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Europa. Wochenschrift für Kultur und Politik. Jahrgang 1, Heft 6. Berlin-Charlottenburg, 23. Februar 1905.

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Dr. Eggers: Der Streik gegen den Alkohol.
kann sich für seine Ansicht auf eine Reihe von Stellen, namentlich aus den
Königsbüchern und den älteren Propheten berufen, wie auch Stade in seiner
Geschichte des Volkes Jsrael zugibt, daß der bei den Jsraeliten übliche Bann,
das Schlachten entweder aller oder nur der männlichen Einwohner einer er-
oberten Stadt, als ein Menschenopfer im Großen anzusehen sei und einen reli-
giösen Ursprung habe. Damit scheint der Grundstock gegeben, aus dem die
biblischen Kreuzigungsgeschichten erwachsen konnten: das Zusammentreffen der
eucharistischen Vorstellungen und Riten, wie sie sich bei den Semiten ausgebil-
det, mit denjenigen altpersischer und hellenistischer Völker, wobei namentlich
der Mithraskultus herangezogen wird. Ja Robertson hält dafür, und er hat
dabei die ganze neuere Religionsforschung auf seiner Seite, daß der Ursprung
des Christentums nicht ohne die Vergleichung mit dem Mithraskultus verstan-
den werden kann.

Besonders interessant ist der Versuch Robertsons, bei den Juden einen
vorchristlichen Jesuskultus nachzuweisen. Jesus, das hellenisierte Joshua, soll
eine althebräische Sonnengottheit gewesen sein, die später noch in einzelnen
Teilen Palästinas ihren Kultus bewahrt und als Sohn der Mariä verehrt
wurde. Das Material, welches Robertson für diese seine zunächst überraschende
Hypothese aus den jüdischen und arabischen Quellen beibringt, ist so gewichtig,
daß in der Tat die Spuren eines solchen Jesusgottes aufgedeckt erscheinen, wo-
durch dann natürlich mit einem Schlage ein neues Licht auf den christlichen
Mythus fallen würde.

Jedenfalls hat die vergleichende Religionswissenschaft eine neue Me-
thode, die religiösen, auch die biblischen Quellen zu betrachten und zu werten,
geschaffen. Wenn erst diese Methode noch gründlicher und allseitiger zur An-
wendung gekommen sein wird, wird sich auch bei den biblischen Autoren be-
stätigen, was Jakob Burckhardt seiner Griechischen Kulturgeschichte in Bezug
auf die griechischen Autoren vorangesetzt hat, daß nämlich noch so viel Merk-
würdiges in ihnen steht, was so wenige beachten.

[Abbildung]
Der Streik gegen den Alkohol.
Von Dr. jur. Eggers, Notar, Bremen.

Über den Wert oder Unwert des Alkohols wird seit mehreren Jahrzehnten in
Amerika, England und Skandinavien, seit einigen Jahren in Deutschland mit Aus-
dauer und Erbitterung gestritten. Die Deutschen entwickeln in diesem Kampfe einen
besonderen Aufwand von Gemüt und Spekulation. Die Deutschen können vom

Dr. Eggers: Der Streik gegen den Alkohol.
kann sich für seine Ansicht auf eine Reihe von Stellen, namentlich aus den
Königsbüchern und den älteren Propheten berufen, wie auch Stade in seiner
Geschichte des Volkes Jsrael zugibt, daß der bei den Jsraeliten übliche Bann,
das Schlachten entweder aller oder nur der männlichen Einwohner einer er-
oberten Stadt, als ein Menschenopfer im Großen anzusehen sei und einen reli-
giösen Ursprung habe. Damit scheint der Grundstock gegeben, aus dem die
biblischen Kreuzigungsgeschichten erwachsen konnten: das Zusammentreffen der
eucharistischen Vorstellungen und Riten, wie sie sich bei den Semiten ausgebil-
det, mit denjenigen altpersischer und hellenistischer Völker, wobei namentlich
der Mithraskultus herangezogen wird. Ja Robertson hält dafür, und er hat
dabei die ganze neuere Religionsforschung auf seiner Seite, daß der Ursprung
des Christentums nicht ohne die Vergleichung mit dem Mithraskultus verstan-
den werden kann.

Besonders interessant ist der Versuch Robertsons, bei den Juden einen
vorchristlichen Jesuskultus nachzuweisen. Jesus, das hellenisierte Joshua, soll
eine althebräische Sonnengottheit gewesen sein, die später noch in einzelnen
Teilen Palästinas ihren Kultus bewahrt und als Sohn der Mariä verehrt
wurde. Das Material, welches Robertson für diese seine zunächst überraschende
Hypothese aus den jüdischen und arabischen Quellen beibringt, ist so gewichtig,
daß in der Tat die Spuren eines solchen Jesusgottes aufgedeckt erscheinen, wo-
durch dann natürlich mit einem Schlage ein neues Licht auf den christlichen
Mythus fallen würde.

Jedenfalls hat die vergleichende Religionswissenschaft eine neue Me-
thode, die religiösen, auch die biblischen Quellen zu betrachten und zu werten,
geschaffen. Wenn erst diese Methode noch gründlicher und allseitiger zur An-
wendung gekommen sein wird, wird sich auch bei den biblischen Autoren be-
stätigen, was Jakob Burckhardt seiner Griechischen Kulturgeschichte in Bezug
auf die griechischen Autoren vorangesetzt hat, daß nämlich noch so viel Merk-
würdiges in ihnen steht, was so wenige beachten.

[Abbildung]
Der Streik gegen den Alkohol.
Von Dr. jur. Eggers, Notar, Bremen.

Über den Wert oder Unwert des Alkohols wird seit mehreren Jahrzehnten in
Amerika, England und Skandinavien, seit einigen Jahren in Deutschland mit Aus-
dauer und Erbitterung gestritten. Die Deutschen entwickeln in diesem Kampfe einen
besonderen Aufwand von Gemüt und Spekulation. Die Deutschen können vom

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[274/0034] Dr. Eggers: Der Streik gegen den Alkohol. kann sich für seine Ansicht auf eine Reihe von Stellen, namentlich aus den Königsbüchern und den älteren Propheten berufen, wie auch Stade in seiner Geschichte des Volkes Jsrael zugibt, daß der bei den Jsraeliten übliche Bann, das Schlachten entweder aller oder nur der männlichen Einwohner einer er- oberten Stadt, als ein Menschenopfer im Großen anzusehen sei und einen reli- giösen Ursprung habe. Damit scheint der Grundstock gegeben, aus dem die biblischen Kreuzigungsgeschichten erwachsen konnten: das Zusammentreffen der eucharistischen Vorstellungen und Riten, wie sie sich bei den Semiten ausgebil- det, mit denjenigen altpersischer und hellenistischer Völker, wobei namentlich der Mithraskultus herangezogen wird. Ja Robertson hält dafür, und er hat dabei die ganze neuere Religionsforschung auf seiner Seite, daß der Ursprung des Christentums nicht ohne die Vergleichung mit dem Mithraskultus verstan- den werden kann. Besonders interessant ist der Versuch Robertsons, bei den Juden einen vorchristlichen Jesuskultus nachzuweisen. Jesus, das hellenisierte Joshua, soll eine althebräische Sonnengottheit gewesen sein, die später noch in einzelnen Teilen Palästinas ihren Kultus bewahrt und als Sohn der Mariä verehrt wurde. Das Material, welches Robertson für diese seine zunächst überraschende Hypothese aus den jüdischen und arabischen Quellen beibringt, ist so gewichtig, daß in der Tat die Spuren eines solchen Jesusgottes aufgedeckt erscheinen, wo- durch dann natürlich mit einem Schlage ein neues Licht auf den christlichen Mythus fallen würde. Jedenfalls hat die vergleichende Religionswissenschaft eine neue Me- thode, die religiösen, auch die biblischen Quellen zu betrachten und zu werten, geschaffen. Wenn erst diese Methode noch gründlicher und allseitiger zur An- wendung gekommen sein wird, wird sich auch bei den biblischen Autoren be- stätigen, was Jakob Burckhardt seiner Griechischen Kulturgeschichte in Bezug auf die griechischen Autoren vorangesetzt hat, daß nämlich noch so viel Merk- würdiges in ihnen steht, was so wenige beachten. [Abbildung] Der Streik gegen den Alkohol. Von Dr. jur. Eggers, Notar, Bremen. Über den Wert oder Unwert des Alkohols wird seit mehreren Jahrzehnten in Amerika, England und Skandinavien, seit einigen Jahren in Deutschland mit Aus- dauer und Erbitterung gestritten. Die Deutschen entwickeln in diesem Kampfe einen besonderen Aufwand von Gemüt und Spekulation. Die Deutschen können vom

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Zitationshilfe: Europa. Wochenschrift für Kultur und Politik. Jahrgang 1, Heft 6. Berlin-Charlottenburg, 23. Februar 1905, S. 274. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_europa0106_1905/34>, abgerufen am 14.08.2024.