Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[N. N.]: Der reisende Engelländer. Frankfurt u. a., 1734.

Bild:
<< vorherige Seite

nicht entbrechen konte. Jener sahe diesen gleichfals mit unverwendeten Ge-
sichte an, und kam, ehe sie sichs versahen, ihnen aus der Thür entgegen.
Er fiel dem Lord Bingley mit der aufrichtigsten Mine um den Hals, daß
dieser dadurch so weit zurücke zu sinnen, bewogen wurde, wie er mit ihm in
seiner Jugend eine wahre Freundschafft aufgerichtet hatte. Beyderseits be-
zeugten eine ausnehmende Freude über ihre unverhoffte Zusammenkunfft, und
der treue Mercanto, wie er sich nennete, ließ nicht eher mit Bitten nach,
biß die beyden Lords in sein Hauß zu kommen sich gefallen liessen. Er
räumte ihnen das mittlere Stockwerck ein, und ließ ihren Bedienten durch
die Seinigen aufwarten. Er saß mit ihnen an einer mit den raresten Spei-
sen besetzten Tafel, und ihre Reden giengen in einer kleinen Verwirrung von
einer Materie zur andern, daß wir sie herzusetzen unmöglich im Stande sind.
Endlich aber verfiel der Discours auf die grosse Handels-Stadt, in wel-
cher sie sich dazumahl auf hielten, und dieses Gespräche ist so merckwürdig,
daß wir es unmöglich vorbey lassen können. Wle gehts denn zu, fragte
Bingley, daß diese kleine Welt mit einem so erstaunenden Reichthum,
welchen ich doch nur zur Helffte von weiten betrachtet habe, angefüllet ist,
da doch diese Stadt keines weges zu der Handlung so bequem als die Lage
manches kleinen Orts scheinet, welcher dennoch sich nicht den tausendsten
Theil dieses Glücks versprechen kan.

Mercanto.
Es ist öffters ein Verhängniß darunter verborgen, welches der oder
jener Stadt etwas besonders vor viel hundert andern gönnet, und es auch
wohl dieser wieder entziehet, damit sie eine andere damit überschütten möge.
Das Exempel von dem, was ich gesagt, liegt an Tage. Denn Amster-
dam
führet den Ursprung seiner jetzigen Hoheit aus der Asche des verstör-
ten Antwerpens her. Der Hertzog von Alba, welcher an Unbarmher-
tzigkeit
wenig seines gleichen haben wird, war die gröste Ursach dazu. Denn
als wegen den Neligions-Streitigkeiten unter der Regierung Philippi II.
diese Länder auf das äusserste gedruckt wurden, und Antwerpen sonderlich
wegen seiner damahligen Macht sich zu wiedersetzen Mine machte, so kam
gedachter Hertzog als Stadthalter mit einer zahlreichen Armee davor, und
ließ ihr 1567. eine Brille auf die Nase setzen. Dieses daurete, wiewohl
unter beständigen Plünderungen biß 1583. da sie sich dem Hertzog von Alen-
con
unterwarf, welcher sich zum Herrn der Niederlande zu machen suchte.
Weil aber sein Regiment wie die Seifenblasen war, welche anfangs glän-
tzen, nicht aber lange dauern, so nahm der Hertzog von Parma auf Befehl
des Königs von Spanien 1585. an 17. August. diese Stadt wieder weg,
und

nicht entbrechen konte. Jener ſahe dieſen gleichfals mit unverwendeten Ge-
ſichte an, und kam, ehe ſie ſichs verſahen, ihnen aus der Thuͤr entgegen.
Er fiel dem Lord Bingley mit der aufrichtigſten Mine um den Hals, daß
dieſer dadurch ſo weit zuruͤcke zu ſinnen, bewogen wurde, wie er mit ihm in
ſeiner Jugend eine wahre Freundſchafft aufgerichtet hatte. Beyderſeits be-
zeugten eine ausnehmende Freude uͤber ihre unverhoffte Zuſammenkunfft, und
der treue Mercanto, wie er ſich nennete, ließ nicht eher mit Bitten nach,
biß die beyden Lords in ſein Hauß zu kommen ſich gefallen lieſſen. Er
raͤumte ihnen das mittlere Stockwerck ein, und ließ ihren Bedienten durch
die Seinigen aufwarten. Er ſaß mit ihnen an einer mit den rareſten Spei-
ſen beſetzten Tafel, und ihre Reden giengen in einer kleinen Verwirrung von
einer Materie zur andern, daß wir ſie herzuſetzen unmoͤglich im Stande ſind.
Endlich aber verfiel der Diſcours auf die groſſe Handels-Stadt, in wel-
cher ſie ſich dazumahl auf hielten, und dieſes Geſpraͤche iſt ſo merckwuͤrdig,
daß wir es unmoͤglich vorbey laſſen koͤnnen. Wle gehts denn zu, fragte
Bingley, daß dieſe kleine Welt mit einem ſo erſtaunenden Reichthum,
welchen ich doch nur zur Helffte von weiten betrachtet habe, angefuͤllet iſt,
da doch dieſe Stadt keines weges zu der Handlung ſo bequem als die Lage
manches kleinen Orts ſcheinet, welcher dennoch ſich nicht den tauſendſten
Theil dieſes Gluͤcks verſprechen kan.

Mercanto.
Es iſt oͤffters ein Verhaͤngniß darunter verborgen, welches der oder
jener Stadt etwas beſonders vor viel hundert andern goͤnnet, und es auch
wohl dieſer wieder entziehet, damit ſie eine andere damit uͤberſchuͤtten moͤge.
Das Exempel von dem, was ich geſagt, liegt an Tage. Denn Amſter-
dam
fuͤhret den Urſprung ſeiner jetzigen Hoheit aus der Aſche des verſtoͤr-
ten Antwerpens her. Der Hertzog von Alba, welcher an Unbarmher-
tzigkeit
wenig ſeines gleichen haben wird, war die groͤſte Urſach dazu. Denn
als wegen den Neligions-Streitigkeiten unter der Regierung Philippi II.
dieſe Laͤnder auf das aͤuſſerſte gedruckt wurden, und Antwerpen ſonderlich
wegen ſeiner damahligen Macht ſich zu wiederſetzen Mine machte, ſo kam
gedachter Hertzog als Stadthalter mit einer zahlreichen Armee davor, und
ließ ihr 1567. eine Brille auf die Naſe ſetzen. Dieſes daurete, wiewohl
unter beſtaͤndigen Pluͤnderungen biß 1583. da ſie ſich dem Hertzog von Alen-
con
unterwarf, welcher ſich zum Herrn der Niederlande zu machen ſuchte.
Weil aber ſein Regiment wie die Seifenblaſen war, welche anfangs glaͤn-
tzen, nicht aber lange dauern, ſo nahm der Hertzog von Parma auf Befehl
des Koͤnigs von Spanien 1585. an 17. Auguſt. dieſe Stadt wieder weg,
und
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0018" n="8"/>
nicht entbrechen konte. Jener &#x017F;ahe die&#x017F;en gleichfals mit unverwendeten Ge-<lb/>
&#x017F;ichte an, und kam, ehe &#x017F;ie &#x017F;ichs ver&#x017F;ahen, ihnen aus der Thu&#x0364;r entgegen.<lb/>
Er fiel dem <hi rendition="#aq">Lord Bingley</hi> mit der aufrichtig&#x017F;ten Mine um den Hals, daß<lb/>
die&#x017F;er dadurch &#x017F;o weit zuru&#x0364;cke zu &#x017F;innen, bewogen wurde, wie er mit ihm in<lb/>
&#x017F;einer Jugend eine wahre Freund&#x017F;chafft aufgerichtet hatte. Beyder&#x017F;eits be-<lb/>
zeugten eine ausnehmende Freude u&#x0364;ber ihre unverhoffte Zu&#x017F;ammenkunfft, und<lb/>
der treue <hi rendition="#aq">Mercanto,</hi> wie er &#x017F;ich nennete, ließ nicht eher mit Bitten nach,<lb/>
biß die beyden <hi rendition="#aq">Lords</hi> in &#x017F;ein Hauß zu kommen &#x017F;ich gefallen lie&#x017F;&#x017F;en. Er<lb/>
ra&#x0364;umte ihnen das mittlere Stockwerck ein, und ließ ihren Bedienten durch<lb/>
die Seinigen aufwarten. Er &#x017F;aß mit ihnen an einer mit den rare&#x017F;ten Spei-<lb/>
&#x017F;en be&#x017F;etzten Tafel, und ihre Reden giengen in einer kleinen Verwirrung von<lb/>
einer Materie zur andern, daß wir &#x017F;ie herzu&#x017F;etzen unmo&#x0364;glich im Stande &#x017F;ind.<lb/>
Endlich aber verfiel der <hi rendition="#aq">Di&#x017F;cours</hi> auf die gro&#x017F;&#x017F;e <hi rendition="#fr">Handels-Stadt,</hi> in wel-<lb/>
cher &#x017F;ie &#x017F;ich dazumahl auf hielten, und die&#x017F;es Ge&#x017F;pra&#x0364;che i&#x017F;t &#x017F;o merckwu&#x0364;rdig,<lb/>
daß wir es unmo&#x0364;glich vorbey la&#x017F;&#x017F;en ko&#x0364;nnen. Wle gehts denn zu, fragte<lb/><hi rendition="#aq">Bingley,</hi> daß die&#x017F;e <hi rendition="#fr">kleine Welt</hi> mit einem &#x017F;o er&#x017F;taunenden Reichthum,<lb/>
welchen ich doch nur zur Helffte von weiten betrachtet habe, angefu&#x0364;llet i&#x017F;t,<lb/>
da doch die&#x017F;e Stadt keines weges zu der Handlung &#x017F;o bequem als die Lage<lb/>
manches kleinen Orts &#x017F;cheinet, welcher dennoch &#x017F;ich nicht den tau&#x017F;end&#x017F;ten<lb/>
Theil die&#x017F;es Glu&#x0364;cks ver&#x017F;prechen kan.</p><lb/>
        <sp>
          <speaker> <hi rendition="#c"> <hi rendition="#aq"> <hi rendition="#i">Mercanto.</hi> </hi> </hi> </speaker><lb/>
          <p>Es i&#x017F;t o&#x0364;ffters ein Verha&#x0364;ngniß darunter verborgen, welches der oder<lb/>
jener Stadt etwas be&#x017F;onders vor viel hundert andern go&#x0364;nnet, und es auch<lb/>
wohl die&#x017F;er wieder entziehet, damit &#x017F;ie eine andere damit u&#x0364;ber&#x017F;chu&#x0364;tten mo&#x0364;ge.<lb/>
Das Exempel von dem, was ich ge&#x017F;agt, liegt an Tage. Denn <hi rendition="#fr">Am&#x017F;ter-<lb/>
dam</hi> fu&#x0364;hret den Ur&#x017F;prung &#x017F;einer jetzigen Hoheit aus der A&#x017F;che des ver&#x017F;to&#x0364;r-<lb/>
ten <hi rendition="#fr">Antwerpens</hi> her. Der Hertzog von <hi rendition="#aq"><hi rendition="#i">Alba,</hi></hi> welcher an <hi rendition="#fr">Unbarmher-<lb/>
tzigkeit</hi> wenig &#x017F;eines gleichen haben wird, war die gro&#x0364;&#x017F;te Ur&#x017F;ach dazu. Denn<lb/>
als wegen den Neligions-Streitigkeiten unter der Regierung <hi rendition="#fr">Philippi</hi> <hi rendition="#aq"><hi rendition="#i">II.</hi></hi><lb/>
die&#x017F;e La&#x0364;nder auf das a&#x0364;u&#x017F;&#x017F;er&#x017F;te gedruckt wurden, und Antwerpen &#x017F;onderlich<lb/>
wegen &#x017F;einer damahligen Macht &#x017F;ich zu wieder&#x017F;etzen Mine machte, &#x017F;o kam<lb/>
gedachter Hertzog als Stadthalter mit einer zahlreichen Armee davor, und<lb/>
ließ ihr 1567. eine Brille auf die Na&#x017F;e &#x017F;etzen. Die&#x017F;es daurete, wiewohl<lb/>
unter be&#x017F;ta&#x0364;ndigen Plu&#x0364;nderungen biß 1583. da &#x017F;ie &#x017F;ich dem Hertzog von <hi rendition="#aq"><hi rendition="#i">Alen-<lb/>
con</hi></hi> unterwarf, welcher &#x017F;ich zum Herrn der Niederlande zu machen &#x017F;uchte.<lb/>
Weil aber &#x017F;ein Regiment wie die Seifenbla&#x017F;en war, welche anfangs gla&#x0364;n-<lb/>
tzen, nicht aber lange dauern, &#x017F;o nahm der Hertzog von <hi rendition="#fr">Parma</hi> auf Befehl<lb/>
des Ko&#x0364;nigs von Spanien 1585. an 17. Augu&#x017F;t. die&#x017F;e Stadt wieder weg,<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">und</fw><lb/></p>
        </sp>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[8/0018] nicht entbrechen konte. Jener ſahe dieſen gleichfals mit unverwendeten Ge- ſichte an, und kam, ehe ſie ſichs verſahen, ihnen aus der Thuͤr entgegen. Er fiel dem Lord Bingley mit der aufrichtigſten Mine um den Hals, daß dieſer dadurch ſo weit zuruͤcke zu ſinnen, bewogen wurde, wie er mit ihm in ſeiner Jugend eine wahre Freundſchafft aufgerichtet hatte. Beyderſeits be- zeugten eine ausnehmende Freude uͤber ihre unverhoffte Zuſammenkunfft, und der treue Mercanto, wie er ſich nennete, ließ nicht eher mit Bitten nach, biß die beyden Lords in ſein Hauß zu kommen ſich gefallen lieſſen. Er raͤumte ihnen das mittlere Stockwerck ein, und ließ ihren Bedienten durch die Seinigen aufwarten. Er ſaß mit ihnen an einer mit den rareſten Spei- ſen beſetzten Tafel, und ihre Reden giengen in einer kleinen Verwirrung von einer Materie zur andern, daß wir ſie herzuſetzen unmoͤglich im Stande ſind. Endlich aber verfiel der Diſcours auf die groſſe Handels-Stadt, in wel- cher ſie ſich dazumahl auf hielten, und dieſes Geſpraͤche iſt ſo merckwuͤrdig, daß wir es unmoͤglich vorbey laſſen koͤnnen. Wle gehts denn zu, fragte Bingley, daß dieſe kleine Welt mit einem ſo erſtaunenden Reichthum, welchen ich doch nur zur Helffte von weiten betrachtet habe, angefuͤllet iſt, da doch dieſe Stadt keines weges zu der Handlung ſo bequem als die Lage manches kleinen Orts ſcheinet, welcher dennoch ſich nicht den tauſendſten Theil dieſes Gluͤcks verſprechen kan. Mercanto. Es iſt oͤffters ein Verhaͤngniß darunter verborgen, welches der oder jener Stadt etwas beſonders vor viel hundert andern goͤnnet, und es auch wohl dieſer wieder entziehet, damit ſie eine andere damit uͤberſchuͤtten moͤge. Das Exempel von dem, was ich geſagt, liegt an Tage. Denn Amſter- dam fuͤhret den Urſprung ſeiner jetzigen Hoheit aus der Aſche des verſtoͤr- ten Antwerpens her. Der Hertzog von Alba, welcher an Unbarmher- tzigkeit wenig ſeines gleichen haben wird, war die groͤſte Urſach dazu. Denn als wegen den Neligions-Streitigkeiten unter der Regierung Philippi II. dieſe Laͤnder auf das aͤuſſerſte gedruckt wurden, und Antwerpen ſonderlich wegen ſeiner damahligen Macht ſich zu wiederſetzen Mine machte, ſo kam gedachter Hertzog als Stadthalter mit einer zahlreichen Armee davor, und ließ ihr 1567. eine Brille auf die Naſe ſetzen. Dieſes daurete, wiewohl unter beſtaͤndigen Pluͤnderungen biß 1583. da ſie ſich dem Hertzog von Alen- con unterwarf, welcher ſich zum Herrn der Niederlande zu machen ſuchte. Weil aber ſein Regiment wie die Seifenblaſen war, welche anfangs glaͤn- tzen, nicht aber lange dauern, ſo nahm der Hertzog von Parma auf Befehl des Koͤnigs von Spanien 1585. an 17. Auguſt. dieſe Stadt wieder weg, und

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/nn_engellaender_1734
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/nn_engellaender_1734/18
Zitationshilfe: [N. N.]: Der reisende Engelländer. Frankfurt u. a., 1734, S. 8. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_engellaender_1734/18>, abgerufen am 27.11.2024.