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Mährisches Tagblatt. Nr. 124, Olmütz, 01.06.1894.

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[Spaltenumbruch]

niß betrifft, so hat schon der Bericht der
Staatsbahnen gezeigt, daß, je größer das inve-
stirte Capital desto geringer die Verzinsung ist.
Die Staatsbahnen tragen 21/2 Percent. Unsere
Bahnen sind eben sehr theuer gebaut worden.
Localbahnen, welche billiger sind, und denen
höhere Tarife bewilligt werden, müssen wenig-
stens drei Percent tragen. Da braucht es dann
keine großen Opfer des Staates oder Landes,
welche dessenungeachtet dort, wo ein allgemeines
Interesse vorhanden oder wo die Bevölkerung
zu arm ist, eingreifen können. Das sind die
Grundsätze des vorliegenden Entwurfs. Unter
den Ländern mache Galizien große Fortschritte,
möge aber noch den letzten Schritt thun und
die Garantie für seine Bahnen übernehmen.
Die Frage der Loibl-Bahn sei noch nicht reif,
doch würde der Minister sich freuen, auch in
Krain das Localbahnwesen zu fördern. Die
Ueberschienung des Wechsels wäre von Be-
deutung, doch spreche ich, sagt der Minister
hierüber so hypothetisch, daß man mich nicht
beim Worte nehmen kann. (Heiterkeit.) Der
Minister bemerkt, daß für die ganze Action
tüchtige Ingenieure nothwendig seien, und räth
den Ländern Landes-Eisenbahnämter zu errichten
oder wenigstens Ingenieure anzustellen, welche
die Projecte überprüfen. Als Schluß hätte der
Minister gerne das neue Localbahngesetz vorge-
legt. Aber es ist im Schooße des Ministeriums
noch nicht durchberathen, auch sei es zu spät.
Aber der Minister wolle über die Hauptpuncte
sprechen. (Hört! hört!) Zunächst betreffe es die
zu gewährenden Erleichterungen und billigen
Bedingungen für die Uebernahme der Localba nen
in den Staatsbetrieb. Da soll der Staat kein
gutes Geschäft zu machen suchen, sondern vor
Allem suchen, die Bahn finanziell zu ermöglichen.
(Beifall.) Eine andere Frage ist die des An-
schlusses. (Zustimmung.) Er nützt der Hauptbahn
und diese hat deßhalb zur Erweiterung des Bahn-
hofes beizutragen. Weiter müssen die Fahrbe-
triebsmittel, welche große Kosten verursachen,
beigetragen werden. Es müßte da ein Mittel
gefunden werden, die Bahn nicht zu sehr
zu belasten. Die Materialien zum Bahn-
baue könnten von den Bahnen zum Selbstkosten-
preise geführt werden. Die Regierung lasse sich
nicht von politischen Momenten leiten, lasse sich
-- und das sei ein schöner Zug der Coalition
-- von den oppositionellen Parteien nicht ablen-
ken, aber auch von den Regierungsparteien nicht
drängen. Es müsse so gebaut werden, wie es
volkswirthschaftlich gerechtfertigt ist. (Lebhafter
Beifall.)

Abg. Kaftauspricht für die Strecke Zwittau-
Policka. Er wünscht, daß dieselbe noch in die-




würde die Sache discussionsfähig. Es ist aber
vorläufig geradezu ein Vernichtungsurtheil für
den Spiritismus, daß alle seine großen ehrlichen
Physiker, die er pomphaft als Gläubige anführt,
immerzu bloß die Zuschauer gewesen sind,
Zuschauer bei Sitzungen bezahlter Medien, deren
Ehrlichkeit selber keineswegs garantirt war. Selbst
dann käme übrigens noch die Gespensterfrage
extra, zunächst handelt es sich darum, ob nicht
unbekannte Naturkräfte die Stühle fliegen machten.

Beruhige Dich, lieber Leser, so weit ist die
Geschichte lange nicht und kommt vielleicht nie
dahin. Noch steht mein eigener Stuhl, auf dem
ich sitze, während ich das niederschreibe, fest unter
mir, und die Kartoffeln, die ich heute essen soll,
kochen friedlich im Topf ohne Lust zu aeronau-
tischen Versuchen. Noch darfst Du behaglich Deine
Partie Karten spielen, ohne besorgen zu müssen,
daß Dein Gegner ein Medium sei und durch die
Kartenblätter hindurchschaue. Und noch darfst Du
als Forscher oder Arzt in Fällen, da es um Tod
und Leben geht, Deiner Wage und Deinem
Thermometer vertrauen ohne Angst, daß irgend
ein "geistiger Einfluß" plötzlich das Gesetz der
Schwere aufhebt und alle Deine Arbeiten zum
gemeingefährlichen Unsinn werden läßt. Zu Recht
besteht des alten Onkels Wort, von den "wirk-
lichen" Geistern, die noch nie vorgekommen, von
den "erschwindelten" und von den "Eseln." --
Leider ist in unserer bösen Welt zu fürchten, daß
nicht nur die Liebe, sondern auch der Schwindel
"nimmer aufhören", und es scheint auch durch
ein Naturgesetz festgelegt, daß die Esel nicht alle
werden.




[Spaltenumbruch]

sem Jahre in Angriff genommen werde. Nach-
dem nun die Bahn von Cercan nach Modran
gebaut wird, möge die Regierung dem Goldberg-
bau in Eule ihre Aufmerksamkeit zuwenden, bei
welchem doch immerhin Gewinn heraussehe. Er
spricht schließlich seine Befriedigung über die heu-
tigen Erklärungen des Handelsministers über das
Localbahngesetz aus und hofft, daß die Regie-
rung in diesem Sinne weiter schreiten werde. Er
urgirt endlich die Verstaatlichung der Böhmischen
Westbahn und beantragt eine Resolution, welche
die Regierung auffordert, den Bau der Local-
bahn Brzeznitz--Blatna--Rakonitz sicherzustellen.

Abg. Bartoli plaidirt für den Bau einer
schmalspurigen Localbahn von Triest nach Parenzo
und Canfanaro.

Nach längerer Debatte wird das Gesetz über
die Sicherstellung der Localbahnen im Jahre 1894
angenommen.




Politische Nachrichten.
(Die Lage in Ungarn.)

In den parla-
mentarischen Kreisen Ungarns befürchtet man den
Ausbruch einer Krise und auch in Wien wird
in allen politischen Kreisen die ernste Besorgniß
ausgesprochen, daß die zwischen der Krone und der
ungarischen Regierung schwebenden Verhandlungen
zu einer Verständigung nicht führen werden. Der
Kaiser hat gestern um 1 Uhr den ungarischen
Minister-Präsidenten in Audienz empfangen.
(Siehe Telegramm.)

(Die Unruhen in Sofia.)

Die Ruhe, mit
welcher die Demission Stambulow's in Sofia
hingenommen wurde, hat nur vierundzwanzig
Stunden angehalten. Vorgestern Abends begannen
die Demonstrationen und Gegendemonstrationen,
welche zu wüsten Straßentumulten ausarteten
und das Einschreiten des Militärs nothwendig
machten. Die Demonstrationen begannen gleich-
zeitig vor dem Palais des Fürsten, wo "Nieder
mit Stambulow!" gerufen wurde, und vor dem
Hause Stambulow's, der an die Menge eine An-
sprache'hielt und erklärte, sobald seine Entlassung ge-
nehmigt sei, werde er als einfacher Bürger mit
dem Volke für Bulgarien arbeiten; das Land
werde keinen treueren Bürger, das Volk keinen
treueren Bruder, der Fürst keinen treueren Unter-
thanen haben als ihn. Kurz darauf wurde Stoilow
von der Menge mit einer Ovation bedacht und
auch er hielt eine Ansprache, in welcher er
sagte, er werde, wenn es ihm gelinge, ein
neues Ministerium zu bilden, Idealen nach-
streben, wobei er auf die Unterstützung der
Jugend hoffe. Diese Jugend ist zunächst die Ur-
heberin der Tumulte, denn die letzteren gehen
hauptsächlich von den Schülern der Hochschule und
des Gymnasiums aus, mit welchen vorgestern die
Gendarmerie handgemein geworden ist. Auch ge-
stern sind Hochschüler und Studenten in den
Stadtgarten von Sophia gezogen und haben
dort im Restaurant die Büste Stambutow's zer-
trümmert. Das Bedenklichste dabei ist, daß zwi-
schen Militär und Polizei ein Gegensatz zu Tage
tritt, welcher gefährliche Dimensionen annehmen
kann. Und je länger es dauert, bis das Mini-
sterium Stambulow durch ein anderes ersetzt
wird, desto beunruhigender wird die Situation.
Ueber die Unruhen in Sofia wird noch weiters
gemeldet, daß bei dem vorgestrigen Zusammenstoße
zwischen der Polizei und den Demonstranten zwei
Studenten verwundet wurden, von welchen einer sei-
nen Verwundungen bereits erlegen ist. Man beschul-
digt die Anhänger Stambulows, vorgestern geschossen
zu haben. Stambulow verlangte dringend, daß seine
Demission endlich angenommen werde. Die Beendi-
gung der Krisis ist sehr dringend. Die Truppen com-
mandirt der Stabschef der ersten Division, Oberst-
lieutenant Winarow, in Vertretung des abwesen-
den Commandanten. Vorgestern befahl Oberst-
lieutenant Kutinschew, ein entschiedener Anhänger
Stambulow's, einem Officier, auf die Menge zu
schießen; dieser Befehl wurde jedoch nicht ausge-
führt. Kutinschew wurde Nachts verhaftet. Man
nimmt an, daß zwischen Stoilow, Natchovits
und Grekow eine Aussöhnung erfolgte und alle
Drei mit Geschow in das Cabinet eintreten
werden.

(Die Verurtheilung de Felice's.)

Das
Kriegsgericht in Palermo verurtheilte den Depu-
tirten de Felice Giuffrida zu achtzehn
Jahren Gefängniß.




[Spaltenumbruch]
Die Affaire Pollitzer-Kaiser.


(Original-Bericht des "Mährischen Tagblattes.")

Heute begann vor einem Erkenntnißsenate
des Wiener Landesgerichtes die Verhandlung gegen
den Assecuranzbeamten Pollizer wegen seines
Angriffes auf den Abg. Kaiser.

Die Anklageschrift lautet: Die k. k. Staats-
anwaltschaft in Wien erhebt gegen Adolf Pollitzer,
aus Wien gebürtig, 39 Jahre alt, mosaisch, ver-
ehelicht, Assecuranzbeamter, unbestraft, die An-
klage, Adolf Pollitzer habe mittelst eines am 19.
Mai 1894 in Wien aufgegebenen Briefes den
Reichsrathsabgeordneten August Kaiser mit einer
körperlichen Mißhandlung, also mit einer Ver-
letzung an Körper und Ehre in der Absicht be-
droht, um an demselben eine Leistung, den Wider-
ruf des in einer Interpellation in der Sitzung
des Abgeordnetenhauses vom 18. Mai 1894 gegen
die Versicherungsgesellschaft "Riunione adriatica
di Sicurta"
ausgesprochenen Verdachtes der In-
solvenz zu erzwingen und sei die Drohung geeig-
net gewesen, dem Bedrohten mit Rücksicht auf
die Verhältnisse und die Wichtigkeit des ange-
drohten Uebels gegründete Besorgniß einzuflößen.
Adolf Pollitzer hat hiedurch das Verbrechen der
Erpressung im Sinne des §. 98 b. G.-B.-B. strafbar
nach § 100 höheren Strafsatzes begangen. Die
k. k. Staatsanwaltschaft in Wien beantragt.
1. Anordnung der Hauptverhandlung vor dem
k. k. Landesgerichte in Wien als Erkenntniß-
gerichte und der Haft des Angeklagten. 2. Vor-
ladung des August Kaiser als Zeugen und zu-
gleich Privatankläger in der Richtung des
§ 490 St. G. 3. Vorlesung des Briefes, ferner
der Interpellation, der Entscheidung des Ver-
waltungsgerichtshofes und des Artikels in der
"Kritischen Revue aus Oesterreich", sowie der
Leumundserhebungen und Auskunftstabelle.

Gründe:

Die Versicherungsgesellschaft "Riunione
adriatica di sicurta"
in Triest hatte vor dem
Verwaltungsgerichtshofe, um sich einer auferlegten
Steuer-Schuldigkeit zu entziehen, die Behauptung
aufgestellt, daß ihre Bilanzen in dem voraus-
gegangenen Triennium passiv gewesen seien. Diese
Behauptung, daß das Unternehmen passiv sei,
hat der Gerichtshof in seinem, in den "Juri-
stischen Blättern" vom 25. Februar 1893 ver-
öffentlichtem E[r]kenntnisse vom 31. November
1893 Z. 402 als irrelevant befunden und ist
mit Bezug auf diese Entscheidung in der Fachzeitschrift
"Kritische Revue aus Oesterreich" vom 1. März 1894
ein einschlägiger Artikel unter der Aufschrift: "Eine
passive Versicherungsgesellschaft" erschienen. Mit
Bezug auf diese Vorkommnisse hat nun der
Reichsrathsabgeordnete August Kaiser in der
Sitzung vom 18. Mai l. J. eine Anfrage an
die Regierung gerichtet und um Einleitung einer
Untersuchung gegen die Gesellschaft und Prüfung
ihres Vermögensstandes gebeten. Am 19. Mai
forderte nun der Angeklagte, welcher seit 1. März
1894 Beamter dieser Gesellschaft ist, in einem
Briefe den Abgeordneten Kaiser auf, binnen kür-
zester Frist den Beweis zu erbringen, daß
die Gesellschaft kein Prima-Institut, daß sie
passiv sei und sich passiv erklärt habe, widri-
gens er ihn mit einem Säbel weidlich durch-
walken werde. -- Es ist klar und wird
von dem Angeklagten in seinem Verhör vom
24. Mai l. J. auch zugegeben, daß damit ein
Widerruf der Beschuldigung erzwungen werden
sollte. Da Pollitzer sich mit vollem Namen und
Character (auch als Oberlieutenant) unterzeichnet
hat, so wurde der Bedrohte begreiflicher Weise
in lebhafte Besorgniß von der Ausführung der
Drohung versetzt und nahm sogleich die Inter-
vention der Polizei und mittelst einer am 23. Mai
eingelangten Eingabe auch jene der Staatsan-
waltschaft in Anspruch. Wie begründet die Be-
sorgnisse waren, erhellt daraus, daß Pollitzer
inzwischen die Verhältnisse des Abg. Kaiser aus-
kundschaftete, ihm am 23. Mai Vormittags auf
der Straße auflauerte und ihn mit einer Hunds-
peitsche thatsächlich angriff. Nach der eigenen An-
gabe des Abg. Kaiser kann diesem thätlichen An-
griff eine weitere erpresserische Absicht nicht unter-
legt werden, sondern fällt derselbe sowie die
hiebei von Pollitzer ausgestoßenen Schimpfworte
lediglich unter den § 496 St. G. Es ist somit
die erhobene Anklage gerechtfertigt und wird zur
Begründung des Antrages auf Anwendung des

[Spaltenumbruch]

niß betrifft, ſo hat ſchon der Bericht der
Staatsbahnen gezeigt, daß, je größer das inve-
ſtirte Capital deſto geringer die Verzinſung iſt.
Die Staatsbahnen tragen 2½ Percent. Unſere
Bahnen ſind eben ſehr theuer gebaut worden.
Localbahnen, welche billiger ſind, und denen
höhere Tarife bewilligt werden, müſſen wenig-
ſtens drei Percent tragen. Da braucht es dann
keine großen Opfer des Staates oder Landes,
welche deſſenungeachtet dort, wo ein allgemeines
Intereſſe vorhanden oder wo die Bevölkerung
zu arm iſt, eingreifen können. Das ſind die
Grundſätze des vorliegenden Entwurfs. Unter
den Ländern mache Galizien große Fortſchritte,
möge aber noch den letzten Schritt thun und
die Garantie für ſeine Bahnen übernehmen.
Die Frage der Loibl-Bahn ſei noch nicht reif,
doch würde der Miniſter ſich freuen, auch in
Krain das Localbahnweſen zu fördern. Die
Ueberſchienung des Wechſels wäre von Be-
deutung, doch ſpreche ich, ſagt der Miniſter
hierüber ſo hypothetiſch, daß man mich nicht
beim Worte nehmen kann. (Heiterkeit.) Der
Miniſter bemerkt, daß für die ganze Action
tüchtige Ingenieure nothwendig ſeien, und räth
den Ländern Landes-Eiſenbahnämter zu errichten
oder wenigſtens Ingenieure anzuſtellen, welche
die Projecte überprüfen. Als Schluß hätte der
Miniſter gerne das neue Localbahngeſetz vorge-
legt. Aber es iſt im Schooße des Miniſteriums
noch nicht durchberathen, auch ſei es zu ſpät.
Aber der Miniſter wolle über die Hauptpuncte
ſprechen. (Hört! hört!) Zunächſt betreffe es die
zu gewährenden Erleichterungen und billigen
Bedingungen für die Uebernahme der Localba nen
in den Staatsbetrieb. Da ſoll der Staat kein
gutes Geſchäft zu machen ſuchen, ſondern vor
Allem ſuchen, die Bahn finanziell zu ermöglichen.
(Beifall.) Eine andere Frage iſt die des An-
ſchluſſes. (Zuſtimmung.) Er nützt der Hauptbahn
und dieſe hat deßhalb zur Erweiterung des Bahn-
hofes beizutragen. Weiter müſſen die Fahrbe-
triebsmittel, welche große Koſten verurſachen,
beigetragen werden. Es müßte da ein Mittel
gefunden werden, die Bahn nicht zu ſehr
zu belaſten. Die Materialien zum Bahn-
baue könnten von den Bahnen zum Selbſtkoſten-
preiſe geführt werden. Die Regierung laſſe ſich
nicht von politiſchen Momenten leiten, laſſe ſich
— und das ſei ein ſchöner Zug der Coalition
— von den oppoſitionellen Parteien nicht ablen-
ken, aber auch von den Regierungsparteien nicht
drängen. Es müſſe ſo gebaut werden, wie es
volkswirthſchaftlich gerechtfertigt iſt. (Lebhafter
Beifall.)

Abg. Kaftauſpricht für die Strecke Zwittau-
Polička. Er wünſcht, daß dieſelbe noch in die-




würde die Sache discuſſionsfähig. Es iſt aber
vorläufig geradezu ein Vernichtungsurtheil für
den Spiritismus, daß alle ſeine großen ehrlichen
Phyſiker, die er pomphaft als Gläubige anführt,
immerzu bloß die Zuſchauer geweſen ſind,
Zuſchauer bei Sitzungen bezahlter Medien, deren
Ehrlichkeit ſelber keineswegs garantirt war. Selbſt
dann käme übrigens noch die Geſpenſterfrage
extra, zunächſt handelt es ſich darum, ob nicht
unbekannte Naturkräfte die Stühle fliegen machten.

Beruhige Dich, lieber Leſer, ſo weit iſt die
Geſchichte lange nicht und kommt vielleicht nie
dahin. Noch ſteht mein eigener Stuhl, auf dem
ich ſitze, während ich das niederſchreibe, feſt unter
mir, und die Kartoffeln, die ich heute eſſen ſoll,
kochen friedlich im Topf ohne Luſt zu aeronau-
tiſchen Verſuchen. Noch darfſt Du behaglich Deine
Partie Karten ſpielen, ohne beſorgen zu müſſen,
daß Dein Gegner ein Medium ſei und durch die
Kartenblätter hindurchſchaue. Und noch darfſt Du
als Forſcher oder Arzt in Fällen, da es um Tod
und Leben geht, Deiner Wage und Deinem
Thermometer vertrauen ohne Angſt, daß irgend
ein „geiſtiger Einfluß“ plötzlich das Geſetz der
Schwere aufhebt und alle Deine Arbeiten zum
gemeingefährlichen Unſinn werden läßt. Zu Recht
beſteht des alten Onkels Wort, von den „wirk-
lichen“ Geiſtern, die noch nie vorgekommen, von
den „erſchwindelten“ und von den „Eſeln.“ —
Leider iſt in unſerer böſen Welt zu fürchten, daß
nicht nur die Liebe, ſondern auch der Schwindel
„nimmer aufhören“, und es ſcheint auch durch
ein Naturgeſetz feſtgelegt, daß die Eſel nicht alle
werden.




[Spaltenumbruch]

ſem Jahre in Angriff genommen werde. Nach-
dem nun die Bahn von Cercan nach Modran
gebaut wird, möge die Regierung dem Goldberg-
bau in Eule ihre Aufmerkſamkeit zuwenden, bei
welchem doch immerhin Gewinn herausſehe. Er
ſpricht ſchließlich ſeine Befriedigung über die heu-
tigen Erklärungen des Handelsminiſters über das
Localbahngeſetz aus und hofft, daß die Regie-
rung in dieſem Sinne weiter ſchreiten werde. Er
urgirt endlich die Verſtaatlichung der Böhmiſchen
Weſtbahn und beantragt eine Reſolution, welche
die Regierung auffordert, den Bau der Local-
bahn Brzeznitz—Blatna—Rakonitz ſicherzuſtellen.

Abg. Bartoli plaidirt für den Bau einer
ſchmalſpurigen Localbahn von Trieſt nach Parenzo
und Canfanaro.

Nach längerer Debatte wird das Geſetz über
die Sicherſtellung der Localbahnen im Jahre 1894
angenommen.




Politiſche Nachrichten.
(Die Lage in Ungarn.)

In den parla-
mentariſchen Kreiſen Ungarns befürchtet man den
Ausbruch einer Kriſe und auch in Wien wird
in allen politiſchen Kreiſen die ernſte Beſorgniß
ausgeſprochen, daß die zwiſchen der Krone und der
ungariſchen Regierung ſchwebenden Verhandlungen
zu einer Verſtändigung nicht führen werden. Der
Kaiſer hat geſtern um 1 Uhr den ungariſchen
Miniſter-Präſidenten in Audienz empfangen.
(Siehe Telegramm.)

(Die Unruhen in Sofia.)

Die Ruhe, mit
welcher die Demiſſion Stambulow’s in Sofia
hingenommen wurde, hat nur vierundzwanzig
Stunden angehalten. Vorgeſtern Abends begannen
die Demonſtrationen und Gegendemonſtrationen,
welche zu wüſten Straßentumulten ausarteten
und das Einſchreiten des Militärs nothwendig
machten. Die Demonſtrationen begannen gleich-
zeitig vor dem Palais des Fürſten, wo „Nieder
mit Stambulow!“ gerufen wurde, und vor dem
Hauſe Stambulow’s, der an die Menge eine An-
ſprache’hielt und erklärte, ſobald ſeine Entlaſſung ge-
nehmigt ſei, werde er als einfacher Bürger mit
dem Volke für Bulgarien arbeiten; das Land
werde keinen treueren Bürger, das Volk keinen
treueren Bruder, der Fürſt keinen treueren Unter-
thanen haben als ihn. Kurz darauf wurde Stoilow
von der Menge mit einer Ovation bedacht und
auch er hielt eine Anſprache, in welcher er
ſagte, er werde, wenn es ihm gelinge, ein
neues Miniſterium zu bilden, Idealen nach-
ſtreben, wobei er auf die Unterſtützung der
Jugend hoffe. Dieſe Jugend iſt zunächſt die Ur-
heberin der Tumulte, denn die letzteren gehen
hauptſächlich von den Schülern der Hochſchule und
des Gymnaſiums aus, mit welchen vorgeſtern die
Gendarmerie handgemein geworden iſt. Auch ge-
ſtern ſind Hochſchüler und Studėnten in den
Stadtgarten von Sophia gezogen und haben
dort im Reſtaurant die Büſte Stambutow’s zer-
trümmert. Das Bedenklichſte dabei iſt, daß zwi-
ſchen Militär und Polizei ein Gegenſatz zu Tage
tritt, welcher gefährliche Dimenſionen annehmen
kann. Und je länger es dauert, bis das Mini-
ſterium Stambulow durch ein anderes erſetzt
wird, deſto beunruhigender wird die Situation.
Ueber die Unruhen in Sofia wird noch weiters
gemeldet, daß bei dem vorgeſtrigen Zuſammenſtoße
zwiſchen der Polizei und den Demonſtranten zwei
Studenten verwundet wurden, von welchen einer ſei-
nen Verwundungen bereits erlegen iſt. Man beſchul-
digt die Anhänger Stambulows, vorgeſtern geſchoſſen
zu haben. Stambulow verlangte dringend, daß ſeine
Demiſſion endlich angenommen werde. Die Beendi-
gung der Kriſis iſt ſehr dringend. Die Truppen com-
mandirt der Stabschef der erſten Diviſion, Oberſt-
lieutenant Winarow, in Vertretung des abweſen-
den Commandanten. Vorgeſtern befahl Oberſt-
lieutenant Kutinſchew, ein entſchiedener Anhänger
Stambulow’s, einem Officier, auf die Menge zu
ſchießen; dieſer Befehl wurde jedoch nicht ausge-
führt. Kutinſchew wurde Nachts verhaftet. Man
nimmt an, daß zwiſchen Stoilow, Natchovits
und Grekow eine Ausſöhnung erfolgte und alle
Drei mit Geſchow in das Cabinet eintreten
werden.

(Die Verurtheilung de Felice’s.)

Das
Kriegsgericht in Palermo verurtheilte den Depu-
tirten de Felice Giuffrida zu achtzehn
Jahren Gefängniß.




[Spaltenumbruch]
Die Affaire Pollitzer-Kaiſer.


(Original-Bericht des „Mähriſchen Tagblattes.“)

Heute begann vor einem Erkenntnißſenate
des Wiener Landesgerichtes die Verhandlung gegen
den Aſſecuranzbeamten Pollizer wegen ſeines
Angriffes auf den Abg. Kaiſer.

Die Anklageſchrift lautet: Die k. k. Staats-
anwaltſchaft in Wien erhebt gegen Adolf Pollitzer,
aus Wien gebürtig, 39 Jahre alt, moſaiſch, ver-
ehelicht, Aſſecuranzbeamter, unbeſtraft, die An-
klage, Adolf Pollitzer habe mittelſt eines am 19.
Mai 1894 in Wien aufgegebenen Briefes den
Reichsrathsabgeordneten Auguſt Kaiſer mit einer
körperlichen Mißhandlung, alſo mit einer Ver-
letzung an Körper und Ehre in der Abſicht be-
droht, um an demſelben eine Leiſtung, den Wider-
ruf des in einer Interpellation in der Sitzung
des Abgeordnetenhauſes vom 18. Mai 1894 gegen
die Verſicherungsgeſellſchaft „Riunione adriatica
di Sicurta“
ausgeſprochenen Verdachtes der In-
ſolvenz zu erzwingen und ſei die Drohung geeig-
net geweſen, dem Bedrohten mit Rückſicht auf
die Verhältniſſe und die Wichtigkeit des ange-
drohten Uebels gegründete Beſorgniß einzuflößen.
Adolf Pollitzer hat hiedurch das Verbrechen der
Erpreſſung im Sinne des §. 98 b. G.-B.-B. ſtrafbar
nach § 100 höheren Strafſatzes begangen. Die
k. k. Staatsanwaltſchaft in Wien beantragt.
1. Anordnung der Hauptverhandlung vor dem
k. k. Landesgerichte in Wien als Erkenntniß-
gerichte und der Haft des Angeklagten. 2. Vor-
ladung des Auguſt Kaiſer als Zeugen und zu-
gleich Privatankläger in der Richtung des
§ 490 St. G. 3. Vorleſung des Briefes, ferner
der Interpellation, der Entſcheidung des Ver-
waltungsgerichtshofes und des Artikels in der
„Kritiſchen Revue aus Oeſterreich“, ſowie der
Leumundserhebungen und Auskunftstabelle.

Gründe:

Die Verſicherungsgeſellſchaft „Riunione
adriatica di sicurta“
in Trieſt hatte vor dem
Verwaltungsgerichtshofe, um ſich einer auferlegten
Steuer-Schuldigkeit zu entziehen, die Behauptung
aufgeſtellt, daß ihre Bilanzen in dem voraus-
gegangenen Triennium paſſiv geweſen ſeien. Dieſe
Behauptung, daß das Unternehmen paſſiv ſei,
hat der Gerichtshof in ſeinem, in den „Juri-
ſtiſchen Blättern“ vom 25. Februar 1893 ver-
öffentlichtem E[r]kenntniſſe vom 31. November
1893 Z. 402 als irrelevant befunden und iſt
mit Bezug auf dieſe Entſcheidung in der Fachzeitſchrift
„Kritiſche Revue aus Oeſterreich“ vom 1. März 1894
ein einſchlägiger Artikel unter der Aufſchrift: „Eine
paſſive Verſicherungsgeſellſchaft“ erſchienen. Mit
Bezug auf dieſe Vorkommniſſe hat nun der
Reichsrathsabgeordnete Auguſt Kaiſer in der
Sitzung vom 18. Mai l. J. eine Anfrage an
die Regierung gerichtet und um Einleitung einer
Unterſuchung gegen die Geſellſchaft und Prüfung
ihres Vermögensſtandes gebeten. Am 19. Mai
forderte nun der Angeklagte, welcher ſeit 1. März
1894 Beamter dieſer Geſellſchaft iſt, in einem
Briefe den Abgeordneten Kaiſer auf, binnen kür-
zeſter Friſt den Beweis zu erbringen, daß
die Geſellſchaft kein Prima-Inſtitut, daß ſie
paſſiv ſei und ſich paſſiv erklärt habe, widri-
gens er ihn mit einem Säbel weidlich durch-
walken werde. — Es iſt klar und wird
von dem Angeklagten in ſeinem Verhör vom
24. Mai l. J. auch zugegeben, daß damit ein
Widerruf der Beſchuldigung erzwungen werden
ſollte. Da Pollitzer ſich mit vollem Namen und
Character (auch als Oberlieutenant) unterzeichnet
hat, ſo wurde der Bedrohte begreiflicher Weiſe
in lebhafte Beſorgniß von der Ausführung der
Drohung verſetzt und nahm ſogleich die Inter-
vention der Polizei und mittelſt einer am 23. Mai
eingelangten Eingabe auch jene der Staatsan-
waltſchaft in Anſpruch. Wie begründet die Be-
ſorgniſſe waren, erhellt daraus, daß Pollitzer
inzwiſchen die Verhältniſſe des Abg. Kaiſer aus-
kundſchaftete, ihm am 23. Mai Vormittags auf
der Straße auflauerte und ihn mit einer Hunds-
peitſche thatſächlich angriff. Nach der eigenen An-
gabe des Abg. Kaiſer kann dieſem thätlichen An-
griff eine weitere erpreſſeriſche Abſicht nicht unter-
legt werden, ſondern fällt derſelbe ſowie die
hiebei von Pollitzer ausgeſtoßenen Schimpfworte
lediglich unter den § 496 St. G. Es iſt ſomit
die erhobene Anklage gerechtfertigt und wird zur
Begründung des Antrages auf Anwendung des

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[[3]/0003] niß betrifft, ſo hat ſchon der Bericht der Staatsbahnen gezeigt, daß, je größer das inve- ſtirte Capital deſto geringer die Verzinſung iſt. Die Staatsbahnen tragen 2½ Percent. Unſere Bahnen ſind eben ſehr theuer gebaut worden. Localbahnen, welche billiger ſind, und denen höhere Tarife bewilligt werden, müſſen wenig- ſtens drei Percent tragen. Da braucht es dann keine großen Opfer des Staates oder Landes, welche deſſenungeachtet dort, wo ein allgemeines Intereſſe vorhanden oder wo die Bevölkerung zu arm iſt, eingreifen können. Das ſind die Grundſätze des vorliegenden Entwurfs. Unter den Ländern mache Galizien große Fortſchritte, möge aber noch den letzten Schritt thun und die Garantie für ſeine Bahnen übernehmen. Die Frage der Loibl-Bahn ſei noch nicht reif, doch würde der Miniſter ſich freuen, auch in Krain das Localbahnweſen zu fördern. Die Ueberſchienung des Wechſels wäre von Be- deutung, doch ſpreche ich, ſagt der Miniſter hierüber ſo hypothetiſch, daß man mich nicht beim Worte nehmen kann. (Heiterkeit.) Der Miniſter bemerkt, daß für die ganze Action tüchtige Ingenieure nothwendig ſeien, und räth den Ländern Landes-Eiſenbahnämter zu errichten oder wenigſtens Ingenieure anzuſtellen, welche die Projecte überprüfen. Als Schluß hätte der Miniſter gerne das neue Localbahngeſetz vorge- legt. Aber es iſt im Schooße des Miniſteriums noch nicht durchberathen, auch ſei es zu ſpät. Aber der Miniſter wolle über die Hauptpuncte ſprechen. (Hört! hört!) Zunächſt betreffe es die zu gewährenden Erleichterungen und billigen Bedingungen für die Uebernahme der Localba nen in den Staatsbetrieb. Da ſoll der Staat kein gutes Geſchäft zu machen ſuchen, ſondern vor Allem ſuchen, die Bahn finanziell zu ermöglichen. (Beifall.) Eine andere Frage iſt die des An- ſchluſſes. (Zuſtimmung.) Er nützt der Hauptbahn und dieſe hat deßhalb zur Erweiterung des Bahn- hofes beizutragen. Weiter müſſen die Fahrbe- triebsmittel, welche große Koſten verurſachen, beigetragen werden. Es müßte da ein Mittel gefunden werden, die Bahn nicht zu ſehr zu belaſten. Die Materialien zum Bahn- baue könnten von den Bahnen zum Selbſtkoſten- preiſe geführt werden. Die Regierung laſſe ſich nicht von politiſchen Momenten leiten, laſſe ſich — und das ſei ein ſchöner Zug der Coalition — von den oppoſitionellen Parteien nicht ablen- ken, aber auch von den Regierungsparteien nicht drängen. Es müſſe ſo gebaut werden, wie es volkswirthſchaftlich gerechtfertigt iſt. (Lebhafter Beifall.) Abg. Kaftauſpricht für die Strecke Zwittau- Polička. Er wünſcht, daß dieſelbe noch in die- würde die Sache discuſſionsfähig. Es iſt aber vorläufig geradezu ein Vernichtungsurtheil für den Spiritismus, daß alle ſeine großen ehrlichen Phyſiker, die er pomphaft als Gläubige anführt, immerzu bloß die Zuſchauer geweſen ſind, Zuſchauer bei Sitzungen bezahlter Medien, deren Ehrlichkeit ſelber keineswegs garantirt war. Selbſt dann käme übrigens noch die Geſpenſterfrage extra, zunächſt handelt es ſich darum, ob nicht unbekannte Naturkräfte die Stühle fliegen machten. Beruhige Dich, lieber Leſer, ſo weit iſt die Geſchichte lange nicht und kommt vielleicht nie dahin. Noch ſteht mein eigener Stuhl, auf dem ich ſitze, während ich das niederſchreibe, feſt unter mir, und die Kartoffeln, die ich heute eſſen ſoll, kochen friedlich im Topf ohne Luſt zu aeronau- tiſchen Verſuchen. Noch darfſt Du behaglich Deine Partie Karten ſpielen, ohne beſorgen zu müſſen, daß Dein Gegner ein Medium ſei und durch die Kartenblätter hindurchſchaue. Und noch darfſt Du als Forſcher oder Arzt in Fällen, da es um Tod und Leben geht, Deiner Wage und Deinem Thermometer vertrauen ohne Angſt, daß irgend ein „geiſtiger Einfluß“ plötzlich das Geſetz der Schwere aufhebt und alle Deine Arbeiten zum gemeingefährlichen Unſinn werden läßt. Zu Recht beſteht des alten Onkels Wort, von den „wirk- lichen“ Geiſtern, die noch nie vorgekommen, von den „erſchwindelten“ und von den „Eſeln.“ — Leider iſt in unſerer böſen Welt zu fürchten, daß nicht nur die Liebe, ſondern auch der Schwindel „nimmer aufhören“, und es ſcheint auch durch ein Naturgeſetz feſtgelegt, daß die Eſel nicht alle werden. ſem Jahre in Angriff genommen werde. Nach- dem nun die Bahn von Cercan nach Modran gebaut wird, möge die Regierung dem Goldberg- bau in Eule ihre Aufmerkſamkeit zuwenden, bei welchem doch immerhin Gewinn herausſehe. Er ſpricht ſchließlich ſeine Befriedigung über die heu- tigen Erklärungen des Handelsminiſters über das Localbahngeſetz aus und hofft, daß die Regie- rung in dieſem Sinne weiter ſchreiten werde. Er urgirt endlich die Verſtaatlichung der Böhmiſchen Weſtbahn und beantragt eine Reſolution, welche die Regierung auffordert, den Bau der Local- bahn Brzeznitz—Blatna—Rakonitz ſicherzuſtellen. Abg. Bartoli plaidirt für den Bau einer ſchmalſpurigen Localbahn von Trieſt nach Parenzo und Canfanaro. Nach längerer Debatte wird das Geſetz über die Sicherſtellung der Localbahnen im Jahre 1894 angenommen. Politiſche Nachrichten. (Die Lage in Ungarn.) In den parla- mentariſchen Kreiſen Ungarns befürchtet man den Ausbruch einer Kriſe und auch in Wien wird in allen politiſchen Kreiſen die ernſte Beſorgniß ausgeſprochen, daß die zwiſchen der Krone und der ungariſchen Regierung ſchwebenden Verhandlungen zu einer Verſtändigung nicht führen werden. Der Kaiſer hat geſtern um 1 Uhr den ungariſchen Miniſter-Präſidenten in Audienz empfangen. (Siehe Telegramm.) (Die Unruhen in Sofia.) Die Ruhe, mit welcher die Demiſſion Stambulow’s in Sofia hingenommen wurde, hat nur vierundzwanzig Stunden angehalten. Vorgeſtern Abends begannen die Demonſtrationen und Gegendemonſtrationen, welche zu wüſten Straßentumulten ausarteten und das Einſchreiten des Militärs nothwendig machten. Die Demonſtrationen begannen gleich- zeitig vor dem Palais des Fürſten, wo „Nieder mit Stambulow!“ gerufen wurde, und vor dem Hauſe Stambulow’s, der an die Menge eine An- ſprache’hielt und erklärte, ſobald ſeine Entlaſſung ge- nehmigt ſei, werde er als einfacher Bürger mit dem Volke für Bulgarien arbeiten; das Land werde keinen treueren Bürger, das Volk keinen treueren Bruder, der Fürſt keinen treueren Unter- thanen haben als ihn. Kurz darauf wurde Stoilow von der Menge mit einer Ovation bedacht und auch er hielt eine Anſprache, in welcher er ſagte, er werde, wenn es ihm gelinge, ein neues Miniſterium zu bilden, Idealen nach- ſtreben, wobei er auf die Unterſtützung der Jugend hoffe. Dieſe Jugend iſt zunächſt die Ur- heberin der Tumulte, denn die letzteren gehen hauptſächlich von den Schülern der Hochſchule und des Gymnaſiums aus, mit welchen vorgeſtern die Gendarmerie handgemein geworden iſt. Auch ge- ſtern ſind Hochſchüler und Studėnten in den Stadtgarten von Sophia gezogen und haben dort im Reſtaurant die Büſte Stambutow’s zer- trümmert. Das Bedenklichſte dabei iſt, daß zwi- ſchen Militär und Polizei ein Gegenſatz zu Tage tritt, welcher gefährliche Dimenſionen annehmen kann. Und je länger es dauert, bis das Mini- ſterium Stambulow durch ein anderes erſetzt wird, deſto beunruhigender wird die Situation. Ueber die Unruhen in Sofia wird noch weiters gemeldet, daß bei dem vorgeſtrigen Zuſammenſtoße zwiſchen der Polizei und den Demonſtranten zwei Studenten verwundet wurden, von welchen einer ſei- nen Verwundungen bereits erlegen iſt. Man beſchul- digt die Anhänger Stambulows, vorgeſtern geſchoſſen zu haben. Stambulow verlangte dringend, daß ſeine Demiſſion endlich angenommen werde. Die Beendi- gung der Kriſis iſt ſehr dringend. Die Truppen com- mandirt der Stabschef der erſten Diviſion, Oberſt- lieutenant Winarow, in Vertretung des abweſen- den Commandanten. Vorgeſtern befahl Oberſt- lieutenant Kutinſchew, ein entſchiedener Anhänger Stambulow’s, einem Officier, auf die Menge zu ſchießen; dieſer Befehl wurde jedoch nicht ausge- führt. Kutinſchew wurde Nachts verhaftet. Man nimmt an, daß zwiſchen Stoilow, Natchovits und Grekow eine Ausſöhnung erfolgte und alle Drei mit Geſchow in das Cabinet eintreten werden. (Die Verurtheilung de Felice’s.) Das Kriegsgericht in Palermo verurtheilte den Depu- tirten de Felice Giuffrida zu achtzehn Jahren Gefängniß. Die Affaire Pollitzer-Kaiſer. Wien, 1. Juni. (Original-Bericht des „Mähriſchen Tagblattes.“) Heute begann vor einem Erkenntnißſenate des Wiener Landesgerichtes die Verhandlung gegen den Aſſecuranzbeamten Pollizer wegen ſeines Angriffes auf den Abg. Kaiſer. Die Anklageſchrift lautet: Die k. k. Staats- anwaltſchaft in Wien erhebt gegen Adolf Pollitzer, aus Wien gebürtig, 39 Jahre alt, moſaiſch, ver- ehelicht, Aſſecuranzbeamter, unbeſtraft, die An- klage, Adolf Pollitzer habe mittelſt eines am 19. Mai 1894 in Wien aufgegebenen Briefes den Reichsrathsabgeordneten Auguſt Kaiſer mit einer körperlichen Mißhandlung, alſo mit einer Ver- letzung an Körper und Ehre in der Abſicht be- droht, um an demſelben eine Leiſtung, den Wider- ruf des in einer Interpellation in der Sitzung des Abgeordnetenhauſes vom 18. Mai 1894 gegen die Verſicherungsgeſellſchaft „Riunione adriatica di Sicurta“ ausgeſprochenen Verdachtes der In- ſolvenz zu erzwingen und ſei die Drohung geeig- net geweſen, dem Bedrohten mit Rückſicht auf die Verhältniſſe und die Wichtigkeit des ange- drohten Uebels gegründete Beſorgniß einzuflößen. Adolf Pollitzer hat hiedurch das Verbrechen der Erpreſſung im Sinne des §. 98 b. G.-B.-B. ſtrafbar nach § 100 höheren Strafſatzes begangen. Die k. k. Staatsanwaltſchaft in Wien beantragt. 1. Anordnung der Hauptverhandlung vor dem k. k. Landesgerichte in Wien als Erkenntniß- gerichte und der Haft des Angeklagten. 2. Vor- ladung des Auguſt Kaiſer als Zeugen und zu- gleich Privatankläger in der Richtung des § 490 St. G. 3. Vorleſung des Briefes, ferner der Interpellation, der Entſcheidung des Ver- waltungsgerichtshofes und des Artikels in der „Kritiſchen Revue aus Oeſterreich“, ſowie der Leumundserhebungen und Auskunftstabelle. Gründe: Die Verſicherungsgeſellſchaft „Riunione adriatica di sicurta“ in Trieſt hatte vor dem Verwaltungsgerichtshofe, um ſich einer auferlegten Steuer-Schuldigkeit zu entziehen, die Behauptung aufgeſtellt, daß ihre Bilanzen in dem voraus- gegangenen Triennium paſſiv geweſen ſeien. Dieſe Behauptung, daß das Unternehmen paſſiv ſei, hat der Gerichtshof in ſeinem, in den „Juri- ſtiſchen Blättern“ vom 25. Februar 1893 ver- öffentlichtem Erkenntniſſe vom 31. November 1893 Z. 402 als irrelevant befunden und iſt mit Bezug auf dieſe Entſcheidung in der Fachzeitſchrift „Kritiſche Revue aus Oeſterreich“ vom 1. März 1894 ein einſchlägiger Artikel unter der Aufſchrift: „Eine paſſive Verſicherungsgeſellſchaft“ erſchienen. Mit Bezug auf dieſe Vorkommniſſe hat nun der Reichsrathsabgeordnete Auguſt Kaiſer in der Sitzung vom 18. Mai l. J. eine Anfrage an die Regierung gerichtet und um Einleitung einer Unterſuchung gegen die Geſellſchaft und Prüfung ihres Vermögensſtandes gebeten. Am 19. Mai forderte nun der Angeklagte, welcher ſeit 1. März 1894 Beamter dieſer Geſellſchaft iſt, in einem Briefe den Abgeordneten Kaiſer auf, binnen kür- zeſter Friſt den Beweis zu erbringen, daß die Geſellſchaft kein Prima-Inſtitut, daß ſie paſſiv ſei und ſich paſſiv erklärt habe, widri- gens er ihn mit einem Säbel weidlich durch- walken werde. — Es iſt klar und wird von dem Angeklagten in ſeinem Verhör vom 24. Mai l. J. auch zugegeben, daß damit ein Widerruf der Beſchuldigung erzwungen werden ſollte. Da Pollitzer ſich mit vollem Namen und Character (auch als Oberlieutenant) unterzeichnet hat, ſo wurde der Bedrohte begreiflicher Weiſe in lebhafte Beſorgniß von der Ausführung der Drohung verſetzt und nahm ſogleich die Inter- vention der Polizei und mittelſt einer am 23. Mai eingelangten Eingabe auch jene der Staatsan- waltſchaft in Anſpruch. Wie begründet die Be- ſorgniſſe waren, erhellt daraus, daß Pollitzer inzwiſchen die Verhältniſſe des Abg. Kaiſer aus- kundſchaftete, ihm am 23. Mai Vormittags auf der Straße auflauerte und ihn mit einer Hunds- peitſche thatſächlich angriff. Nach der eigenen An- gabe des Abg. Kaiſer kann dieſem thätlichen An- griff eine weitere erpreſſeriſche Abſicht nicht unter- legt werden, ſondern fällt derſelbe ſowie die hiebei von Pollitzer ausgeſtoßenen Schimpfworte lediglich unter den § 496 St. G. Es iſt ſomit die erhobene Anklage gerechtfertigt und wird zur Begründung des Antrages auf Anwendung des

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Zitationshilfe: Mährisches Tagblatt. Nr. 124, Olmütz, 01.06.1894, S. [3]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_maehrisches124_1894/3>, abgerufen am 21.11.2024.