Europa. Wochenschrift für Kultur und Politik. Jahrgang 1, Heft 8. Berlin-Charlottenburg, 9. März 1905.J. E. Poritzky: Der Tod. zweier Toten aufbewahrt. "Habe ich dein Bett gut gemacht?" fragt der ma-surische Totengräber den Toten; "wenn ich es dir nicht gut gemacht habe, so werde ich es besser machen." Nach solch beruhigender Rede erst legt der Tote sich zurück in den Schoß der Erde. Der Masure teilt auch den weit verbreiteten Volksglauben, daß der Heimgegangene im Grabe nicht gleich die ersehnte Ruhe findet und oft wiederkommt. Die Hinterbliebenen stellen ihm deshalb einen Stuhl ins Sterbezimmer und hängen ihm ein Handtuch an die Tür. Auf dem Stuhle ruht er aus und an dem Handtuch trocknet er seine reichlich fließenden Tränen. Und wie schön und lebhaft ist die verbreitete Anschauung, daß eine vom All dies sind freundliche Züge. Aber die Toten werden uns oft auch J. E. Poritzky: Der Tod. zweier Toten aufbewahrt. „Habe ich dein Bett gut gemacht?“ fragt der ma-surische Totengräber den Toten; „wenn ich es dir nicht gut gemacht habe, so werde ich es besser machen.“ Nach solch beruhigender Rede erst legt der Tote sich zurück in den Schoß der Erde. Der Masure teilt auch den weit verbreiteten Volksglauben, daß der Heimgegangene im Grabe nicht gleich die ersehnte Ruhe findet und oft wiederkommt. Die Hinterbliebenen stellen ihm deshalb einen Stuhl ins Sterbezimmer und hängen ihm ein Handtuch an die Tür. Auf dem Stuhle ruht er aus und an dem Handtuch trocknet er seine reichlich fließenden Tränen. Und wie schön und lebhaft ist die verbreitete Anschauung, daß eine vom All dies sind freundliche Züge. Aber die Toten werden uns oft auch <TEI> <text> <body> <div type="jArticle" n="1"> <p><pb facs="#f0027" n="363"/><fw type="header" place="top">J. E. Poritzky: Der Tod.</fw><lb/> zweier Toten aufbewahrt. „Habe ich dein Bett gut gemacht?“ fragt der <hi rendition="#g">ma-<lb/> surische</hi> Totengräber den Toten; „wenn ich es dir nicht gut gemacht habe,<lb/> so werde ich es besser machen.“ Nach solch beruhigender Rede erst legt der<lb/> Tote sich zurück in den Schoß der Erde. Der Masure teilt auch den weit<lb/> verbreiteten Volksglauben, daß der Heimgegangene im Grabe nicht gleich die<lb/> ersehnte Ruhe findet und oft wiederkommt. Die Hinterbliebenen stellen ihm<lb/> deshalb einen Stuhl ins Sterbezimmer und hängen ihm ein Handtuch an<lb/> die Tür. Auf dem Stuhle ruht er aus und an dem Handtuch trocknet er<lb/> seine reichlich fließenden Tränen.</p><lb/> <p>Und wie schön und lebhaft ist die verbreitete Anschauung, daß eine vom<lb/> Todeslos getroffene junge Mutter sechs Wochen lang allnächtlich wiederkehre,<lb/> um ihr auf der Erde zurückgelassenes Neugeborenes zu tränken und zurecht-<lb/> zulegen. Damit dies ordentlich geschehen könne, muß ihr alles Nötige zurecht-<lb/> gestellt werden; allabendlich wird ihr Bett in gewohnter Weise hergerichtet,<lb/> das man dann am anderen Morgen eingeknittert findet, als untrüglichen Be-<lb/> weis, daß sie darin geschlafen hat. Wer reinen Gewissens ist, kann es hören,<lb/> wie sie ihr Kind mit all den tausend kleinen und süßen Liebkosungen über-<lb/> schüttet, die eine junge Mutter zu verschwenden weiß.</p><lb/> <p>All dies sind freundliche Züge. Aber die Toten werden uns oft auch<lb/> als raublustig geschildert, bösartig und rachsüchtig ( Goethes „untreuer Knabe“ ) ,<lb/> als Vampyre und Quälgeister, als Alben und Kobolde ( Heines „ Traum-<lb/> bilder “ ) . Sie entführen junge Mädchen, wie im <hi rendition="#g">siebenbürgischen<lb/> Sachsen</hi> ( Bürgers „Leonore“ ) und in <hi rendition="#g">Jsland</hi> ängstigt der verstorbene<lb/> Geliebte sein Liebchen; er besucht sie nächtlich und stiehlt sich alle Freuden<lb/> einer irdischen Liebe ( der umgekehrte Fall: Goethes „Braut von Corinth“ ) ,<lb/> und dieser Liebe entspringt sogar ein Kind, das hellseherisch und weise, seltsam<lb/> und freudlos ist, ausgezeichnet durch Gaben des Körpers und Geistes, bestimmt<lb/> zu frühem, gewaltsamem Tode. Die Toten denken und empfinden, sie freuen<lb/> und grämen sich, sie zürnen und verzeihen — nichts haben sie vor uns Lebenden<lb/> voraus, als die Macht, andern wehe zu tun und ihnen Pein und Betrübnis<lb/> zuzufügen. Aber auch hierin stehen wir ihnen ja nicht nach. Sie schicken<lb/> Sterblichkeit, Viehseuchen und herbe Schicksalsschläge. „Wie sie so sanft ruhn“,<lb/> singen wir am Grabe, aber das Volk kennt sie besser, die Unterirdischen. Sie<lb/> sind voll von gemeinen Ränken, von Bubenpossen, bösen Schlichen und tollen<lb/> Studentenstreichen. Wehe, wenn man ihr Eigentum berührt! „Eine Bäcker-<lb/> magd ( im <hi rendition="#g">siebenbürgischen Sachsen</hi> ) , die nachts um Bier geschickt,<lb/> über den Kirchhof zur Schenke ging, sah eine weiße Gestalt auf einem Grabe<lb/> kauern. Sie meinte, es sei ihr Geliebter, der Bäckergeselle, ging also auf<lb/> die Gestalt zu, zog ihr das Hemd aus und eilte davon. Es war aber nicht<lb/> ihr Geliebter gewesen, sondern ein Toter, der in der nächsten Nacht ans Fenster<lb/> der Maid kam und sie aufforderte, ihm das Hemd an derselben Stelle wieder<lb/> anzuziehen. Wie sie dies in der folgenden Nacht in Begleitung des Bäcker-<lb/> gesellen tat, umfaßte sie der Tote und war im Nu mit ihr verschwunden“<lb/> ( Goethes „Totentanz“ ) . Wahre Blutsauger sind sie und sie ziehen gerne<lb/> einen ihrer Angehörigen ins Grab nach. An den hohen Feiertagen versam-<lb/> meln sie sich in der Kirche und halten Gottesdienst ab. „Eine Frau Evensen<lb/> wollte in <hi rendition="#g">Christiania</hi> am Weihnachtsmorgen die Frühpredigt hören.<lb/> Als sie aufwachte, konnte sie durch ihr Fenster sehen, daß in der Kirche schon die </p> </div> </body> </text> </TEI> [363/0027]
J. E. Poritzky: Der Tod.
zweier Toten aufbewahrt. „Habe ich dein Bett gut gemacht?“ fragt der ma-
surische Totengräber den Toten; „wenn ich es dir nicht gut gemacht habe,
so werde ich es besser machen.“ Nach solch beruhigender Rede erst legt der
Tote sich zurück in den Schoß der Erde. Der Masure teilt auch den weit
verbreiteten Volksglauben, daß der Heimgegangene im Grabe nicht gleich die
ersehnte Ruhe findet und oft wiederkommt. Die Hinterbliebenen stellen ihm
deshalb einen Stuhl ins Sterbezimmer und hängen ihm ein Handtuch an
die Tür. Auf dem Stuhle ruht er aus und an dem Handtuch trocknet er
seine reichlich fließenden Tränen.
Und wie schön und lebhaft ist die verbreitete Anschauung, daß eine vom
Todeslos getroffene junge Mutter sechs Wochen lang allnächtlich wiederkehre,
um ihr auf der Erde zurückgelassenes Neugeborenes zu tränken und zurecht-
zulegen. Damit dies ordentlich geschehen könne, muß ihr alles Nötige zurecht-
gestellt werden; allabendlich wird ihr Bett in gewohnter Weise hergerichtet,
das man dann am anderen Morgen eingeknittert findet, als untrüglichen Be-
weis, daß sie darin geschlafen hat. Wer reinen Gewissens ist, kann es hören,
wie sie ihr Kind mit all den tausend kleinen und süßen Liebkosungen über-
schüttet, die eine junge Mutter zu verschwenden weiß.
All dies sind freundliche Züge. Aber die Toten werden uns oft auch
als raublustig geschildert, bösartig und rachsüchtig ( Goethes „untreuer Knabe“ ) ,
als Vampyre und Quälgeister, als Alben und Kobolde ( Heines „ Traum-
bilder “ ) . Sie entführen junge Mädchen, wie im siebenbürgischen
Sachsen ( Bürgers „Leonore“ ) und in Jsland ängstigt der verstorbene
Geliebte sein Liebchen; er besucht sie nächtlich und stiehlt sich alle Freuden
einer irdischen Liebe ( der umgekehrte Fall: Goethes „Braut von Corinth“ ) ,
und dieser Liebe entspringt sogar ein Kind, das hellseherisch und weise, seltsam
und freudlos ist, ausgezeichnet durch Gaben des Körpers und Geistes, bestimmt
zu frühem, gewaltsamem Tode. Die Toten denken und empfinden, sie freuen
und grämen sich, sie zürnen und verzeihen — nichts haben sie vor uns Lebenden
voraus, als die Macht, andern wehe zu tun und ihnen Pein und Betrübnis
zuzufügen. Aber auch hierin stehen wir ihnen ja nicht nach. Sie schicken
Sterblichkeit, Viehseuchen und herbe Schicksalsschläge. „Wie sie so sanft ruhn“,
singen wir am Grabe, aber das Volk kennt sie besser, die Unterirdischen. Sie
sind voll von gemeinen Ränken, von Bubenpossen, bösen Schlichen und tollen
Studentenstreichen. Wehe, wenn man ihr Eigentum berührt! „Eine Bäcker-
magd ( im siebenbürgischen Sachsen ) , die nachts um Bier geschickt,
über den Kirchhof zur Schenke ging, sah eine weiße Gestalt auf einem Grabe
kauern. Sie meinte, es sei ihr Geliebter, der Bäckergeselle, ging also auf
die Gestalt zu, zog ihr das Hemd aus und eilte davon. Es war aber nicht
ihr Geliebter gewesen, sondern ein Toter, der in der nächsten Nacht ans Fenster
der Maid kam und sie aufforderte, ihm das Hemd an derselben Stelle wieder
anzuziehen. Wie sie dies in der folgenden Nacht in Begleitung des Bäcker-
gesellen tat, umfaßte sie der Tote und war im Nu mit ihr verschwunden“
( Goethes „Totentanz“ ) . Wahre Blutsauger sind sie und sie ziehen gerne
einen ihrer Angehörigen ins Grab nach. An den hohen Feiertagen versam-
meln sie sich in der Kirche und halten Gottesdienst ab. „Eine Frau Evensen
wollte in Christiania am Weihnachtsmorgen die Frühpredigt hören.
Als sie aufwachte, konnte sie durch ihr Fenster sehen, daß in der Kirche schon die
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