[N. N.]: Der reisende Engelländer. Frankfurt u. a., 1734.
gewiß glauben, daß da der alte Adel mit keinen neuern vermischt wird, die vorigen und noch blühenden Geschlechter in desto grössern Ansehen stehn müs- sen. Es sind zwar nicht so viel Edelleute hier, als in Pohlen, oder Spa- nien, weil die Familien öffters durch Krieg und Zufälle in dem letzten ihres Geschlechts das Ende sehen, aber wie schon gesagt, sie geben keinen Auswär- tigen an Alterthum und Artigkeit der Sitten etwas nach. Sie führen sich prächtig auf, und ihre Lebens-Art richtet sich fast durchgehends nach der Frantzösischen, indem sie nach Franckreich zu reisen und dort neue Moden, neue Complimente, und neue Sprache herzuholen pflegen. Die Handlung ist bey ihnen eben so wohl als bey dem teutschen Adel verhast, und sie ma- chen vielmehr von dem Degen Profeßion, wie sie denn in den letztern Krie- gen genugsam gezeiget haben, daß der Heldenmuth nicht in ihnen erloschen, und die Tapferkeit der Teutschen, als von welchen sie ursprünglich herstam- men, bey ihnen in einer ruhmwürdigen Nachahmung feste gesetzet sey. Jch könte noch weit mehrers davon reden, wenn die verflossne Zeit, und das vor uns liegende Mittelburg mich nicht abzubrechen nöthigte. Mylords wa- ren über dessen Erzehlung sehr vergnügt, und nachdem sie sich völlig genä- hert, und ausgestiegen waren, begaben sie sich bey eingebrochenem Abend in ihr voraus bestelltes Quartier, und nahmen die Abend-Mahlzeit mit de- sto grösserer Begierde ein, je mehr die gehabte Bewegung des Tages sie da- zu antrieb. Uber der Tafel sagte Mylord Bingley: Wie kömts denn, werthester Raminio, daß ihr nicht ein Wort von dem Temperament des holländischen Frauenzimmers gedacht habt, seyd ihr denn etwa diesem schönen Geschlechte so gehäßig, daß ihr auch nicht einmahl von ihnen reden mögt? Raminio. Ach nein, Mylord, ich bin dem Frauenzimmer gar nicht feind, ob sie gleich öffters obwohl unschuldig, die Ursach gewesen, daß ich viel Gefahr, Verdruß und Beschwerlichkeiten habe ausstehen müssen. Jch bin mit ih- nen gnugsam umgegangen, und habe Gelegenheit gefunden, ihr Gemüth zum Guten und Bösen gröstentheils auszuforschen. Jch muß aber nicht dabey einen allgemeinen Ausspruch thun, sondern sie in 2. Classen, nehm- lich in die Adeliche und Bürgerliche setzen. Die Adeliche ist an ihrer Aufführung, welche man galant zu nennen pfleget, untadelich. Sie wissen sich so nett und artig in Compagnie zu bezeigen, als die wohlgearteste Frantzösin, Teutschin oder von einem andern Volck. An Schönheit man- gelt es ihnen auch nicht, ob man gleich eben so wohl unter ihnen Knochen- und Gießformen-Gesichter antrifft, als bey andern Nationen. Sie ler- nen
gewiß glauben, daß da der alte Adel mit keinen neuern vermiſcht wird, die vorigen und noch bluͤhenden Geſchlechter in deſto groͤſſern Anſehen ſtehn muͤſ- ſen. Es ſind zwar nicht ſo viel Edelleute hier, als in Pohlen, oder Spa- nien, weil die Familien oͤffters durch Krieg und Zufaͤlle in dem letzten ihres Geſchlechts das Ende ſehen, aber wie ſchon geſagt, ſie geben keinen Auswaͤr- tigen an Alterthum und Artigkeit der Sitten etwas nach. Sie fuͤhren ſich praͤchtig auf, und ihre Lebens-Art richtet ſich faſt durchgehends nach der Frantzoͤſiſchen, indem ſie nach Franckreich zu reiſen und dort neue Moden, neue Complimente, und neue Sprache herzuholen pflegen. Die Handlung iſt bey ihnen eben ſo wohl als bey dem teutſchen Adel verhaſt, und ſie ma- chen vielmehr von dem Degen Profeßion, wie ſie denn in den letztern Krie- gen genugſam gezeiget haben, daß der Heldenmuth nicht in ihnen erloſchen, und die Tapferkeit der Teutſchen, als von welchen ſie urſpruͤnglich herſtam- men, bey ihnen in einer ruhmwuͤrdigen Nachahmung feſte geſetzet ſey. Jch koͤnte noch weit mehrers davon reden, wenn die verfloſſne Zeit, und das vor uns liegende Mittelburg mich nicht abzubrechen noͤthigte. Mylords wa- ren uͤber deſſen Erzehlung ſehr vergnuͤgt, und nachdem ſie ſich voͤllig genaͤ- hert, und ausgeſtiegen waren, begaben ſie ſich bey eingebrochenem Abend in ihr voraus beſtelltes Quartier, und nahmen die Abend-Mahlzeit mit de- ſto groͤſſerer Begierde ein, je mehr die gehabte Bewegung des Tages ſie da- zu antrieb. Uber der Tafel ſagte Mylord Bingley: Wie koͤmts denn, wertheſter Raminio, daß ihr nicht ein Wort von dem Temperament des hollaͤndiſchen Frauenzimmers gedacht habt, ſeyd ihr denn etwa dieſem ſchoͤnen Geſchlechte ſo gehaͤßig, daß ihr auch nicht einmahl von ihnen reden moͤgt? Raminio. Ach nein, Mylord, ich bin dem Frauenzimmer gar nicht feind, ob ſie gleich oͤffters obwohl unſchuldig, die Urſach geweſen, daß ich viel Gefahr, Verdruß und Beſchwerlichkeiten habe ausſtehen muͤſſen. Jch bin mit ih- nen gnugſam umgegangen, und habe Gelegenheit gefunden, ihr Gemuͤth zum Guten und Boͤſen groͤſtentheils auszuforſchen. Jch muß aber nicht dabey einen allgemeinen Ausſpruch thun, ſondern ſie in 2. Claſſen, nehm- lich in die Adeliche und Buͤrgerliche ſetzen. Die Adeliche iſt an ihrer Auffuͤhrung, welche man galant zu nennen pfleget, untadelich. Sie wiſſen ſich ſo nett und artig in Compagnie zu bezeigen, als die wohlgearteſte Frantzoͤſin, Teutſchin oder von einem andern Volck. An Schoͤnheit man- gelt es ihnen auch nicht, ob man gleich eben ſo wohl unter ihnen Knochen- und Gießformen-Geſichter antrifft, als bey andern Nationen. Sie ler- nen
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <sp> <p><pb facs="#f0081" n="71"/> gewiß glauben, daß da der alte Adel mit keinen neuern vermiſcht wird, die<lb/> vorigen und noch bluͤhenden Geſchlechter in deſto groͤſſern Anſehen ſtehn muͤſ-<lb/> ſen. Es ſind zwar nicht ſo viel Edelleute hier, als in Pohlen, oder Spa-<lb/> nien, weil die Familien oͤffters durch Krieg und Zufaͤlle in dem letzten ihres<lb/> Geſchlechts das Ende ſehen, aber wie ſchon geſagt, ſie geben keinen Auswaͤr-<lb/> tigen an Alterthum und Artigkeit der Sitten etwas nach. Sie fuͤhren ſich<lb/> praͤchtig auf, und ihre Lebens-Art richtet ſich faſt durchgehends nach der<lb/> Frantzoͤſiſchen, indem ſie nach Franckreich zu reiſen und dort neue Moden,<lb/> neue Complimente, und neue Sprache herzuholen pflegen. Die Handlung<lb/> iſt bey ihnen eben ſo wohl als bey dem teutſchen Adel verhaſt, und ſie ma-<lb/> chen vielmehr von dem Degen Profeßion, wie ſie denn in den letztern Krie-<lb/> gen genugſam gezeiget haben, daß der Heldenmuth nicht in ihnen erloſchen,<lb/> und die Tapferkeit der Teutſchen, als von welchen ſie urſpruͤnglich herſtam-<lb/> men, bey ihnen in einer ruhmwuͤrdigen Nachahmung feſte geſetzet ſey. Jch<lb/> koͤnte noch weit mehrers davon reden, wenn die verfloſſne Zeit, und das vor<lb/> uns liegende <hi rendition="#fr">Mittelburg</hi> mich nicht abzubrechen noͤthigte. Mylords wa-<lb/> ren uͤber deſſen Erzehlung ſehr vergnuͤgt, und nachdem ſie ſich voͤllig genaͤ-<lb/> hert, und ausgeſtiegen waren, begaben ſie ſich bey eingebrochenem Abend<lb/> in ihr voraus beſtelltes Quartier, und nahmen die Abend-Mahlzeit mit de-<lb/> ſto groͤſſerer Begierde ein, je mehr die gehabte Bewegung des Tages ſie da-<lb/> zu antrieb. Uber der Tafel ſagte Mylord Bingley:</p><lb/> <p>Wie koͤmts denn, wertheſter Raminio, daß ihr nicht ein Wort von<lb/> dem Temperament des hollaͤndiſchen Frauenzimmers gedacht habt, ſeyd ihr<lb/> denn etwa dieſem ſchoͤnen Geſchlechte ſo gehaͤßig, daß ihr auch nicht einmahl<lb/> von ihnen reden moͤgt?</p> </sp><lb/> <sp> <speaker> <hi rendition="#c"> <hi rendition="#aq"> <hi rendition="#i">Raminio.</hi> </hi> </hi> </speaker><lb/> <p>Ach nein, Mylord, ich bin dem Frauenzimmer gar nicht feind, ob ſie<lb/> gleich oͤffters obwohl unſchuldig, die Urſach geweſen, daß ich viel Gefahr,<lb/> Verdruß und Beſchwerlichkeiten habe ausſtehen muͤſſen. Jch bin mit ih-<lb/> nen gnugſam umgegangen, und habe Gelegenheit gefunden, ihr Gemuͤth<lb/> zum Guten und Boͤſen groͤſtentheils auszuforſchen. Jch muß aber nicht<lb/> dabey einen allgemeinen Ausſpruch thun, ſondern ſie in 2. Claſſen, nehm-<lb/> lich in die <hi rendition="#fr">Adeliche</hi> und <hi rendition="#fr">Buͤrgerliche</hi> ſetzen. Die <hi rendition="#fr">Adeliche</hi> iſt an ihrer<lb/> Auffuͤhrung, welche man galant zu nennen pfleget, untadelich. Sie wiſſen<lb/> ſich ſo nett und artig in Compagnie zu bezeigen, als die wohlgearteſte<lb/> Frantzoͤſin, Teutſchin oder von einem andern Volck. An Schoͤnheit man-<lb/> gelt es ihnen auch nicht, ob man gleich eben ſo wohl unter ihnen Knochen-<lb/> und Gießformen-Geſichter antrifft, als bey andern Nationen. Sie ler-<lb/> <fw place="bottom" type="catch">nen</fw><lb/></p> </sp> </div> </body> </text> </TEI> [71/0081]
gewiß glauben, daß da der alte Adel mit keinen neuern vermiſcht wird, die
vorigen und noch bluͤhenden Geſchlechter in deſto groͤſſern Anſehen ſtehn muͤſ-
ſen. Es ſind zwar nicht ſo viel Edelleute hier, als in Pohlen, oder Spa-
nien, weil die Familien oͤffters durch Krieg und Zufaͤlle in dem letzten ihres
Geſchlechts das Ende ſehen, aber wie ſchon geſagt, ſie geben keinen Auswaͤr-
tigen an Alterthum und Artigkeit der Sitten etwas nach. Sie fuͤhren ſich
praͤchtig auf, und ihre Lebens-Art richtet ſich faſt durchgehends nach der
Frantzoͤſiſchen, indem ſie nach Franckreich zu reiſen und dort neue Moden,
neue Complimente, und neue Sprache herzuholen pflegen. Die Handlung
iſt bey ihnen eben ſo wohl als bey dem teutſchen Adel verhaſt, und ſie ma-
chen vielmehr von dem Degen Profeßion, wie ſie denn in den letztern Krie-
gen genugſam gezeiget haben, daß der Heldenmuth nicht in ihnen erloſchen,
und die Tapferkeit der Teutſchen, als von welchen ſie urſpruͤnglich herſtam-
men, bey ihnen in einer ruhmwuͤrdigen Nachahmung feſte geſetzet ſey. Jch
koͤnte noch weit mehrers davon reden, wenn die verfloſſne Zeit, und das vor
uns liegende Mittelburg mich nicht abzubrechen noͤthigte. Mylords wa-
ren uͤber deſſen Erzehlung ſehr vergnuͤgt, und nachdem ſie ſich voͤllig genaͤ-
hert, und ausgeſtiegen waren, begaben ſie ſich bey eingebrochenem Abend
in ihr voraus beſtelltes Quartier, und nahmen die Abend-Mahlzeit mit de-
ſto groͤſſerer Begierde ein, je mehr die gehabte Bewegung des Tages ſie da-
zu antrieb. Uber der Tafel ſagte Mylord Bingley:
Wie koͤmts denn, wertheſter Raminio, daß ihr nicht ein Wort von
dem Temperament des hollaͤndiſchen Frauenzimmers gedacht habt, ſeyd ihr
denn etwa dieſem ſchoͤnen Geſchlechte ſo gehaͤßig, daß ihr auch nicht einmahl
von ihnen reden moͤgt?
Raminio.
Ach nein, Mylord, ich bin dem Frauenzimmer gar nicht feind, ob ſie
gleich oͤffters obwohl unſchuldig, die Urſach geweſen, daß ich viel Gefahr,
Verdruß und Beſchwerlichkeiten habe ausſtehen muͤſſen. Jch bin mit ih-
nen gnugſam umgegangen, und habe Gelegenheit gefunden, ihr Gemuͤth
zum Guten und Boͤſen groͤſtentheils auszuforſchen. Jch muß aber nicht
dabey einen allgemeinen Ausſpruch thun, ſondern ſie in 2. Claſſen, nehm-
lich in die Adeliche und Buͤrgerliche ſetzen. Die Adeliche iſt an ihrer
Auffuͤhrung, welche man galant zu nennen pfleget, untadelich. Sie wiſſen
ſich ſo nett und artig in Compagnie zu bezeigen, als die wohlgearteſte
Frantzoͤſin, Teutſchin oder von einem andern Volck. An Schoͤnheit man-
gelt es ihnen auch nicht, ob man gleich eben ſo wohl unter ihnen Knochen-
und Gießformen-Geſichter antrifft, als bey andern Nationen. Sie ler-
nen
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |