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Europa. Wochenschrift für Kultur und Politik. Jahrgang 1, Heft 10. Berlin-Charlottenburg, 23. März 1905.

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Prof. F. Staudinger: Zwei Weltprinzipien im Kampfe.
es vor allem die 86 Vertreter des Großgrundbesitzes hat, die in Servilismus
vor der Krone ersterben. Sie sind vor allem das Hindernis jeder weitschauenden
und volkstümlichen Politik. Dazu kommt der Nationalitätenzwist, der weit
über sein natürliches Maß, insbesondere in Böhmen, von den Feudalen geschürt
wird und zur Folge hat, daß um scheinbarer nationaler Konzessionen
halber die einzelnen nationalen Gruppen die wahren wirtschaftlichen, geistigen
und sittlichen Jnteressen der von ihnen vertretenen Völker jederzeit zu verraten
bereit sind.

Die Aufhebung der dualistischen Staatsform ist eine Vorbedingung für
die innere Gesundung Westösterreichs, für die natürliche Entwicklung Ungarns,
endlich für die Existenz der Gesamt=Monarchie. Vielleicht bergen künftige
Gestaltungen noch andere Möglichkeiten einer Staatsform, die besser die Ein-
heit des Reiches, falls sie überhaupt noch notwendig ist, garantiert. Wenn
dem so ist, so muß der Dualismus, der wie ein Stein im Wege liegt, aus dem
Wege geräumt werden.

   
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Zwei Weltprinzipien im Kampfe.
Von Prof. F. Staudinger, Darmstadt.

Nicht bloß zwei Welt anschauungen, nein zwei auf durchaus realen
Grundlagen ruhende Welt prinzipien liegen heute im Kampfe. Welt-
anschauungen verschiedener Art könnten sich schon vertragen, oder doch bloß
akademisch streiten. Aber wo einer den anderen praktisch vom Platze drängen
muß, um sich selbst zu behaupten, da gewinnt der Kampf ein anderes Gepräge.

Man streitet so gerne, ob der heute entbrannte Kampf sich "friedlich"
oder "gewaltsam" lösen "solle". Jn diesem Sinne ist der Streit ganz gegen-
standslos. Denn das hängt von Faktoren ab, über die wir nicht Herr sind.
Wir können höchstens fragen, erstlich, ob es wünschenswert ist, daß der Streit
friedlich gelöst werde, und zweitens, ob es möglich ist. Daß es wünschenswert
ist, ihn friedlich zu lösen, darf uns wohl keinen Augenblick zweifelhaft sein.
Aber wie nun, wenn dem berechtigsten Bitten und friedlichsten Drängen, wenn
der gesetzmäßigsten Kundgebung Geschoß und Kerker drohen, wie wir es eben
in Rußland erlebt? Da verstummt auch der friedebegierigste Mund, und das
Gefühl kommt über uns, daß hier Gewalten wirken, denen man ebenso wenig
Friede predigen kann, wie den Wölfen der russischen Steppe.

Aber es wäre allzu billig, da in sittlicher Entrüstung zu machen. Wer
kann Wölfen Moral predigen, und wenn es Wölfe mit Menschenantlitz wären!
Hier muß man verstehen und danach, so gut es gehen will, handeln.

Um zu verstehen, wollen wir einmal die beiden elementarsten Welt-

Prof. F. Staudinger: Zwei Weltprinzipien im Kampfe.
es vor allem die 86 Vertreter des Großgrundbesitzes hat, die in Servilismus
vor der Krone ersterben. Sie sind vor allem das Hindernis jeder weitschauenden
und volkstümlichen Politik. Dazu kommt der Nationalitätenzwist, der weit
über sein natürliches Maß, insbesondere in Böhmen, von den Feudalen geschürt
wird und zur Folge hat, daß um scheinbarer nationaler Konzessionen
halber die einzelnen nationalen Gruppen die wahren wirtschaftlichen, geistigen
und sittlichen Jnteressen der von ihnen vertretenen Völker jederzeit zu verraten
bereit sind.

Die Aufhebung der dualistischen Staatsform ist eine Vorbedingung für
die innere Gesundung Westösterreichs, für die natürliche Entwicklung Ungarns,
endlich für die Existenz der Gesamt=Monarchie. Vielleicht bergen künftige
Gestaltungen noch andere Möglichkeiten einer Staatsform, die besser die Ein-
heit des Reiches, falls sie überhaupt noch notwendig ist, garantiert. Wenn
dem so ist, so muß der Dualismus, der wie ein Stein im Wege liegt, aus dem
Wege geräumt werden.

   
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Zwei Weltprinzipien im Kampfe.
Von Prof. F. Staudinger, Darmstadt.

Nicht bloß zwei Welt anschauungen, nein zwei auf durchaus realen
Grundlagen ruhende Welt prinzipien liegen heute im Kampfe. Welt-
anschauungen verschiedener Art könnten sich schon vertragen, oder doch bloß
akademisch streiten. Aber wo einer den anderen praktisch vom Platze drängen
muß, um sich selbst zu behaupten, da gewinnt der Kampf ein anderes Gepräge.

Man streitet so gerne, ob der heute entbrannte Kampf sich „friedlich“
oder „gewaltsam“ lösen „solle“. Jn diesem Sinne ist der Streit ganz gegen-
standslos. Denn das hängt von Faktoren ab, über die wir nicht Herr sind.
Wir können höchstens fragen, erstlich, ob es wünschenswert ist, daß der Streit
friedlich gelöst werde, und zweitens, ob es möglich ist. Daß es wünschenswert
ist, ihn friedlich zu lösen, darf uns wohl keinen Augenblick zweifelhaft sein.
Aber wie nun, wenn dem berechtigsten Bitten und friedlichsten Drängen, wenn
der gesetzmäßigsten Kundgebung Geschoß und Kerker drohen, wie wir es eben
in Rußland erlebt? Da verstummt auch der friedebegierigste Mund, und das
Gefühl kommt über uns, daß hier Gewalten wirken, denen man ebenso wenig
Friede predigen kann, wie den Wölfen der russischen Steppe.

Aber es wäre allzu billig, da in sittlicher Entrüstung zu machen. Wer
kann Wölfen Moral predigen, und wenn es Wölfe mit Menschenantlitz wären!
Hier muß man verstehen und danach, so gut es gehen will, handeln.

Um zu verstehen, wollen wir einmal die beiden elementarsten Welt-

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[446/0014] Prof. F. Staudinger: Zwei Weltprinzipien im Kampfe. es vor allem die 86 Vertreter des Großgrundbesitzes hat, die in Servilismus vor der Krone ersterben. Sie sind vor allem das Hindernis jeder weitschauenden und volkstümlichen Politik. Dazu kommt der Nationalitätenzwist, der weit über sein natürliches Maß, insbesondere in Böhmen, von den Feudalen geschürt wird und zur Folge hat, daß um scheinbarer nationaler Konzessionen halber die einzelnen nationalen Gruppen die wahren wirtschaftlichen, geistigen und sittlichen Jnteressen der von ihnen vertretenen Völker jederzeit zu verraten bereit sind. Die Aufhebung der dualistischen Staatsform ist eine Vorbedingung für die innere Gesundung Westösterreichs, für die natürliche Entwicklung Ungarns, endlich für die Existenz der Gesamt=Monarchie. Vielleicht bergen künftige Gestaltungen noch andere Möglichkeiten einer Staatsform, die besser die Ein- heit des Reiches, falls sie überhaupt noch notwendig ist, garantiert. Wenn dem so ist, so muß der Dualismus, der wie ein Stein im Wege liegt, aus dem Wege geräumt werden. Wien, 13. März 1905. [Abbildung] Zwei Weltprinzipien im Kampfe. Von Prof. F. Staudinger, Darmstadt. Nicht bloß zwei Welt anschauungen, nein zwei auf durchaus realen Grundlagen ruhende Welt prinzipien liegen heute im Kampfe. Welt- anschauungen verschiedener Art könnten sich schon vertragen, oder doch bloß akademisch streiten. Aber wo einer den anderen praktisch vom Platze drängen muß, um sich selbst zu behaupten, da gewinnt der Kampf ein anderes Gepräge. Man streitet so gerne, ob der heute entbrannte Kampf sich „friedlich“ oder „gewaltsam“ lösen „solle“. Jn diesem Sinne ist der Streit ganz gegen- standslos. Denn das hängt von Faktoren ab, über die wir nicht Herr sind. Wir können höchstens fragen, erstlich, ob es wünschenswert ist, daß der Streit friedlich gelöst werde, und zweitens, ob es möglich ist. Daß es wünschenswert ist, ihn friedlich zu lösen, darf uns wohl keinen Augenblick zweifelhaft sein. Aber wie nun, wenn dem berechtigsten Bitten und friedlichsten Drängen, wenn der gesetzmäßigsten Kundgebung Geschoß und Kerker drohen, wie wir es eben in Rußland erlebt? Da verstummt auch der friedebegierigste Mund, und das Gefühl kommt über uns, daß hier Gewalten wirken, denen man ebenso wenig Friede predigen kann, wie den Wölfen der russischen Steppe. Aber es wäre allzu billig, da in sittlicher Entrüstung zu machen. Wer kann Wölfen Moral predigen, und wenn es Wölfe mit Menschenantlitz wären! Hier muß man verstehen und danach, so gut es gehen will, handeln. Um zu verstehen, wollen wir einmal die beiden elementarsten Welt-

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Zitationshilfe: Europa. Wochenschrift für Kultur und Politik. Jahrgang 1, Heft 10. Berlin-Charlottenburg, 23. März 1905, S. 446. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_europa0110_1905/14>, abgerufen am 23.11.2024.