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Europa. Wochenschrift für Kultur und Politik. Jahrgang 1, Heft 6. Berlin-Charlottenburg, 23. Februar 1905.

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Wirtschaftspolitische Rundschau.
Von Richard Calwer, Berlin.
Das Stillegen von Kohlenzechen.

Die preußische Regierung hat dem Landtag eine Novelle zum Berggesetz
zugehen lassen, welche geeignet ist, in die Entwicklung des deutschen Stein-
kohlenbergbaus hemmend einzugreifen. Man erinnert sich noch der Erregung,
die im südlichen Ruhrgebiet entstand, als bekannt wurde, daß auf den wenig
oder gar nicht rentablen Kohlenzechen dieses Gebiets die Förderung eingestellt
werden sollte. Einige Zechen sind in der Tat schon stillgelegt worden. Die
Erregung der beteiligten Kreise, der Arbeiter wie der Gemeinden, pflanzte sich
fort, fand in der Presse und im Parlament ein lautes Echo und zitterte auch
noch in dem großen Kampfe im Ruhrrevier nach. Die Regierung kommt mit
der Novelle zum Berggesetz dem Verlangen der öffentlichen Meinung nach
und entzieht dem Bergwerkseigentümer die freie Befugnis darüber, ob eine
Zeche stillgelegt werden darf oder nicht, in weit höherem Grade, als es nach
der bisherigen Fassung des allgemeinen Berggesetzes der Fall war. Nun soll
hier gegen die Ausdehnung der staatlichen Macht auf wirtschaftlichem Gebiet
nicht polemisiert werden, aber eine andere Frage ist es, ob die öffentliche Mei-
nung im Rechte war, als sie gegenüber dem Entwicklungsprozeß im Ruhr-
revier, der zu einer Stillegung zahlreicher Zechen führt, eine so erregte
Haltung einnahm. Jch kann die Ansicht nicht unterdrücken, daß im Jnteresse
des wirtschaftlichen Fortschritts die Stillegung wenig oder gar nicht rentabler
Zechen einfach notwendig ist.

Alle wirtschaftliche Tätigkeit muß stets den Zweck verfolgen, bei der
Gütererzeugung an Aufwendung von Kapital und Arbeitskraft möglichst zu
sparen. Es ist jedesmal ein Fortschritt zu konstatieren, wenn die Gestehungs-
kosten herabgemindert werden können, ohne daß dabei die beiden Faktoren,
Kapital und Arbeit, sich ungünstiger stellen. Die gegenseitige Konkurrenz
zwingt förmlich zu wirtschaftlichen Fortschritten in diesem Sinne. Die fabrik-
mäßige Herstellung ist ein Fortschritt gegenüber der handwerksmäßigen Er-
zeugung, das Warenhaus ist ein Fortschritt gegenüber dem kleinen Kaufladen.
Es liegt aber auch ein Fortschritt vor, wenn ich im Kohlenbergbau solche Zechen
bevorzuge, die infolge der Qualität und der Abbaufähigkeit der Kohle den Be-
trieb erleichtern und wesentlich verbilligen. Ob einmal im Betrieb befindliche
Zechen rücksichtslos stillgelegt werden sollen, bloß weil in anderer Gegend die
Gelegenheit zu billigerem und reichlicherem Abbau gegeben ist, darüber ließe
sich vielleicht streiten, wenn für die Entscheidung der für den Kohlenbergbau
brennenden Fragen nicht die Rücksicht auf die internationale Konkurrenz aus-
schlaggebend wäre.


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Wirtschaftspolitische Rundschau.
Von Richard Calwer, Berlin.
Das Stillegen von Kohlenzechen.

Die preußische Regierung hat dem Landtag eine Novelle zum Berggesetz
zugehen lassen, welche geeignet ist, in die Entwicklung des deutschen Stein-
kohlenbergbaus hemmend einzugreifen. Man erinnert sich noch der Erregung,
die im südlichen Ruhrgebiet entstand, als bekannt wurde, daß auf den wenig
oder gar nicht rentablen Kohlenzechen dieses Gebiets die Förderung eingestellt
werden sollte. Einige Zechen sind in der Tat schon stillgelegt worden. Die
Erregung der beteiligten Kreise, der Arbeiter wie der Gemeinden, pflanzte sich
fort, fand in der Presse und im Parlament ein lautes Echo und zitterte auch
noch in dem großen Kampfe im Ruhrrevier nach. Die Regierung kommt mit
der Novelle zum Berggesetz dem Verlangen der öffentlichen Meinung nach
und entzieht dem Bergwerkseigentümer die freie Befugnis darüber, ob eine
Zeche stillgelegt werden darf oder nicht, in weit höherem Grade, als es nach
der bisherigen Fassung des allgemeinen Berggesetzes der Fall war. Nun soll
hier gegen die Ausdehnung der staatlichen Macht auf wirtschaftlichem Gebiet
nicht polemisiert werden, aber eine andere Frage ist es, ob die öffentliche Mei-
nung im Rechte war, als sie gegenüber dem Entwicklungsprozeß im Ruhr-
revier, der zu einer Stillegung zahlreicher Zechen führt, eine so erregte
Haltung einnahm. Jch kann die Ansicht nicht unterdrücken, daß im Jnteresse
des wirtschaftlichen Fortschritts die Stillegung wenig oder gar nicht rentabler
Zechen einfach notwendig ist.

Alle wirtschaftliche Tätigkeit muß stets den Zweck verfolgen, bei der
Gütererzeugung an Aufwendung von Kapital und Arbeitskraft möglichst zu
sparen. Es ist jedesmal ein Fortschritt zu konstatieren, wenn die Gestehungs-
kosten herabgemindert werden können, ohne daß dabei die beiden Faktoren,
Kapital und Arbeit, sich ungünstiger stellen. Die gegenseitige Konkurrenz
zwingt förmlich zu wirtschaftlichen Fortschritten in diesem Sinne. Die fabrik-
mäßige Herstellung ist ein Fortschritt gegenüber der handwerksmäßigen Er-
zeugung, das Warenhaus ist ein Fortschritt gegenüber dem kleinen Kaufladen.
Es liegt aber auch ein Fortschritt vor, wenn ich im Kohlenbergbau solche Zechen
bevorzuge, die infolge der Qualität und der Abbaufähigkeit der Kohle den Be-
trieb erleichtern und wesentlich verbilligen. Ob einmal im Betrieb befindliche
Zechen rücksichtslos stillgelegt werden sollen, bloß weil in anderer Gegend die
Gelegenheit zu billigerem und reichlicherem Abbau gegeben ist, darüber ließe
sich vielleicht streiten, wenn für die Entscheidung der für den Kohlenbergbau
brennenden Fragen nicht die Rücksicht auf die internationale Konkurrenz aus-
schlaggebend wäre.

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[249/0009] [Abbildung] Wirtschaftspolitische Rundschau. Von Richard Calwer, Berlin. Das Stillegen von Kohlenzechen. Die preußische Regierung hat dem Landtag eine Novelle zum Berggesetz zugehen lassen, welche geeignet ist, in die Entwicklung des deutschen Stein- kohlenbergbaus hemmend einzugreifen. Man erinnert sich noch der Erregung, die im südlichen Ruhrgebiet entstand, als bekannt wurde, daß auf den wenig oder gar nicht rentablen Kohlenzechen dieses Gebiets die Förderung eingestellt werden sollte. Einige Zechen sind in der Tat schon stillgelegt worden. Die Erregung der beteiligten Kreise, der Arbeiter wie der Gemeinden, pflanzte sich fort, fand in der Presse und im Parlament ein lautes Echo und zitterte auch noch in dem großen Kampfe im Ruhrrevier nach. Die Regierung kommt mit der Novelle zum Berggesetz dem Verlangen der öffentlichen Meinung nach und entzieht dem Bergwerkseigentümer die freie Befugnis darüber, ob eine Zeche stillgelegt werden darf oder nicht, in weit höherem Grade, als es nach der bisherigen Fassung des allgemeinen Berggesetzes der Fall war. Nun soll hier gegen die Ausdehnung der staatlichen Macht auf wirtschaftlichem Gebiet nicht polemisiert werden, aber eine andere Frage ist es, ob die öffentliche Mei- nung im Rechte war, als sie gegenüber dem Entwicklungsprozeß im Ruhr- revier, der zu einer Stillegung zahlreicher Zechen führt, eine so erregte Haltung einnahm. Jch kann die Ansicht nicht unterdrücken, daß im Jnteresse des wirtschaftlichen Fortschritts die Stillegung wenig oder gar nicht rentabler Zechen einfach notwendig ist. Alle wirtschaftliche Tätigkeit muß stets den Zweck verfolgen, bei der Gütererzeugung an Aufwendung von Kapital und Arbeitskraft möglichst zu sparen. Es ist jedesmal ein Fortschritt zu konstatieren, wenn die Gestehungs- kosten herabgemindert werden können, ohne daß dabei die beiden Faktoren, Kapital und Arbeit, sich ungünstiger stellen. Die gegenseitige Konkurrenz zwingt förmlich zu wirtschaftlichen Fortschritten in diesem Sinne. Die fabrik- mäßige Herstellung ist ein Fortschritt gegenüber der handwerksmäßigen Er- zeugung, das Warenhaus ist ein Fortschritt gegenüber dem kleinen Kaufladen. Es liegt aber auch ein Fortschritt vor, wenn ich im Kohlenbergbau solche Zechen bevorzuge, die infolge der Qualität und der Abbaufähigkeit der Kohle den Be- trieb erleichtern und wesentlich verbilligen. Ob einmal im Betrieb befindliche Zechen rücksichtslos stillgelegt werden sollen, bloß weil in anderer Gegend die Gelegenheit zu billigerem und reichlicherem Abbau gegeben ist, darüber ließe sich vielleicht streiten, wenn für die Entscheidung der für den Kohlenbergbau brennenden Fragen nicht die Rücksicht auf die internationale Konkurrenz aus- schlaggebend wäre.

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Zitationshilfe: Europa. Wochenschrift für Kultur und Politik. Jahrgang 1, Heft 6. Berlin-Charlottenburg, 23. Februar 1905, S. 249. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_europa0106_1905/9>, abgerufen am 16.07.2024.