[N. N.]: Der reisende Engelländer. Frankfurt u. a., 1734.
Frauenzimmer übelwollenden Gemüthe ersonnen seyn mag, wiewohl ich eine Wette antreten wolte, daß man allezeit gegen zwey Begebenheiten, so von bösen Weibern handeln, vier Erzehlungen von frommen und gelassenen Frauen beybringen könte. Es war auch Mylord Byngley Meinung nicht, das Frauenzimmer dadurch anzugreiffen, als vor dem er jederzeit alle Ehrfurcht getragen, und das Andencken seiner Amariane in einem be- trübten Gedächtniß behält, dahero er dem unvergleichlichen Löwenhoek vollkommen Recht gab, und sich mit seinem Freunde nach einigen andern vor- gegangenen Unterredungen und verbindlichen Abschied, von ihm separirte. Sie brachen noch denselben Tag nach der zwey Meilen von Delfft gelege- nen Stadt Rotterdam auf, und langten mit einbrechenden Abend ver- mittelst einer artigen Treckschuyte allda an. Beyde Lords bezeigten wegen dem prächtigen Ansehn dieser Stadt ein ungemeines Vergnügen, und versicherten, daß man nicht unrecht thät, wenn man es klein Venedig nennte. Sie ruhten diese Nacht um desto sanffter, da sie den Tag über die Bewegung des Wassers in etwas ausgestanden hatten, und begaben sich des Morgens früh beyderseits an die denckwürdigsten Oerter. Sie beschau- ten vornehmlich die Statue des weltberühmten Erasini Roterodami, welche in Lebens-Grösse auf dem Marckte stehet, und auf einem marmor- steinernen, und mit einen eisernen Gitter eingefasten Piedestal ruhet. Er stehet in einem Doctor-Habit, und hat in der Hand ein aufgeschlagen Buch, von welchem man zum Schertz zusagen pflegt: daß er alle Stunden ein Blat umwendete, und wenn er fertig wär, das Ende der Welt käm. Jndem die Lords hiervon weg zugehen Willens waren, kam ihnen ein Mann von ziemlich ehrwürdigen Ansehn in das Gesichte, welcher bey sei- ner Annäherung so was angenehmes an sich hatte, das sie veranlaste, ihn zu sprechen. Er beantwortete ihre Fragen mit einer besondern Leutseeligkeit, und diese brachte die Lords zu dem Entschluß, ihn mit sich zur Tafel zu nö- thigen. Er machte keine grossen Schwürigkeiten, diesem Befehl, wie er sagte, Platz zu geben, und die Lords waren darüber ungemein vergnügt. Als nun unterschiedliche Discourse auf die Bahn gekommen waren, welche ihre Begierde zu wissen nur noch mehr angefeuert hatten, so nahm sich endlich der Lord Bingley die Freyheit, den unbekandten folgender massen zu fragen. Bingley. Dörfte ich mir denn, werther Freund, nicht eine deutlichere Erklärung von eurem Nahmen und Umständen ausbitten oder hindert euch vielleicht an dessen Entdeckung ein wichtiges Geheimniß? Rami- H 2
Frauenzimmer uͤbelwollenden Gemuͤthe erſonnen ſeyn mag, wiewohl ich eine Wette antreten wolte, daß man allezeit gegen zwey Begebenheiten, ſo von boͤſen Weibern handeln, vier Erzehlungen von frommen und gelaſſenen Frauen beybringen koͤnte. Es war auch Mylord Byngley Meinung nicht, das Frauenzimmer dadurch anzugreiffen, als vor dem er jederzeit alle Ehrfurcht getragen, und das Andencken ſeiner Amariane in einem be- truͤbten Gedaͤchtniß behaͤlt, dahero er dem unvergleichlichen Loͤwenhoek vollkommen Recht gab, und ſich mit ſeinem Freunde nach einigen andern vor- gegangenen Unterredungen und verbindlichen Abſchied, von ihm ſeparirte. Sie brachen noch denſelben Tag nach der zwey Meilen von Delfft gelege- nen Stadt Rotterdam auf, und langten mit einbrechenden Abend ver- mittelſt einer artigen Treckſchuyte allda an. Beyde Lords bezeigten wegen dem praͤchtigen Anſehn dieſer Stadt ein ungemeines Vergnuͤgen, und verſicherten, daß man nicht unrecht thaͤt, wenn man es klein Venedig nennte. Sie ruhten dieſe Nacht um deſto ſanffter, da ſie den Tag uͤber die Bewegung des Waſſers in etwas ausgeſtanden hatten, und begaben ſich des Morgens fruͤh beyderſeits an die denckwuͤrdigſten Oerter. Sie beſchau- ten vornehmlich die Statue des weltberuͤhmten Eraſini Roterodami, welche in Lebens-Groͤſſe auf dem Marckte ſtehet, und auf einem marmor- ſteinernen, und mit einen eiſernen Gitter eingefaſten Piedeſtal ruhet. Er ſtehet in einem Doctor-Habit, und hat in der Hand ein aufgeſchlagen Buch, von welchem man zum Schertz zuſagen pflegt: daß er alle Stunden ein Blat umwendete, und wenn er fertig waͤr, das Ende der Welt kaͤm. Jndem die Lords hiervon weg zugehen Willens waren, kam ihnen ein Mann von ziemlich ehrwuͤrdigen Anſehn in das Geſichte, welcher bey ſei- ner Annaͤherung ſo was angenehmes an ſich hatte, das ſie veranlaſte, ihn zu ſprechen. Er beantwortete ihre Fragen mit einer beſondern Leutſeeligkeit, und dieſe brachte die Lords zu dem Entſchluß, ihn mit ſich zur Tafel zu noͤ- thigen. Er machte keine groſſen Schwuͤrigkeiten, dieſem Befehl, wie er ſagte, Platz zu geben, und die Lords waren daruͤber ungemein vergnuͤgt. Als nun unterſchiedliche Diſcourſe auf die Bahn gekommen waren, welche ihre Begierde zu wiſſen nur noch mehr angefeuert hatten, ſo nahm ſich endlich der Lord Bingley die Freyheit, den unbekandten folgender maſſen zu fragen. Bingley. Doͤrfte ich mir denn, werther Freund, nicht eine deutlichere Erklaͤrung von eurem Nahmen und Umſtaͤnden ausbitten oder hindert euch vielleicht an deſſen Entdeckung ein wichtiges Geheimniß? Rami- H 2
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boͤſen Weibern handeln, vier Erzehlungen von frommen und gelaſſenen
Frauen beybringen koͤnte. Es war auch Mylord Byngley Meinung nicht,
das Frauenzimmer dadurch anzugreiffen, als vor dem er jederzeit alle
Ehrfurcht getragen, und das Andencken ſeiner Amariane in einem be-
truͤbten Gedaͤchtniß behaͤlt, dahero er dem unvergleichlichen Loͤwenhoek
vollkommen Recht gab, und ſich mit ſeinem Freunde nach einigen andern vor-
gegangenen Unterredungen und verbindlichen Abſchied, von ihm ſeparirte.
Sie brachen noch denſelben Tag nach der zwey Meilen von Delfft gelege-
nen Stadt Rotterdam auf, und langten mit einbrechenden Abend ver-
mittelſt einer artigen Treckſchuyte allda an. Beyde Lords bezeigten
wegen dem praͤchtigen Anſehn dieſer Stadt ein ungemeines Vergnuͤgen, und
verſicherten, daß man nicht unrecht thaͤt, wenn man es klein Venedig
nennte. Sie ruhten dieſe Nacht um deſto ſanffter, da ſie den Tag uͤber die
Bewegung des Waſſers in etwas ausgeſtanden hatten, und begaben ſich
des Morgens fruͤh beyderſeits an die denckwuͤrdigſten Oerter. Sie beſchau-
ten vornehmlich die Statue des weltberuͤhmten Eraſini Roterodami,
welche in Lebens-Groͤſſe auf dem Marckte ſtehet, und auf einem marmor-
ſteinernen, und mit einen eiſernen Gitter eingefaſten Piedeſtal ruhet. Er
ſtehet in einem Doctor-Habit, und hat in der Hand ein aufgeſchlagen Buch,
von welchem man zum Schertz zuſagen pflegt: daß er alle Stunden ein
Blat umwendete, und wenn er fertig waͤr, das Ende der Welt
kaͤm. Jndem die Lords hiervon weg zugehen Willens waren, kam ihnen
ein Mann von ziemlich ehrwuͤrdigen Anſehn in das Geſichte, welcher bey ſei-
ner Annaͤherung ſo was angenehmes an ſich hatte, das ſie veranlaſte, ihn
zu ſprechen. Er beantwortete ihre Fragen mit einer beſondern Leutſeeligkeit,
und dieſe brachte die Lords zu dem Entſchluß, ihn mit ſich zur Tafel zu noͤ-
thigen. Er machte keine groſſen Schwuͤrigkeiten, dieſem Befehl, wie er
ſagte, Platz zu geben, und die Lords waren daruͤber ungemein vergnuͤgt.
Als nun unterſchiedliche Diſcourſe auf die Bahn gekommen waren, welche
ihre Begierde zu wiſſen nur noch mehr angefeuert hatten, ſo nahm ſich endlich
der Lord Bingley die Freyheit, den unbekandten folgender maſſen zu fragen.
Bingley.
Doͤrfte ich mir denn, werther Freund, nicht eine deutlichere Erklaͤrung
von eurem Nahmen und Umſtaͤnden ausbitten oder hindert euch vielleicht an
deſſen Entdeckung ein wichtiges Geheimniß?
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