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Czernowitzer Allgemeine Zeitung. Nr. 2040, Czernowitz, 04.11.1910.

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Czernowitzer Allgemeine Zeitung 4. November 1910.

[Spaltenumbruch] daß die Einnahmen der Parteisteuer sich seit dem letzten
Berichtsjahre verdoppelt haben. Abg Grigorovici erstattete
einen ausführlichen parlamentarischen Tätigkeitsbericht. Lokomotiv-
führer Oppitz berichtete über den internationalen Sozialisten-
kongreß in Kopenhagen. Namens der Parteikontrolle referierte
Frau Dr. Grigorovici, über deren Antrag der abtretenden
Parteileitung das Absolutorium erteilt wurde. Die Konferenz
nahm eine Resolution an, in der dem Abgeordneten Grigo-
rovici Dank und Vertrauen votiert wird Eine zweite Resolntion,
die angenommen wurde, begrüßt die Entscheidung des Kopen-
hagner Kongresses zugunsten der einheitlichen Ge-
werkschaftsbewegung.
-- Lehrer Bezpalko re-
ferierte über "Organisation". An sein Referat knüpfte sich eine
längere Debatte, in der die Ausdehnung der Orga-
nisation auf das flache Land begrüßt wurde. Ueber das
Programm für den Landtag referierte Herr Doktor
Pistiner. Eine ungemein sachliche Diskussion schloß sich an
dieses Referat. Die Konferenz beschloß noch zwei Resolutionen,
in der einen wird das allgemeine Wahlrecht für den Czer-
nowitzer Gemeinderat verlangt die andere richtet sich gegen die
Lebensmittelteuerung. In die Parteileitung wurden gewählt die
Herren Zeplichal, Lewicki, Pistiner, Tropper,
Bezpalko
und Vogel. Der Leitung gehören überdies Abg.
Grigorovici und Sekretär Dan an. Eine eigene ver-
trauliche Sitzung wurde den Vorbereitungen zu den Land-
tagswahlen
gewidmet.

Urania.

Außer den drei öffentlichen Vortragsabenden
am 3, 4. und 6. d. M., findet am Montag, den 7. d. M.
noch eine Arbeitervorstellung statt. Bezeichnend für das rege
Bildungsbedürfnis der Arbeiterschaft ist, daß sie sich selbst die
beiden Themen "Die physikalischen Wunder des E[r]dballs"
und "Die Kunstform in der Natur" gewählt hat und wird
dieser Urania[a]bend allem Anscheine nach einen Massenbesuch
ausweisen. Für den Vortrag von heute und Sonntag genießen
Staatsbeamte und L[e]hrer eine 33 1/3 % Ermäßigung und
werden die Kartenanweisungen im B[e]amtenkasino ausgefolgt.

Wetterprognose für morgen:

Meist heiter, stellen-
weise Bodennebel, lebhafte Winde, abnehmende Temperatur,
unbestimmt, schlechtes Wetter.




Theater, Kunst und Literatur.


Repertoire des Stadttheaters.
Freitag, 4. November halb 8 Uhr abends bei ermäßigten
Preisen "Der Troubadour" Oper in 4 Akten
von G. Verdi.
Samstag, 5. November 3 Uhr nachm. (Schülervorstellung):
"Der Fechter von Ravenna" Trauerspiel in
5 Akten von Fried. Halm; abends halb 8 Uhr
(Susp. 11): "Die keusche Susanne" Operette in
3 Akten von Jean Gilbert (Novität).
Sonntag, 6. November 3 Uhr nachm.: "Der Prinzgemahl"
Lustspiel in 3 Akten von Xanrof und Chaniel;
abends halb 8 Uhr (Susp. 12): "Die k[e]usche
Susanne" Operette in 3 Akten von Jean Gilbert.



Rechtspflege.


Schwurgericht.

Heute begann die für sechs Tage anberaumte Ver-
handlung gegen Viktor David Schäfer, der wegen des
Verbrechens des Betruges und der Veruntreuung unter
Anklage steht. Der Gerichtshof besteht aus LGR. Handl
als Vorsitzendem und den LGR. Dr. Dawid und Doktor
Turcan als Votanten. Die Anklage vertritt St.-Stellvertreter
Dr. Lazarus, die Verteidigung führt A[d]v. Dr. Julius
Steruberg. Als Schriftführer fungiert Auskaltant
Dr. Schapire.

Dem Angeklagten wird folgendes zur Last gelegt: Viktor
Schäfer hat in der Zeit vom 12. November 1907 bis
10. Februar 1908 zu Lukaw[unleserliches Material - 1 Zeichen fehlt]tz a. S., Berhometh a. S.,
Mihowa, I[s]pas, K[unleserliches Material - 1 Zeichen fehlt]sselitza, Mold.-Banilla, Bahna und
Wiznitz von ca 92 Darlehenswerbern unter d[e]m T[i]tel von
"Vorspesen der Darlehensbeschaffung" Geldbeträge erhalten,
wobei er den betreffenden Personen die baldige Bewilligung
von Darlehen seitens auswärtiger (westösterreichischer) Kredit-
institute in sichere Aussicht stellte. Dabei setzte Schäfer den
Darlehenswerbern auseinander, daß diese von ihm einkassierten
"Vorspesen" lediglich den Zweck hätten, die für die Beschaffung
des Darlehens notwendigen Baarauslagen, als die Kosten
der Schätzung der schuldnerischen Grundstücke, Stemp[e]laus-
lagen, die Kosten der notariellen Errichtung der Schuld-
scheine und die Portoauslagen zu decken. Falls das Darlehen
nicht bewilligt wurde, hätte Schäfer den Darlehensbewerbern
diese als "Vorspesen" eingehobene Beträge rückerstatten sollen.
Schäfer war also -- so entnehmen wir der Anklageschrift --
keinesfalls berechtigt, aus den einkassierten "Vorspesen" seine
Reiseauslagen und E[r]haltungskosten zu decken, da er das
Honorar für seine Vermittlung erst nach Bewilligung des
Darlehens mittels Abzuges von der Darlehensvaluta zu be-
ziehen hatte. Auf diese Weise hat Schäfer innerhalb dreier
Monate, vom 12. November 1907 bis 10. Februar 1908
Vorspesen in der G[e]samtsumme von 4,767 Kr. eingehoben.
Als die zumeist bäuerlichen Vorschußgeber sahen, daß ent-
gegen dem Versprechen des Beschuldigten die Darlehensvaluta
nach einigen Wochen nicht eintraf, wurden sie mißtranisch
und erstatteten mehrfach Strafanzeigen wider den Be-
schuldiaten. Derselbe wurde am 10. Februar 1908, als er
einen Paß ins Ausland beheben wollte, verhaftet. Schäfer
gab vor dem Untersuchungsrichter unumwunden zu, daß er
[Spaltenumbruch] sämtliche Beträge, die er von den Darlehenswerbern ein-
gehoben, für sich verwendet habe, daß er kein Geld besitze
und nicht in der Lage sei, diese Vorspesen zurückzu[e]rstatten.
Dabei gebrauchte Schäfer die Taktik, durch Vorweisung eines
Geschäftsbüch[e]lchens den Untersuchungsrichter glauben zu
machen, daß er die eingehobenen Beträge nur zu Ausgaben
zw[e]cks E[r]langung der Darlehen, also gewissermaßen im
Interesse seiner k[r]editsuchenden Auftraggeber, verwendet habe.
Doch erwies sich nach Ueberprüfung der einzelnen Posten
dieses Büchelchens, der größte Teil als fingiert und
erdichtet. Dies geht namentlich daraus hervor, daß
der Vertreter der galizischen Hypothekenbank, an die
Schäfer mehrere Beträge gezahlt haben wollte, erklärte,
daß Schäfer der Bank vollständig unbekannt sei und mit ihr
nie G[e]schäfte gemacht habe, zumal da die Hypothenkenbank
j[e]de Mitwirkung von Agenten prinzipiell ablehne. Der
Beschuldigte hatte alle zur Bezahlung von Schatzgebühren,
Vertragserrichtungskosten und Porto[s]p[e]sen erhaltenen Beträge
zur Berichtigung seiner Schulden und zur Bestreitung seines
Haushaltes verwendet. Seine Einwendung, er habe die "Vor-
spesen" in der Erwartung für sich verwendet, aus der zu
verdienenden Provision künftig Ersatz leisten, beziehungsweise
eine Komp[e]nsation vornehmen zu können, ist unstichhältig, da
er eine solche Erwartung infolge der abweislichen Haltung
der angegangenen Kreditinstitute gar nicht hegen konnte.

Der Anklageschrift legt weiters Schäfer folgendes zur
Last: Schäfer hat im Februar 1910 zu Lemberg durch die
listigen Vorstellungen, daß er Architekt in Czernowitz sei, als
solcher eine große Pr[a]x[i]s erworben habe, daß er die Pläne
für die Realität des Osias Beral in Stanislau, Schwieger-
vater de[s] Dr. Wilhelm Rosenberg, durchgesehen und aus-
gearbeitet habe, daß es ihm dank der Protektion seines [n]ahen
Verwandten, des Reichsratsabgeordneten Dr. Straucher
gelungen sei, eine Konzession zur Erwirkung und Durch-
führung von Darlehen zu erlangen, jedoch nicht mit dem
Wohnsitz[e] Czernowitz, sondern in Sadagora und in Wien,
wo sein Bureau sich I. Bezirk, Schottenring 8 befindet, daß
die untersteiermarkische Sparkasse in G[r]az die Bank sei, welche
ihm die Vertretung für Galizien übergeben habe, daß diese Bank
Darlehen auf 50 Jahre in der Höhe von 70% des Schätzwertes
gegen 4%ige Verzinsung eeteile, wobei die Amortisation kaum
1/2 jährlich ausmache, daß er weiters schon ein Darlehen bei
dieser Bank erwirkt habe u. zw. auf das Gut Chorostokow
des G[r]afen Liwienski im Betrage von 2,000.000 K und
dieses Darlehen bereits zugezählt sei, während die Bewilligung
eines Darlehens auf das Passagehaus des Wolf Berisch
Hausmann im Betrage von 1.500 000 K im Zuge sei, die
unten angeführten Personen in Irrtum geführt und sie durch
die weitere listige Vorspiegelung, er sei in der Lage, ihnen
Hypothekardarlehen zu den obigen Bedingungen zu verschaffen,
und benötige Vorschüsse zur Bezahlung der Schätzung ihrer
Realitäten, in Irrtum geführt und [z]u der Ausfolgung von
Geldbeträgen a conto der angeblichen Schätzungskosten be-
wogen, wodurch die später Genannten an ihrem Vermögen
einen den Betrag von 200 K übersteigenden Schaden erleiden
sollten und einen solchen in der Höhe von zusammen 1400 K
auch wirklich erlitten haben u. zw. hat Schäfer folgende
Personen unter falschen Vorspiegelungen zur Auszahlung von
Geldbeträgen bewogen:

1. am 1. und 2. Februar 1910 den Advokaten Doktor
Wilhelm Rosenberg, als Vertreter des Kreditnehmers Berl
Finkler der Geldbeträge von je 300 K

2. am 4. Februar 1910 die Kreditwerber Siegmund
Schwieger und Josef König eines Geldbetrages von 300 K.

3. am 22. Februar 1910 den Advokaten Dr. Wladimir
Godlewski als Vertreter des Kreditnehmers Dr. Theodor
Ballaban des Geldbetrages von 300 K.

4. am 24. Februar 1910 den Kreditnehmer Berl
Finkler des Geldbetrages von 200 K.

Die Verhandlung.

Nach Verlesung der Ankla[g]eschrift bringt der Vorsitzende,
L.-G.-R. Handl vor, daß gegen Viktor Schäfer bereits
am 2. Februar 1910 die Hauptverhandlung vor einem
Erkenntnissenate stattfinden sollte. Der Gerichtshof erklärte
sich jedoch für unzuständig und verwies die A[n]gelegenheit vor
das Schwurgericht. Die Nichtigkeitsbeschwerde der Staats-
anwaltschaft über diesen Beschluß wurde abgewiesen.

Der Angeklagte gibt bei seiner hierauf folgenden Ein-
vernahme an, daß er sich nicht schuldig fühle. Ueber Verlangen
des Vorsitz[e]nden gibt Schäfer einen kurzen Ueberblick über
seinen Lebenslauf bis zum Tage seiner Verhaftung. Darnach
war er zuerst Baupraktikant, hierauf erhielt er eine Stelle
als Magazinsvorarbeiter bei der Bahn. Bis zum Jahre 1896
verblieb Schäfer in seiner Stellung bei der Bahn, im Jahre
1896 mußte er zum Militär einrücken, wo er nach 3jähriger
Dienstzeit die Charge eines Rechnungsunteroff[i]ziers erreichte.
Schäfer erhielt hernach eine fixe Stellung bei der Versicherungs-
gesellschaft "Universale." Nachdem er hier gekündigt hatte
und eine kurze Zeit bei der Versicherungsgesellschaft "Donau"
tätig war, übernahm Schäfer die Agentur der Mährischen
Versicherungsgesellschaft für den Sadagurer Bezirk. Als im
Jahre 1906 der Landesausschuß beschloß, der Landesbank
die Vermittlung der mährischen Versicherungsgesellschaft bei
Gewährung von Darlehen zu untersagen, war Schäfer ohne
jegliche Subsistenzmittel und hatte jetzt auch keine Aussicht,
als Agent der mährischen Versicherungsgesellschaft das für
seinen Lebensunterhalt Nötige zu erwerben. Schäfer reichte
daher um Verleihung einer Konzession für ein Darlehens-
vermittlungsbureau in Sadagura ein, die ihm auch bewilligt
wurde. Der Angeklagte führt j[e]tzt weiter aus, daß er von
den einzelnen Darlehenswerbern Geldbeträge als "Vorspesen"
in Empfang genommen habe. Ueber Befragen des Vorsitzenden,
worauf er dieses Geld verwendet habe, das ja nur zur
Bestreitung der Kosten für Dokumente und das Porto be-
stimmt war, gibt Angeklagter zu, daß er dieses G[e]ld zur
Bezahlung seiner Schulden verwendet habe, doch hätte er,
falls das betreffende Darlehensgeschäft nicht zu Stande
gekommen wäre, nur soviel hievon für sich behalten, als
eben zur Deckung seiner Spesen notwendig gewesen wäre, daß
[Spaltenumbruch] biebei keine betrügerische Absicht vorgelegen sei, beweise der
Umstand, daß er auch einige in Aktion befindlichen Dar-
lehensgeschäfte zustande brachte, als er während der Vor-
untersuchung auf freien Fuß gesetzt wurde. Die Beschaffung
der Darlehen habe sich nur deswegen in die Länge gezogen,
weil er das Ende der zur Z[e]it herrschenden Geldkrise ab-
warten wollte. Was das ihm zur Last gelegte Lemberger
Faktum anbelange, erklärt der Angeklagte, daß er sich
daselbst nicht als Baumeister ausgegeben habe, sondern nur
irrigerweise von verschiedenen Personen als solcher tituliert
wurde. Er habe nicht angegeben, daß sich sein Bureau in
Wien I., Schottenring 8 befigde. Dies sei nur seine Adresse für
seinen Aufenthalt in Wien gewesen. Die einzelnen Summen habe
er in Lemberg als Kaution für die Schätzungskosten empfangen.
Da er jedoch kein Geld hatte, verwendete diese Summe für die
Fahrt nach Wien und Graz in Angelegenheit des betreffenden
Darlehensgeschäftes. Den Namen einer untersteierma[r]kischen
Sparkasse in Graz habe er nur deswegen vorgespiegelt, um
nicht vorzeitig zu verraten, wo er das in Rede stehende
Darlehen aufnehmen wollte.

Um 1 Uhr mittags unterbricht der Vorsitz[e]nde die Ver-
handlung bis 4 Uhr nachmittags. In der Nachmittags-
verhandlung beginnt die Zeugeneinvernahme.




Oekonomisches.


Preiskonvention im Holzhandel Oesterreich-
Ungarns.

Die Verhandlungen zwischen den österreichisch-
ungarischen Holzexportfi[r]men bezüglich Anbahnung einer
Preiskonvention sind nunmehr zum Abschluß gediehen. Es
gehö[r]en derselben fast alle bedeutenden Holzfi[r]men der öster-
reichischungarischen Monarchie an. Es sind besonders die
Preise für den Holzexport nach Griechenland, England,
I[t]alien und dem Ocient f[e]stgesetzt worden.

Erleichterung der Schlachtviehzufuhr nach
Wien.

Der Ack[e]rbauminister hat, wie aus Wien gemeldet
wird, über Ersuchen des Reichsverbandes der Vi[e]h[-] und
Fleischhändler und des Wiener Gremiums der Viehhändler
gestattet, daß von nun an Rinder- und Borstenvieh aus
seuchenfreien Gemeinden, wenn auch deren Nachbargemeinden
verseucht sind, ohne Einholung einer besonderen behö[r]dlichen
Bewilligung auf den Wiener Z[e]tralviehmarkt gebracht
werden könne.




Korrespondenzen.


Radautz.

(Die Wirkung des Aufrufes zur
Gründung eines jüdischen Volksrates.)

Professo[r] Dr. Kellners Aufruf zur Gründung eines
jüdischen Volksrates
ist hier mit großer Befriedigung
aufgenommen worden. Dies kam auch darin zum Ausdruck,
daß sich ganz spontan am Mittwoch, den 2. d. M. ein
Komitee, bestehend aus allen Schichten der jüdischen Bevöl-
kerung bildete und den Beschluß faßte, Herrn Dr. Kellner
einzuladen, an einem der nächsten Tage hier eine öffent-
liche Volksversammlung abzuhalten und seine Ideen zu ent-
wickeln. Das Komitee hat damit den ersten Schritt zu einem
schon lange als notwendig erachtetem Werke getan. Das
Komitee, dem die Herren Professor Dr. Spitzer, Moses
Ber Mick, Richter Rachmuth, Bernhard Bix, Doktor
Adolf Harth, Salamon Hirsch, Dr. S. Gütter,
Chanine Korn, Dr. Rubin Lang, Israel Menschel,
O[f]fizial Presser, Seide Eifermann, Dr. M. Rath,
D. J. Hecht, abs. jur. Jakob Lapajowker, Emanuel
Ramer. Ch. Schärf, abs. jur. Moses Horowitz,
Gustav Schaffer, Hersch Mahler, Josef Margulies
und Mos[e]s Reisch angehören, wird auch die Vorbereitungen
für die Versammlung treffen.

Bojau.

(Eine stürmische Versammlung.)
Für gestern (Mittwoch) hat Dr. Feuerstein eine Ver-
sammlung in der Synagoge abhalten lassen, zu welcher Doktor
Straucher eingeladen war. In seiner Begleitung waren
die Kultusvorsteher Dr. Frucht und Fleminger er-
schienen. Das Komitee hat aber auch die Herren Dr. Mayer
Ebner, Dr. Mendel Kinsbrunner und Löbl
Taubes aus Czernowitz zu dieser Versammlung geladen, weil
die Bojaner Bürgerschaft in einer öffentlich geführten Diskussion
eine volle Aufklärung über die politischen Verhältnisse wünschte.
Dr. Feuerstein eröffnete die massenhaft besuchte Versammlung
mit einer Ansprache und erteilte dem Dr. Straucher das
Wort, der in längerer Rede auf die Juden hinwies, die sich
nicht zu erkennen geben und ihr Judentum nicht hochhielten,
sodann auf die Landtagswahlen zu sprechen kam und dartat,
wie sehr das Judentum in Stadt und Land in Gefahr geraten
sei. Bei den Landtagswahlen müssen die Juden nicht ehrsüchtige
Streber wählen, sondern -- indem er die bekannten Worte aus
dem Kellner'schen Aufrufe zitierte -- Männ[e]r der Wahrheit
und Feinde der Habsucht. Mandate -- rief Dr. Straucher --
sollen nur wahrhaft nationale Juden bekommen, Mandate müsse
man verdienen und erdienen. Hierauf sprach Löbl Taubes,
lebhaft begrüßt, indem er es vorerst als richtig bezeichnete, daß
Dr. Straucher die oben erwähnten Qualifikationen für
die Landtagskandidaten fordert. Man müsse aber nach Czernowitz
hinsehen, ob Dr. Straucher die jüdischen Mandate tatsächlich mit
nationalen Juden besetzt habe. Der Redner unterzog das
System
des Dr. Straucher einer scharfen, durch leb-
hafte Zurufe von der Versammlung wiederholt gebilligten
Kritik. Auch das Verhalten Dr. Strauchers bei Schaffung der
Reichsrats und Landtagswahlordnung erfuhr durch den Redner
eine besondere Beleuchtung. Dr. Straucher replizierte während
der Rede mit Zwischenrufen und ergriff sodann das Wort zur
Replik, die dar[i]n gipfelte, daß die Behauptungen Taubes

Czernowitzer Allgemeine Zeitung 4. November 1910.

[Spaltenumbruch] daß die Einnahmen der Parteiſteuer ſich ſeit dem letzten
Berichtsjahre verdoppelt haben. Abg Grigorovici erſtattete
einen ausführlichen parlamentariſchen Tätigkeitsbericht. Lokomotiv-
führer Oppitz berichtete über den internationalen Sozialiſten-
kongreß in Kopenhagen. Namens der Parteikontrolle referierte
Frau Dr. Grigorovici, über deren Antrag der abtretenden
Parteileitung das Abſolutorium erteilt wurde. Die Konferenz
nahm eine Reſolution an, in der dem Abgeordneten Grigo-
rovici Dank und Vertrauen votiert wird Eine zweite Reſolntion,
die angenommen wurde, begrüßt die Entſcheidung des Kopen-
hagner Kongreſſes zugunſten der einheitlichen Ge-
werkſchaftsbewegung.
— Lehrer Bezpalko re-
ferierte über „Organiſation“. An ſein Referat knüpfte ſich eine
längere Debatte, in der die Ausdehnung der Orga-
niſation auf das flache Land begrüßt wurde. Ueber das
Programm für den Landtag referierte Herr Doktor
Piſtiner. Eine ungemein ſachliche Diskuſſion ſchloß ſich an
dieſes Referat. Die Konferenz beſchloß noch zwei Reſolutionen,
in der einen wird das allgemeine Wahlrecht für den Czer-
nowitzer Gemeinderat verlangt die andere richtet ſich gegen die
Lebensmittelteuerung. In die Parteileitung wurden gewählt die
Herren Zeplichal, Lewicki, Piſtiner, Tropper,
Bezpalko
und Vogel. Der Leitung gehören überdies Abg.
Grigorovici und Sekretär Dan an. Eine eigene ver-
trauliche Sitzung wurde den Vorbereitungen zu den Land-
tagswahlen
gewidmet.

Urania.

Außer den drei öffentlichen Vortragsabenden
am 3, 4. und 6. d. M., findet am Montag, den 7. d. M.
noch eine Arbeitervorſtellung ſtatt. Bezeichnend für das rege
Bildungsbedürfnis der Arbeiterſchaft iſt, daß ſie ſich ſelbſt die
beiden Themen „Die phyſikaliſchen Wunder des E[r]dballs“
und „Die Kunſtform in der Natur“ gewählt hat und wird
dieſer Urania[a]bend allem Anſcheine nach einen Maſſenbeſuch
auſweiſen. Für den Vortrag von heute und Sonntag genießen
Staatsbeamte und L[e]hrer eine 33⅓% Ermäßigung und
werden die Kartenanweiſungen im B[e]amtenkaſino ausgefolgt.

Wetterprognoſe für morgen:

Meiſt heiter, ſtellen-
weiſe Bodennebel, lebhafte Winde, abnehmende Temperatur,
unbeſtimmt, ſchlechtes Wetter.




Theater, Kunst und Literatur.


Repertoire des Stadttheaters.
Freitag, 4. November halb 8 Uhr abends bei ermäßigten
Preiſen „Der Troubadour“ Oper in 4 Akten
von G. Verdi.
Samſtag, 5. November 3 Uhr nachm. (Schülervorſtellung):
„Der Fechter von Ravenna“ Trauerſpiel in
5 Akten von Fried. Halm; abends halb 8 Uhr
(Susp. 11): „Die keuſche Suſanne“ Operette in
3 Akten von Jean Gilbert (Novität).
Sonntag, 6. November 3 Uhr nachm.: „Der Prinzgemahl“
Luſtſpiel in 3 Akten von Xanrof und Chaniel;
abends halb 8 Uhr (Susp. 12): „Die k[e]uſche
Suſanne“ Operette in 3 Akten von Jean Gilbert.



Rechtspflege.


Schwurgericht.

Heute begann die für ſechs Tage anberaumte Ver-
handlung gegen Viktor David Schäfer, der wegen des
Verbrechens des Betruges und der Veruntreuung unter
Anklage ſteht. Der Gerichtshof beſteht aus LGR. Handl
als Vorſitzendem und den LGR. Dr. Dawid und Doktor
Turcan als Votanten. Die Anklage vertritt St.-Stellvertreter
Dr. Lazarus, die Verteidigung führt A[d]v. Dr. Julius
Steruberg. Als Schriftführer fungiert Auskaltant
Dr. Schapire.

Dem Angeklagten wird folgendes zur Laſt gelegt: Viktor
Schäfer hat in der Zeit vom 12. November 1907 bis
10. Februar 1908 zu Lukaw[unleserliches Material – 1 Zeichen fehlt]tz a. S., Berhometh a. S.,
Mihowa, I[ſ]pas, K[unleserliches Material – 1 Zeichen fehlt]ſſelitza, Mold.-Banilla, Bahna und
Wiznitz von ca 92 Darlehenswerbern unter d[e]m T[i]tel von
„Vorſpeſen der Darlehensbeſchaffung“ Geldbeträge erhalten,
wobei er den betreffenden Perſonen die baldige Bewilligung
von Darlehen ſeitens auswärtiger (weſtöſterreichiſcher) Kredit-
inſtitute in ſichere Ausſicht ſtellte. Dabei ſetzte Schäfer den
Darlehenswerbern auseinander, daß dieſe von ihm einkaſſierten
„Vorſpeſen“ lediglich den Zweck hätten, die für die Beſchaffung
des Darlehens notwendigen Baarauslagen, als die Koſten
der Schätzung der ſchuldneriſchen Grundſtücke, Stemp[e]laus-
lagen, die Koſten der notariellen Errichtung der Schuld-
ſcheine und die Portoauslagen zu decken. Falls das Darlehen
nicht bewilligt wurde, hätte Schäfer den Darlehensbewerbern
dieſe als „Vorſpeſen“ eingehobene Beträge rückerſtatten ſollen.
Schäfer war alſo — ſo entnehmen wir der Anklageſchrift —
keinesfalls berechtigt, aus den einkaſſierten „Vorſpeſen“ ſeine
Reiſeauslagen und E[r]haltungskoſten zu decken, da er das
Honorar für ſeine Vermittlung erſt nach Bewilligung des
Darlehens mittels Abzuges von der Darlehensvaluta zu be-
ziehen hatte. Auf dieſe Weiſe hat Schäfer innerhalb dreier
Monate, vom 12. November 1907 bis 10. Februar 1908
Vorſpeſen in der G[e]ſamtſumme von 4,767 Kr. eingehoben.
Als die zumeiſt bäuerlichen Vorſchußgeber ſahen, daß ent-
gegen dem Verſprechen des Beſchuldigten die Darlehensvaluta
nach einigen Wochen nicht eintraf, wurden ſie mißtraniſch
und erſtatteten mehrfach Strafanzeigen wider den Be-
ſchuldiaten. Derſelbe wurde am 10. Februar 1908, als er
einen Paß ins Ausland beheben wollte, verhaftet. Schäfer
gab vor dem Unterſuchungsrichter unumwunden zu, daß er
[Spaltenumbruch] ſämtliche Beträge, die er von den Darlehenswerbern ein-
gehoben, für ſich verwendet habe, daß er kein Geld beſitze
und nicht in der Lage ſei, dieſe Vorſpeſen zurückzu[e]rſtatten.
Dabei gebrauchte Schäfer die Taktik, durch Vorweiſung eines
Geſchäftsbüch[e]lchens den Unterſuchungsrichter glauben zu
machen, daß er die eingehobenen Beträge nur zu Ausgaben
zw[e]cks E[r]langung der Darlehen, alſo gewiſſermaßen im
Intereſſe ſeiner k[r]editſuchenden Auftraggeber, verwendet habe.
Doch erwies ſich nach Ueberprüfung der einzelnen Poſten
dieſes Büchelchens, der größte Teil als fingiert und
erdichtet. Dies geht namentlich daraus hervor, daß
der Vertreter der galiziſchen Hypothekenbank, an die
Schäfer mehrere Beträge gezahlt haben wollte, erklärte,
daß Schäfer der Bank vollſtändig unbekannt ſei und mit ihr
nie G[e]ſchäfte gemacht habe, zumal da die Hypothenkenbank
j[e]de Mitwirkung von Agenten prinzipiell ablehne. Der
Beſchuldigte hatte alle zur Bezahlung von Schatzgebühren,
Vertragserrichtungskoſten und Porto[ſ]p[e]ſen erhaltenen Beträge
zur Berichtigung ſeiner Schulden und zur Beſtreitung ſeines
Haushaltes verwendet. Seine Einwendung, er habe die „Vor-
ſpeſen“ in der Erwartung für ſich verwendet, aus der zu
verdienenden Proviſion künftig Erſatz leiſten, beziehungsweiſe
eine Komp[e]nſation vornehmen zu können, iſt unſtichhältig, da
er eine ſolche Erwartung infolge der abweislichen Haltung
der angegangenen Kreditinſtitute gar nicht hegen konnte.

Der Anklageſchrift legt weiters Schäfer folgendes zur
Laſt: Schäfer hat im Februar 1910 zu Lemberg durch die
liſtigen Vorſtellungen, daß er Architekt in Czernowitz ſei, als
ſolcher eine große Pr[a]x[i]s erworben habe, daß er die Pläne
für die Realität des Oſias Beral in Stanislau, Schwieger-
vater de[ſ] Dr. Wilhelm Roſenberg, durchgeſehen und aus-
gearbeitet habe, daß es ihm dank der Protektion ſeines [n]ahen
Verwandten, des Reichsratsabgeordneten Dr. Straucher
gelungen ſei, eine Konzeſſion zur Erwirkung und Durch-
führung von Darlehen zu erlangen, jedoch nicht mit dem
Wohnſitz[e] Czernowitz, ſondern in Sadagora und in Wien,
wo ſein Bureau ſich I. Bezirk, Schottenring 8 befindet, daß
die unterſteiermarkiſche Sparkaſſe in G[r]az die Bank ſei, welche
ihm die Vertretung für Galizien übergeben habe, daß dieſe Bank
Darlehen auf 50 Jahre in der Höhe von 70% des Schätzwertes
gegen 4%ige Verzinſung eeteile, wobei die Amortiſation kaum
½ jährlich ausmache, daß er weiters ſchon ein Darlehen bei
dieſer Bank erwirkt habe u. zw. auf das Gut Choroſtokow
des G[r]afen Liwienski im Betrage von 2,000.000 K und
dieſes Darlehen bereits zugezählt ſei, während die Bewilligung
eines Darlehens auf das Paſſagehaus des Wolf Beriſch
Hausmann im Betrage von 1.500 000 K im Zuge ſei, die
unten angeführten Perſonen in Irrtum geführt und ſie durch
die weitere liſtige Vorſpiegelung, er ſei in der Lage, ihnen
Hypothekardarlehen zu den obigen Bedingungen zu verſchaffen,
und benötige Vorſchüſſe zur Bezahlung der Schätzung ihrer
Realitäten, in Irrtum geführt und [z]u der Ausfolgung von
Geldbeträgen a conto der angeblichen Schätzungskoſten be-
wogen, wodurch die ſpäter Genannten an ihrem Vermögen
einen den Betrag von 200 K überſteigenden Schaden erleiden
ſollten und einen ſolchen in der Höhe von zuſammen 1400 K
auch wirklich erlitten haben u. zw. hat Schäfer folgende
Perſonen unter falſchen Vorſpiegelungen zur Auszahlung von
Geldbeträgen bewogen:

1. am 1. und 2. Februar 1910 den Advokaten Doktor
Wilhelm Roſenberg, als Vertreter des Kreditnehmers Berl
Finkler der Geldbeträge von je 300 K

2. am 4. Februar 1910 die Kreditwerber Siegmund
Schwieger und Joſef König eines Geldbetrages von 300 K.

3. am 22. Februar 1910 den Advokaten Dr. Wladimir
Godlewski als Vertreter des Kreditnehmers Dr. Theodor
Ballaban des Geldbetrages von 300 K.

4. am 24. Februar 1910 den Kreditnehmer Berl
Finkler des Geldbetrages von 200 K.

Die Verhandlung.

Nach Verleſung der Ankla[g]eſchrift bringt der Vorſitzende,
L.-G.-R. Handl vor, daß gegen Viktor Schäfer bereits
am 2. Februar 1910 die Hauptverhandlung vor einem
Erkenntnisſenate ſtattfinden ſollte. Der Gerichtshof erklärte
ſich jedoch für unzuſtändig und verwies die A[n]gelegenheit vor
das Schwurgericht. Die Nichtigkeitsbeſchwerde der Staats-
anwaltſchaft über dieſen Beſchluß wurde abgewieſen.

Der Angeklagte gibt bei ſeiner hierauf folgenden Ein-
vernahme an, daß er ſich nicht ſchuldig fühle. Ueber Verlangen
des Vorſitz[e]nden gibt Schäfer einen kurzen Ueberblick über
ſeinen Lebenslauf bis zum Tage ſeiner Verhaftung. Darnach
war er zuerſt Baupraktikant, hierauf erhielt er eine Stelle
als Magazinsvorarbeiter bei der Bahn. Bis zum Jahre 1896
verblieb Schäfer in ſeiner Stellung bei der Bahn, im Jahre
1896 mußte er zum Militär einrücken, wo er nach 3jähriger
Dienſtzeit die Charge eines Rechnungsunteroff[i]ziers erreichte.
Schäfer erhielt hernach eine fixe Stellung bei der Verſicherungs-
geſellſchaft „Univerſale.“ Nachdem er hier gekündigt hatte
und eine kurze Zeit bei der Verſicherungsgeſellſchaft „Donau“
tätig war, übernahm Schäfer die Agentur der Mähriſchen
Verſicherungsgeſellſchaft für den Sadagurer Bezirk. Als im
Jahre 1906 der Landesausſchuß beſchloß, der Landesbank
die Vermittlung der mähriſchen Verſicherungsgeſellſchaft bei
Gewährung von Darlehen zu unterſagen, war Schäfer ohne
jegliche Subſiſtenzmittel und hatte jetzt auch keine Ausſicht,
als Agent der mähriſchen Verſicherungsgeſellſchaft das für
ſeinen Lebensunterhalt Nötige zu erwerben. Schäfer reichte
daher um Verleihung einer Konzeſſion für ein Darlehens-
vermittlungsbureau in Sadagura ein, die ihm auch bewilligt
wurde. Der Angeklagte führt j[e]tzt weiter aus, daß er von
den einzelnen Darlehenswerbern Geldbeträge als „Vorſpeſen“
in Empfang genommen habe. Ueber Befragen des Vorſitzenden,
worauf er dieſes Geld verwendet habe, das ja nur zur
Beſtreitung der Koſten für Dokumente und das Porto be-
ſtimmt war, gibt Angeklagter zu, daß er dieſes G[e]ld zur
Bezahlung ſeiner Schulden verwendet habe, doch hätte er,
falls das betreffende Darlehensgeſchäft nicht zu Stande
gekommen wäre, nur ſoviel hievon für ſich behalten, als
eben zur Deckung ſeiner Speſen notwendig geweſen wäre, daß
[Spaltenumbruch] biebei keine betrügeriſche Abſicht vorgelegen ſei, beweiſe der
Umſtand, daß er auch einige in Aktion befindlichen Dar-
lehensgeſchäfte zuſtande brachte, als er während der Vor-
unterſuchung auf freien Fuß geſetzt wurde. Die Beſchaffung
der Darlehen habe ſich nur deswegen in die Länge gezogen,
weil er das Ende der zur Z[e]it herrſchenden Geldkriſe ab-
warten wollte. Was das ihm zur Laſt gelegte Lemberger
Faktum anbelange, erklärt der Angeklagte, daß er ſich
daſelbſt nicht als Baumeiſter ausgegeben habe, ſondern nur
irrigerweiſe von verſchiedenen Perſonen als ſolcher tituliert
wurde. Er habe nicht angegeben, daß ſich ſein Bureau in
Wien I., Schottenring 8 befigde. Dies ſei nur ſeine Adreſſe für
ſeinen Aufenthalt in Wien geweſen. Die einzelnen Summen habe
er in Lemberg als Kaution für die Schätzungskoſten empfangen.
Da er jedoch kein Geld hatte, verwendete dieſe Summe für die
Fahrt nach Wien und Graz in Angelegenheit des betreffenden
Darlehensgeſchäftes. Den Namen einer unterſteierma[r]kiſchen
Sparkaſſe in Graz habe er nur deswegen vorgeſpiegelt, um
nicht vorzeitig zu verraten, wo er das in Rede ſtehende
Darlehen aufnehmen wollte.

Um 1 Uhr mittags unterbricht der Vorſitz[e]nde die Ver-
handlung bis 4 Uhr nachmittags. In der Nachmittags-
verhandlung beginnt die Zeugeneinvernahme.




Oekonomiſches.


Preiskonvention im Holzhandel Oeſterreich-
Ungarns.

Die Verhandlungen zwiſchen den öſterreichiſch-
ungariſchen Holzexportfi[r]men bezüglich Anbahnung einer
Preiskonvention ſind nunmehr zum Abſchluß gediehen. Es
gehö[r]en derſelben faſt alle bedeutenden Holzfi[r]men der öſter-
reichiſchungariſchen Monarchie an. Es ſind beſonders die
Preiſe für den Holzexport nach Griechenland, England,
I[t]alien und dem Ocient f[e]ſtgeſetzt worden.

Erleichterung der Schlachtviehzufuhr nach
Wien.

Der Ack[e]rbauminiſter hat, wie aus Wien gemeldet
wird, über Erſuchen des Reichsverbandes der Vi[e]h[-] und
Fleiſchhändler und des Wiener Gremiums der Viehhändler
geſtattet, daß von nun an Rinder- und Borſtenvieh aus
ſeuchenfreien Gemeinden, wenn auch deren Nachbargemeinden
verſeucht ſind, ohne Einholung einer beſonderen behö[r]dlichen
Bewilligung auf den Wiener Z[e]tralviehmarkt gebracht
werden könne.




Korreſpondenzen.


Radautz.

(Die Wirkung des Aufrufes zur
Gründung eines jüdiſchen Volksrates.)

Profeſſo[r] Dr. Kellners Aufruf zur Gründung eines
jüdiſchen Volksrates
iſt hier mit großer Befriedigung
aufgenommen worden. Dies kam auch darin zum Ausdruck,
daß ſich ganz ſpontan am Mittwoch, den 2. d. M. ein
Komitee, beſtehend aus allen Schichten der jüdiſchen Bevöl-
kerung bildete und den Beſchluß faßte, Herrn Dr. Kellner
einzuladen, an einem der nächſten Tage hier eine öffent-
liche Volksverſammlung abzuhalten und ſeine Ideen zu ent-
wickeln. Das Komitee hat damit den erſten Schritt zu einem
ſchon lange als notwendig erachtetem Werke getan. Das
Komitee, dem die Herren Profeſſor Dr. Spitzer, Moſes
Ber Mick, Richter Rachmuth, Bernhard Bix, Doktor
Adolf Harth, Salamon Hirſch, Dr. S. Gütter,
Chanine Korn, Dr. Rubin Lang, Iſrael Menſchel,
O[f]fizial Preſſer, Seide Eifermann, Dr. M. Rath,
D. J. Hecht, abſ. jur. Jakob Lapajowker, Emanuel
Ramer. Ch. Schärf, abſ. jur. Moſes Horowitz,
Guſtav Schaffer, Herſch Mahler, Joſef Margulies
und Moſ[e]s Reiſch angehören, wird auch die Vorbereitungen
für die Verſammlung treffen.

Bojau.

(Eine ſtürmiſche Verſammlung.)
Für geſtern (Mittwoch) hat Dr. Feuerſtein eine Ver-
ſammlung in der Synagoge abhalten laſſen, zu welcher Doktor
Straucher eingeladen war. In ſeiner Begleitung waren
die Kultusvorſteher Dr. Frucht und Fleminger er-
ſchienen. Das Komitee hat aber auch die Herren Dr. Mayer
Ebner, Dr. Mendel Kinsbrunner und Löbl
Taubes aus Czernowitz zu dieſer Verſammlung geladen, weil
die Bojaner Bürgerſchaft in einer öffentlich geführten Diskuſſion
eine volle Aufklärung über die politiſchen Verhältniſſe wünſchte.
Dr. Feuerſtein eröffnete die maſſenhaft beſuchte Verſammlung
mit einer Anſprache und erteilte dem Dr. Straucher das
Wort, der in längerer Rede auf die Juden hinwies, die ſich
nicht zu erkennen geben und ihr Judentum nicht hochhielten,
ſodann auf die Landtagswahlen zu ſprechen kam und dartat,
wie ſehr das Judentum in Stadt und Land in Gefahr geraten
ſei. Bei den Landtagswahlen müſſen die Juden nicht ehrſüchtige
Streber wählen, ſondern — indem er die bekannten Worte aus
dem Kellner’ſchen Aufrufe zitierte — Männ[e]r der Wahrheit
und Feinde der Habſucht. Mandate — rief Dr. Straucher —
ſollen nur wahrhaft nationale Juden bekommen, Mandate müſſe
man verdienen und erdienen. Hierauf ſprach Löbl Taubes,
lebhaft begrüßt, indem er es vorerſt als richtig bezeichnete, daß
Dr. Straucher die oben erwähnten Qualifikationen für
die Landtagskandidaten fordert. Man müſſe aber nach Czernowitz
hinſehen, ob Dr. Straucher die jüdiſchen Mandate tatſächlich mit
nationalen Juden beſetzt habe. Der Redner unterzog das
Syſtem
des Dr. Straucher einer ſcharfen, durch leb-
hafte Zurufe von der Verſammlung wiederholt gebilligten
Kritik. Auch das Verhalten Dr. Strauchers bei Schaffung der
Reichsrats und Landtagswahlordnung erfuhr durch den Redner
eine beſondere Beleuchtung. Dr. Straucher replizierte während
der Rede mit Zwiſchenrufen und ergriff ſodann das Wort zur
Replik, die dar[i]n gipfelte, daß die Behauptungen Taubes

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[4/0004] Czernowitzer Allgemeine Zeitung 4. November 1910. daß die Einnahmen der Parteiſteuer ſich ſeit dem letzten Berichtsjahre verdoppelt haben. Abg Grigorovici erſtattete einen ausführlichen parlamentariſchen Tätigkeitsbericht. Lokomotiv- führer Oppitz berichtete über den internationalen Sozialiſten- kongreß in Kopenhagen. Namens der Parteikontrolle referierte Frau Dr. Grigorovici, über deren Antrag der abtretenden Parteileitung das Abſolutorium erteilt wurde. Die Konferenz nahm eine Reſolution an, in der dem Abgeordneten Grigo- rovici Dank und Vertrauen votiert wird Eine zweite Reſolntion, die angenommen wurde, begrüßt die Entſcheidung des Kopen- hagner Kongreſſes zugunſten der einheitlichen Ge- werkſchaftsbewegung. — Lehrer Bezpalko re- ferierte über „Organiſation“. An ſein Referat knüpfte ſich eine längere Debatte, in der die Ausdehnung der Orga- niſation auf das flache Land begrüßt wurde. Ueber das Programm für den Landtag referierte Herr Doktor Piſtiner. Eine ungemein ſachliche Diskuſſion ſchloß ſich an dieſes Referat. Die Konferenz beſchloß noch zwei Reſolutionen, in der einen wird das allgemeine Wahlrecht für den Czer- nowitzer Gemeinderat verlangt die andere richtet ſich gegen die Lebensmittelteuerung. In die Parteileitung wurden gewählt die Herren Zeplichal, Lewicki, Piſtiner, Tropper, Bezpalko und Vogel. Der Leitung gehören überdies Abg. Grigorovici und Sekretär Dan an. Eine eigene ver- trauliche Sitzung wurde den Vorbereitungen zu den Land- tagswahlen gewidmet. Urania. Außer den drei öffentlichen Vortragsabenden am 3, 4. und 6. d. M., findet am Montag, den 7. d. M. noch eine Arbeitervorſtellung ſtatt. Bezeichnend für das rege Bildungsbedürfnis der Arbeiterſchaft iſt, daß ſie ſich ſelbſt die beiden Themen „Die phyſikaliſchen Wunder des Erdballs“ und „Die Kunſtform in der Natur“ gewählt hat und wird dieſer Uraniaabend allem Anſcheine nach einen Maſſenbeſuch auſweiſen. Für den Vortrag von heute und Sonntag genießen Staatsbeamte und Lehrer eine 33⅓% Ermäßigung und werden die Kartenanweiſungen im Beamtenkaſino ausgefolgt. Wetterprognoſe für morgen: Meiſt heiter, ſtellen- weiſe Bodennebel, lebhafte Winde, abnehmende Temperatur, unbeſtimmt, ſchlechtes Wetter. Theater, Kunst und Literatur. Czernowitz, 3. November. Repertoire des Stadttheaters. Freitag, 4. November halb 8 Uhr abends bei ermäßigten Preiſen „Der Troubadour“ Oper in 4 Akten von G. Verdi. Samſtag, 5. November 3 Uhr nachm. (Schülervorſtellung): „Der Fechter von Ravenna“ Trauerſpiel in 5 Akten von Fried. Halm; abends halb 8 Uhr (Susp. 11): „Die keuſche Suſanne“ Operette in 3 Akten von Jean Gilbert (Novität). Sonntag, 6. November 3 Uhr nachm.: „Der Prinzgemahl“ Luſtſpiel in 3 Akten von Xanrof und Chaniel; abends halb 8 Uhr (Susp. 12): „Die keuſche Suſanne“ Operette in 3 Akten von Jean Gilbert. Rechtspflege. Czernowitz, 3. November. Schwurgericht. Heute begann die für ſechs Tage anberaumte Ver- handlung gegen Viktor David Schäfer, der wegen des Verbrechens des Betruges und der Veruntreuung unter Anklage ſteht. Der Gerichtshof beſteht aus LGR. Handl als Vorſitzendem und den LGR. Dr. Dawid und Doktor Turcan als Votanten. Die Anklage vertritt St.-Stellvertreter Dr. Lazarus, die Verteidigung führt Adv. Dr. Julius Steruberg. Als Schriftführer fungiert Auskaltant Dr. Schapire. Dem Angeklagten wird folgendes zur Laſt gelegt: Viktor Schäfer hat in der Zeit vom 12. November 1907 bis 10. Februar 1908 zu Lukaw_tz a. S., Berhometh a. S., Mihowa, Iſpas, K_ſſelitza, Mold.-Banilla, Bahna und Wiznitz von ca 92 Darlehenswerbern unter dem Titel von „Vorſpeſen der Darlehensbeſchaffung“ Geldbeträge erhalten, wobei er den betreffenden Perſonen die baldige Bewilligung von Darlehen ſeitens auswärtiger (weſtöſterreichiſcher) Kredit- inſtitute in ſichere Ausſicht ſtellte. Dabei ſetzte Schäfer den Darlehenswerbern auseinander, daß dieſe von ihm einkaſſierten „Vorſpeſen“ lediglich den Zweck hätten, die für die Beſchaffung des Darlehens notwendigen Baarauslagen, als die Koſten der Schätzung der ſchuldneriſchen Grundſtücke, Stempelaus- lagen, die Koſten der notariellen Errichtung der Schuld- ſcheine und die Portoauslagen zu decken. Falls das Darlehen nicht bewilligt wurde, hätte Schäfer den Darlehensbewerbern dieſe als „Vorſpeſen“ eingehobene Beträge rückerſtatten ſollen. Schäfer war alſo — ſo entnehmen wir der Anklageſchrift — keinesfalls berechtigt, aus den einkaſſierten „Vorſpeſen“ ſeine Reiſeauslagen und Erhaltungskoſten zu decken, da er das Honorar für ſeine Vermittlung erſt nach Bewilligung des Darlehens mittels Abzuges von der Darlehensvaluta zu be- ziehen hatte. Auf dieſe Weiſe hat Schäfer innerhalb dreier Monate, vom 12. November 1907 bis 10. Februar 1908 Vorſpeſen in der Geſamtſumme von 4,767 Kr. eingehoben. Als die zumeiſt bäuerlichen Vorſchußgeber ſahen, daß ent- gegen dem Verſprechen des Beſchuldigten die Darlehensvaluta nach einigen Wochen nicht eintraf, wurden ſie mißtraniſch und erſtatteten mehrfach Strafanzeigen wider den Be- ſchuldiaten. Derſelbe wurde am 10. Februar 1908, als er einen Paß ins Ausland beheben wollte, verhaftet. Schäfer gab vor dem Unterſuchungsrichter unumwunden zu, daß er ſämtliche Beträge, die er von den Darlehenswerbern ein- gehoben, für ſich verwendet habe, daß er kein Geld beſitze und nicht in der Lage ſei, dieſe Vorſpeſen zurückzuerſtatten. Dabei gebrauchte Schäfer die Taktik, durch Vorweiſung eines Geſchäftsbüchelchens den Unterſuchungsrichter glauben zu machen, daß er die eingehobenen Beträge nur zu Ausgaben zwecks Erlangung der Darlehen, alſo gewiſſermaßen im Intereſſe ſeiner kreditſuchenden Auftraggeber, verwendet habe. Doch erwies ſich nach Ueberprüfung der einzelnen Poſten dieſes Büchelchens, der größte Teil als fingiert und erdichtet. Dies geht namentlich daraus hervor, daß der Vertreter der galiziſchen Hypothekenbank, an die Schäfer mehrere Beträge gezahlt haben wollte, erklärte, daß Schäfer der Bank vollſtändig unbekannt ſei und mit ihr nie Geſchäfte gemacht habe, zumal da die Hypothenkenbank jede Mitwirkung von Agenten prinzipiell ablehne. Der Beſchuldigte hatte alle zur Bezahlung von Schatzgebühren, Vertragserrichtungskoſten und Portoſpeſen erhaltenen Beträge zur Berichtigung ſeiner Schulden und zur Beſtreitung ſeines Haushaltes verwendet. Seine Einwendung, er habe die „Vor- ſpeſen“ in der Erwartung für ſich verwendet, aus der zu verdienenden Proviſion künftig Erſatz leiſten, beziehungsweiſe eine Kompenſation vornehmen zu können, iſt unſtichhältig, da er eine ſolche Erwartung infolge der abweislichen Haltung der angegangenen Kreditinſtitute gar nicht hegen konnte. Der Anklageſchrift legt weiters Schäfer folgendes zur Laſt: Schäfer hat im Februar 1910 zu Lemberg durch die liſtigen Vorſtellungen, daß er Architekt in Czernowitz ſei, als ſolcher eine große Praxis erworben habe, daß er die Pläne für die Realität des Oſias Beral in Stanislau, Schwieger- vater deſ Dr. Wilhelm Roſenberg, durchgeſehen und aus- gearbeitet habe, daß es ihm dank der Protektion ſeines nahen Verwandten, des Reichsratsabgeordneten Dr. Straucher gelungen ſei, eine Konzeſſion zur Erwirkung und Durch- führung von Darlehen zu erlangen, jedoch nicht mit dem Wohnſitze Czernowitz, ſondern in Sadagora und in Wien, wo ſein Bureau ſich I. Bezirk, Schottenring 8 befindet, daß die unterſteiermarkiſche Sparkaſſe in Graz die Bank ſei, welche ihm die Vertretung für Galizien übergeben habe, daß dieſe Bank Darlehen auf 50 Jahre in der Höhe von 70% des Schätzwertes gegen 4%ige Verzinſung eeteile, wobei die Amortiſation kaum ½ jährlich ausmache, daß er weiters ſchon ein Darlehen bei dieſer Bank erwirkt habe u. zw. auf das Gut Choroſtokow des Grafen Liwienski im Betrage von 2,000.000 K und dieſes Darlehen bereits zugezählt ſei, während die Bewilligung eines Darlehens auf das Paſſagehaus des Wolf Beriſch Hausmann im Betrage von 1.500 000 K im Zuge ſei, die unten angeführten Perſonen in Irrtum geführt und ſie durch die weitere liſtige Vorſpiegelung, er ſei in der Lage, ihnen Hypothekardarlehen zu den obigen Bedingungen zu verſchaffen, und benötige Vorſchüſſe zur Bezahlung der Schätzung ihrer Realitäten, in Irrtum geführt und zu der Ausfolgung von Geldbeträgen a conto der angeblichen Schätzungskoſten be- wogen, wodurch die ſpäter Genannten an ihrem Vermögen einen den Betrag von 200 K überſteigenden Schaden erleiden ſollten und einen ſolchen in der Höhe von zuſammen 1400 K auch wirklich erlitten haben u. zw. hat Schäfer folgende Perſonen unter falſchen Vorſpiegelungen zur Auszahlung von Geldbeträgen bewogen: 1. am 1. und 2. Februar 1910 den Advokaten Doktor Wilhelm Roſenberg, als Vertreter des Kreditnehmers Berl Finkler der Geldbeträge von je 300 K 2. am 4. Februar 1910 die Kreditwerber Siegmund Schwieger und Joſef König eines Geldbetrages von 300 K. 3. am 22. Februar 1910 den Advokaten Dr. Wladimir Godlewski als Vertreter des Kreditnehmers Dr. Theodor Ballaban des Geldbetrages von 300 K. 4. am 24. Februar 1910 den Kreditnehmer Berl Finkler des Geldbetrages von 200 K. Die Verhandlung. Nach Verleſung der Anklageſchrift bringt der Vorſitzende, L.-G.-R. Handl vor, daß gegen Viktor Schäfer bereits am 2. Februar 1910 die Hauptverhandlung vor einem Erkenntnisſenate ſtattfinden ſollte. Der Gerichtshof erklärte ſich jedoch für unzuſtändig und verwies die Angelegenheit vor das Schwurgericht. Die Nichtigkeitsbeſchwerde der Staats- anwaltſchaft über dieſen Beſchluß wurde abgewieſen. Der Angeklagte gibt bei ſeiner hierauf folgenden Ein- vernahme an, daß er ſich nicht ſchuldig fühle. Ueber Verlangen des Vorſitzenden gibt Schäfer einen kurzen Ueberblick über ſeinen Lebenslauf bis zum Tage ſeiner Verhaftung. Darnach war er zuerſt Baupraktikant, hierauf erhielt er eine Stelle als Magazinsvorarbeiter bei der Bahn. Bis zum Jahre 1896 verblieb Schäfer in ſeiner Stellung bei der Bahn, im Jahre 1896 mußte er zum Militär einrücken, wo er nach 3jähriger Dienſtzeit die Charge eines Rechnungsunteroffiziers erreichte. Schäfer erhielt hernach eine fixe Stellung bei der Verſicherungs- geſellſchaft „Univerſale.“ Nachdem er hier gekündigt hatte und eine kurze Zeit bei der Verſicherungsgeſellſchaft „Donau“ tätig war, übernahm Schäfer die Agentur der Mähriſchen Verſicherungsgeſellſchaft für den Sadagurer Bezirk. Als im Jahre 1906 der Landesausſchuß beſchloß, der Landesbank die Vermittlung der mähriſchen Verſicherungsgeſellſchaft bei Gewährung von Darlehen zu unterſagen, war Schäfer ohne jegliche Subſiſtenzmittel und hatte jetzt auch keine Ausſicht, als Agent der mähriſchen Verſicherungsgeſellſchaft das für ſeinen Lebensunterhalt Nötige zu erwerben. Schäfer reichte daher um Verleihung einer Konzeſſion für ein Darlehens- vermittlungsbureau in Sadagura ein, die ihm auch bewilligt wurde. Der Angeklagte führt jetzt weiter aus, daß er von den einzelnen Darlehenswerbern Geldbeträge als „Vorſpeſen“ in Empfang genommen habe. Ueber Befragen des Vorſitzenden, worauf er dieſes Geld verwendet habe, das ja nur zur Beſtreitung der Koſten für Dokumente und das Porto be- ſtimmt war, gibt Angeklagter zu, daß er dieſes Geld zur Bezahlung ſeiner Schulden verwendet habe, doch hätte er, falls das betreffende Darlehensgeſchäft nicht zu Stande gekommen wäre, nur ſoviel hievon für ſich behalten, als eben zur Deckung ſeiner Speſen notwendig geweſen wäre, daß biebei keine betrügeriſche Abſicht vorgelegen ſei, beweiſe der Umſtand, daß er auch einige in Aktion befindlichen Dar- lehensgeſchäfte zuſtande brachte, als er während der Vor- unterſuchung auf freien Fuß geſetzt wurde. Die Beſchaffung der Darlehen habe ſich nur deswegen in die Länge gezogen, weil er das Ende der zur Zeit herrſchenden Geldkriſe ab- warten wollte. Was das ihm zur Laſt gelegte Lemberger Faktum anbelange, erklärt der Angeklagte, daß er ſich daſelbſt nicht als Baumeiſter ausgegeben habe, ſondern nur irrigerweiſe von verſchiedenen Perſonen als ſolcher tituliert wurde. Er habe nicht angegeben, daß ſich ſein Bureau in Wien I., Schottenring 8 befigde. Dies ſei nur ſeine Adreſſe für ſeinen Aufenthalt in Wien geweſen. Die einzelnen Summen habe er in Lemberg als Kaution für die Schätzungskoſten empfangen. Da er jedoch kein Geld hatte, verwendete dieſe Summe für die Fahrt nach Wien und Graz in Angelegenheit des betreffenden Darlehensgeſchäftes. Den Namen einer unterſteiermarkiſchen Sparkaſſe in Graz habe er nur deswegen vorgeſpiegelt, um nicht vorzeitig zu verraten, wo er das in Rede ſtehende Darlehen aufnehmen wollte. Um 1 Uhr mittags unterbricht der Vorſitzende die Ver- handlung bis 4 Uhr nachmittags. In der Nachmittags- verhandlung beginnt die Zeugeneinvernahme. Oekonomiſches. Czernowitz, 3. November. Preiskonvention im Holzhandel Oeſterreich- Ungarns. Die Verhandlungen zwiſchen den öſterreichiſch- ungariſchen Holzexportfirmen bezüglich Anbahnung einer Preiskonvention ſind nunmehr zum Abſchluß gediehen. Es gehören derſelben faſt alle bedeutenden Holzfirmen der öſter- reichiſchungariſchen Monarchie an. Es ſind beſonders die Preiſe für den Holzexport nach Griechenland, England, Italien und dem Ocient feſtgeſetzt worden. Erleichterung der Schlachtviehzufuhr nach Wien. Der Ackerbauminiſter hat, wie aus Wien gemeldet wird, über Erſuchen des Reichsverbandes der Vieh- und Fleiſchhändler und des Wiener Gremiums der Viehhändler geſtattet, daß von nun an Rinder- und Borſtenvieh aus ſeuchenfreien Gemeinden, wenn auch deren Nachbargemeinden verſeucht ſind, ohne Einholung einer beſonderen behördlichen Bewilligung auf den Wiener Zetralviehmarkt gebracht werden könne. Korreſpondenzen. Czernowitz, 3. November. Radautz. (Die Wirkung des Aufrufes zur Gründung eines jüdiſchen Volksrates.) Profeſſor Dr. Kellners Aufruf zur Gründung eines jüdiſchen Volksrates iſt hier mit großer Befriedigung aufgenommen worden. Dies kam auch darin zum Ausdruck, daß ſich ganz ſpontan am Mittwoch, den 2. d. M. ein Komitee, beſtehend aus allen Schichten der jüdiſchen Bevöl- kerung bildete und den Beſchluß faßte, Herrn Dr. Kellner einzuladen, an einem der nächſten Tage hier eine öffent- liche Volksverſammlung abzuhalten und ſeine Ideen zu ent- wickeln. Das Komitee hat damit den erſten Schritt zu einem ſchon lange als notwendig erachtetem Werke getan. Das Komitee, dem die Herren Profeſſor Dr. Spitzer, Moſes Ber Mick, Richter Rachmuth, Bernhard Bix, Doktor Adolf Harth, Salamon Hirſch, Dr. S. Gütter, Chanine Korn, Dr. Rubin Lang, Iſrael Menſchel, Offizial Preſſer, Seide Eifermann, Dr. M. Rath, D. J. Hecht, abſ. jur. Jakob Lapajowker, Emanuel Ramer. Ch. Schärf, abſ. jur. Moſes Horowitz, Guſtav Schaffer, Herſch Mahler, Joſef Margulies und Moſes Reiſch angehören, wird auch die Vorbereitungen für die Verſammlung treffen. Bojau. (Eine ſtürmiſche Verſammlung.) Für geſtern (Mittwoch) hat Dr. Feuerſtein eine Ver- ſammlung in der Synagoge abhalten laſſen, zu welcher Doktor Straucher eingeladen war. In ſeiner Begleitung waren die Kultusvorſteher Dr. Frucht und Fleminger er- ſchienen. Das Komitee hat aber auch die Herren Dr. Mayer Ebner, Dr. Mendel Kinsbrunner und Löbl Taubes aus Czernowitz zu dieſer Verſammlung geladen, weil die Bojaner Bürgerſchaft in einer öffentlich geführten Diskuſſion eine volle Aufklärung über die politiſchen Verhältniſſe wünſchte. Dr. Feuerſtein eröffnete die maſſenhaft beſuchte Verſammlung mit einer Anſprache und erteilte dem Dr. Straucher das Wort, der in längerer Rede auf die Juden hinwies, die ſich nicht zu erkennen geben und ihr Judentum nicht hochhielten, ſodann auf die Landtagswahlen zu ſprechen kam und dartat, wie ſehr das Judentum in Stadt und Land in Gefahr geraten ſei. Bei den Landtagswahlen müſſen die Juden nicht ehrſüchtige Streber wählen, ſondern — indem er die bekannten Worte aus dem Kellner’ſchen Aufrufe zitierte — Männer der Wahrheit und Feinde der Habſucht. Mandate — rief Dr. Straucher — ſollen nur wahrhaft nationale Juden bekommen, Mandate müſſe man verdienen und erdienen. Hierauf ſprach Löbl Taubes, lebhaft begrüßt, indem er es vorerſt als richtig bezeichnete, daß Dr. Straucher die oben erwähnten Qualifikationen für die Landtagskandidaten fordert. Man müſſe aber nach Czernowitz hinſehen, ob Dr. Straucher die jüdiſchen Mandate tatſächlich mit nationalen Juden beſetzt habe. Der Redner unterzog das Syſtem des Dr. Straucher einer ſcharfen, durch leb- hafte Zurufe von der Verſammlung wiederholt gebilligten Kritik. Auch das Verhalten Dr. Strauchers bei Schaffung der Reichsrats und Landtagswahlordnung erfuhr durch den Redner eine beſondere Beleuchtung. Dr. Straucher replizierte während der Rede mit Zwiſchenrufen und ergriff ſodann das Wort zur Replik, die darin gipfelte, daß die Behauptungen Taubes

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Zitationshilfe: Czernowitzer Allgemeine Zeitung. Nr. 2040, Czernowitz, 04.11.1910, S. 4. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_czernowitzer2040_1910/4>, abgerufen am 24.11.2024.