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Mährisches Tagblatt. Nr. 17, Olmütz, 22.01.1894.

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[Spaltenumbruch]

halten werden. Die serbische Politik hat das
Tyrannenjoch der Pöbelherrschaft abzuschütteln.
Je früher sie sich an dieses Befreiungswerk macht,
umso sicherer wird es ihr gelingen. Mit jeder
Stunde, die sie in brütendem Zaudern verliert,
büßt sie eine Chance des Gelingens ein.

Bei Lichte besehen, ist ja die Lage des Kö-
nigs also eine ziemlich arge. Die radicale Partei
hat nahezu das gesammte serbische Bauernvolk
in ihrem Lager. Daraus folgt, daß König
Alexander nicht ohne die Radicalen regieren kann.
Serbien braucht heute ein Regime der starken
Hand, das den demagogischen Umsturz durch
strenge Willenskraft zu bändigen vermag. Dieses
Regime aber kann nur durch einträchtiges Zu-
sammenwirken aller vernünftigen, loyalen und
anständigen Elemente der Nation erzielt werden.
Die bisherigen Parteischranken müssen fallen und
die besonnenen, königstreuen Patrioten aller
Fractionen haben sich die Hände zu reichen zu
dem großen, schwierigen und unaufschiebbaren
Rettungswerke. In der radicalen Partei gibt es
ein an Zahl leider schwaches, an Tüchtigkeit des
Intellects und der Gesinnung jedoch ansehnliches
Element, das den gemäßigten Flügel der heutigen
Skupschtina-Mehrheit darstellt. Diese Männer
und die unter Führung Garaschanin's stehende
Fortschrittspartei hätten sich zu einem neuen
Parteigebilde zusammenzuthun, dem später, bis
die Erinnerungen an die Maitage des Vorjahres
verwunden sind, sich auch die Liberalen anzu-
schließen hätten. Finden sich die Besten aller
Parteien zusammen, um der Krone in ihrem
Streben nach einem gesitteten, eines europäischen
Volkes würdigen Regime beizustehen, so ist, wie
der etwas optimistisch urtheilende "Pester Lloyd"
meldet, die Gefahr der Anarchie abgewehrt.

Wir bezweifeln aber, daß die Ruhe in Ser-
bien so leicht einkehren werde. Der Vater des
Königs Alexander hat sich von Paris aufgemacht,
um seinem Sohne in dessen Nöthen beizustehen
und ist gestern bereits in Belgrad eingetroffen.
Als er selbst regierte hat König Milan keine be-
sondere Tüchtigkeit gezeigt. Wird er jetzt im
Stande sein dem Sohne zu helfen? Das ist die
Frage. Wie sehr die Krise sich zuspitzt, davon
geben nachstehende Depeschen Kunde:

Der Ministerrath
conferirte bis spät in die Nacht mit den ein-
flußreichen Persönlichkeiten aus der radicalen
Partei über die Lage Gegen Mitternacht erhielt
das Ministerium die Kunde von der bevor-
stehenden Ankunft des Vaters des Königs. Um
11 Uhr Vormittags überreichte Ministerpräsident
Gruics dem Könige die Demission des gesamm-
ten Cabinetes und motivirte diesen Schritt
mit der Ankunft des Vaters des Königs.
Der König verlangte nur eine andere Be-
gründung der Demission, was aber vom
Ministerpräsidenten verweigert wurde. Der König
versicherte dem General Gruics weiters, daß es
sich überhaupt nicht um die Betretung von
[Spaltenumbruch] verfassungswidrigen, unparlamentarischen Wegen
handle, sondern daß er im Gegentheile von dem
Beisein seines Vaters eine Klärung der Situation
erhoffe.

Um 11/2 Uhr Nach-
mittags langte der Sonderzug mit dem Vater
des Königs Alexander hier an. Der König eilte
seinem Vater freudig erregt entgegen. Beide um-
armten und küßten sich mehrmals. Aus dem ver-
sammelten Publicum, das aus circa 40 Personen
bestand, hörte man einzelne Rufe "Hoch König
Milan!" Der Vater des Königs wies diese Rufe
mit einer Geste des Unwillens zurück und erwi-
derte darauf mit dem wiederholten Rufe: "Hoch
König Alexander!" Der König begab sich hierauf
mit seinem Vater ins königliche Palais. In der
Stadt war alles ruhig.




Der Omladina-Proceß.


Der 15jährige Setzerlehrling Josef Novak
wiederruft alle in der Voruntersuchung gemachten
Angaben mit dem Hinweise darauf, daß er sie
nur in Verwirrung und Angst vorbrachte. Er
kenne gar keine "Omladina."

In ähnlicher Weise sagt auch der 18jährige
Goldarbeiter Emil Kasik aus. Er erklärt, daß
Mrva sich Alles ausgedacht. Vors.: Es ist doch
nicht recht, immer Todte zu verdächtigen. Der
Angeklagte verdächtigt auch einen Polizeicommissär.

Angeklagter Franz Modracek, 22 Jahre alt,
Holzschnitzer, gehört zu den Wiener Anarchisten,
die anläßlich der Anarchistenrazzia verhaftet wur-
den. Modracek hat auch in einer Wiener Ver-
sammlung eine aufrührische Rede gehalten, wes-
wegen er damals 14 Tage Arrest erhielt und
aus Wien abgeschafft wurde. Er vertheidigt sich
äußerst geschickt und bezeichnet sich als unabhän-
gigen Socialisten. Einige Mitangeklagte bezeich-
nen ihn als "rothen Socialisten," andere als
"krawallmachenden Anarchisten", während die Po-
lizei ihn als "stillen Agitator" betrachtet. Ange-
klagter behauptet, Mrva hätte die Absicht gehabt,
nach dem "Muster des unterirdischen Prag" einen
Verein "Rothe Hacke" zu gründen. Mrva habe
sich die ganze Organisation ausgedacht in phan-
tastischer Denkweise, in Ideen eingelebt, bis diese
zu fixen wurden. Modracek erklärt ferner, daß
ihn die Polizei mit einem gewissen Vondracek
verwechselt. Der Vorsitzende erklärt diese That-
sache als auf Wahrheit beruhend aus den Acten.

Es folgt das Verhör der Angeklagten Ja-
romir Hlad und Anton Ott. Letzterer behauptet,
er sei bei dem Polizeiverhöre dadurch veranlaßt
worden, belastend auszusagen, daß der amtirende
Polizeicommissär ihm unter Hinweis auf das
herrliche Wetter die Freiheit in verlockendem Lichte
gezeigt habe. Nunmehr folgte das Verhör der
Angeklagten Franz Nedved, eines 17jährigen
Handelsgehilfen, Jaroslav Zettl, eines 17jährigen
Typographen, Emanuel Baladrau, eines 19jäh-
[Spaltenumbruch] rigen Tischlergehilfen und des Wenzel Parma,
eines 18jährigen Kellners, dieser befand sich
unter den Individuen, die sich an den vor dem
Bahnhofe bei Abmarsch des 28. Inftr.-Regts.
nach Linz, dann vor dem Deutschen Casino und
beim Theater vorgekommenen Excessen betheiligten.
Er leugnet jede Mitschuld an diesen Vorfällen.
Die Verhandlung wird hierauf bis Montag ver-
tagt. Die Vertheidigung des Angeklagten Feifar
hat statt des Dr. Just der Vertheidiger Dr.
Kliment übernommen.




Politische Nachrichten.
(Ein Jungtscheche über die Coalition.)

Der Abg. Eim war schon früher ein berühmter
Mann; seit dem Bekanntwerden seines Briefes
mit den skeptischen Bemerkungen über das böh-
mische Staatsrecht ist er es noch mehr geworden.
Um so interessanter sind die Aeußerungen über
die Coalition und ihre voraussichtliche Dauer,
die er einem Correspondenten der "Moskowskija
Wjedomosti" gegenüber gemacht hat. Darnach habe
Abg. Eim gesagt: Meine Ansicht ist, daß die
allgemeine Annahme, das neue Ministerium werde
eine kurze Dauer haben, nicht richtig ist. Es sitzen
in dem neuen Ministerium vier alte Minister mit
reicher Erfahrung und Vorsicht. Was Plener be-
trifft, versicherte Herr Eim, daß sich derselbe
einer großen Mäßigung befleißige und dies auch
in Hinkunft zu thun gedenke. Seine Partei, die
durch eine fünfzehnjährige Opposition ermüdet ist
werde aus der Majorität nicht austreten. Des-
gleichen werden auch die Polen und die böhmi-
schen Großgrundbesitzer die Coalition nicht ver-
lassen. Was den Grafen Hohenwart und seinen
Anhang anlangt, so gehören sie der Coalition
ohnehin nur als "Mitglieder auf Kündigung"
an. Und der Interviewte fügte hinzu: Noch als
Haupt der Opposition hat Herr v. Plener seiner
Partei anempfohlen, das böhmische Volk nicht zu
reizen und ihm in kleinen Fragen gewisse Con-
cessionen zu machen, dafür aber in großen und
essentiellen Fragen nicht um ein Jota nachzugeben.
Dieses Programm hat jetzt das ganze Cabinet
acceptirt. Es will den Flammen der böhmischen
Opposition keine neue Nahrung zuführen, damit
dieselben schließlich von selbst ersticken. Das ist für
uns eine sehr gefährliche Tactik.

(Das Mandat des Professors Stein-
wender.)

Die Mandatsniederlegung des Führers
der Deutschen Nationalpartei hat im Villacher
Wahlbezirke eine lebhafte Bewegung hervorge-
rufen. Es scheint, als ob gerade diejenigen
Wählerkreise, die dem gewesenen Abgeordneten
und seiner früheren Haltung keinen Beifall spen-
deten, jetzt, da er der neuen politischen Lage
gegenüber sich nicht auf den Justamentnöt-Stand-
punct stellt, gern geneigt wären ihm das Mandat
der Oberkärntner Städte wieder zu übertragen.
Wie nun aus Villach telegraphirt wird, hat sich
Freitag dort ein neuer "Deutscher Volksverein"




[Spaltenumbruch]

einen Purzelbaum in der Luft und strauchelte
auf dem Parquetboden lustig nach Clown-Art.
"Ich bin der König "Witz", sagte er, "ich be-
herrsche die ganze Welt, seitdem mein alter
Freund Hnmor gestorben ist. Er liegt wirklich
am Friedhof begraben, er ist nicht scheintodt:
wahrscheinlich hat ihn ein -- Doctor behandelt!"
Er lachte über diesen herabgekommenen Scherz.
... Der Poet empfing die Deputation sehr
devot, machte den Damen Complimente und ver-
sicherte den Scandal und den Kalauer seines
größten Wohlwollens. Stolz zog die gemischte
Gesellschaft ab. Nach einigen Minuten kam der
Kalauer zurück, machte Bim-Bim mit seiner
Schellenkappe und erklärte, etwas vergessen zu
haben. "Was?" frug der Poet .. "Ich vergaß
-- einen Abschiedswitz zu machen," bemerkte er
mit seiner lustigen Stimme und entflatterte im
Vollbewußtsein seiner bedeutenden Persönlichkeit.

Kaum hatte sich noch der Dichter von dem
Schrecken erholt, gewahrte er schon eine neue
Gestalt in der Thür. "Du kennst mich nicht,
hast mich nie gesehen?" hörte er eine milde
Stimme sprechen." "Nein", erwiederte er in
categorischem Negativ. "Ich weiß es, denn ich
bin die -- "Muse", sagte sie streng. "Ah, freut
mich sehr, Gnädige, das Vergnügen ist ganz
meinerseits", fügte er conventionell hinzu. "Neh-
men Sie Platz bei mir, eine duftende Havannah
gefällig, ein Gläschen Cognac, ältester Jahrgang!"
[Spaltenumbruch] Die Muse lächelte bitter. "Ich kann nicht rauchen,
stehe nicht auf der Höhe der Zeit, denn ich bin
schon sehr alt," sagte sie bedächtig. "Cognac?
das kenne ich gar nicht, ich trinke nur vom ka-
stalischen Quell mit meinen Kindern .. Und
nun bemeistere Deine Oberflächlichkeit und sage
mir ernsthaft, warum hältst Du nicht zu mir?
Du besitzest Talent, das sehe ich, doch Du miß-
brauchst Deine Gaben. Ich will Dir Ruhm
schenken, so viel Du willst, Begeisterungsfähigkeit
für das Schöne und Edle, Schaffensfreude und
andere unbezahlbare Güter ..."

"Ach, Du lockst mich nicht mit Deinem ed-
len Offert," sagte er in höhnischem Tone, "ich
will kein Classiker werden, den man mit dem
Nachruhm bezahlt. Ha, ein schönes Honorar!
Ich will fröhlich leben, essen, trinken, lachen,
küssen. Austern und Champagner sind mir lieber
als Ambrosia und Nectar. Ruhm! Nichts, als
ein schönes Wort; von den späteren Lobliedern
ist noch Niemand satt geworden und auf den
zukünftigen Marmor leiht kein irdisches Versatz-
amt einen Heller. Lass' mich mit solchen leeren
Versprechungen in Ruh', meine volle Wertheim-
Cassa lacht Dich sonst aus. Wozu brauch' ich
mein Talent, die Natur hätte sich nicht zu be-
mühen gebraucht! Meine Begabung besteht in
der Mittelmäßigkeit des Publicums, mein Ruhm
in der Reclame. Genug der Auseinandersetzungen,
ich reg' mich nicht gerne auf ..."


[Spaltenumbruch]

"Du bist unverbesserlich," klang die weiche
Stimme der Muse. Sie sah sich im Gemache
um. Ein Blick genügte ihr, um sich darüber klar
zu werden, daß hier die Poesie nicht wohnen könne.
Von den Wänden grüßten sie die Büsten fran-
zösischer Modeliteraten. Ohne ein Wort zu sagen,
verließ die Muse das luxuriöse Heim ...

Da trat die Vernunft ein. Mit Schmei-
chelworten redete sie ihm zu, sich ihrer anzuneh-
men, da sie Alles verlassen habe. "Da müßt' ich
wirklich verrückt sein, wenn ich vernünftig wer-
den wollte!" rief er heftig aus. "Mein nächstes
Stück spielt im Irrenhaus, übrigens Du gehörst
auch hin, wenn Du mir solche Anträge stellst.
Pack' Dich und bettle nicht herum, das paßt sich
für Dich nicht, das sollte Dir schon die klare Ver-
nunft sagen ..." Beleidigt wich die Vernunft
zurück. Als es wieder an der Thür klopfte, das
Gemüth wollte ihm die Ehre seines Besuches
schenken, schrie er mit angestrengter Stimme:
"Jean, warum melden Sie mir nicht ..." und
in diesem Augenblicke erwachte er aus seinem
Schlummer.

"Warum mich der Traumgott mit solch' häß-
lichen Bildern narrt?" murmelte er verdrießlich.
Im nächsten Momente überreichte ihm Jean auf
der Silbertasse einen Brief. Er öffnete die Siegel.
Das Stadt-Theater kündigte ihm an, daß sein
neuestes Lustspiel -- preisgekrönt wurde.




[Spaltenumbruch]

halten werden. Die ſerbiſche Politik hat das
Tyrannenjoch der Pöbelherrſchaft abzuſchütteln.
Je früher ſie ſich an dieſes Befreiungswerk macht,
umſo ſicherer wird es ihr gelingen. Mit jeder
Stunde, die ſie in brütendem Zaudern verliert,
büßt ſie eine Chance des Gelingens ein.

Bei Lichte beſehen, iſt ja die Lage des Kö-
nigs alſo eine ziemlich arge. Die radicale Partei
hat nahezu das geſammte ſerbiſche Bauernvolk
in ihrem Lager. Daraus folgt, daß König
Alexander nicht ohne die Radicalen regieren kann.
Serbien braucht heute ein Regime der ſtarken
Hand, das den demagogiſchen Umſturz durch
ſtrenge Willenskraft zu bändigen vermag. Dieſes
Regime aber kann nur durch einträchtiges Zu-
ſammenwirken aller vernünftigen, loyalen und
anſtändigen Elemente der Nation erzielt werden.
Die bisherigen Parteiſchranken müſſen fallen und
die beſonnenen, königstreuen Patrioten aller
Fractionen haben ſich die Hände zu reichen zu
dem großen, ſchwierigen und unaufſchiebbaren
Rettungswerke. In der radicalen Partei gibt es
ein an Zahl leider ſchwaches, an Tüchtigkeit des
Intellects und der Geſinnung jedoch anſehnliches
Element, das den gemäßigten Flügel der heutigen
Skupſchtina-Mehrheit darſtellt. Dieſe Männer
und die unter Führung Garaſchanin’s ſtehende
Fortſchrittspartei hätten ſich zu einem neuen
Parteigebilde zuſammenzuthun, dem ſpäter, bis
die Erinnerungen an die Maitage des Vorjahres
verwunden ſind, ſich auch die Liberalen anzu-
ſchließen hätten. Finden ſich die Beſten aller
Parteien zuſammen, um der Krone in ihrem
Streben nach einem geſitteten, eines europäiſchen
Volkes würdigen Regime beizuſtehen, ſo iſt, wie
der etwas optimiſtiſch urtheilende „Peſter Lloyd“
meldet, die Gefahr der Anarchie abgewehrt.

Wir bezweifeln aber, daß die Ruhe in Ser-
bien ſo leicht einkehren werde. Der Vater des
Königs Alexander hat ſich von Paris aufgemacht,
um ſeinem Sohne in deſſen Nöthen beizuſtehen
und iſt geſtern bereits in Belgrad eingetroffen.
Als er ſelbſt regierte hat König Milan keine be-
ſondere Tüchtigkeit gezeigt. Wird er jetzt im
Stande ſein dem Sohne zu helfen? Das iſt die
Frage. Wie ſehr die Kriſe ſich zuſpitzt, davon
geben nachſtehende Depeſchen Kunde:

Der Miniſterrath
conferirte bis ſpät in die Nacht mit den ein-
flußreichen Perſönlichkeiten aus der radicalen
Partei über die Lage Gegen Mitternacht erhielt
das Miniſterium die Kunde von der bevor-
ſtehenden Ankunft des Vaters des Königs. Um
11 Uhr Vormittags überreichte Miniſterpräſident
Gruics dem Könige die Demiſſion des geſamm-
ten Cabinetes und motivirte dieſen Schritt
mit der Ankunft des Vaters des Königs.
Der König verlangte nur eine andere Be-
gründung der Demiſſion, was aber vom
Miniſterpräſidenten verweigert wurde. Der König
verſicherte dem General Gruics weiters, daß es
ſich überhaupt nicht um die Betretung von
[Spaltenumbruch] verfaſſungswidrigen, unparlamentariſchen Wegen
handle, ſondern daß er im Gegentheile von dem
Beiſein ſeines Vaters eine Klärung der Situation
erhoffe.

Um 1½ Uhr Nach-
mittags langte der Sonderzug mit dem Vater
des Königs Alexander hier an. Der König eilte
ſeinem Vater freudig erregt entgegen. Beide um-
armten und küßten ſich mehrmals. Aus dem ver-
ſammelten Publicum, das aus circa 40 Perſonen
beſtand, hörte man einzelne Rufe „Hoch König
Milan!“ Der Vater des Königs wies dieſe Rufe
mit einer Geſte des Unwillens zurück und erwi-
derte darauf mit dem wiederholten Rufe: „Hoch
König Alexander!“ Der König begab ſich hierauf
mit ſeinem Vater ins königliche Palais. In der
Stadt war alles ruhig.




Der Omladina-Proceß.


Der 15jährige Setzerlehrling Joſef Novak
wiederruft alle in der Vorunterſuchung gemachten
Angaben mit dem Hinweiſe darauf, daß er ſie
nur in Verwirrung und Angſt vorbrachte. Er
kenne gar keine „Omladina.“

In ähnlicher Weiſe ſagt auch der 18jährige
Goldarbeiter Emil Kaſik aus. Er erklärt, daß
Mrva ſich Alles ausgedacht. Vorſ.: Es iſt doch
nicht recht, immer Todte zu verdächtigen. Der
Angeklagte verdächtigt auch einen Polizeicommiſſär.

Angeklagter Franz Modraček, 22 Jahre alt,
Holzſchnitzer, gehört zu den Wiener Anarchiſten,
die anläßlich der Anarchiſtenrazzia verhaftet wur-
den. Modraček hat auch in einer Wiener Ver-
ſammlung eine aufrühriſche Rede gehalten, wes-
wegen er damals 14 Tage Arreſt erhielt und
aus Wien abgeſchafft wurde. Er vertheidigt ſich
äußerſt geſchickt und bezeichnet ſich als unabhän-
gigen Socialiſten. Einige Mitangeklagte bezeich-
nen ihn als „rothen Socialiſten,“ andere als
„krawallmachenden Anarchiſten“, während die Po-
lizei ihn als „ſtillen Agitator“ betrachtet. Ange-
klagter behauptet, Mrva hätte die Abſicht gehabt,
nach dem „Muſter des unterirdiſchen Prag“ einen
Verein „Rothe Hacke“ zu gründen. Mrva habe
ſich die ganze Organiſation ausgedacht in phan-
taſtiſcher Denkweiſe, in Ideen eingelebt, bis dieſe
zu fixen wurden. Modraček erklärt ferner, daß
ihn die Polizei mit einem gewiſſen Vondraček
verwechſelt. Der Vorſitzende erklärt dieſe That-
ſache als auf Wahrheit beruhend aus den Acten.

Es folgt das Verhör der Angeklagten Ja-
romir Hlad und Anton Ott. Letzterer behauptet,
er ſei bei dem Polizeiverhöre dadurch veranlaßt
worden, belaſtend auszuſagen, daß der amtirende
Polizeicommiſſär ihm unter Hinweis auf das
herrliche Wetter die Freiheit in verlockendem Lichte
gezeigt habe. Nunmehr folgte das Verhör der
Angeklagten Franz Nedved, eines 17jährigen
Handelsgehilfen, Jaroslav Zettl, eines 17jährigen
Typographen, Emanuel Baladrau, eines 19jäh-
[Spaltenumbruch] rigen Tiſchlergehilfen und des Wenzel Parma,
eines 18jährigen Kellners, dieſer befand ſich
unter den Individuen, die ſich an den vor dem
Bahnhofe bei Abmarſch des 28. Inftr.-Regts.
nach Linz, dann vor dem Deutſchen Caſino und
beim Theater vorgekommenen Exceſſen betheiligten.
Er leugnet jede Mitſchuld an dieſen Vorfällen.
Die Verhandlung wird hierauf bis Montag ver-
tagt. Die Vertheidigung des Angeklagten Feifar
hat ſtatt des Dr. Juſt der Vertheidiger Dr.
Kliment übernommen.




Politiſche Nachrichten.
(Ein Jungtſcheche über die Coalition.)

Der Abg. Eim war ſchon früher ein berühmter
Mann; ſeit dem Bekanntwerden ſeines Briefes
mit den ſkeptiſchen Bemerkungen über das böh-
miſche Staatsrecht iſt er es noch mehr geworden.
Um ſo intereſſanter ſind die Aeußerungen über
die Coalition und ihre vorausſichtliche Dauer,
die er einem Correſpondenten der „Moskowskija
Wjedomoſti“ gegenüber gemacht hat. Darnach habe
Abg. Eim geſagt: Meine Anſicht iſt, daß die
allgemeine Annahme, das neue Miniſterium werde
eine kurze Dauer haben, nicht richtig iſt. Es ſitzen
in dem neuen Miniſterium vier alte Miniſter mit
reicher Erfahrung und Vorſicht. Was Plener be-
trifft, verſicherte Herr Eim, daß ſich derſelbe
einer großen Mäßigung befleißige und dies auch
in Hinkunft zu thun gedenke. Seine Partei, die
durch eine fünfzehnjährige Oppoſition ermüdet iſt
werde aus der Majorität nicht austreten. Des-
gleichen werden auch die Polen und die böhmi-
ſchen Großgrundbeſitzer die Coalition nicht ver-
laſſen. Was den Grafen Hohenwart und ſeinen
Anhang anlangt, ſo gehören ſie der Coalition
ohnehin nur als „Mitglieder auf Kündigung“
an. Und der Interviewte fügte hinzu: Noch als
Haupt der Oppoſition hat Herr v. Plener ſeiner
Partei anempfohlen, das böhmiſche Volk nicht zu
reizen und ihm in kleinen Fragen gewiſſe Con-
ceſſionen zu machen, dafür aber in großen und
eſſentiellen Fragen nicht um ein Jota nachzugeben.
Dieſes Programm hat jetzt das ganze Cabinet
acceptirt. Es will den Flammen der böhmiſchen
Oppoſition keine neue Nahrung zuführen, damit
dieſelben ſchließlich von ſelbſt erſticken. Das iſt für
uns eine ſehr gefährliche Tactik.

(Das Mandat des Profeſſors Stein-
wender.)

Die Mandatsniederlegung des Führers
der Deutſchen Nationalpartei hat im Villacher
Wahlbezirke eine lebhafte Bewegung hervorge-
rufen. Es ſcheint, als ob gerade diejenigen
Wählerkreiſe, die dem geweſenen Abgeordneten
und ſeiner früheren Haltung keinen Beifall ſpen-
deten, jetzt, da er der neuen politiſchen Lage
gegenüber ſich nicht auf den Juſtamentnöt-Stand-
punct ſtellt, gern geneigt wären ihm das Mandat
der Oberkärntner Städte wieder zu übertragen.
Wie nun aus Villach telegraphirt wird, hat ſich
Freitag dort ein neuer „Deutſcher Volksverein“




[Spaltenumbruch]

einen Purzelbaum in der Luft und ſtrauchelte
auf dem Parquetboden luſtig nach Clown-Art.
„Ich bin der König „Witz“, ſagte er, „ich be-
herrſche die ganze Welt, ſeitdem mein alter
Freund Hnmor geſtorben iſt. Er liegt wirklich
am Friedhof begraben, er iſt nicht ſcheintodt:
wahrſcheinlich hat ihn ein — Doctor behandelt!“
Er lachte über dieſen herabgekommenen Scherz.
... Der Poet empfing die Deputation ſehr
devot, machte den Damen Complimente und ver-
ſicherte den Scandal und den Kalauer ſeines
größten Wohlwollens. Stolz zog die gemiſchte
Geſellſchaft ab. Nach einigen Minuten kam der
Kalauer zurück, machte Bim-Bim mit ſeiner
Schellenkappe und erklärte, etwas vergeſſen zu
haben. „Was?“ frug der Poet .. „Ich vergaß
— einen Abſchiedswitz zu machen,“ bemerkte er
mit ſeiner luſtigen Stimme und entflatterte im
Vollbewußtſein ſeiner bedeutenden Perſönlichkeit.

Kaum hatte ſich noch der Dichter von dem
Schrecken erholt, gewahrte er ſchon eine neue
Geſtalt in der Thür. „Du kennſt mich nicht,
haſt mich nie geſehen?“ hörte er eine milde
Stimme ſprechen.“ „Nein“, erwiederte er in
categoriſchem Negativ. „Ich weiß es, denn ich
bin die — „Muſe“, ſagte ſie ſtreng. „Ah, freut
mich ſehr, Gnädige, das Vergnügen iſt ganz
meinerſeits“, fügte er conventionell hinzu. „Neh-
men Sie Platz bei mir, eine duftende Havannah
gefällig, ein Gläschen Cognac, älteſter Jahrgang!“
[Spaltenumbruch] Die Muſe lächelte bitter. „Ich kann nicht rauchen,
ſtehe nicht auf der Höhe der Zeit, denn ich bin
ſchon ſehr alt,“ ſagte ſie bedächtig. „Cognac?
das kenne ich gar nicht, ich trinke nur vom ka-
ſtaliſchen Quell mit meinen Kindern .. Und
nun bemeiſtere Deine Oberflächlichkeit und ſage
mir ernſthaft, warum hältſt Du nicht zu mir?
Du beſitzeſt Talent, das ſehe ich, doch Du miß-
brauchſt Deine Gaben. Ich will Dir Ruhm
ſchenken, ſo viel Du willſt, Begeiſterungsfähigkeit
für das Schöne und Edle, Schaffensfreude und
andere unbezahlbare Güter ...“

„Ach, Du lockſt mich nicht mit Deinem ed-
len Offert,“ ſagte er in höhniſchem Tone, „ich
will kein Claſſiker werden, den man mit dem
Nachruhm bezahlt. Ha, ein ſchönes Honorar!
Ich will fröhlich leben, eſſen, trinken, lachen,
küſſen. Auſtern und Champagner ſind mir lieber
als Ambroſia und Nectar. Ruhm! Nichts, als
ein ſchönes Wort; von den ſpäteren Lobliedern
iſt noch Niemand ſatt geworden und auf den
zukünftigen Marmor leiht kein irdiſches Verſatz-
amt einen Heller. Laſſ’ mich mit ſolchen leeren
Verſprechungen in Ruh’, meine volle Wertheim-
Caſſa lacht Dich ſonſt aus. Wozu brauch’ ich
mein Talent, die Natur hätte ſich nicht zu be-
mühen gebraucht! Meine Begabung beſteht in
der Mittelmäßigkeit des Publicums, mein Ruhm
in der Reclame. Genug der Auseinanderſetzungen,
ich reg’ mich nicht gerne auf ...“


[Spaltenumbruch]

„Du biſt unverbeſſerlich,“ klang die weiche
Stimme der Muſe. Sie ſah ſich im Gemache
um. Ein Blick genügte ihr, um ſich darüber klar
zu werden, daß hier die Poeſie nicht wohnen könne.
Von den Wänden grüßten ſie die Büſten fran-
zöſiſcher Modeliteraten. Ohne ein Wort zu ſagen,
verließ die Muſe das luxuriöſe Heim ...

Da trat die Vernunft ein. Mit Schmei-
chelworten redete ſie ihm zu, ſich ihrer anzuneh-
men, da ſie Alles verlaſſen habe. „Da müßt’ ich
wirklich verrückt ſein, wenn ich vernünftig wer-
den wollte!“ rief er heftig aus. „Mein nächſtes
Stück ſpielt im Irrenhaus, übrigens Du gehörſt
auch hin, wenn Du mir ſolche Anträge ſtellſt.
Pack’ Dich und bettle nicht herum, das paßt ſich
für Dich nicht, das ſollte Dir ſchon die klare Ver-
nunft ſagen ...“ Beleidigt wich die Vernunft
zurück. Als es wieder an der Thür klopfte, das
Gemüth wollte ihm die Ehre ſeines Beſuches
ſchenken, ſchrie er mit angeſtrengter Stimme:
„Jean, warum melden Sie mir nicht ...“ und
in dieſem Augenblicke erwachte er aus ſeinem
Schlummer.

„Warum mich der Traumgott mit ſolch’ häß-
lichen Bildern narrt?“ murmelte er verdrießlich.
Im nächſten Momente überreichte ihm Jean auf
der Silbertaſſe einen Brief. Er öffnete die Siegel.
Das Stadt-Theater kündigte ihm an, daß ſein
neueſtes Luſtſpiel — preisgekrönt wurde.




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</TEI>
[[2]/0002] halten werden. Die ſerbiſche Politik hat das Tyrannenjoch der Pöbelherrſchaft abzuſchütteln. Je früher ſie ſich an dieſes Befreiungswerk macht, umſo ſicherer wird es ihr gelingen. Mit jeder Stunde, die ſie in brütendem Zaudern verliert, büßt ſie eine Chance des Gelingens ein. Bei Lichte beſehen, iſt ja die Lage des Kö- nigs alſo eine ziemlich arge. Die radicale Partei hat nahezu das geſammte ſerbiſche Bauernvolk in ihrem Lager. Daraus folgt, daß König Alexander nicht ohne die Radicalen regieren kann. Serbien braucht heute ein Regime der ſtarken Hand, das den demagogiſchen Umſturz durch ſtrenge Willenskraft zu bändigen vermag. Dieſes Regime aber kann nur durch einträchtiges Zu- ſammenwirken aller vernünftigen, loyalen und anſtändigen Elemente der Nation erzielt werden. Die bisherigen Parteiſchranken müſſen fallen und die beſonnenen, königstreuen Patrioten aller Fractionen haben ſich die Hände zu reichen zu dem großen, ſchwierigen und unaufſchiebbaren Rettungswerke. In der radicalen Partei gibt es ein an Zahl leider ſchwaches, an Tüchtigkeit des Intellects und der Geſinnung jedoch anſehnliches Element, das den gemäßigten Flügel der heutigen Skupſchtina-Mehrheit darſtellt. Dieſe Männer und die unter Führung Garaſchanin’s ſtehende Fortſchrittspartei hätten ſich zu einem neuen Parteigebilde zuſammenzuthun, dem ſpäter, bis die Erinnerungen an die Maitage des Vorjahres verwunden ſind, ſich auch die Liberalen anzu- ſchließen hätten. Finden ſich die Beſten aller Parteien zuſammen, um der Krone in ihrem Streben nach einem geſitteten, eines europäiſchen Volkes würdigen Regime beizuſtehen, ſo iſt, wie der etwas optimiſtiſch urtheilende „Peſter Lloyd“ meldet, die Gefahr der Anarchie abgewehrt. Wir bezweifeln aber, daß die Ruhe in Ser- bien ſo leicht einkehren werde. Der Vater des Königs Alexander hat ſich von Paris aufgemacht, um ſeinem Sohne in deſſen Nöthen beizuſtehen und iſt geſtern bereits in Belgrad eingetroffen. Als er ſelbſt regierte hat König Milan keine be- ſondere Tüchtigkeit gezeigt. Wird er jetzt im Stande ſein dem Sohne zu helfen? Das iſt die Frage. Wie ſehr die Kriſe ſich zuſpitzt, davon geben nachſtehende Depeſchen Kunde: Belgrad, 21. Jänner. Der Miniſterrath conferirte bis ſpät in die Nacht mit den ein- flußreichen Perſönlichkeiten aus der radicalen Partei über die Lage Gegen Mitternacht erhielt das Miniſterium die Kunde von der bevor- ſtehenden Ankunft des Vaters des Königs. Um 11 Uhr Vormittags überreichte Miniſterpräſident Gruics dem Könige die Demiſſion des geſamm- ten Cabinetes und motivirte dieſen Schritt mit der Ankunft des Vaters des Königs. Der König verlangte nur eine andere Be- gründung der Demiſſion, was aber vom Miniſterpräſidenten verweigert wurde. Der König verſicherte dem General Gruics weiters, daß es ſich überhaupt nicht um die Betretung von verfaſſungswidrigen, unparlamentariſchen Wegen handle, ſondern daß er im Gegentheile von dem Beiſein ſeines Vaters eine Klärung der Situation erhoffe. Belgrad, 21. Jänner. Um 1½ Uhr Nach- mittags langte der Sonderzug mit dem Vater des Königs Alexander hier an. Der König eilte ſeinem Vater freudig erregt entgegen. Beide um- armten und küßten ſich mehrmals. Aus dem ver- ſammelten Publicum, das aus circa 40 Perſonen beſtand, hörte man einzelne Rufe „Hoch König Milan!“ Der Vater des Königs wies dieſe Rufe mit einer Geſte des Unwillens zurück und erwi- derte darauf mit dem wiederholten Rufe: „Hoch König Alexander!“ Der König begab ſich hierauf mit ſeinem Vater ins königliche Palais. In der Stadt war alles ruhig. Der Omladina-Proceß. Prag. 20. Jänner. Der 15jährige Setzerlehrling Joſef Novak wiederruft alle in der Vorunterſuchung gemachten Angaben mit dem Hinweiſe darauf, daß er ſie nur in Verwirrung und Angſt vorbrachte. Er kenne gar keine „Omladina.“ In ähnlicher Weiſe ſagt auch der 18jährige Goldarbeiter Emil Kaſik aus. Er erklärt, daß Mrva ſich Alles ausgedacht. Vorſ.: Es iſt doch nicht recht, immer Todte zu verdächtigen. Der Angeklagte verdächtigt auch einen Polizeicommiſſär. Angeklagter Franz Modraček, 22 Jahre alt, Holzſchnitzer, gehört zu den Wiener Anarchiſten, die anläßlich der Anarchiſtenrazzia verhaftet wur- den. Modraček hat auch in einer Wiener Ver- ſammlung eine aufrühriſche Rede gehalten, wes- wegen er damals 14 Tage Arreſt erhielt und aus Wien abgeſchafft wurde. Er vertheidigt ſich äußerſt geſchickt und bezeichnet ſich als unabhän- gigen Socialiſten. Einige Mitangeklagte bezeich- nen ihn als „rothen Socialiſten,“ andere als „krawallmachenden Anarchiſten“, während die Po- lizei ihn als „ſtillen Agitator“ betrachtet. Ange- klagter behauptet, Mrva hätte die Abſicht gehabt, nach dem „Muſter des unterirdiſchen Prag“ einen Verein „Rothe Hacke“ zu gründen. Mrva habe ſich die ganze Organiſation ausgedacht in phan- taſtiſcher Denkweiſe, in Ideen eingelebt, bis dieſe zu fixen wurden. Modraček erklärt ferner, daß ihn die Polizei mit einem gewiſſen Vondraček verwechſelt. Der Vorſitzende erklärt dieſe That- ſache als auf Wahrheit beruhend aus den Acten. Es folgt das Verhör der Angeklagten Ja- romir Hlad und Anton Ott. Letzterer behauptet, er ſei bei dem Polizeiverhöre dadurch veranlaßt worden, belaſtend auszuſagen, daß der amtirende Polizeicommiſſär ihm unter Hinweis auf das herrliche Wetter die Freiheit in verlockendem Lichte gezeigt habe. Nunmehr folgte das Verhör der Angeklagten Franz Nedved, eines 17jährigen Handelsgehilfen, Jaroslav Zettl, eines 17jährigen Typographen, Emanuel Baladrau, eines 19jäh- rigen Tiſchlergehilfen und des Wenzel Parma, eines 18jährigen Kellners, dieſer befand ſich unter den Individuen, die ſich an den vor dem Bahnhofe bei Abmarſch des 28. Inftr.-Regts. nach Linz, dann vor dem Deutſchen Caſino und beim Theater vorgekommenen Exceſſen betheiligten. Er leugnet jede Mitſchuld an dieſen Vorfällen. Die Verhandlung wird hierauf bis Montag ver- tagt. Die Vertheidigung des Angeklagten Feifar hat ſtatt des Dr. Juſt der Vertheidiger Dr. Kliment übernommen. Politiſche Nachrichten. (Ein Jungtſcheche über die Coalition.) Der Abg. Eim war ſchon früher ein berühmter Mann; ſeit dem Bekanntwerden ſeines Briefes mit den ſkeptiſchen Bemerkungen über das böh- miſche Staatsrecht iſt er es noch mehr geworden. Um ſo intereſſanter ſind die Aeußerungen über die Coalition und ihre vorausſichtliche Dauer, die er einem Correſpondenten der „Moskowskija Wjedomoſti“ gegenüber gemacht hat. Darnach habe Abg. Eim geſagt: Meine Anſicht iſt, daß die allgemeine Annahme, das neue Miniſterium werde eine kurze Dauer haben, nicht richtig iſt. Es ſitzen in dem neuen Miniſterium vier alte Miniſter mit reicher Erfahrung und Vorſicht. Was Plener be- trifft, verſicherte Herr Eim, daß ſich derſelbe einer großen Mäßigung befleißige und dies auch in Hinkunft zu thun gedenke. Seine Partei, die durch eine fünfzehnjährige Oppoſition ermüdet iſt werde aus der Majorität nicht austreten. Des- gleichen werden auch die Polen und die böhmi- ſchen Großgrundbeſitzer die Coalition nicht ver- laſſen. Was den Grafen Hohenwart und ſeinen Anhang anlangt, ſo gehören ſie der Coalition ohnehin nur als „Mitglieder auf Kündigung“ an. Und der Interviewte fügte hinzu: Noch als Haupt der Oppoſition hat Herr v. Plener ſeiner Partei anempfohlen, das böhmiſche Volk nicht zu reizen und ihm in kleinen Fragen gewiſſe Con- ceſſionen zu machen, dafür aber in großen und eſſentiellen Fragen nicht um ein Jota nachzugeben. Dieſes Programm hat jetzt das ganze Cabinet acceptirt. Es will den Flammen der böhmiſchen Oppoſition keine neue Nahrung zuführen, damit dieſelben ſchließlich von ſelbſt erſticken. Das iſt für uns eine ſehr gefährliche Tactik. (Das Mandat des Profeſſors Stein- wender.) Die Mandatsniederlegung des Führers der Deutſchen Nationalpartei hat im Villacher Wahlbezirke eine lebhafte Bewegung hervorge- rufen. Es ſcheint, als ob gerade diejenigen Wählerkreiſe, die dem geweſenen Abgeordneten und ſeiner früheren Haltung keinen Beifall ſpen- deten, jetzt, da er der neuen politiſchen Lage gegenüber ſich nicht auf den Juſtamentnöt-Stand- punct ſtellt, gern geneigt wären ihm das Mandat der Oberkärntner Städte wieder zu übertragen. Wie nun aus Villach telegraphirt wird, hat ſich Freitag dort ein neuer „Deutſcher Volksverein“ einen Purzelbaum in der Luft und ſtrauchelte auf dem Parquetboden luſtig nach Clown-Art. „Ich bin der König „Witz“, ſagte er, „ich be- herrſche die ganze Welt, ſeitdem mein alter Freund Hnmor geſtorben iſt. Er liegt wirklich am Friedhof begraben, er iſt nicht ſcheintodt: wahrſcheinlich hat ihn ein — Doctor behandelt!“ Er lachte über dieſen herabgekommenen Scherz. ... Der Poet empfing die Deputation ſehr devot, machte den Damen Complimente und ver- ſicherte den Scandal und den Kalauer ſeines größten Wohlwollens. Stolz zog die gemiſchte Geſellſchaft ab. Nach einigen Minuten kam der Kalauer zurück, machte Bim-Bim mit ſeiner Schellenkappe und erklärte, etwas vergeſſen zu haben. „Was?“ frug der Poet .. „Ich vergaß — einen Abſchiedswitz zu machen,“ bemerkte er mit ſeiner luſtigen Stimme und entflatterte im Vollbewußtſein ſeiner bedeutenden Perſönlichkeit. Kaum hatte ſich noch der Dichter von dem Schrecken erholt, gewahrte er ſchon eine neue Geſtalt in der Thür. „Du kennſt mich nicht, haſt mich nie geſehen?“ hörte er eine milde Stimme ſprechen.“ „Nein“, erwiederte er in categoriſchem Negativ. „Ich weiß es, denn ich bin die — „Muſe“, ſagte ſie ſtreng. „Ah, freut mich ſehr, Gnädige, das Vergnügen iſt ganz meinerſeits“, fügte er conventionell hinzu. „Neh- men Sie Platz bei mir, eine duftende Havannah gefällig, ein Gläschen Cognac, älteſter Jahrgang!“ Die Muſe lächelte bitter. „Ich kann nicht rauchen, ſtehe nicht auf der Höhe der Zeit, denn ich bin ſchon ſehr alt,“ ſagte ſie bedächtig. „Cognac? das kenne ich gar nicht, ich trinke nur vom ka- ſtaliſchen Quell mit meinen Kindern .. Und nun bemeiſtere Deine Oberflächlichkeit und ſage mir ernſthaft, warum hältſt Du nicht zu mir? Du beſitzeſt Talent, das ſehe ich, doch Du miß- brauchſt Deine Gaben. Ich will Dir Ruhm ſchenken, ſo viel Du willſt, Begeiſterungsfähigkeit für das Schöne und Edle, Schaffensfreude und andere unbezahlbare Güter ...“ „Ach, Du lockſt mich nicht mit Deinem ed- len Offert,“ ſagte er in höhniſchem Tone, „ich will kein Claſſiker werden, den man mit dem Nachruhm bezahlt. Ha, ein ſchönes Honorar! Ich will fröhlich leben, eſſen, trinken, lachen, küſſen. Auſtern und Champagner ſind mir lieber als Ambroſia und Nectar. Ruhm! Nichts, als ein ſchönes Wort; von den ſpäteren Lobliedern iſt noch Niemand ſatt geworden und auf den zukünftigen Marmor leiht kein irdiſches Verſatz- amt einen Heller. Laſſ’ mich mit ſolchen leeren Verſprechungen in Ruh’, meine volle Wertheim- Caſſa lacht Dich ſonſt aus. Wozu brauch’ ich mein Talent, die Natur hätte ſich nicht zu be- mühen gebraucht! Meine Begabung beſteht in der Mittelmäßigkeit des Publicums, mein Ruhm in der Reclame. Genug der Auseinanderſetzungen, ich reg’ mich nicht gerne auf ...“ „Du biſt unverbeſſerlich,“ klang die weiche Stimme der Muſe. Sie ſah ſich im Gemache um. Ein Blick genügte ihr, um ſich darüber klar zu werden, daß hier die Poeſie nicht wohnen könne. Von den Wänden grüßten ſie die Büſten fran- zöſiſcher Modeliteraten. Ohne ein Wort zu ſagen, verließ die Muſe das luxuriöſe Heim ... Da trat die Vernunft ein. Mit Schmei- chelworten redete ſie ihm zu, ſich ihrer anzuneh- men, da ſie Alles verlaſſen habe. „Da müßt’ ich wirklich verrückt ſein, wenn ich vernünftig wer- den wollte!“ rief er heftig aus. „Mein nächſtes Stück ſpielt im Irrenhaus, übrigens Du gehörſt auch hin, wenn Du mir ſolche Anträge ſtellſt. Pack’ Dich und bettle nicht herum, das paßt ſich für Dich nicht, das ſollte Dir ſchon die klare Ver- nunft ſagen ...“ Beleidigt wich die Vernunft zurück. Als es wieder an der Thür klopfte, das Gemüth wollte ihm die Ehre ſeines Beſuches ſchenken, ſchrie er mit angeſtrengter Stimme: „Jean, warum melden Sie mir nicht ...“ und in dieſem Augenblicke erwachte er aus ſeinem Schlummer. „Warum mich der Traumgott mit ſolch’ häß- lichen Bildern narrt?“ murmelte er verdrießlich. Im nächſten Momente überreichte ihm Jean auf der Silbertaſſe einen Brief. Er öffnete die Siegel. Das Stadt-Theater kündigte ihm an, daß ſein neueſtes Luſtſpiel — preisgekrönt wurde.

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Zitationshilfe: Mährisches Tagblatt. Nr. 17, Olmütz, 22.01.1894, S. [2]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_maehrisches17_1894/2>, abgerufen am 25.11.2024.