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Europa. Wochenschrift für Kultur und Politik. Jahrgang 1, Heft 8. Berlin-Charlottenburg, 9. März 1905.

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Dr. Monty Jacobs: Elga.
fälligen Patriziertum der Starschenskys gegenüber: Zigeunerin und Landjunker.
Jn der Schule des Elends hat sie Tod und Teufel verlachen gelernt, erst die
Gefahr macht ihr, wie ihren Brüdern, das Leben lebenswert. Verderbt und
naiv zugleich, ein lasterhaftes Kind: "Wo ich glücklich und fröhlich sein kann,
Pan, da liebe ich auch."

Wie das Drama die seltsam verhüllten Züge der Grillparzerschen Starosten
enthüllt, so veredelt es die Motive der Fabel. Allzudeutliches, wie die wunder-
same Ähnlichkeit eines unechten Kindes mit seinem Vater, wird gemildert.
Abstoßendes wird verklärt: vor allem die Gestalt des Verführers. Oginski
benimmt sich in der Novelle feig, unritterlich, kompromittiert die Geliebte und
entflieht. Jm Drama wird aus dem Zuhälter ein Edelmann: kalt, wortkarg,
grausam, ein todbereiter Sonderling, aber kein Grniedrigter. So ergiebt sich
mit zwingender Gewalt ein neuer Abschluß. Oginski wird ( an Elgas Statt )
getötet, an seiner Leiche speit die Gräfin dem Gatten ihre Verachtung ins
Gesicht, im letzten Aufglühen ihres Temperaments. Vorher aber bereitet eine
zauberseltsame, beklemmende Zwiesprache der Männer das Ende vor. Eine
Zwiesprache, vom Duft des Weins durchtränkt, hinter deren dunklen Worten
verhaltene Gluten auflodern, zwei Seelen ein stummes Ringen anheben, alle
Schrecken des nahen Untergangs lauern...

Keime und Ansätze zu all diesen Herrlichkeiten birgt der Entwurf. Aber
auch nicht mehr als Keime und Ansätze. Überall verrät sich das frühe Ent-
wicklungsstadium der Niederschrift. Etwa in der, Hauptmanns Art fremden
Gewohnheit der Gestalten, ihr eigenes Wesen zu kommentieren. Etwa
in der mangelnden Beseelung toter Strecken, in der oft lässigen, wenig
differenzierenden Sprache. Fast alles, was direkt aus der Vorlage stammt,
wirkt unsrei. Erst zum Schluß setzt mit der eigenen Erfindung eigenes Leben
ein. Bis dahin bleibt dem Leser, wenn er ein Philologe ist, der pikante Genuß,
den Wetteifer zweier stiller Meister sowie die nicht ungetrübte Ehe der Er-
zählungsform und der Bühnenform zu beobachten.

Das Theaterpublikum aber besteht, dem Himmel sei Dank, nicht durchweg
aus Philologen. Man soll es deshalb mit Experimenten verschonen, deren
Verantwortung nicht der Dichter, sondern die Verblendung und Sterilität der
Direktion trägt. Wer Tonmodelle für Marmorbildsäulen ausgibt, muß nicht
nur das Publikum, sondern auch seine bewährtesten Mitarbeiter verwirren.
Entwürfe fordern die Mithülfe der Darsteller heraus und belasten ihre Ver-
antwortung zu sehr, als daß sich freie und leichte Vollendung erwarten ließe.
So leisteten die Träger der Hauptrollen das beste, wenn ihr stummes Spiel
die Linien eines Bildes nachzog, dessen Konturen eine allzu verwischte Skizze
nur unvollkommen andeutet. Etwa, wenn Rudolf Rittners verratener Ehe-
mann mit wankendem Knie und hervorquellendem Auge dumpf röchelnd dastand,
ein jäh aus süßem Glückstraum emporgeschüttelter Mann. Oder wenn Jrene
Trieschs
Elga mit blitzenden Augen den Sieg des feiner differenzierten,
vom Pflichtenballast unbeschwerten Geschlechts über die plumpe Männlichkeit
symbolisierte.



Dr. Monty Jacobs: Elga.
fälligen Patriziertum der Starschenskys gegenüber: Zigeunerin und Landjunker.
Jn der Schule des Elends hat sie Tod und Teufel verlachen gelernt, erst die
Gefahr macht ihr, wie ihren Brüdern, das Leben lebenswert. Verderbt und
naiv zugleich, ein lasterhaftes Kind: „Wo ich glücklich und fröhlich sein kann,
Pan, da liebe ich auch.“

Wie das Drama die seltsam verhüllten Züge der Grillparzerschen Starosten
enthüllt, so veredelt es die Motive der Fabel. Allzudeutliches, wie die wunder-
same Ähnlichkeit eines unechten Kindes mit seinem Vater, wird gemildert.
Abstoßendes wird verklärt: vor allem die Gestalt des Verführers. Oginski
benimmt sich in der Novelle feig, unritterlich, kompromittiert die Geliebte und
entflieht. Jm Drama wird aus dem Zuhälter ein Edelmann: kalt, wortkarg,
grausam, ein todbereiter Sonderling, aber kein Grniedrigter. So ergiebt sich
mit zwingender Gewalt ein neuer Abschluß. Oginski wird ( an Elgas Statt )
getötet, an seiner Leiche speit die Gräfin dem Gatten ihre Verachtung ins
Gesicht, im letzten Aufglühen ihres Temperaments. Vorher aber bereitet eine
zauberseltsame, beklemmende Zwiesprache der Männer das Ende vor. Eine
Zwiesprache, vom Duft des Weins durchtränkt, hinter deren dunklen Worten
verhaltene Gluten auflodern, zwei Seelen ein stummes Ringen anheben, alle
Schrecken des nahen Untergangs lauern...

Keime und Ansätze zu all diesen Herrlichkeiten birgt der Entwurf. Aber
auch nicht mehr als Keime und Ansätze. Überall verrät sich das frühe Ent-
wicklungsstadium der Niederschrift. Etwa in der, Hauptmanns Art fremden
Gewohnheit der Gestalten, ihr eigenes Wesen zu kommentieren. Etwa
in der mangelnden Beseelung toter Strecken, in der oft lässigen, wenig
differenzierenden Sprache. Fast alles, was direkt aus der Vorlage stammt,
wirkt unsrei. Erst zum Schluß setzt mit der eigenen Erfindung eigenes Leben
ein. Bis dahin bleibt dem Leser, wenn er ein Philologe ist, der pikante Genuß,
den Wetteifer zweier stiller Meister sowie die nicht ungetrübte Ehe der Er-
zählungsform und der Bühnenform zu beobachten.

Das Theaterpublikum aber besteht, dem Himmel sei Dank, nicht durchweg
aus Philologen. Man soll es deshalb mit Experimenten verschonen, deren
Verantwortung nicht der Dichter, sondern die Verblendung und Sterilität der
Direktion trägt. Wer Tonmodelle für Marmorbildsäulen ausgibt, muß nicht
nur das Publikum, sondern auch seine bewährtesten Mitarbeiter verwirren.
Entwürfe fordern die Mithülfe der Darsteller heraus und belasten ihre Ver-
antwortung zu sehr, als daß sich freie und leichte Vollendung erwarten ließe.
So leisteten die Träger der Hauptrollen das beste, wenn ihr stummes Spiel
die Linien eines Bildes nachzog, dessen Konturen eine allzu verwischte Skizze
nur unvollkommen andeutet. Etwa, wenn Rudolf Rittners verratener Ehe-
mann mit wankendem Knie und hervorquellendem Auge dumpf röchelnd dastand,
ein jäh aus süßem Glückstraum emporgeschüttelter Mann. Oder wenn Jrene
Trieschs
Elga mit blitzenden Augen den Sieg des feiner differenzierten,
vom Pflichtenballast unbeschwerten Geschlechts über die plumpe Männlichkeit
symbolisierte.



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Zitationshilfe: Europa. Wochenschrift für Kultur und Politik. Jahrgang 1, Heft 8. Berlin-Charlottenburg, 9. März 1905, S. 380. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_europa0108_1905/44>, abgerufen am 23.11.2024.