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Europa. Wochenschrift für Kultur und Politik. Jahrgang 1, Heft 6. Berlin-Charlottenburg, 23. Februar 1905.

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G. A. Kanitz = Berg: Der moderne Fabrikmensch.
Schmach" und eine Kalbfleisch=Bestellung an den Schlächter, um sodann die --
Couverts zu verwechseln. Doch selbst diese Naivetät wird noch am Schlusse
übertrumpft. Das Geständnis ist erfolgt, der Gatte möchte gern toben, wenn
nur sein eigenes Gewissen ein wenig reiner wäre, die Sünderin schwingt bereits
das Messer zum Selbstmord. Da genügt ein kurzer Hymnus auf die Güte
als höchstes Lebensgut, angestimmt vom ehrwürdigen Rotspohn=Starosten, um
alle Konflikte in Verzeihung und Versöhnung aufzulösen. Von außen, wie das
Unglück kommt auch das Glück.

Offenbart das Werk ein Komödientalent in den Fallstricken des Tragischen,
so spielte sich am Sonnabend in der Darstellung des "Deutschen Theaters" der
umgekehrte Prozeß ab. Denn Schusselchen, die von Humor, Wärme, Übermut
umwitterte Gestalt fand in Marietta Olly eine schwerblütige, bitter ernste
Tragödin voll Temperament, voll entwicklungsfähiger Eigenart. Bei allem
Talent, das die Darstellerin auszeichnen mag, liegt diese Aufgabe ihrem Können
meilenfern. Wohl war Schusselchen geschmeidig genug, über Stuhl und Bett
zu hüpfen. Aber sie machte ein Gesicht dabei, als gelte es, ein verzwicktes
mathematisches Problem zu lösen. Unter ihren Partnern gefiel eine prächtige
ostpreußische Nähmamsell in Grete Gallus' drastischer Wiedergabe besser als
die Träger der männlichen Hauptrollen. Obgleich Adolf Klein als Gatte sich
diesmal rühmlicher Zurückhaltung befleißigte. Die Bürgerschaft im Parkett be-
reitete ihrem beliebten Oberhaupt einen lauten Erfolg. Sie möge ihm eine
Deputation mit dem Auftrag schicken: "Lieber Bürgermeister, schreibe uns die
Komödie, zu der Du das Zeug hast und wir wollen doppelt frohgemut unsere
Steuern zahlen!"

[Abbildung]
Der moderne Fabrikmensch.*)
I.

Zu dem Artikel des Herrn West im 1. Hest dieser Zeitschrist erlaube ich mir
folgendes zu sagen:

Es ist ganz gut und schön, eine Sache von oben herab zu betrachten, wenn
man sich in einen Fabrikarbeiter hineindenkt und Schlüsse zieht, die wirklich, wenn
dies und das so wäre, sehr schön sind. Aber wenn man mal selbst mitarbeiten soll,
selbst mal an die Stelle des Arbeiters treten soll und diese ausfüllen, so sind wenige
dafür zu haben. Sie sagen: "Wir sehen es ja, was sollen wir's erst probieren."
Und doch ist es etwas ganz anderes, selbst zu arbeiten und daraus Schlüsse zu
ziehen, als nur zuzusehen und daraus zu folgern.

*) Wegen Raummangels zurückgestellt.

G. A. Kanitz = Berg: Der moderne Fabrikmensch.
Schmach“ und eine Kalbfleisch=Bestellung an den Schlächter, um sodann die —
Couverts zu verwechseln. Doch selbst diese Naivetät wird noch am Schlusse
übertrumpft. Das Geständnis ist erfolgt, der Gatte möchte gern toben, wenn
nur sein eigenes Gewissen ein wenig reiner wäre, die Sünderin schwingt bereits
das Messer zum Selbstmord. Da genügt ein kurzer Hymnus auf die Güte
als höchstes Lebensgut, angestimmt vom ehrwürdigen Rotspohn=Starosten, um
alle Konflikte in Verzeihung und Versöhnung aufzulösen. Von außen, wie das
Unglück kommt auch das Glück.

Offenbart das Werk ein Komödientalent in den Fallstricken des Tragischen,
so spielte sich am Sonnabend in der Darstellung des „Deutschen Theaters“ der
umgekehrte Prozeß ab. Denn Schusselchen, die von Humor, Wärme, Übermut
umwitterte Gestalt fand in Marietta Olly eine schwerblütige, bitter ernste
Tragödin voll Temperament, voll entwicklungsfähiger Eigenart. Bei allem
Talent, das die Darstellerin auszeichnen mag, liegt diese Aufgabe ihrem Können
meilenfern. Wohl war Schusselchen geschmeidig genug, über Stuhl und Bett
zu hüpfen. Aber sie machte ein Gesicht dabei, als gelte es, ein verzwicktes
mathematisches Problem zu lösen. Unter ihren Partnern gefiel eine prächtige
ostpreußische Nähmamsell in Grete Gallus' drastischer Wiedergabe besser als
die Träger der männlichen Hauptrollen. Obgleich Adolf Klein als Gatte sich
diesmal rühmlicher Zurückhaltung befleißigte. Die Bürgerschaft im Parkett be-
reitete ihrem beliebten Oberhaupt einen lauten Erfolg. Sie möge ihm eine
Deputation mit dem Auftrag schicken: „Lieber Bürgermeister, schreibe uns die
Komödie, zu der Du das Zeug hast und wir wollen doppelt frohgemut unsere
Steuern zahlen!“

[Abbildung]
Der moderne Fabrikmensch.*)
I.

Zu dem Artikel des Herrn West im 1. Hest dieser Zeitschrist erlaube ich mir
folgendes zu sagen:

Es ist ganz gut und schön, eine Sache von oben herab zu betrachten, wenn
man sich in einen Fabrikarbeiter hineindenkt und Schlüsse zieht, die wirklich, wenn
dies und das so wäre, sehr schön sind. Aber wenn man mal selbst mitarbeiten soll,
selbst mal an die Stelle des Arbeiters treten soll und diese ausfüllen, so sind wenige
dafür zu haben. Sie sagen: „Wir sehen es ja, was sollen wir's erst probieren.“
Und doch ist es etwas ganz anderes, selbst zu arbeiten und daraus Schlüsse zu
ziehen, als nur zuzusehen und daraus zu folgern.

*) Wegen Raummangels zurückgestellt.
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[286/0046] G. A. Kanitz = Berg: Der moderne Fabrikmensch. Schmach“ und eine Kalbfleisch=Bestellung an den Schlächter, um sodann die — Couverts zu verwechseln. Doch selbst diese Naivetät wird noch am Schlusse übertrumpft. Das Geständnis ist erfolgt, der Gatte möchte gern toben, wenn nur sein eigenes Gewissen ein wenig reiner wäre, die Sünderin schwingt bereits das Messer zum Selbstmord. Da genügt ein kurzer Hymnus auf die Güte als höchstes Lebensgut, angestimmt vom ehrwürdigen Rotspohn=Starosten, um alle Konflikte in Verzeihung und Versöhnung aufzulösen. Von außen, wie das Unglück kommt auch das Glück. Offenbart das Werk ein Komödientalent in den Fallstricken des Tragischen, so spielte sich am Sonnabend in der Darstellung des „Deutschen Theaters“ der umgekehrte Prozeß ab. Denn Schusselchen, die von Humor, Wärme, Übermut umwitterte Gestalt fand in Marietta Olly eine schwerblütige, bitter ernste Tragödin voll Temperament, voll entwicklungsfähiger Eigenart. Bei allem Talent, das die Darstellerin auszeichnen mag, liegt diese Aufgabe ihrem Können meilenfern. Wohl war Schusselchen geschmeidig genug, über Stuhl und Bett zu hüpfen. Aber sie machte ein Gesicht dabei, als gelte es, ein verzwicktes mathematisches Problem zu lösen. Unter ihren Partnern gefiel eine prächtige ostpreußische Nähmamsell in Grete Gallus' drastischer Wiedergabe besser als die Träger der männlichen Hauptrollen. Obgleich Adolf Klein als Gatte sich diesmal rühmlicher Zurückhaltung befleißigte. Die Bürgerschaft im Parkett be- reitete ihrem beliebten Oberhaupt einen lauten Erfolg. Sie möge ihm eine Deputation mit dem Auftrag schicken: „Lieber Bürgermeister, schreibe uns die Komödie, zu der Du das Zeug hast und wir wollen doppelt frohgemut unsere Steuern zahlen!“ [Abbildung] Der moderne Fabrikmensch. *) I. Zu dem Artikel des Herrn West im 1. Hest dieser Zeitschrist erlaube ich mir folgendes zu sagen: Es ist ganz gut und schön, eine Sache von oben herab zu betrachten, wenn man sich in einen Fabrikarbeiter hineindenkt und Schlüsse zieht, die wirklich, wenn dies und das so wäre, sehr schön sind. Aber wenn man mal selbst mitarbeiten soll, selbst mal an die Stelle des Arbeiters treten soll und diese ausfüllen, so sind wenige dafür zu haben. Sie sagen: „Wir sehen es ja, was sollen wir's erst probieren.“ Und doch ist es etwas ganz anderes, selbst zu arbeiten und daraus Schlüsse zu ziehen, als nur zuzusehen und daraus zu folgern. *) Wegen Raummangels zurückgestellt.

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Zitationshilfe: Europa. Wochenschrift für Kultur und Politik. Jahrgang 1, Heft 6. Berlin-Charlottenburg, 23. Februar 1905, S. 286. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_europa0106_1905/46>, abgerufen am 14.08.2024.