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Europa. Wochenschrift für Kultur und Politik. Jahrgang 1, Heft 6. Berlin-Charlottenburg, 23. Februar 1905.

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Dr. Bruno Borchardt: Zur Beurteilung der jüngsten Schulkonflikte.
bisher gewesen ist." Weiter teilte der Oberbürgermeister mit, daß der Ma-
gistrat beschlossen habe, gegen die in Rede stehende Verfügung Beschwerde zu
erheben.

Die Stadtverordneten teilten einhellig den Standpunkt des Magistrats.

Jm Januar 1904 äußerte der Regierungspräsident dem Magistrat per-
sönlich den Wunsch nach weiteren Verhandlungen zur Beilegung der Diffe-
renzen. Hierauf ging der Magistrat ein und unterließ die Absendung der
bereits beschlossenen Beschwerde. Aus den Verhandlungen ergab sich ein Kom-
promiß, durch das die Schuldeputation widerruflich wieder an der Verwaltung
und Aufsicht über die Schulen beteiligt werden sollte, während der Magistrat
das Eintreten eines evangelischen Geistlichen in die Schuldeputation kon-
zedierte. Am 18. Januar 1905 verwies die Stadtverordnetenversammlung dies
Kompromiß gegen die Stimmen der Sozialdemokraten und einer kleinen Mino-
rität der liberalen Partei, die es rundweg ablehnten, in einen Ausschuß. Hier
wurde es mit unwesentlichen Änderungen angenommen, und ebenso von den
Stadtverordneten am 15. Februar in namentlicher Abstimmung mit 33 gegen
18 Stimmen.

Das Verhalten der Stadt bedeutet ein vollständiges Zurückweichen der
Stadt vor der Regierung. Zunächst wird der rechtliche Standpunkt der Regie-
rung anerkannt, daß sie befugt sei, in die Schulverhältnisse anders als auf
dem allgemeinen Wege der Kommunalaufsicht einzugreifen, wo gegen unbe-
rechtigte Verfügungen der Weg der Klage beschritten werden kann. Die Stadt
gesteht zu, daß die Verwaltung der städtischen Schulen keine städtische
Angelegenheit
ist. Damit ist von selbst gegeben, daß sie sich dem An-
sinnen der Regierung fügt. Dies ist um so mehr zu bedauern, als die Regie-
rung vollständig unter klerikalem und junkerlich=agrarischem Einflusse steht; der
rückständige Geist, der infolgedessen die gesamte Staatsverwaltung durchzieht,
sollte an der freiheitlichen Gesinnung in den großen Städten einen unerschütter-
lichen Widerstand finden. Denn nur von den Städten kann der Anstoß zur
kulturellen Fortentwicklung kommen. Die einzige Hoffnung für die Zukunft
besteht darin, daß die in den Stadtvertretungen überstimmten Minoritäten in
Wirklichkeit die übergroße Majorität der Bevölkerung repräsentieren, diese
also zum Widerstand gegen die Überwucherung des kirchlich=reaktionären
Geistes entschlossen ist.

Man hat während des Streites die Frage aufgeworfen, was denn die
Stadtverwaltung gegenüber der stärkeren Macht der Regierung hätte tun
sollen.

Die Antwort ist einfach.

Die städtischen Behörden können freilich die Regierung nicht hindern, die
gesetzlich nicht begründete Scheidung der Schulverwaltung in innere und
äußere theoretisch vorzunehmen und die innere für sich zu beanspruchen. Wohl
aber können sie ihre Schuldeputation als an der inneren Verwaltung mitbe-
teiligte staatliche Behörde auflösen und eine rein städtische Deputation
zur Verwaltung der äußeren Schulangelegenheiten errichten.

Der Anlaß zu Konflikten wäre dadurch nicht beseitigt, sondern eher ver-
größert. Es würde sich nämlich sehr bald zeigen, daß eine mechanische Tren-
nung der Schulverwaltung in solche für äußere und innere Angelegenheiten
überhaupt nicht möglich ist. Die Regierung hat ja auch bereits durch ihre Ver-
fügung betreffs der Benutzung der Schulräume, die zu dem neuesten Konflikt
mit Berlin und anderen Städten geführt hat, gezeigt, daß sie das sogenannte
Schulaufsichtsrecht, also ein außerhalb der allgemeinen Staatsaufsicht stehen-
des besonderes Aufsichtsrecht, kraft dessen sie Bestimmungen erläßt, die im
Verwaltungsstreitversahren nicht angefochten werden können, auch auf die

Dr. Bruno Borchardt: Zur Beurteilung der jüngsten Schulkonflikte.
bisher gewesen ist.“ Weiter teilte der Oberbürgermeister mit, daß der Ma-
gistrat beschlossen habe, gegen die in Rede stehende Verfügung Beschwerde zu
erheben.

Die Stadtverordneten teilten einhellig den Standpunkt des Magistrats.

Jm Januar 1904 äußerte der Regierungspräsident dem Magistrat per-
sönlich den Wunsch nach weiteren Verhandlungen zur Beilegung der Diffe-
renzen. Hierauf ging der Magistrat ein und unterließ die Absendung der
bereits beschlossenen Beschwerde. Aus den Verhandlungen ergab sich ein Kom-
promiß, durch das die Schuldeputation widerruflich wieder an der Verwaltung
und Aufsicht über die Schulen beteiligt werden sollte, während der Magistrat
das Eintreten eines evangelischen Geistlichen in die Schuldeputation kon-
zedierte. Am 18. Januar 1905 verwies die Stadtverordnetenversammlung dies
Kompromiß gegen die Stimmen der Sozialdemokraten und einer kleinen Mino-
rität der liberalen Partei, die es rundweg ablehnten, in einen Ausschuß. Hier
wurde es mit unwesentlichen Änderungen angenommen, und ebenso von den
Stadtverordneten am 15. Februar in namentlicher Abstimmung mit 33 gegen
18 Stimmen.

Das Verhalten der Stadt bedeutet ein vollständiges Zurückweichen der
Stadt vor der Regierung. Zunächst wird der rechtliche Standpunkt der Regie-
rung anerkannt, daß sie befugt sei, in die Schulverhältnisse anders als auf
dem allgemeinen Wege der Kommunalaufsicht einzugreifen, wo gegen unbe-
rechtigte Verfügungen der Weg der Klage beschritten werden kann. Die Stadt
gesteht zu, daß die Verwaltung der städtischen Schulen keine städtische
Angelegenheit
ist. Damit ist von selbst gegeben, daß sie sich dem An-
sinnen der Regierung fügt. Dies ist um so mehr zu bedauern, als die Regie-
rung vollständig unter klerikalem und junkerlich=agrarischem Einflusse steht; der
rückständige Geist, der infolgedessen die gesamte Staatsverwaltung durchzieht,
sollte an der freiheitlichen Gesinnung in den großen Städten einen unerschütter-
lichen Widerstand finden. Denn nur von den Städten kann der Anstoß zur
kulturellen Fortentwicklung kommen. Die einzige Hoffnung für die Zukunft
besteht darin, daß die in den Stadtvertretungen überstimmten Minoritäten in
Wirklichkeit die übergroße Majorität der Bevölkerung repräsentieren, diese
also zum Widerstand gegen die Überwucherung des kirchlich=reaktionären
Geistes entschlossen ist.

Man hat während des Streites die Frage aufgeworfen, was denn die
Stadtverwaltung gegenüber der stärkeren Macht der Regierung hätte tun
sollen.

Die Antwort ist einfach.

Die städtischen Behörden können freilich die Regierung nicht hindern, die
gesetzlich nicht begründete Scheidung der Schulverwaltung in innere und
äußere theoretisch vorzunehmen und die innere für sich zu beanspruchen. Wohl
aber können sie ihre Schuldeputation als an der inneren Verwaltung mitbe-
teiligte staatliche Behörde auflösen und eine rein städtische Deputation
zur Verwaltung der äußeren Schulangelegenheiten errichten.

Der Anlaß zu Konflikten wäre dadurch nicht beseitigt, sondern eher ver-
größert. Es würde sich nämlich sehr bald zeigen, daß eine mechanische Tren-
nung der Schulverwaltung in solche für äußere und innere Angelegenheiten
überhaupt nicht möglich ist. Die Regierung hat ja auch bereits durch ihre Ver-
fügung betreffs der Benutzung der Schulräume, die zu dem neuesten Konflikt
mit Berlin und anderen Städten geführt hat, gezeigt, daß sie das sogenannte
Schulaufsichtsrecht, also ein außerhalb der allgemeinen Staatsaufsicht stehen-
des besonderes Aufsichtsrecht, kraft dessen sie Bestimmungen erläßt, die im
Verwaltungsstreitversahren nicht angefochten werden können, auch auf die

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[269/0029] Dr. Bruno Borchardt: Zur Beurteilung der jüngsten Schulkonflikte. bisher gewesen ist.“ Weiter teilte der Oberbürgermeister mit, daß der Ma- gistrat beschlossen habe, gegen die in Rede stehende Verfügung Beschwerde zu erheben. Die Stadtverordneten teilten einhellig den Standpunkt des Magistrats. Jm Januar 1904 äußerte der Regierungspräsident dem Magistrat per- sönlich den Wunsch nach weiteren Verhandlungen zur Beilegung der Diffe- renzen. Hierauf ging der Magistrat ein und unterließ die Absendung der bereits beschlossenen Beschwerde. Aus den Verhandlungen ergab sich ein Kom- promiß, durch das die Schuldeputation widerruflich wieder an der Verwaltung und Aufsicht über die Schulen beteiligt werden sollte, während der Magistrat das Eintreten eines evangelischen Geistlichen in die Schuldeputation kon- zedierte. Am 18. Januar 1905 verwies die Stadtverordnetenversammlung dies Kompromiß gegen die Stimmen der Sozialdemokraten und einer kleinen Mino- rität der liberalen Partei, die es rundweg ablehnten, in einen Ausschuß. Hier wurde es mit unwesentlichen Änderungen angenommen, und ebenso von den Stadtverordneten am 15. Februar in namentlicher Abstimmung mit 33 gegen 18 Stimmen. Das Verhalten der Stadt bedeutet ein vollständiges Zurückweichen der Stadt vor der Regierung. Zunächst wird der rechtliche Standpunkt der Regie- rung anerkannt, daß sie befugt sei, in die Schulverhältnisse anders als auf dem allgemeinen Wege der Kommunalaufsicht einzugreifen, wo gegen unbe- rechtigte Verfügungen der Weg der Klage beschritten werden kann. Die Stadt gesteht zu, daß die Verwaltung der städtischen Schulen keine städtische Angelegenheit ist. Damit ist von selbst gegeben, daß sie sich dem An- sinnen der Regierung fügt. Dies ist um so mehr zu bedauern, als die Regie- rung vollständig unter klerikalem und junkerlich=agrarischem Einflusse steht; der rückständige Geist, der infolgedessen die gesamte Staatsverwaltung durchzieht, sollte an der freiheitlichen Gesinnung in den großen Städten einen unerschütter- lichen Widerstand finden. Denn nur von den Städten kann der Anstoß zur kulturellen Fortentwicklung kommen. Die einzige Hoffnung für die Zukunft besteht darin, daß die in den Stadtvertretungen überstimmten Minoritäten in Wirklichkeit die übergroße Majorität der Bevölkerung repräsentieren, diese also zum Widerstand gegen die Überwucherung des kirchlich=reaktionären Geistes entschlossen ist. Man hat während des Streites die Frage aufgeworfen, was denn die Stadtverwaltung gegenüber der stärkeren Macht der Regierung hätte tun sollen. Die Antwort ist einfach. Die städtischen Behörden können freilich die Regierung nicht hindern, die gesetzlich nicht begründete Scheidung der Schulverwaltung in innere und äußere theoretisch vorzunehmen und die innere für sich zu beanspruchen. Wohl aber können sie ihre Schuldeputation als an der inneren Verwaltung mitbe- teiligte staatliche Behörde auflösen und eine rein städtische Deputation zur Verwaltung der äußeren Schulangelegenheiten errichten. Der Anlaß zu Konflikten wäre dadurch nicht beseitigt, sondern eher ver- größert. Es würde sich nämlich sehr bald zeigen, daß eine mechanische Tren- nung der Schulverwaltung in solche für äußere und innere Angelegenheiten überhaupt nicht möglich ist. Die Regierung hat ja auch bereits durch ihre Ver- fügung betreffs der Benutzung der Schulräume, die zu dem neuesten Konflikt mit Berlin und anderen Städten geführt hat, gezeigt, daß sie das sogenannte Schulaufsichtsrecht, also ein außerhalb der allgemeinen Staatsaufsicht stehen- des besonderes Aufsichtsrecht, kraft dessen sie Bestimmungen erläßt, die im Verwaltungsstreitversahren nicht angefochten werden können, auch auf die

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Zitationshilfe: Europa. Wochenschrift für Kultur und Politik. Jahrgang 1, Heft 6. Berlin-Charlottenburg, 23. Februar 1905, S. 269. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_europa0106_1905/29>, abgerufen am 21.11.2024.