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Europa. Wochenschrift für Kultur und Politik. Jahrgang 1, Heft 14. Berlin-Charlottenburg, 20. April 1905.

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672 J. Hart: Monismus und Widerspruchslogik.
widersprechende Gottwelt entgegensetzte, hatte es selbstverständlich ungeheuren
Wert und unendliche Bedeutung, diese, nur diese Frage zu entscheiden, und
wenn man ihren ungeheuren Wert für die alte Weltanschauung in allen
seinen Tiefen ermißt, dann kann man teilnehmen an dem seligen Rausch
und Entzücken des Menschen, dem das unfaßbare Glück zuteil wurde, die
absolute Einheit wirklich zu schauen. Aber das Kind unserer Zeit muß zu dem
Bewußtsein gelangen, daß es keinen Sinn und Zweck mehr hat, zu fragen und
zu untersuchen, ob Körper und Seele eine oder zwei versch edene Realitäten
bilden: genau so, wie ein moderner Freidenker und Atheist es für einen
Unsinn halten muß, wie vor anderthalb Jahrtausenden darüber zu streiten,
ob Christus homousios oder homoiousios ist, oder ob das Brot des Abend-
mahls der Leib Christi wirklich ist oder ihn nur bedeutet. Eine physikalische
Weltauffassung kann nicht ihr Wesen und Ziel in der Behauptung eines
Monismus suchen, und ein Physiomonismus ist, Haeckel muß mir schon ver-
zeihen, etwas wild Unsinniges, ein Kraut= und Rübendurcheinander, noch
etwas viel Unfaßlicheres und Unvorstellbareres, als ein Theomonismus.
Haeckel spricht von einer Entwickelungsweltanschauung, und die Aufgabe aller
Aufgaben besteht für ihn allein darin, eine Entwickelung nachzuweisen; die
Alleinheit kann ihm zunächst einmal ganz gleichgültig sein, und wenn sie
sich nicht aufrecht erhalten läßt, so muß sie fallen.

Jn der Tat liegt die Sache aber so, daß unser ganzes Denken durch
unsere monistische Weltauffassung und unter ihrer vieltausendjährigen Herr-
schaft in ganz feste Bahnen gelenkt ist, immer dieselben Wege geht, und daß
es uns ungeheuer schwer wird, diese zu verlassen und zu der Vorstellung zu
gelangen, daß wir die Welt wohl auch noch ganz anders denken können. Auch
unsere Naturwissenschaft steht mit ihrem Denken noch immer in den Fesseln der
alten Metaphysik, wirtschaftet zuletzt mit lauter metaphysischen Jdeen und
stellt als ihre letzten Ziele die Lösung lauter solcher metapysischer Absoluti-
tätsprobleme hin, die sie als Urväter Hausrat von der Vergangenheit einfach
übernommen hat und als toten Ballast mitschleppt. Und ihr tut vielleicht
nichts so notwendig als wiederum ein " Novum organon " eines neuen
Bacon, welcher sie aufklärt über den Wust bloßer scholastischer Vorstellungen,
der sich von neuem aufhäufte, und an die Wurzeln herabsteigend, ihre Denk-
lehre
und ihre Denkvoraussetzungen noch einmal untersucht und
auf die alte Frage: Was ist und was will die Naturwissenschaft, was ist ihr
besonderer Zweck und ihr besonderes Vermögen, vielleicht ganz anders ant-
wortet, als man noch heute darauf zu antworten pflegt.

Das ist wohl gerade die Torheit und der eitle Hochmut des modernen
Menschen, sein leichtfertiger Dünkel und seine platte Oberflächlichkeit, wenn
er behauptet, die alte Metaphysik und die Ding an sich=Lehre völlig über-
wunden zu haben. Während er gar nicht sieht, wie tief sie ihm noch in
Fleisch und Blut steckt. Und vor ihr nur den Kopf in den Sand steckt. Dieses
in den Sand stecken des Kopfes kann ich verstehen und halte ich berechtigt bei
einer rein naturwissenschaftlichen Betrachtung, und für meine Person fühle
ich mich in dieser Hinsicht durch die Forelschen Ausführungen vollkommen
befriedigt, indem ich eine weitere Analyse des primär gegebenen Bewußtseins
einfach ausschließe: aber eine Naturwissenschaft, die eine Naturphilosophie
sein und nicht nur die eine Seelen= und Körperfrage, sondern alle Fragen

672 J. Hart: Monismus und Widerspruchslogik.
widersprechende Gottwelt entgegensetzte, hatte es selbstverständlich ungeheuren
Wert und unendliche Bedeutung, diese, nur diese Frage zu entscheiden, und
wenn man ihren ungeheuren Wert für die alte Weltanschauung in allen
seinen Tiefen ermißt, dann kann man teilnehmen an dem seligen Rausch
und Entzücken des Menschen, dem das unfaßbare Glück zuteil wurde, die
absolute Einheit wirklich zu schauen. Aber das Kind unserer Zeit muß zu dem
Bewußtsein gelangen, daß es keinen Sinn und Zweck mehr hat, zu fragen und
zu untersuchen, ob Körper und Seele eine oder zwei versch edene Realitäten
bilden: genau so, wie ein moderner Freidenker und Atheist es für einen
Unsinn halten muß, wie vor anderthalb Jahrtausenden darüber zu streiten,
ob Christus homousios oder homoiousios ist, oder ob das Brot des Abend-
mahls der Leib Christi wirklich ist oder ihn nur bedeutet. Eine physikalische
Weltauffassung kann nicht ihr Wesen und Ziel in der Behauptung eines
Monismus suchen, und ein Physiomonismus ist, Haeckel muß mir schon ver-
zeihen, etwas wild Unsinniges, ein Kraut= und Rübendurcheinander, noch
etwas viel Unfaßlicheres und Unvorstellbareres, als ein Theomonismus.
Haeckel spricht von einer Entwickelungsweltanschauung, und die Aufgabe aller
Aufgaben besteht für ihn allein darin, eine Entwickelung nachzuweisen; die
Alleinheit kann ihm zunächst einmal ganz gleichgültig sein, und wenn sie
sich nicht aufrecht erhalten läßt, so muß sie fallen.

Jn der Tat liegt die Sache aber so, daß unser ganzes Denken durch
unsere monistische Weltauffassung und unter ihrer vieltausendjährigen Herr-
schaft in ganz feste Bahnen gelenkt ist, immer dieselben Wege geht, und daß
es uns ungeheuer schwer wird, diese zu verlassen und zu der Vorstellung zu
gelangen, daß wir die Welt wohl auch noch ganz anders denken können. Auch
unsere Naturwissenschaft steht mit ihrem Denken noch immer in den Fesseln der
alten Metaphysik, wirtschaftet zuletzt mit lauter metaphysischen Jdeen und
stellt als ihre letzten Ziele die Lösung lauter solcher metapysischer Absoluti-
tätsprobleme hin, die sie als Urväter Hausrat von der Vergangenheit einfach
übernommen hat und als toten Ballast mitschleppt. Und ihr tut vielleicht
nichts so notwendig als wiederum ein „ Novum organon “ eines neuen
Bacon, welcher sie aufklärt über den Wust bloßer scholastischer Vorstellungen,
der sich von neuem aufhäufte, und an die Wurzeln herabsteigend, ihre Denk-
lehre
und ihre Denkvoraussetzungen noch einmal untersucht und
auf die alte Frage: Was ist und was will die Naturwissenschaft, was ist ihr
besonderer Zweck und ihr besonderes Vermögen, vielleicht ganz anders ant-
wortet, als man noch heute darauf zu antworten pflegt.

Das ist wohl gerade die Torheit und der eitle Hochmut des modernen
Menschen, sein leichtfertiger Dünkel und seine platte Oberflächlichkeit, wenn
er behauptet, die alte Metaphysik und die Ding an sich=Lehre völlig über-
wunden zu haben. Während er gar nicht sieht, wie tief sie ihm noch in
Fleisch und Blut steckt. Und vor ihr nur den Kopf in den Sand steckt. Dieses
in den Sand stecken des Kopfes kann ich verstehen und halte ich berechtigt bei
einer rein naturwissenschaftlichen Betrachtung, und für meine Person fühle
ich mich in dieser Hinsicht durch die Forelschen Ausführungen vollkommen
befriedigt, indem ich eine weitere Analyse des primär gegebenen Bewußtseins
einfach ausschließe: aber eine Naturwissenschaft, die eine Naturphilosophie
sein und nicht nur die eine Seelen= und Körperfrage, sondern alle Fragen

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Zitationshilfe: Europa. Wochenschrift für Kultur und Politik. Jahrgang 1, Heft 14. Berlin-Charlottenburg, 20. April 1905, S. 672. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_europa0114_1905/32>, abgerufen am 25.11.2024.