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Das Heller-Blatt. Nr. 33. Breslau, 16. August 1834.

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Das Heller=Blatt.
[Beginn Spaltensatz] glauben, der See habe einen unterirdischen Abfluß in's
mittelländische Meer, oder es müsse in der Ebene, wel-
che ihn auf der Abendseite begrenzt, eine beträchtliche
Einsaugung statt finden. Die Ebene aber, welche die
gegenüber liegenden Berge begrenzen, ist zum Theil an-
gebaut, trägt Bäume und giebt den Kameelen der Be-
duinen eine große Weide. Man hat den See nie be-
schifft, und es ist sonderbar, daß nie ein Reisender es
versucht hat, in einem Boote ihn zu befahren, da eine
nähere Untersuchung nur auf diese Weise Erfolg haben
könnte. Der Kloster=Obere in St. Saba erzählte, die
Anwohner, die in den seichtesten Stellen am südlichen
Ende auf Kameelen hindurchgezogen wären, hätten
nach ihrer Versicherung Ueberreste von Gemäuer und
andern Theilen von Gebäuden unter dem Wasser ge-
sehen. Dies ist eine alte Sage. Einige verkrüppelte
Gesträuche und Grasfleckchen, ein dürftiges Grün sieht
man auf dem dürren Boden an den Felsen, die betrü-
gerischen goldenen Aepfel wird man vergebens suchen,
sowie Fische im See, welche, wie man behauptet hat,
darin seyn sollen. Der See ist wahrscheinlich gegen
30 Stunden lang, und im Durchschnitt 8 Stunden
breit. Die Sonne war nun über der östlichen Berg-
wand aufgegangen und warf ihre Strahlen auf den
See, der wie eine glänzende Goldfläche aussah. Aber
die Traurigkeit des Grabes war auf ihm und um ihn,
und auch die Stille des Grabes. Wie lebhaft das Ge-
fühl auch aufgeregt seyn möge, wenn man an seinem
Gestade ankommt, es versinkt bald in Mattigkeit und
Unbehaglichkeit, und man wünscht, ein Sturm möge
diese Wasserfläche erregen und Laut und Leben in die
Landschaft bringen. Wir hatten schon mehrere Stun-
den am Ufer des See's zugebracht, und Jbrahim wurde
immer ungeduldiger. Er ging am Gestade auf und
nieder, sah in die Höhlen und zu den Gipfeln der Verge
hinan, und wiederholte immer, daß die Araber wahr-
scheinlich sich nähern oder uns von der Höhe erspähen
würden. Der Weg durch die Wüste Ziph hatte uns
zu einer umfassenderen Uebersicht des See's geführt,
als sich auf dem gewöhnlichen Wege von Jericho dar-
bietet, der nur zu dem Anfange desselben bei der Mün-
dung des Jordans führt. Der schmale Strand endigte
sich etwa 300 Schritte weiter unten, wo die Klippen
schroff in den See stürzten. Wir mußten nun längs
dem Ufer und über die Ebene an einem schwülen Tage
nach Jericho gehen, und wir warfen endlich den Ab-
schiedsblick auf diese berühmte Stelle, die vielleicht nicht
ihres Gleichen auf Erden hat. Die steilen Felsen um
den Sinai sind wild und schirmlos, aber diesen gleichen
sie nicht, die aussehen, als wäre Gottes rächender Fin-
ger über ihre verbrannten Steine und Schluchten und
über die Tiefe an ihrem Fuße gefahren, und hätte ihnen
geboten, für immer zu bleiben, wie in dem Augenblicke,
wo sie zuerst die strafbaren Städte bedeckten.



[Spaltenumbruch]
Galanterie in Grönland.

Die Mährischen Brüder hatten die größte Mühe,
die Grönländer dazu zu bringen, daß sie ihren alten
Gebräuchen hinsichtlich der Heirath entsagten. Die
Ersteren verheiratheten sich mit Frauen, welche sie lieb-
ten, und lebten mit ihnen auf eine sehr anständige
Weise, in der Hoffnung, daß die Eingebornen bald
ihrem Beispiel folgen würden. Aber in Grönland er-
heischt es die Sitte, daß ein Mädchen sich nicht selbst
ihren Mann wählt; auch die Eltern dürfen sich nicht
in die Heirath ihrer Töchter mischen, sondern dieselben
werden von ihren Liebhabern auf gewaltsame Weise ent-
führt. Die alte Galanterie jener Wilden, welche auch
heute noch nicht ganz erloschen ist, äußerte sich auf fol-
gende Weise. Einige Freunde begeben sich mit dem
Liebhaber in das Haus des jungen Mädchens und ent-
führen es entweder gutwillig oder gewaltsam, selbst in
Anwesenheit der Eltern. Oft ereignet es sich, daß das
Mädchen es gar nicht weiß, daß es der Gegenstand der
Neigung des Grönländers ist, der sie entführt; aber
selbst wenn sie von seiner Liebe unterrichtet ist, so schickt
es sich, daß sie den lebhaftesten Widerstand leistet, und
sich sogar bei den Haarrn fortschleppen läßt. Wenn
ihr Widerstand fortdauert, sobald sie sich außerhalb der
Hütte ihrer Eltern befindet, und wenn sie sich weigert,
ihrem Liebhaber zu folgen, so erhält sie sicherlich einige
tüchtige Faustschläge auf den Kopf. Jn der Hütte
ihres Liebhabers angekommen, überläßt sie sich der hef-
tigsten Verzweiflung; ihre Haare hängen wild um die
Schultern, ihr Gesicht ist in Thränen gebadet, und sie
entflieht bei der ersten Gelegenheit. Wenn sie entkom-
men kann, so sucht sie auf den mit Schnee bedeckten
Bergen oder in einsamen Thälern einen Zufluchtsort,
und zuweilen, als letztes Hülfsmittel, schneidet sie sich
die Haare ab. Diese letzte Handlung ist durchaus ent-
scheidend; denn ein Mädchen, das seine Haare geopfert
hat, wird in jenem Lande niemals zur Ehe begehrt.
Wenn es dem jungen Manne gelingt, die Geliebte in
seine Hütte zurückzubringen, so bleibt sie einige Tage
sehr nied rgeschlagen, sie nimmt keine Nahrung zu sich;
wenn aber sanfte Tröstungen ohne Erfolg bleiben, dann
wehe ihr; denn nun nehmen sich die alten Weiber des
Hauses der Sache an, und diese behandeln dann das
junge Mädchen sehr hart. Dies war der barbarische
Brauch, den die Mährischen Brüder abzuschaffen such-
ten. Sie verlangten von den jungen Grönländern, die
sich verheirathen wollten, daß sie sich erst bei ihnen
Raths erholen, um dann von ihren Absichten mit den
Eltern des Mädchens zu sprechen. Jn vielen Fällen
gelang es ihnen auch; aber sehr oft trugen doch auch
noch die alten Sitten den Sieg davon. Eine Wittwe
muß ihre Trauer nicht allein durch Thränen und be-
trübte Blicke, sondern auch durch große Nachlässigkeit
in ihrer Kleidung und an ihrer ganzen Person aus-
[Ende Spaltensatz]

Das Heller=Blatt.
[Beginn Spaltensatz] glauben, der See habe einen unterirdischen Abfluß in's
mittelländische Meer, oder es müsse in der Ebene, wel-
che ihn auf der Abendseite begrenzt, eine beträchtliche
Einsaugung statt finden. Die Ebene aber, welche die
gegenüber liegenden Berge begrenzen, ist zum Theil an-
gebaut, trägt Bäume und giebt den Kameelen der Be-
duinen eine große Weide. Man hat den See nie be-
schifft, und es ist sonderbar, daß nie ein Reisender es
versucht hat, in einem Boote ihn zu befahren, da eine
nähere Untersuchung nur auf diese Weise Erfolg haben
könnte. Der Kloster=Obere in St. Saba erzählte, die
Anwohner, die in den seichtesten Stellen am südlichen
Ende auf Kameelen hindurchgezogen wären, hätten
nach ihrer Versicherung Ueberreste von Gemäuer und
andern Theilen von Gebäuden unter dem Wasser ge-
sehen. Dies ist eine alte Sage. Einige verkrüppelte
Gesträuche und Grasfleckchen, ein dürftiges Grün sieht
man auf dem dürren Boden an den Felsen, die betrü-
gerischen goldenen Aepfel wird man vergebens suchen,
sowie Fische im See, welche, wie man behauptet hat,
darin seyn sollen. Der See ist wahrscheinlich gegen
30 Stunden lang, und im Durchschnitt 8 Stunden
breit. Die Sonne war nun über der östlichen Berg-
wand aufgegangen und warf ihre Strahlen auf den
See, der wie eine glänzende Goldfläche aussah. Aber
die Traurigkeit des Grabes war auf ihm und um ihn,
und auch die Stille des Grabes. Wie lebhaft das Ge-
fühl auch aufgeregt seyn möge, wenn man an seinem
Gestade ankommt, es versinkt bald in Mattigkeit und
Unbehaglichkeit, und man wünscht, ein Sturm möge
diese Wasserfläche erregen und Laut und Leben in die
Landschaft bringen. Wir hatten schon mehrere Stun-
den am Ufer des See's zugebracht, und Jbrahim wurde
immer ungeduldiger. Er ging am Gestade auf und
nieder, sah in die Höhlen und zu den Gipfeln der Verge
hinan, und wiederholte immer, daß die Araber wahr-
scheinlich sich nähern oder uns von der Höhe erspähen
würden. Der Weg durch die Wüste Ziph hatte uns
zu einer umfassenderen Uebersicht des See's geführt,
als sich auf dem gewöhnlichen Wege von Jericho dar-
bietet, der nur zu dem Anfange desselben bei der Mün-
dung des Jordans führt. Der schmale Strand endigte
sich etwa 300 Schritte weiter unten, wo die Klippen
schroff in den See stürzten. Wir mußten nun längs
dem Ufer und über die Ebene an einem schwülen Tage
nach Jericho gehen, und wir warfen endlich den Ab-
schiedsblick auf diese berühmte Stelle, die vielleicht nicht
ihres Gleichen auf Erden hat. Die steilen Felsen um
den Sinai sind wild und schirmlos, aber diesen gleichen
sie nicht, die aussehen, als wäre Gottes rächender Fin-
ger über ihre verbrannten Steine und Schluchten und
über die Tiefe an ihrem Fuße gefahren, und hätte ihnen
geboten, für immer zu bleiben, wie in dem Augenblicke,
wo sie zuerst die strafbaren Städte bedeckten.



[Spaltenumbruch]
Galanterie in Grönland.

Die Mährischen Brüder hatten die größte Mühe,
die Grönländer dazu zu bringen, daß sie ihren alten
Gebräuchen hinsichtlich der Heirath entsagten. Die
Ersteren verheiratheten sich mit Frauen, welche sie lieb-
ten, und lebten mit ihnen auf eine sehr anständige
Weise, in der Hoffnung, daß die Eingebornen bald
ihrem Beispiel folgen würden. Aber in Grönland er-
heischt es die Sitte, daß ein Mädchen sich nicht selbst
ihren Mann wählt; auch die Eltern dürfen sich nicht
in die Heirath ihrer Töchter mischen, sondern dieselben
werden von ihren Liebhabern auf gewaltsame Weise ent-
führt. Die alte Galanterie jener Wilden, welche auch
heute noch nicht ganz erloschen ist, äußerte sich auf fol-
gende Weise. Einige Freunde begeben sich mit dem
Liebhaber in das Haus des jungen Mädchens und ent-
führen es entweder gutwillig oder gewaltsam, selbst in
Anwesenheit der Eltern. Oft ereignet es sich, daß das
Mädchen es gar nicht weiß, daß es der Gegenstand der
Neigung des Grönländers ist, der sie entführt; aber
selbst wenn sie von seiner Liebe unterrichtet ist, so schickt
es sich, daß sie den lebhaftesten Widerstand leistet, und
sich sogar bei den Haarrn fortschleppen läßt. Wenn
ihr Widerstand fortdauert, sobald sie sich außerhalb der
Hütte ihrer Eltern befindet, und wenn sie sich weigert,
ihrem Liebhaber zu folgen, so erhält sie sicherlich einige
tüchtige Faustschläge auf den Kopf. Jn der Hütte
ihres Liebhabers angekommen, überläßt sie sich der hef-
tigsten Verzweiflung; ihre Haare hängen wild um die
Schultern, ihr Gesicht ist in Thränen gebadet, und sie
entflieht bei der ersten Gelegenheit. Wenn sie entkom-
men kann, so sucht sie auf den mit Schnee bedeckten
Bergen oder in einsamen Thälern einen Zufluchtsort,
und zuweilen, als letztes Hülfsmittel, schneidet sie sich
die Haare ab. Diese letzte Handlung ist durchaus ent-
scheidend; denn ein Mädchen, das seine Haare geopfert
hat, wird in jenem Lande niemals zur Ehe begehrt.
Wenn es dem jungen Manne gelingt, die Geliebte in
seine Hütte zurückzubringen, so bleibt sie einige Tage
sehr nied rgeschlagen, sie nimmt keine Nahrung zu sich;
wenn aber sanfte Tröstungen ohne Erfolg bleiben, dann
wehe ihr; denn nun nehmen sich die alten Weiber des
Hauses der Sache an, und diese behandeln dann das
junge Mädchen sehr hart. Dies war der barbarische
Brauch, den die Mährischen Brüder abzuschaffen such-
ten. Sie verlangten von den jungen Grönländern, die
sich verheirathen wollten, daß sie sich erst bei ihnen
Raths erholen, um dann von ihren Absichten mit den
Eltern des Mädchens zu sprechen. Jn vielen Fällen
gelang es ihnen auch; aber sehr oft trugen doch auch
noch die alten Sitten den Sieg davon. Eine Wittwe
muß ihre Trauer nicht allein durch Thränen und be-
trübte Blicke, sondern auch durch große Nachlässigkeit
in ihrer Kleidung und an ihrer ganzen Person aus-
[Ende Spaltensatz]

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Er ging am Gestade auf und nieder, sah in die Höhlen und zu den Gipfeln der Verge hinan, und wiederholte immer, daß die Araber wahr- scheinlich sich nähern oder uns von der Höhe erspähen würden. Der Weg durch die Wüste Ziph hatte uns zu einer umfassenderen Uebersicht des See's geführt, als sich auf dem gewöhnlichen Wege von Jericho dar- bietet, der nur zu dem Anfange desselben bei der Mün- dung des Jordans führt. Der schmale Strand endigte sich etwa 300 Schritte weiter unten, wo die Klippen schroff in den See stürzten. Wir mußten nun längs dem Ufer und über die Ebene an einem schwülen Tage nach Jericho gehen, und wir warfen endlich den Ab- schiedsblick auf diese berühmte Stelle, die vielleicht nicht ihres Gleichen auf Erden hat. 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Zitationshilfe: Das Heller-Blatt. Nr. 33. Breslau, 16. August 1834, S. 259. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_heller33_1834/3>, abgerufen am 23.11.2024.