Europa. Wochenschrift für Kultur und Politik. Jahrgang 1, Heft 14. Berlin-Charlottenburg, 20. April 1905.678 J. Hart: Monismus und Widerspruchslogik. Unveränderlichkeit ausging, tatsächlich stets zu einer höchsten Unruhe desDenkens, zu ewigem Skeptizismus und Agnostizismus, zu lauter Ver- wirrungen und Welträtseln führte, -- während die Heraklitische Logik der Bewegung und des Wechsels offenbar eine Triebkraft in sich besitzt, gnosti- zistische Denkgebilde zu erzeugen, Religionen zu erbauen, in den Menschen ein Gefühl der Ruhe und Seligkeit aufkommen läßt, eine Selbstgewißheit, welche die Welt völlig richtig erkannt zu haben glaubt. Jst es nicht vielleicht nur diese Aristotelische Logik, welche unsere Philo- Wenn dennoch diese Logik der Bewegungen und Entwickelungen sich nicht [Abbildung]
678 J. Hart: Monismus und Widerspruchslogik. Unveränderlichkeit ausging, tatsächlich stets zu einer höchsten Unruhe desDenkens, zu ewigem Skeptizismus und Agnostizismus, zu lauter Ver- wirrungen und Welträtseln führte, — während die Heraklitische Logik der Bewegung und des Wechsels offenbar eine Triebkraft in sich besitzt, gnosti- zistische Denkgebilde zu erzeugen, Religionen zu erbauen, in den Menschen ein Gefühl der Ruhe und Seligkeit aufkommen läßt, eine Selbstgewißheit, welche die Welt völlig richtig erkannt zu haben glaubt. Jst es nicht vielleicht nur diese Aristotelische Logik, welche unsere Philo- Wenn dennoch diese Logik der Bewegungen und Entwickelungen sich nicht [Abbildung]
<TEI> <text> <body> <div type="jArticle" n="1"> <p><pb facs="#f0038" n="678"/><fw type="header" place="top">678 J. Hart: Monismus und Widerspruchslogik.</fw><lb/> Unveränderlichkeit ausging, tatsächlich stets zu einer höchsten Unruhe des<lb/> Denkens, zu ewigem Skeptizismus und Agnostizismus, zu lauter Ver-<lb/> wirrungen und Welträtseln führte, — während die Heraklitische Logik der<lb/> Bewegung und des Wechsels offenbar eine Triebkraft in sich besitzt, gnosti-<lb/> zistische Denkgebilde zu erzeugen, Religionen zu erbauen, in den Menschen<lb/> ein Gefühl der Ruhe und Seligkeit aufkommen läßt, eine Selbstgewißheit,<lb/> welche die Welt völlig richtig erkannt zu haben glaubt.</p><lb/> <p>Jst es nicht vielleicht nur diese Aristotelische Logik, welche unsere Philo-<lb/> sophie so steril erscheinen läßt, daß in ihr gerade der gesunde Menschenverstand<lb/> gleichsam verloren geht, — indem wir in „abstrakter Gebundenheit“ auf ein<lb/> Wort starren und uns gegenseitig mit Worten erwürgen, weil wir uns nicht<lb/> zuvor klar werden über das Wechselbalgwesen, die Wandelungen und Doppelt-<lb/> sinne eines jeden Wortes? Dieser Rationalismus mit seinem scheinbaren<lb/> Kritizismus, der niemals über die Frage hinwegkommt: ist das nun einerlei<lb/> oder zweierlei? steht gerade damit so hilflos dem Leben und dem Lebendigen<lb/> gegenüber, das eben in der Heraklitischen Logik nach Ausdruck ringt.</p><lb/> <p>Wenn dennoch diese Logik der Bewegungen und Entwickelungen sich nicht<lb/> durchsetzen konnte und auch heute noch durchaus für dunkel, paradox und un-<lb/> verständlich gehalten wird, so liegt das nur darin, daß auch sie sich der Gewalt<lb/> der alten Alleinheitsidee nicht entziehen konnte, und gerade die Giordano<lb/> Bruno und Hegel sich als so wilde Monisten gebärden. Dieser Monismus, der<lb/> immer nur absolut gedacht wurde, und nur, wenn er absolut gedacht wird,<lb/> Kraft und Grund besitzt, einer Weltanschauung den Namen zu geben, hat uns<lb/> die Welt verwirrt. Und wohl mag es noch eine Weile dauern, bis unser<lb/> Glaube an eine sich entwickelnde Welt uns innerlich und wahrhaft von all den<lb/> Vorstellungen, Wahnen und Einbildungen befreit hat, welche die Jdeen von<lb/> einem Alleinheitswesen, einem in sich von vornherein fertigen, abgeschlossenen<lb/> ruhenden und unveränderlichen Weltwesen mit sich bringen mußten. Den<lb/> Darwinismus wollen wir aber nicht zu einer Stütze der alten Weltanschauung<lb/> werden lassen, sondern mit ihm zu immer neuem Kampfe gegen sie ausziehen,<lb/> daß uns zuletzt doch eine neue Weltanschauung ohne Welträtsel und ohne un-<lb/> überwindliche Widersprüche, eine Weltanschauung zuletzt auch der Harmonie<lb/> von Glauben und Wissen, Selbstgewißheit und objektiver Gewißheit, zuteil<lb/> wird.</p> </div><lb/> <figure/><lb/> </body> </text> </TEI> [678/0038]
678 J. Hart: Monismus und Widerspruchslogik.
Unveränderlichkeit ausging, tatsächlich stets zu einer höchsten Unruhe des
Denkens, zu ewigem Skeptizismus und Agnostizismus, zu lauter Ver-
wirrungen und Welträtseln führte, — während die Heraklitische Logik der
Bewegung und des Wechsels offenbar eine Triebkraft in sich besitzt, gnosti-
zistische Denkgebilde zu erzeugen, Religionen zu erbauen, in den Menschen
ein Gefühl der Ruhe und Seligkeit aufkommen läßt, eine Selbstgewißheit,
welche die Welt völlig richtig erkannt zu haben glaubt.
Jst es nicht vielleicht nur diese Aristotelische Logik, welche unsere Philo-
sophie so steril erscheinen läßt, daß in ihr gerade der gesunde Menschenverstand
gleichsam verloren geht, — indem wir in „abstrakter Gebundenheit“ auf ein
Wort starren und uns gegenseitig mit Worten erwürgen, weil wir uns nicht
zuvor klar werden über das Wechselbalgwesen, die Wandelungen und Doppelt-
sinne eines jeden Wortes? Dieser Rationalismus mit seinem scheinbaren
Kritizismus, der niemals über die Frage hinwegkommt: ist das nun einerlei
oder zweierlei? steht gerade damit so hilflos dem Leben und dem Lebendigen
gegenüber, das eben in der Heraklitischen Logik nach Ausdruck ringt.
Wenn dennoch diese Logik der Bewegungen und Entwickelungen sich nicht
durchsetzen konnte und auch heute noch durchaus für dunkel, paradox und un-
verständlich gehalten wird, so liegt das nur darin, daß auch sie sich der Gewalt
der alten Alleinheitsidee nicht entziehen konnte, und gerade die Giordano
Bruno und Hegel sich als so wilde Monisten gebärden. Dieser Monismus, der
immer nur absolut gedacht wurde, und nur, wenn er absolut gedacht wird,
Kraft und Grund besitzt, einer Weltanschauung den Namen zu geben, hat uns
die Welt verwirrt. Und wohl mag es noch eine Weile dauern, bis unser
Glaube an eine sich entwickelnde Welt uns innerlich und wahrhaft von all den
Vorstellungen, Wahnen und Einbildungen befreit hat, welche die Jdeen von
einem Alleinheitswesen, einem in sich von vornherein fertigen, abgeschlossenen
ruhenden und unveränderlichen Weltwesen mit sich bringen mußten. Den
Darwinismus wollen wir aber nicht zu einer Stütze der alten Weltanschauung
werden lassen, sondern mit ihm zu immer neuem Kampfe gegen sie ausziehen,
daß uns zuletzt doch eine neue Weltanschauung ohne Welträtsel und ohne un-
überwindliche Widersprüche, eine Weltanschauung zuletzt auch der Harmonie
von Glauben und Wissen, Selbstgewißheit und objektiver Gewißheit, zuteil
wird.
[Abbildung]
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/nn_europa0114_1905 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/nn_europa0114_1905/38 |
Zitationshilfe: | Europa. Wochenschrift für Kultur und Politik. Jahrgang 1, Heft 14. Berlin-Charlottenburg, 20. April 1905, S. 678. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_europa0114_1905/38>, abgerufen am 16.02.2025. |