Europa. Wochenschrift für Kultur und Politik. Jahrgang 1, Heft 14. Berlin-Charlottenburg, 20. April 1905.Aus dem russischen Hauptquartier. 691 mit Freßvorräten auch ungeheure Mengen alkoholischer Getränke. Sie wirkennachteiliger, wie die japanischen Geschosse, aus dem einfachen Grunde, weil jeder von ihnen betroffen wird. Offiziere und Soldaten sind zum Teil ständig im Rausche, der Alkohol=Pegel steht so hoch, daß morgens nur ganz wenig auf- gefüllt zu werden braucht, um wieder in dem schon als normal zu bezeichnen- den Zustande zu sein. Jn der Schlacht bei Liaujang sah ich mit eigenen Augen einen hohen Offizier vom Pferde fallen, jüngere Herren taumelten und lallten. Wochenlang haben wir ja nichts zu tun gehabt, glaubst Du, daß ein einziges Mal während der langen Zeit, in der wir friedlich und ge- mütlich in unseren Erdhöhlen wohnten, Zielübungen gemacht oder Griffe gekloppt wurden, oder langsamer Schritt geübt? Denke an 70, nach den herrlichsten Siegen wurde zunächst Appell mit den "kurzen Langschäftigen" abgehalten, dann Detailexerzieren und Zielen. So allein kann man ja auch nur im Kriegsleben, das sowieso das Verhältnis zwischen Vorgesetzten und Soldaten verwischt, die Disziplin aufrecht erhalten. Die Japaner sollen es übrigens ebenso machen, unsere Offiziere und Leute lachen darüber, wer zu- letzt lacht, ist für mich längst kein Zweifel mehr. Beinahe noch schlimmer wie Alkohol und Jndolenz ist die unerhörte Weiberzucht. Es ist wohl noch niemals dagewesen, daß ein Heer neben seinem ungeheuren Troß fliegende öffent- liche Häuser in großer Zahl mit sich führt, damit Offiziere und Mann- schaften ihr Vergnügen haben. Der Dirnennachschub ist zehnmal besser ge- regelt wie der Munitionsersatz. Man musiziert in diesen Häusern, tanzt und trinkt sogenannten Sekt. Der Lieferant dieser wohl eigens für den Krieg erfundenen Sorte muß Millionär werden ( 20 Rubel die Flasche ) . Die Dirnen sind in verschiedene Klassen geteilt, für die Generalität, Offiziere und Mannschaften. Kuropatkin wendet der "Weiberfrage" eine mir völlig un- verständliche Aufmerksamkeit zu, er ist der Meinung, "seine Leute brauchen das". Du kannst Dir diese Zucht nicht vorstellen. 500_000 Mann in dieser Hinsicht zu versorgen, ist wirklich keine Kleinigkeit, man kann darüber leicht das Siegen vergessen. Uebrigens war es in Port Arthur nicht anders. Dort hatte man Puffs Was ich an amtlichen Berichten nach Petersburg gesehen habe, gibt Aus dem russischen Hauptquartier. 691 mit Freßvorräten auch ungeheure Mengen alkoholischer Getränke. Sie wirkennachteiliger, wie die japanischen Geschosse, aus dem einfachen Grunde, weil jeder von ihnen betroffen wird. Offiziere und Soldaten sind zum Teil ständig im Rausche, der Alkohol=Pegel steht so hoch, daß morgens nur ganz wenig auf- gefüllt zu werden braucht, um wieder in dem schon als normal zu bezeichnen- den Zustande zu sein. Jn der Schlacht bei Liaujang sah ich mit eigenen Augen einen hohen Offizier vom Pferde fallen, jüngere Herren taumelten und lallten. Wochenlang haben wir ja nichts zu tun gehabt, glaubst Du, daß ein einziges Mal während der langen Zeit, in der wir friedlich und ge- mütlich in unseren Erdhöhlen wohnten, Zielübungen gemacht oder Griffe gekloppt wurden, oder langsamer Schritt geübt? Denke an 70, nach den herrlichsten Siegen wurde zunächst Appell mit den „kurzen Langschäftigen“ abgehalten, dann Detailexerzieren und Zielen. So allein kann man ja auch nur im Kriegsleben, das sowieso das Verhältnis zwischen Vorgesetzten und Soldaten verwischt, die Disziplin aufrecht erhalten. Die Japaner sollen es übrigens ebenso machen, unsere Offiziere und Leute lachen darüber, wer zu- letzt lacht, ist für mich längst kein Zweifel mehr. Beinahe noch schlimmer wie Alkohol und Jndolenz ist die unerhörte Weiberzucht. Es ist wohl noch niemals dagewesen, daß ein Heer neben seinem ungeheuren Troß fliegende öffent- liche Häuser in großer Zahl mit sich führt, damit Offiziere und Mann- schaften ihr Vergnügen haben. Der Dirnennachschub ist zehnmal besser ge- regelt wie der Munitionsersatz. Man musiziert in diesen Häusern, tanzt und trinkt sogenannten Sekt. Der Lieferant dieser wohl eigens für den Krieg erfundenen Sorte muß Millionär werden ( 20 Rubel die Flasche ) . Die Dirnen sind in verschiedene Klassen geteilt, für die Generalität, Offiziere und Mannschaften. Kuropatkin wendet der „Weiberfrage“ eine mir völlig un- verständliche Aufmerksamkeit zu, er ist der Meinung, „seine Leute brauchen das“. Du kannst Dir diese Zucht nicht vorstellen. 500_000 Mann in dieser Hinsicht zu versorgen, ist wirklich keine Kleinigkeit, man kann darüber leicht das Siegen vergessen. Uebrigens war es in Port Arthur nicht anders. 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Es ist wohl noch niemals<lb/> dagewesen, daß ein Heer neben seinem ungeheuren Troß fliegende öffent-<lb/> liche Häuser in großer Zahl mit sich führt, damit Offiziere und Mann-<lb/> schaften ihr Vergnügen haben. Der Dirnennachschub ist zehnmal besser ge-<lb/> regelt wie der Munitionsersatz. Man musiziert in diesen Häusern, tanzt<lb/> und trinkt sogenannten Sekt. Der Lieferant dieser wohl eigens für den<lb/> Krieg erfundenen Sorte muß Millionär werden ( 20 Rubel die Flasche ) . Die<lb/> Dirnen sind in verschiedene Klassen geteilt, für die Generalität, Offiziere und<lb/> Mannschaften. Kuropatkin wendet der „Weiberfrage“ eine mir völlig un-<lb/> verständliche Aufmerksamkeit zu, er ist der Meinung, „seine Leute brauchen<lb/> das“. Du kannst Dir diese Zucht nicht vorstellen. 500_000 Mann in dieser<lb/> Hinsicht zu versorgen, ist wirklich keine Kleinigkeit, man kann darüber leicht<lb/> das Siegen vergessen.</p><lb/> <p>Uebrigens war es in Port Arthur nicht anders. Dort hatte man Puffs<lb/> mit einem Luxus eingerichtet, an den derartige Häuser in Paris nicht heran-<lb/> reichen. Bei Wein, Weib und Gesang ging es her wie nach großen Siegen.<lb/> Alexejew verließ mit dem letzten Zuge, der überhaupt herausgelassen werden<lb/> konnte, Port Arthur, mit ihm eine bekannte Tänzerin, wenn ich nicht irre,<lb/> die O...., die dort als Königin dieser edlen Weiblichkeit die begehrteste<lb/> war. Der Vizekönig soll ihr auch seine Gunst bezeugt haben. Für sie war<lb/> es sicher ein höchst lohnender Raubzug, denn die Offiziere, besonders die hohen,<lb/> haben ungeheure Gelder. Sparen gibt es nicht, alles wird verlumpt. Jch<lb/> will von sexuellen Ausschreitungen anderer Art nicht sprechen, sie sind zu<lb/> ekelhaft.</p><lb/> <p>Was ich an amtlichen Berichten nach Petersburg gesehen habe, gibt<lb/> völlig schiefe Bilder. U. a. wurde der famose Ritt Mitschenkos als große Tat<lb/> gedrahtet. 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Aus dem russischen Hauptquartier. 691
mit Freßvorräten auch ungeheure Mengen alkoholischer Getränke. Sie wirken
nachteiliger, wie die japanischen Geschosse, aus dem einfachen Grunde, weil jeder
von ihnen betroffen wird. Offiziere und Soldaten sind zum Teil ständig im
Rausche, der Alkohol=Pegel steht so hoch, daß morgens nur ganz wenig auf-
gefüllt zu werden braucht, um wieder in dem schon als normal zu bezeichnen-
den Zustande zu sein. Jn der Schlacht bei Liaujang sah ich mit eigenen
Augen einen hohen Offizier vom Pferde fallen, jüngere Herren taumelten
und lallten. Wochenlang haben wir ja nichts zu tun gehabt, glaubst Du,
daß ein einziges Mal während der langen Zeit, in der wir friedlich und ge-
mütlich in unseren Erdhöhlen wohnten, Zielübungen gemacht oder Griffe
gekloppt wurden, oder langsamer Schritt geübt? Denke an 70, nach den
herrlichsten Siegen wurde zunächst Appell mit den „kurzen Langschäftigen“
abgehalten, dann Detailexerzieren und Zielen. So allein kann man ja auch
nur im Kriegsleben, das sowieso das Verhältnis zwischen Vorgesetzten und
Soldaten verwischt, die Disziplin aufrecht erhalten. Die Japaner sollen es
übrigens ebenso machen, unsere Offiziere und Leute lachen darüber, wer zu-
letzt lacht, ist für mich längst kein Zweifel mehr. Beinahe noch schlimmer wie
Alkohol und Jndolenz ist die unerhörte Weiberzucht. Es ist wohl noch niemals
dagewesen, daß ein Heer neben seinem ungeheuren Troß fliegende öffent-
liche Häuser in großer Zahl mit sich führt, damit Offiziere und Mann-
schaften ihr Vergnügen haben. Der Dirnennachschub ist zehnmal besser ge-
regelt wie der Munitionsersatz. Man musiziert in diesen Häusern, tanzt
und trinkt sogenannten Sekt. Der Lieferant dieser wohl eigens für den
Krieg erfundenen Sorte muß Millionär werden ( 20 Rubel die Flasche ) . Die
Dirnen sind in verschiedene Klassen geteilt, für die Generalität, Offiziere und
Mannschaften. Kuropatkin wendet der „Weiberfrage“ eine mir völlig un-
verständliche Aufmerksamkeit zu, er ist der Meinung, „seine Leute brauchen
das“. Du kannst Dir diese Zucht nicht vorstellen. 500_000 Mann in dieser
Hinsicht zu versorgen, ist wirklich keine Kleinigkeit, man kann darüber leicht
das Siegen vergessen.
Uebrigens war es in Port Arthur nicht anders. Dort hatte man Puffs
mit einem Luxus eingerichtet, an den derartige Häuser in Paris nicht heran-
reichen. Bei Wein, Weib und Gesang ging es her wie nach großen Siegen.
Alexejew verließ mit dem letzten Zuge, der überhaupt herausgelassen werden
konnte, Port Arthur, mit ihm eine bekannte Tänzerin, wenn ich nicht irre,
die O...., die dort als Königin dieser edlen Weiblichkeit die begehrteste
war. Der Vizekönig soll ihr auch seine Gunst bezeugt haben. Für sie war
es sicher ein höchst lohnender Raubzug, denn die Offiziere, besonders die hohen,
haben ungeheure Gelder. Sparen gibt es nicht, alles wird verlumpt. Jch
will von sexuellen Ausschreitungen anderer Art nicht sprechen, sie sind zu
ekelhaft.
Was ich an amtlichen Berichten nach Petersburg gesehen habe, gibt
völlig schiefe Bilder. U. a. wurde der famose Ritt Mitschenkos als große Tat
gedrahtet. Die Jdee, mit 45_000 Kosaken im Rücken der Japaner aufzu-
tauchen, war nicht übel. Aber als man reiten wollte, wollten die Herren
Kosaken nicht, unerhörter Weise waren sie nicht gefragt worden. Schließlich
kam man auf einen sinnigen Ausweg: man log den Kerls vor, dort, in irgend
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Zitationshilfe: | Europa. Wochenschrift für Kultur und Politik. Jahrgang 1, Heft 14. Berlin-Charlottenburg, 20. April 1905, S. 691. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_europa0114_1905/51>, abgerufen am 16.02.2025. |