt ſo-
dann einen Ausſpruch Havličeks’s, daß Rußland
„unſer reicher Onkel ſei.“ Aber auch der große
Herr Onkel müſſe gegenüber ſeinen kleineren
Verwandten ſeine Pflicht thun. „Wir fühlen ſehr
wohl unſere politiſche Unzulänglichkeit im Augen-
blicke, wo „Onkelchen Czar“ Gaſt auf dem ge-
heiligten Boden unſeres Königreiches iſt und wir
mit Anſpannung aller Kräfte mit Noth erreicht
haben, daß an die Begrüßungsanſprache im frem-
den Idiom zum Schluſſe zwei oder drei Worte
unſeres ſlaviſchen Idioms hinzugefügt wurden.
Allein die Maſſen unſeres Volkes, deren begei-
ſtertes Hoch! über Cylinder und Tſchakos direct
zum Herzen des weißen Czaren flog, gaben deut-
lich zu erkennen, wie und was wir fühlen und
hoffen im Augenblicke, wo die beiden ſlav. Impe-
ratoren ſich freundſchaftlich die Rechte drücken.“

(Die Königinhofer-Affaire und die
Politik.)

Unter der Wirkung der Angſt vor
den möglichen Folgen der Königinhofer Affaire
weint die „Politik“ wahre Krokodilsthränen, indem
ſie ſchreibt:

„Wir ſtehen auf dem Puncte, die Sympa-
thien als Culturvolk zu verlieren. Wir ſind be-
droht, auch die Freundſchaft unſerer heutigen
politiſchen Verbündeten im Inlande zu verlieren.
Videant consules! Schon tauchen in den pol-
niſchen und conſervativen Blättern Stimmen
auf, die uns tadeln, und leider Gottes iſt die
Art, wie ein Prager gewiß gut nationales Blatt
manche Fragen behandelt, ganz danach angethan,
Jenen das Handwerk zu erleichtern, die uns voll-
ſtändig iſoliren wollen. Haben wir denn um des
Himmelswillen nicht ſchon Gegner und Feinde
genug, und iſt ihre politiſche Poſition ſo feſt,
daß wir kühn allen Eventualitäten durch die eigene
Kraft die Spitze bieten könnten? Es gibt keine
unglückſeligere Phraſe bei uns, als daß die Tſche-
chen immer dann am ſtärkſten waren, wenn ſie
[Spaltenumbruch] die halbe Welt gegen ſich hatten. Auf Taus folgte
Lipan, auf deu Fenſterſturz der Weiße Berg.
Man wiege ſich nicht in optimiſtiſchen Träu-
men, man erwarte nichts von dem im Völker-
leben ſo trügeriſchen Geſetze der Wahlverwandt-
ſchaft. Die Sache unſeres Volkes iſt heute ernſt-
lich gefährdet, und täuſchen wir uns nicht, die
Ausbeutung der Königinhofer Vorfälle verfehlt
ihre Wirkung nicht, weder nach Unten noch nach
Oben. Wenn die Verblendeten von Königinhof
wüßten, welches maßloſe Unheil ſie angerichtet
haben, ſie müßten ſich das Haar vom Kopfe
reißen und blutige Thränen weinen.“ Aus all
dieſen Jammerrufen ſpricht nur die Angſt des
böſen Gewiſſens.

(Die Vorgänge in Reichenberg.)

In
Reichenberg ſind in den letzten Tagen Anſamm-
lungen von Lehrlingen und Handwerksburſchen
vorgekommen, über welche die „Bohemia“ folgen-
des berichtet: „Nach amtlichen Erhebungen wur-
den in den letzten drei Tagen bei drei deut-
ſchen
und bei drei tſchechiſchen Inwohnern
52 Fenſterſcheiben eingeſchlagen. Einer der Thäteer,
ein 17jährige Schloſſerlehrling wurde verhaftet,
und dem Strafgerichte eingeliefert. Von einem
Ueberfalle und einer Durchprügelung Reichen-
berger Tſchechen iſt keine Rede“.

Die Reichenberger Tſchechen benützten dieſe
Vorkommniſſe um an den Abgeordneten Trojan
folgendes Telegramm abzuſenden: „Seit drei
Tagen bereits werden die Reichenberger Tſchechen
ohne jegliche Urſache zu Hauſe und auf der
Straße bedroht, überfallen und geprügelt. Geſtern
wurden abermals in mehreren Orten den Tſche-
chen mit bis zu zwei Kilogramm ſchweren Steinen
die Fenſter eingeſchlagen. Die Polizei iſt ohn-
mächtig und bitten wir um ſchleunigſte Abhilfe“.

Wie verlogen dieſe Meldung iſt geht aus
dem nachfolgenden Berichte der amtlichen
Prager Zeitung hervor, welcher derſelben aus
Reichenberg zugeſendes wurde und lautet:

„Die Vorfälle in Königinhof haben hier
insbeſondere in den niederen Schichten
der Bevölkerung eine hochgradige
Erregung hervorgerufen,
welche zur
Folge hatte, daß ſich vor der Beſeda Anſamm-
lungen bildeten und in der vorgeſtrigen Nacht
von unbekannten Thätern drei Fenſter der Beſeda
eingeſchlagen wurden. Auch ſoll geſtern Nachts
ein Setzer in der Karlsgaſſe von jungen Leuten
überfallen und mißhandelt worden ſein. Die an
beiden Tagen vor der Beſeda angeſammelte
Menge beſtand faſt ausſchließlich aus Lehr-
lingen
und Handwerksburſchen. Die
Wachorgane ſchritten energiſch ein, ſo daß es zu
keinen weiteren Exceſſen kam. Die Strafhandlung
wurde eingeleitet und wurden umfaſſende Sicher-
heitsvorkehrungen getroffen.






[Spaltenumbruch]

Aber bald wäre Sr. Majeſtät die Freude
zu Waſſer geworden durch einen Zwiſchenfall,
auf welchen weder der an unbedingten Gehorſam
gewöhnte Monarch, noch auch ſein Intendant
gefaßt ſein konnten. Frau Wolter hatte ihre Coſtüme
nach München mitgebracht, allein der König wollte
nicht zugeben, daß ſie vor ihm in einem Kleide
erſcheine, welches bereits durch gewöhnliche Sterb-
liche applaudirt worden, während er ſelbſt die
für ſie beſtimmten Gewänder entworfen hatte.
Aber die Künſtlerin blieb feſt gegenüber der
königlichen Laune und erklärte, ſie ſei gewohnt,
in ihren eigenen Coſtümen zu ſpielen und nicht
geneigt, von dieſer Gewohnheit abzugehen. Ein
alter Kammerherr, der bei der Geburt des Königs
zugegen geweſen und einzig das Vorrecht genießt,
direkt mit dem Souverän zu verkehren, über-
nahm die Verhandlungen und führte ſie zu gutem
Ende. Der König ließ der Künſtlerin ihren Willen,
wahrte jedoch die Form, indem er ſich die Coſtüme
ins Schloß bringen ließ, ſie dann genehmigte.
Zugleich ordnete er die Vorſtellung für die Mit-
ternachtsſtunde des nächſten Tages an.

Frau Wolter gab mir eine bis in die ge-
ringſten Details gehende Schilderung dieſer Thea-
ternacht, wobei ſie eine große Ehrerbietung gegen
ihren unſichtbaren Zuſchauer bekundete. Sie er-
blickt in der Theatermanie des Königs nichts, als
wahre Begeiſterung für ihre Kunſt. Es ſcheine,
daß das Theater den König in eine Art von
Ekſtaſe verſetzte — Leute ohne Ehrfurcht wür-
[Spaltenumbruch] den Hallucination ſagen — während welcher er
ſich einbildet, wirklich in jener Epoche zu leben,
welche vor ſeinen Augen dargeſtellt wird. Ueber
die Vorſtellung ſelbſt erzählte mir die berühmte
Künſtlerin, der ich nun das Wort überlaſſe, das
Folgende:

„Um halb 12 Uhr waren die Schauſpieler
auf der Bühne verſammelt. Es herrſchte eine
abſolute Stille. Durch den Vorhang konnte
man wahrnehmen, daß nur die Lampen der Rampe
brannten, im übrigen Theile des Saales herrſchte
die tiefſte Finſterniß. Genau um Mitternacht er-
hielt der Intendant durch ein electriſches Signal
die Anzeige, daß der König ſoeben ſeinen Palaſt
verlaſſe, um ſich in das Theater zu begeben. Er
benützt hiezu eine ſpärlich beleuchtete Galerie, die
von Hellebardieren bewacht iſt, damit kein pro-
fanes Auge das Antlitz des Herrſchers erblicken
könne. Ein zweites Signal zeigte an, daß der
König in ſeiner Loge Platz genommen habe —
ganz allein. Sofort erhebt ſich der Vorhang,
denn wenn eine Verzögerung ſelbſt nur von
einer Minute einträte, würde ſie zuverläſſig die
Abſetzung des Intendanten nach ſich ziehen. Der
König läßt keinen Grund dafür gelten, daß man
Se. Majeſtät warten laſſe. Er iſt das ſtrahlende
Geſtirn ſeines Zeitalters und würde gerne zu-
geben, daß man ihn den Roi-Soleil nenne, wenn
nicht Ludwig XIV. dieſen Titel vor ihm geführt
hätte. —

Als der Vorhang aufgezogen war, überfiel
[Spaltenumbruch] mich zwiſchen den Couliſſen, wo Niemand zu
ſprechen wagte ein nervöſes Zittern. Wie ſollte
ich vor dieſem leeren und finſteren Saale ſpielen?
Endlich betrat ich die Scene. Ich, die ich ge-
wohnt bin, vor gedrängt vollen Häuſern zu
ſpielen, ſah mich nun dem Nichts gegenüber. Ich
ſtrengte mich vergebens an, durch die Finſterniß
hindurch ſelbſt nur die Umriſſe der Perſon mei-
nes einzigen Zuſchauers wahrzunehmen. Nichts! Es
fehlte mir der zwiſchen dem Publicum und den
Künſtlern beſtehende electriſche Contact. Zum
erſten Male befand ich mich in einer ſo aben-
teuerlichen Lage und es bedurfte großen Muthes,
um nicht den Kopf zu verlieren. Was mich auf-
recht erhielt, war der Gedanke, daß mein unſicht-
barer Zuſchauer großen Sinn für die Kunſt be-
ſitzt und daß man bei dieſem König, abgeſehen
von ſeinen Excentricitäten, eine wahre Leidenſchaft
für meine Kunſt fände. Dieſer Gedanke war für
mich ſchmeichelhaft und gab mir meine Ruhe
wieder. Ich wußte, daß der König mich nicht
aus dem Auge ließ, daß er in ſeiner Loge ſaß,
in vollſtändiger Sammlung und Aufmerkſamkeit
und ſo tief in Ekſtaſe verſunken, daß er ſelbſt den
Athem zurückhielt, um nicht ſeine Anweſenheit zu
verrathen und um ſich nicht ſelbſt zu ſtören. Dies
Alles war mir neu und fremd. Es ſchien mir,
als ſpiele ich meine Rolle im Traume und ich
glaube, daß ich ſie nie in ſo fieberhafter Stim-
mung ſpielte.“

„Was mich einigermaßen aus der Faſſung


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[[2]/0002] der ruſſiſchen Blätter hat die Kremſierer Kaiſer- Zuſammenkunft und die dabei zu Stande ge- kommene Annäherung zwiſchen Oeſterreich und Rußland mit Freude und Genugthuung begrüßt. An der Spitze dieſer befriedigenden Kundgebung ſteht die hochofficiöſe Aeußerung des Journal de St. Pétersbourg, welche bereits vor mehreren Tagen auf telegrafiſchem Wege mitgetheilt wor- den iſt, und die gewiſſermaßen als eine für ganz Europa beſtimmte Manifeſtation der ruſſiſchen Regierung zu betrachten ſein dürfte. Nun, nach- dem das diplomatiſche Organ der ruſſiſchen Reichskanzlei geſprochen hat, beeilen ſich auch die anderen Blätter, die Entrevue von Kremſier als ein neues Unterpfand für die Aufrechterhaltung des europäiſchen Friedens zu bezeichnen. Das größte Intereſſe verdient die Aeußerung des in der ruſſiſchen Nachbarprovinz erſcheinenden amtlichen Dniewnek Werszawski. Das ruſſiſche Regierungsblatt bemerkt unter Anderen: Wir hoffen, daß die engere Annäherung an Oeſterreich-Ungarn den verſchiedenen Ausbrüchen von Ruſſophobie, den verſchiedenen „ſchwarzen Puncten“, welche auf Seite Oeſterreichs in Cis- und Transleithanien und nach der Skierniewicer Entrevue auftauchten, ein Ende machen wird. Seit der Zeit dieſer Entrevue hat, ſo viel wir uns erinnern können, weder in den ruſſiſchen Regierungs-Sphären noch in unſerer Preſſe, noch in irgend einer der Erſcheinungen unſerer öffent- lichen Meinung auch nur eine ſtörende, falſche Note ſich vernehmen laſſen, welche durch ihre ſcharfe Diſſonanz unſere wieder befeſtigten freund- ſchaftlichen Beziehungen zu Oeſterreich hätte ſtören können; unſere ſüdweſtlichen Nachbarn thäten Un- recht, wenn ſie ſich über uns beklagen würden. Aber in einigen Provinzen des öſterreichiſch-un- gariſchen Reiches, welche zu nennen überflüſſig wären, wurden Demonſtrationen verübt, welche offen feindſelig gegen Rußland waren. Wie ſoll man dieſe Allen bekannte Thatſache erklären? In einigen dieſer Fälle kann die öſterreichiſche Regie- rung ſich auf den bekannten Dualismus und die Unabhängigkeit Transleithaniens, ſeiner Preſſe und öffentlichen Meinung berufen. Doch kann dieſe Unabhängigkeit nicht an die Abſurdität rei- chen und ſo weit gehen, daß „die Linke nicht wüßte, was die Rechte thut“, und dann wird die Richtung der äußeren Politik und der Charac- ter der Beziehungen zu den fremden Mächten in Wien und nicht in Peſt beſtimmt. Im zweiten Falle erſcheint die conſtitutionelle Freiheit der Preſſe, der Verſammlungen u. ſ. w. als eine ſehr gute Aufklärung. Iſt das aber eine Recht- fertigung? Gegenüber der Preſſe macht die öſter- reichiſche Regierung nicht viel Weſens, ſobald es ihr nicht paßt, und ſehr häufig finden Conſis- cationen und gerichtliche Verfolgungen ſtatt ... Jedes Einvernehmen iſt nur bei Gegenſeitigkeit der von demſelben allen Theilnehmern auferleg- ten Verpflichtungen feſt, bis heute hat es aber leider dieſe Gegenſeitigkeit nicht gegeben. Graf Taaffe wurde ohne Zweifel zu dem Zwecke nach Kremſier berufen, damit er die Möglichkeit habe, ſich an Ort und Stelle mit den beiden Miniſtern des Aeußern zu beſprechen, von denſelben die Re- ſultate ihrer Berathungen zu erfahren, ſich von den von ihnen feſtgeſetzten Principien durchdrin- gen zu laſſen und die innere Politik, beſonders in Bezug auf Galizien, in die gehörige Ueber- einſtimmung mit der auswärtigen zu bringen ...“ Eine merkwürdige, vielleicht nicht ganz un- gerechtfertigte Auffaſſung der Folgen der Entrevue hat der „Petersburger Herold“. Dieſes Blatt will ſich von Combinationen fernhalten und nur die eminente Bedeutung der Kaiſer-Begegnung für den europäiſchen Frieden betonen. „Natürlich nur für den europäiſchen“, fügt der „Herold“ hinzu. („Die ſlaviſche Idee.“) In einem Artikel über die Kremſierer Entrevue führen die „Nár. Liſty“ aus, daß die ſlaviſche Idee wieder ſtärker auflebe, daß jedoch der „Auſtroſlavismus“, wel- cher den öſterreichiſchen Slaven als ein Surrogat für die ſlaviſche Idee vorgelegt worden ſei, kein Slavismus ſei. Das Jungtſchechenblatt citirt ſo- dann einen Ausſpruch Havličeks’s, daß Rußland „unſer reicher Onkel ſei.“ Aber auch der große Herr Onkel müſſe gegenüber ſeinen kleineren Verwandten ſeine Pflicht thun. „Wir fühlen ſehr wohl unſere politiſche Unzulänglichkeit im Augen- blicke, wo „Onkelchen Czar“ Gaſt auf dem ge- heiligten Boden unſeres Königreiches iſt und wir mit Anſpannung aller Kräfte mit Noth erreicht haben, daß an die Begrüßungsanſprache im frem- den Idiom zum Schluſſe zwei oder drei Worte unſeres ſlaviſchen Idioms hinzugefügt wurden. Allein die Maſſen unſeres Volkes, deren begei- ſtertes Hoch! über Cylinder und Tſchakos direct zum Herzen des weißen Czaren flog, gaben deut- lich zu erkennen, wie und was wir fühlen und hoffen im Augenblicke, wo die beiden ſlav. Impe- ratoren ſich freundſchaftlich die Rechte drücken.“ (Die Königinhofer-Affaire und die Politik.) Unter der Wirkung der Angſt vor den möglichen Folgen der Königinhofer Affaire weint die „Politik“ wahre Krokodilsthränen, indem ſie ſchreibt: „Wir ſtehen auf dem Puncte, die Sympa- thien als Culturvolk zu verlieren. Wir ſind be- droht, auch die Freundſchaft unſerer heutigen politiſchen Verbündeten im Inlande zu verlieren. Videant consules! Schon tauchen in den pol- niſchen und conſervativen Blättern Stimmen auf, die uns tadeln, und leider Gottes iſt die Art, wie ein Prager gewiß gut nationales Blatt manche Fragen behandelt, ganz danach angethan, Jenen das Handwerk zu erleichtern, die uns voll- ſtändig iſoliren wollen. Haben wir denn um des Himmelswillen nicht ſchon Gegner und Feinde genug, und iſt ihre politiſche Poſition ſo feſt, daß wir kühn allen Eventualitäten durch die eigene Kraft die Spitze bieten könnten? Es gibt keine unglückſeligere Phraſe bei uns, als daß die Tſche- chen immer dann am ſtärkſten waren, wenn ſie die halbe Welt gegen ſich hatten. Auf Taus folgte Lipan, auf deu Fenſterſturz der Weiße Berg. Man wiege ſich nicht in optimiſtiſchen Träu- men, man erwarte nichts von dem im Völker- leben ſo trügeriſchen Geſetze der Wahlverwandt- ſchaft. Die Sache unſeres Volkes iſt heute ernſt- lich gefährdet, und täuſchen wir uns nicht, die Ausbeutung der Königinhofer Vorfälle verfehlt ihre Wirkung nicht, weder nach Unten noch nach Oben. Wenn die Verblendeten von Königinhof wüßten, welches maßloſe Unheil ſie angerichtet haben, ſie müßten ſich das Haar vom Kopfe reißen und blutige Thränen weinen.“ Aus all dieſen Jammerrufen ſpricht nur die Angſt des böſen Gewiſſens. (Die Vorgänge in Reichenberg.) In Reichenberg ſind in den letzten Tagen Anſamm- lungen von Lehrlingen und Handwerksburſchen vorgekommen, über welche die „Bohemia“ folgen- des berichtet: „Nach amtlichen Erhebungen wur- den in den letzten drei Tagen bei drei deut- ſchen und bei drei tſchechiſchen Inwohnern 52 Fenſterſcheiben eingeſchlagen. Einer der Thäteer, ein 17jährige Schloſſerlehrling wurde verhaftet, und dem Strafgerichte eingeliefert. Von einem Ueberfalle und einer Durchprügelung Reichen- berger Tſchechen iſt keine Rede“. Die Reichenberger Tſchechen benützten dieſe Vorkommniſſe um an den Abgeordneten Trojan folgendes Telegramm abzuſenden: „Seit drei Tagen bereits werden die Reichenberger Tſchechen ohne jegliche Urſache zu Hauſe und auf der Straße bedroht, überfallen und geprügelt. Geſtern wurden abermals in mehreren Orten den Tſche- chen mit bis zu zwei Kilogramm ſchweren Steinen die Fenſter eingeſchlagen. Die Polizei iſt ohn- mächtig und bitten wir um ſchleunigſte Abhilfe“. Wie verlogen dieſe Meldung iſt geht aus dem nachfolgenden Berichte der amtlichen Prager Zeitung hervor, welcher derſelben aus Reichenberg zugeſendes wurde und lautet: „Die Vorfälle in Königinhof haben hier insbeſondere in den niederen Schichten der Bevölkerung eine hochgradige Erregung hervorgerufen, welche zur Folge hatte, daß ſich vor der Beſeda Anſamm- lungen bildeten und in der vorgeſtrigen Nacht von unbekannten Thätern drei Fenſter der Beſeda eingeſchlagen wurden. Auch ſoll geſtern Nachts ein Setzer in der Karlsgaſſe von jungen Leuten überfallen und mißhandelt worden ſein. Die an beiden Tagen vor der Beſeda angeſammelte Menge beſtand faſt ausſchließlich aus Lehr- lingen und Handwerksburſchen. Die Wachorgane ſchritten energiſch ein, ſo daß es zu keinen weiteren Exceſſen kam. Die Strafhandlung wurde eingeleitet und wurden umfaſſende Sicher- heitsvorkehrungen getroffen. Aber bald wäre Sr. Majeſtät die Freude zu Waſſer geworden durch einen Zwiſchenfall, auf welchen weder der an unbedingten Gehorſam gewöhnte Monarch, noch auch ſein Intendant gefaßt ſein konnten. Frau Wolter hatte ihre Coſtüme nach München mitgebracht, allein der König wollte nicht zugeben, daß ſie vor ihm in einem Kleide erſcheine, welches bereits durch gewöhnliche Sterb- liche applaudirt worden, während er ſelbſt die für ſie beſtimmten Gewänder entworfen hatte. Aber die Künſtlerin blieb feſt gegenüber der königlichen Laune und erklärte, ſie ſei gewohnt, in ihren eigenen Coſtümen zu ſpielen und nicht geneigt, von dieſer Gewohnheit abzugehen. Ein alter Kammerherr, der bei der Geburt des Königs zugegen geweſen und einzig das Vorrecht genießt, direkt mit dem Souverän zu verkehren, über- nahm die Verhandlungen und führte ſie zu gutem Ende. Der König ließ der Künſtlerin ihren Willen, wahrte jedoch die Form, indem er ſich die Coſtüme ins Schloß bringen ließ, ſie dann genehmigte. Zugleich ordnete er die Vorſtellung für die Mit- ternachtsſtunde des nächſten Tages an. Frau Wolter gab mir eine bis in die ge- ringſten Details gehende Schilderung dieſer Thea- ternacht, wobei ſie eine große Ehrerbietung gegen ihren unſichtbaren Zuſchauer bekundete. Sie er- blickt in der Theatermanie des Königs nichts, als wahre Begeiſterung für ihre Kunſt. Es ſcheine, daß das Theater den König in eine Art von Ekſtaſe verſetzte — Leute ohne Ehrfurcht wür- den Hallucination ſagen — während welcher er ſich einbildet, wirklich in jener Epoche zu leben, welche vor ſeinen Augen dargeſtellt wird. Ueber die Vorſtellung ſelbſt erzählte mir die berühmte Künſtlerin, der ich nun das Wort überlaſſe, das Folgende: „Um halb 12 Uhr waren die Schauſpieler auf der Bühne verſammelt. Es herrſchte eine abſolute Stille. Durch den Vorhang konnte man wahrnehmen, daß nur die Lampen der Rampe brannten, im übrigen Theile des Saales herrſchte die tiefſte Finſterniß. Genau um Mitternacht er- hielt der Intendant durch ein electriſches Signal die Anzeige, daß der König ſoeben ſeinen Palaſt verlaſſe, um ſich in das Theater zu begeben. Er benützt hiezu eine ſpärlich beleuchtete Galerie, die von Hellebardieren bewacht iſt, damit kein pro- fanes Auge das Antlitz des Herrſchers erblicken könne. Ein zweites Signal zeigte an, daß der König in ſeiner Loge Platz genommen habe — ganz allein. Sofort erhebt ſich der Vorhang, denn wenn eine Verzögerung ſelbſt nur von einer Minute einträte, würde ſie zuverläſſig die Abſetzung des Intendanten nach ſich ziehen. Der König läßt keinen Grund dafür gelten, daß man Se. Majeſtät warten laſſe. Er iſt das ſtrahlende Geſtirn ſeines Zeitalters und würde gerne zu- geben, daß man ihn den Roi-Soleil nenne, wenn nicht Ludwig XIV. dieſen Titel vor ihm geführt hätte. — Als der Vorhang aufgezogen war, überfiel mich zwiſchen den Couliſſen, wo Niemand zu ſprechen wagte ein nervöſes Zittern. Wie ſollte ich vor dieſem leeren und finſteren Saale ſpielen? Endlich betrat ich die Scene. Ich, die ich ge- wohnt bin, vor gedrängt vollen Häuſern zu ſpielen, ſah mich nun dem Nichts gegenüber. Ich ſtrengte mich vergebens an, durch die Finſterniß hindurch ſelbſt nur die Umriſſe der Perſon mei- nes einzigen Zuſchauers wahrzunehmen. Nichts! Es fehlte mir der zwiſchen dem Publicum und den Künſtlern beſtehende electriſche Contact. Zum erſten Male befand ich mich in einer ſo aben- teuerlichen Lage und es bedurfte großen Muthes, um nicht den Kopf zu verlieren. Was mich auf- recht erhielt, war der Gedanke, daß mein unſicht- barer Zuſchauer großen Sinn für die Kunſt be- ſitzt und daß man bei dieſem König, abgeſehen von ſeinen Excentricitäten, eine wahre Leidenſchaft für meine Kunſt fände. Dieſer Gedanke war für mich ſchmeichelhaft und gab mir meine Ruhe wieder. Ich wußte, daß der König mich nicht aus dem Auge ließ, daß er in ſeiner Loge ſaß, in vollſtändiger Sammlung und Aufmerkſamkeit und ſo tief in Ekſtaſe verſunken, daß er ſelbſt den Athem zurückhielt, um nicht ſeine Anweſenheit zu verrathen und um ſich nicht ſelbſt zu ſtören. Dies Alles war mir neu und fremd. Es ſchien mir, als ſpiele ich meine Rolle im Traume und ich glaube, daß ich ſie nie in ſo fieberhafter Stim- mung ſpielte.“ „Was mich einigermaßen aus der Faſſung

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Zitationshilfe: Mährisches Tagblatt. Nr. 198, Olmütz, 31.08.1885, S. [2]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_maehrisches198_1885/2>, abgerufen am 18.12.2024.