Europa. Wochenschrift für Kultur und Politik. Jahrgang 1, Heft 6. Berlin-Charlottenburg, 23. Februar 1905.Dr. Monty Jacobs: Schusselchen. zwischen ihm und den Freunden nieder. Sie veränderten die Gesichter undwurden mit einem Male fremd für ihn. Das war das Seltsamste, das er erlebt hatte, und es war schmerzlich zugleich. Er hielt sich acht Tage abseits und sah grüblerisch aus. Aber nach dieser [Abbildung]
" Schusselchen." Von Dr. Monty Jacobs, Berlin. Schusselchen und -- Friedrich Hebbel, wie reimt sich das zusammen? Ein kleiner Unterschied besteht -- wer wollte es leugnen? -- zwischen Das reimt sich nun wirklich schlecht zusammen. Also muß sich einer Dr. Monty Jacobs: Schusselchen. zwischen ihm und den Freunden nieder. Sie veränderten die Gesichter undwurden mit einem Male fremd für ihn. Das war das Seltsamste, das er erlebt hatte, und es war schmerzlich zugleich. Er hielt sich acht Tage abseits und sah grüblerisch aus. Aber nach dieser [Abbildung]
„ Schusselchen.“ Von Dr. Monty Jacobs, Berlin. Schusselchen und — Friedrich Hebbel, wie reimt sich das zusammen? Ein kleiner Unterschied besteht — wer wollte es leugnen? — zwischen Das reimt sich nun wirklich schlecht zusammen. Also muß sich einer <TEI> <text> <body> <div type="jArticle" n="1"> <p><pb facs="#f0044" n="284"/><fw type="header" place="top">Dr. Monty Jacobs: Schusselchen.</fw><lb/> zwischen ihm und den Freunden nieder. Sie veränderten die Gesichter und<lb/> wurden mit einem Male fremd für ihn. Das war das Seltsamste, das er<lb/> erlebt hatte, und es war schmerzlich zugleich.</p><lb/> <p>Er hielt sich acht Tage abseits und sah grüblerisch aus. Aber nach dieser<lb/> Zeit knüpfte er so allmählich wieder an, kam wieder ins Hotel und wurde so<lb/> allmählich derselbe wie früher; jedoch nicht ganz. Denn „er hatte die Ohren<lb/> angezogen“, wie man es nennt.</p> </div><lb/> <figure/><lb/> <div type="jArticle" n="1"> <head>„ <hi rendition="#fr">Schusselchen</hi>.“<lb/><bibl>Von <author><hi rendition="#aq">Dr</hi>. <hi rendition="#g">Monty Jacobs</hi></author>, Berlin.</bibl></head><lb/> <p>Schusselchen und — Friedrich Hebbel, wie reimt sich das zusammen?<lb/> Sie selbst hat keine Ahnung davon, also will ich's ihr verraten. Jn einer<lb/> Vorrede des gestrengen Meisters findet sich der Satz: „Jhr sitzt bei einer<lb/> wohl bestellten Tafel; ich lege den Totenkopf auf den Tisch und mahne ans<lb/> Ende.“ Hebbels Bild wird in <hi rendition="#g">Georg Reickes</hi> neuer Tragikomödie zur<lb/> Bühnenwahrheit: die Hausfrau legt, im Schlußakt, ihren Soupergästen einen<lb/> Menschenschädel auf die bunt dekorierte Tafel.</p><lb/> <p>Ein kleiner Unterschied besteht — wer wollte es leugnen? — zwischen<lb/> diesen beiden frappant ähnlichen Situationen. Vielleicht dient seine Unter-<lb/> suchung zur Aufklärung des Rätsels, das der Autor dem Kritiker aufgibt.<lb/> Läßt er sich in diesem Falle gut zureden, so soll der liebenswürdigste aller<lb/> Dramendichter hinfüro auch mit dem unbequemen Hebbel in Ruhe gelassen<lb/> werden. Also, der Totenkopf in des Judithdichters Hand bedeutet: ich eröffne<lb/> weltgeschichtliche Perspektiven, ich zeige der wankenden Gesellschaft die dräuen-<lb/> den Gefahren. Jn Schusselchens Hand: ich, die freie Malerin, will Euch,<lb/> korrekte Damen und Herren ein wenig verblüffen. Meine Devise heißt: <hi rendition="#aq">épater<lb/> le bourgeois</hi> oder, wie Hermann Bahr es in sein geliebtes Wienerisch über-<lb/> trug: Spießer giften. Dort ein prophetisches Symbol, hier ein Atelierspaß.</p><lb/> <p>Das reimt sich nun wirklich schlecht zusammen. Also muß sich einer<lb/> vergriffen haben. Mit Verlaub, Hebbel war's nicht. Der Dichter des<lb/> „Schusselchen“ hat eine prächtig einsetzende Komödie geschaffen, um nach zwei<lb/> frischen Akten aus dem Stil zu fallen, mit dem Totenkopf zu liebäugeln. Nur<lb/> ein Dickhäuter könnte aus dieser Feststellung den Schluß ziehen, als solle ein<lb/> Lustspieltalent in seine Schranken verwiesen werden, wenn es sich an tragische<lb/> Probleme wagt. Die Kunst kennt zum Glück keine Rangordnung. Und wir<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [284/0044]
Dr. Monty Jacobs: Schusselchen.
zwischen ihm und den Freunden nieder. Sie veränderten die Gesichter und
wurden mit einem Male fremd für ihn. Das war das Seltsamste, das er
erlebt hatte, und es war schmerzlich zugleich.
Er hielt sich acht Tage abseits und sah grüblerisch aus. Aber nach dieser
Zeit knüpfte er so allmählich wieder an, kam wieder ins Hotel und wurde so
allmählich derselbe wie früher; jedoch nicht ganz. Denn „er hatte die Ohren
angezogen“, wie man es nennt.
[Abbildung]
„ Schusselchen.“
Von Dr. Monty Jacobs, Berlin.
Schusselchen und — Friedrich Hebbel, wie reimt sich das zusammen?
Sie selbst hat keine Ahnung davon, also will ich's ihr verraten. Jn einer
Vorrede des gestrengen Meisters findet sich der Satz: „Jhr sitzt bei einer
wohl bestellten Tafel; ich lege den Totenkopf auf den Tisch und mahne ans
Ende.“ Hebbels Bild wird in Georg Reickes neuer Tragikomödie zur
Bühnenwahrheit: die Hausfrau legt, im Schlußakt, ihren Soupergästen einen
Menschenschädel auf die bunt dekorierte Tafel.
Ein kleiner Unterschied besteht — wer wollte es leugnen? — zwischen
diesen beiden frappant ähnlichen Situationen. Vielleicht dient seine Unter-
suchung zur Aufklärung des Rätsels, das der Autor dem Kritiker aufgibt.
Läßt er sich in diesem Falle gut zureden, so soll der liebenswürdigste aller
Dramendichter hinfüro auch mit dem unbequemen Hebbel in Ruhe gelassen
werden. Also, der Totenkopf in des Judithdichters Hand bedeutet: ich eröffne
weltgeschichtliche Perspektiven, ich zeige der wankenden Gesellschaft die dräuen-
den Gefahren. Jn Schusselchens Hand: ich, die freie Malerin, will Euch,
korrekte Damen und Herren ein wenig verblüffen. Meine Devise heißt: épater
le bourgeois oder, wie Hermann Bahr es in sein geliebtes Wienerisch über-
trug: Spießer giften. Dort ein prophetisches Symbol, hier ein Atelierspaß.
Das reimt sich nun wirklich schlecht zusammen. Also muß sich einer
vergriffen haben. Mit Verlaub, Hebbel war's nicht. Der Dichter des
„Schusselchen“ hat eine prächtig einsetzende Komödie geschaffen, um nach zwei
frischen Akten aus dem Stil zu fallen, mit dem Totenkopf zu liebäugeln. Nur
ein Dickhäuter könnte aus dieser Feststellung den Schluß ziehen, als solle ein
Lustspieltalent in seine Schranken verwiesen werden, wenn es sich an tragische
Probleme wagt. Die Kunst kennt zum Glück keine Rangordnung. Und wir
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