Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[N. N.]: Der reisende Engelländer. Frankfurt u. a., 1734.

Bild:
<< vorherige Seite
einerley ist, von der Flasche herrühre, die diese Stadt noch in dem Wap-
pen führet.
Bingley.
Was hat es denn damit vor eine Bewandniß?
Raminio.
Die Jnwohner dieser Stadt, und sonderlich die Weibs-Personen,
sollen vor Alters gewohnt gewesen seyn, gerne Wein zu trincken, zu dem
Ende sie beständig Flaschen voll dieses Geträncks getragen haben, welches
sich aber jetzo vielleicht geändert haben mag.
Bingley.
Das will ich nicht widerstreiten, aber daß doch diese Sache in an-
dern Ländern noch biß auf diese Stunde ihre Richtigkeit habe, ist gewiß.
Denn ich kenne eine Frau, welche ein Gläßgen Wein vor ihr Labsal hält,
und den gantzen Tag eine Flasche, so damit angefüllet, bey sich trägt, wel-
che sie, wenn sie leer ist, wiederum vollfüllet, wodurch sie ihren Mann,
der von dieser Saufbulle nichts weiß, öffters in grosses Erschrecken gesetzet,
wenn sie jähling in der Stube/ oder im Hause umgefallen, und mit stam-
lenden Munde vorgegeben, daß ihr eine Ohnmacht zuzög, wodurch sie zu-
weilen gemacht, daß man Doctor und Balbier rufen müssen.
Raminio.
Ach ja! das glaube ich wohl, Mylord, und ich wolte euch mehr dergleichen
Exempel erzehlen, wenn es die Zeit lidte. Vließingen ist 1400. noch ein
Dorf gewesen, darauf es mit Mauren versehen worden, und nach und nach
zu solcher Festigkeit gelangt, daß Kayser Carl V. seinem Sohne Philippo II.
die Erhaltung dieses Orts hauptsächlich anbefohlen, welcher aber 1572.
durch die Strengigkeit des Alba verlohren gegangen, da er die Einwohner
durch Forderung des zehnten Pfennigs zum Abfall bewegt. Diese Stadt
gehört nebst Veer unter dem Titel einer Marggrafschafft den Durchlauch-
tigsten Erben des König Wilhelms als Printzen von Oranien. Der heu-
tige Printz dieses Nahmens hat bißhero unterschiedliche Verdrießlichkeiten
mit den General-Staaten als seinen Vormündern gehabt, welche aber zu
Anfang dieses Jahrs zum Theil beygelegt worden. Jn dieser Stadt siehet
man so wohl bey Freuden- als Trauer-Fällen besondere Ceremonien,
denn wenn jemand in einem Hause gestorben, so legt man einen Stroh-
wisch
vor die Thür, wenn aber jemand gebohren ist, wird ein Stück
Leinwand
mit einem Püpgen vor die Thür gehänget, und noch ein Fe-
der-
einerley iſt, von der Flaſche herruͤhre, die dieſe Stadt noch in dem Wap-
pen fuͤhret.
Bingley.
Was hat es denn damit vor eine Bewandniß?
Raminio.
Die Jnwohner dieſer Stadt, und ſonderlich die Weibs-Perſonen,
ſollen vor Alters gewohnt geweſen ſeyn, gerne Wein zu trincken, zu dem
Ende ſie beſtaͤndig Flaſchen voll dieſes Getraͤncks getragen haben, welches
ſich aber jetzo vielleicht geaͤndert haben mag.
Bingley.
Das will ich nicht widerſtreiten, aber daß doch dieſe Sache in an-
dern Laͤndern noch biß auf dieſe Stunde ihre Richtigkeit habe, iſt gewiß.
Denn ich kenne eine Frau, welche ein Glaͤßgen Wein vor ihr Labſal haͤlt,
und den gantzen Tag eine Flaſche, ſo damit angefuͤllet, bey ſich traͤgt, wel-
che ſie, wenn ſie leer iſt, wiederum vollfuͤllet, wodurch ſie ihren Mann,
der von dieſer Saufbulle nichts weiß, oͤffters in groſſes Erſchrecken geſetzet,
wenn ſie jaͤhling in der Stube/ oder im Hauſe umgefallen, und mit ſtam-
lenden Munde vorgegeben, daß ihr eine Ohnmacht zuzoͤg, wodurch ſie zu-
weilen gemacht, daß man Doctor und Balbier rufen muͤſſen.
Raminio.
Ach ja! das glaube ich wohl, Mylord, und ich wolte euch mehr dergleichen
Exempel erzehlen, wenn es die Zeit lidte. Vließingen iſt 1400. noch ein
Dorf geweſen, darauf es mit Mauren verſehen worden, und nach und nach
zu ſolcher Feſtigkeit gelangt, daß Kayſer Carl V. ſeinem Sohne Philippo II.
die Erhaltung dieſes Orts hauptſaͤchlich anbefohlen, welcher aber 1572.
durch die Strengigkeit des Alba verlohren gegangen, da er die Einwohner
durch Forderung des zehnten Pfennigs zum Abfall bewegt. Dieſe Stadt
gehoͤrt nebſt Veer unter dem Titel einer Marggrafſchafft den Durchlauch-
tigſten Erben des Koͤnig Wilhelms als Printzen von Oranien. Der heu-
tige Printz dieſes Nahmens hat bißhero unterſchiedliche Verdrießlichkeiten
mit den General-Staaten als ſeinen Vormuͤndern gehabt, welche aber zu
Anfang dieſes Jahrs zum Theil beygelegt worden. Jn dieſer Stadt ſiehet
man ſo wohl bey Freuden- als Trauer-Faͤllen beſondere Ceremonien,
denn wenn jemand in einem Hauſe geſtorben, ſo legt man einen Stroh-
wiſch
vor die Thuͤr, wenn aber jemand gebohren iſt, wird ein Stuͤck
Leinwand
mit einem Puͤpgen vor die Thuͤr gehaͤnget, und noch ein Fe-
der-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <sp>
          <p><pb facs="#f0092" n="82"/>
einerley i&#x017F;t, von der <hi rendition="#fr">Fla&#x017F;che</hi> herru&#x0364;hre, die die&#x017F;e Stadt noch in dem Wap-<lb/>
pen fu&#x0364;hret.</p>
        </sp><lb/>
        <sp>
          <speaker> <hi rendition="#c"> <hi rendition="#aq"> <hi rendition="#i">Bingley.</hi> </hi> </hi> </speaker><lb/>
          <p>Was hat es denn damit vor eine Bewandniß?</p>
        </sp><lb/>
        <sp>
          <speaker> <hi rendition="#c"> <hi rendition="#aq"> <hi rendition="#i">Raminio.</hi> </hi> </hi> </speaker><lb/>
          <p>Die Jnwohner die&#x017F;er Stadt, und &#x017F;onderlich die <hi rendition="#fr">Weibs-Per&#x017F;onen,</hi><lb/>
&#x017F;ollen vor Alters gewohnt gewe&#x017F;en &#x017F;eyn, gerne Wein zu trincken, zu dem<lb/>
Ende &#x017F;ie be&#x017F;ta&#x0364;ndig <hi rendition="#fr">Fla&#x017F;chen</hi> voll die&#x017F;es Getra&#x0364;ncks getragen haben, welches<lb/>
&#x017F;ich aber jetzo vielleicht gea&#x0364;ndert haben mag.</p>
        </sp><lb/>
        <sp>
          <speaker> <hi rendition="#c"> <hi rendition="#aq"> <hi rendition="#i">Bingley.</hi> </hi> </hi> </speaker><lb/>
          <p>Das will ich nicht wider&#x017F;treiten, aber daß doch die&#x017F;e Sache in an-<lb/>
dern La&#x0364;ndern noch biß auf die&#x017F;e Stunde ihre Richtigkeit habe, i&#x017F;t gewiß.<lb/>
Denn ich kenne eine Frau, welche ein Gla&#x0364;ßgen Wein vor ihr Lab&#x017F;al ha&#x0364;lt,<lb/>
und den gantzen Tag eine <hi rendition="#fr">Fla&#x017F;che,</hi> &#x017F;o damit angefu&#x0364;llet, bey &#x017F;ich tra&#x0364;gt, wel-<lb/>
che &#x017F;ie, wenn &#x017F;ie leer i&#x017F;t, wiederum vollfu&#x0364;llet, wodurch &#x017F;ie ihren Mann,<lb/>
der von die&#x017F;er <hi rendition="#fr">Saufbulle</hi> nichts weiß, o&#x0364;ffters in gro&#x017F;&#x017F;es Er&#x017F;chrecken ge&#x017F;etzet,<lb/>
wenn &#x017F;ie ja&#x0364;hling in der Stube/ oder im Hau&#x017F;e umgefallen, und mit &#x017F;tam-<lb/>
lenden Munde vorgegeben, daß ihr eine Ohnmacht zuzo&#x0364;g, wodurch &#x017F;ie zu-<lb/>
weilen gemacht, daß man Doctor und Balbier rufen mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en.</p>
        </sp><lb/>
        <sp>
          <speaker> <hi rendition="#c"> <hi rendition="#aq"> <hi rendition="#i">Raminio.</hi> </hi> </hi> </speaker><lb/>
          <p>Ach ja! das glaube ich wohl, Mylord, und ich wolte euch mehr dergleichen<lb/>
Exempel erzehlen, wenn es die Zeit lidte. Vließingen i&#x017F;t 1400. noch ein<lb/>
Dorf gewe&#x017F;en, darauf es mit Mauren ver&#x017F;ehen worden, und nach und nach<lb/>
zu &#x017F;olcher Fe&#x017F;tigkeit gelangt, daß Kay&#x017F;er Carl <hi rendition="#aq">V.</hi> &#x017F;einem Sohne Philippo <hi rendition="#aq">II.</hi><lb/>
die Erhaltung die&#x017F;es Orts haupt&#x017F;a&#x0364;chlich anbefohlen, welcher aber 1572.<lb/>
durch die Strengigkeit des Alba verlohren gegangen, da er die Einwohner<lb/>
durch Forderung des zehnten Pfennigs zum Abfall bewegt. Die&#x017F;e Stadt<lb/>
geho&#x0364;rt neb&#x017F;t <hi rendition="#fr">Veer</hi> unter dem Titel einer Marggraf&#x017F;chafft den Durchlauch-<lb/>
tig&#x017F;ten Erben des Ko&#x0364;nig Wilhelms als Printzen von Oranien. Der heu-<lb/>
tige Printz die&#x017F;es Nahmens hat bißhero unter&#x017F;chiedliche Verdrießlichkeiten<lb/>
mit den General-Staaten als &#x017F;einen Vormu&#x0364;ndern gehabt, welche aber zu<lb/>
Anfang die&#x017F;es Jahrs zum Theil beygelegt worden. Jn die&#x017F;er Stadt &#x017F;iehet<lb/>
man &#x017F;o wohl bey <hi rendition="#fr">Freuden-</hi> als <hi rendition="#fr">Trauer-Fa&#x0364;llen</hi> be&#x017F;ondere Ceremonien,<lb/>
denn wenn jemand in einem Hau&#x017F;e <hi rendition="#fr">ge&#x017F;torben,</hi> &#x017F;o legt man einen <hi rendition="#fr">Stroh-<lb/>
wi&#x017F;ch</hi> vor die Thu&#x0364;r, wenn aber jemand <hi rendition="#fr">gebohren</hi> i&#x017F;t, wird ein <hi rendition="#fr">Stu&#x0364;ck<lb/>
Leinwand</hi> mit einem <hi rendition="#fr">Pu&#x0364;pgen</hi> vor die Thu&#x0364;r geha&#x0364;nget, und noch ein <hi rendition="#fr">Fe-</hi><lb/>
<fw place="bottom" type="catch"><hi rendition="#fr">der-</hi></fw><lb/></p>
        </sp>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[82/0092] einerley iſt, von der Flaſche herruͤhre, die dieſe Stadt noch in dem Wap- pen fuͤhret. Bingley. Was hat es denn damit vor eine Bewandniß? Raminio. Die Jnwohner dieſer Stadt, und ſonderlich die Weibs-Perſonen, ſollen vor Alters gewohnt geweſen ſeyn, gerne Wein zu trincken, zu dem Ende ſie beſtaͤndig Flaſchen voll dieſes Getraͤncks getragen haben, welches ſich aber jetzo vielleicht geaͤndert haben mag. Bingley. Das will ich nicht widerſtreiten, aber daß doch dieſe Sache in an- dern Laͤndern noch biß auf dieſe Stunde ihre Richtigkeit habe, iſt gewiß. Denn ich kenne eine Frau, welche ein Glaͤßgen Wein vor ihr Labſal haͤlt, und den gantzen Tag eine Flaſche, ſo damit angefuͤllet, bey ſich traͤgt, wel- che ſie, wenn ſie leer iſt, wiederum vollfuͤllet, wodurch ſie ihren Mann, der von dieſer Saufbulle nichts weiß, oͤffters in groſſes Erſchrecken geſetzet, wenn ſie jaͤhling in der Stube/ oder im Hauſe umgefallen, und mit ſtam- lenden Munde vorgegeben, daß ihr eine Ohnmacht zuzoͤg, wodurch ſie zu- weilen gemacht, daß man Doctor und Balbier rufen muͤſſen. Raminio. Ach ja! das glaube ich wohl, Mylord, und ich wolte euch mehr dergleichen Exempel erzehlen, wenn es die Zeit lidte. Vließingen iſt 1400. noch ein Dorf geweſen, darauf es mit Mauren verſehen worden, und nach und nach zu ſolcher Feſtigkeit gelangt, daß Kayſer Carl V. ſeinem Sohne Philippo II. die Erhaltung dieſes Orts hauptſaͤchlich anbefohlen, welcher aber 1572. durch die Strengigkeit des Alba verlohren gegangen, da er die Einwohner durch Forderung des zehnten Pfennigs zum Abfall bewegt. Dieſe Stadt gehoͤrt nebſt Veer unter dem Titel einer Marggrafſchafft den Durchlauch- tigſten Erben des Koͤnig Wilhelms als Printzen von Oranien. Der heu- tige Printz dieſes Nahmens hat bißhero unterſchiedliche Verdrießlichkeiten mit den General-Staaten als ſeinen Vormuͤndern gehabt, welche aber zu Anfang dieſes Jahrs zum Theil beygelegt worden. Jn dieſer Stadt ſiehet man ſo wohl bey Freuden- als Trauer-Faͤllen beſondere Ceremonien, denn wenn jemand in einem Hauſe geſtorben, ſo legt man einen Stroh- wiſch vor die Thuͤr, wenn aber jemand gebohren iſt, wird ein Stuͤck Leinwand mit einem Puͤpgen vor die Thuͤr gehaͤnget, und noch ein Fe- der-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/nn_engellaender_1734
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/nn_engellaender_1734/92
Zitationshilfe: [N. N.]: Der reisende Engelländer. Frankfurt u. a., 1734, S. 82. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_engellaender_1734/92>, abgerufen am 22.11.2024.