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Czernowitzer Allgemeine Zeitung. Nr. 1588, Czernowitz, 30.04.1909.

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Czernowitzer Allgemeine Zeitung. 30. April 1909.

[Spaltenumbruch]

anfänglich enengisch gegen die Wegführung protestierte, sich
jedoch schließlich fügte und sehr niedergeschlagen mit kleinem
Gefolge, darunter angeblich sechs Frauen, unter großer und
sehr strenger Ueberwachung,
wie ein Gefangener
wegtransportiert wurde.

KB. (Tel. der "Cz.
Allg. Ztg.")

Nicht nur die Nationalversammlung
und Schefket Pascha, sondern, wie verlautet, auch der
neue Sultan haben Abdul Hamid die Sicherheit
seines Lebens
in unzweifelhafter Weise zugesichert.

Wie verlautet, wird der Leibeunuch Nadir Agha
morgen gehängt.

KB. (Tel. der "Cz.
Allg. Ztg.")

Zur Abreise des gewesenen Sultans wird
noch gemeldet: Abdul Hamid schien am Bahnhof nicht
mehr deprimiert zu sein, er unterhielt sich leutselig mit
den Anwesenden. Mit ihm reisten elf Frauen, Prinz
Abdurhamin, ein jüngst geborener Sohn, sowie zwei
Eunuchen. Die Frauen waren alle sichtlich eilig ange-
kleidet, nur halb oder gar nicht verschleiert. Die Wegführung
des Sultan's wurde von Hussein Pascha und dem
Obersten Galib überwacht.

(Tel. der "Cz. Allg.
Ztg.")

Eine maßgebende Persönlichkeit äußerte sich über des
enttrohnten Sultans Schicksal folgendermaßen: Er wird streng
bewacht werden und Zeit seines Lebens Gefangener
bleiben;
an Mitteln zum Leben soll's ihm nicht fehlen,
aber Geld, um neue Intriguen zu stiften, wird er nicht
besitzen. Sein Leben wird geschont, doch es ist nicht unmöglich,
daß der ehemalige Sultan aus Verzweiflung
über sein Los selbst Hand an sich legt.




Sultan Mehmed V.

KB. (Tel. der "Cz.
Allg. Ztg.")

Die Krönung und die Umgürtung
des neuen Sultans mit dem Schwerte in der Moschee
Ejub erfolgt erst nach 40 Tagen. Ueber die im Yildiz
vorgefundene Ueberfülle an Waffen und Kostbar-
keiten
werden interessante Angaben gemacht.
Abdul Hamid soll nur das erhalten, was sein Privateigentum
ist. Alles andere wird Staatsgut.

Die "Vossische Zeitung" entwirft folgende Charakteristik
über den neuen Sultan: "Abdul Hamid ist jedenfalls abge-
tan. Sein 64jähriger Bruder Reschad hat als Mehmed V.
den Thron bestiegen. Er wird als eine behäbige und passive
Natur geschildert, als ein Mann also, wie ihn die Jung-
türken brauchen. Sie erhoffen nichts von ihm und befürchten
nichts von ihm. Jemand muß an der Spitze des Staates
stehen, und sei es auch nur dem Namen nach. Reschad wurde
Sultan, weil nach alter Ueberlieferung der Türkei das älteste
Mitglied des Hauses Osman zum Thronfolger ausersehen ist.
Die türkische Verfassung hat diese Ueberlieferung anerkannt.
Die Jungtürken hielten sich also an die Verfassung, als sie
Reschad zum Sultan erhoben. Sie werden ihm alle gebührenden
Ehren angedeihen lassen, doch wird er kaum etwas anderes
sein, als bestenfalls ihr Prokuraführer."

Die Glückwünsche Frankreichs.

K.-B. (Tel. der "Cz. Allg. Ztg.")

Der Minister des Aeußern Pichon erschien heute in der
türkischen Botschaft und drückte dem Botschafter die
Glückwünsche zur Thronbesteigung des Sultans Mehmed V.
aus. Auch die französische Regierung sandte tele-
graphische Glückwünsche an die türkische Regierung.




Das Strafgericht der Jungtürken.

(Orig.-Korr.)

Nach dem
Siege das Strafgericht. Die Jungtürken gehen auch hierin
überaus gründlich, vielleicht allzugründlich, zu Werke. Große
Trupps von Gefangenen zogen gestern durch die
Straßen, Mann an Mann gefesselt. Es waren weiß-
bärtige Leute, Offiziere und Unteroffiziere unter ihnen. Ist
schon dieser Anblick geeignet, menschliches Mitgefühl selbst bei
den Gegnern dieser Unglücklichen hervorzurufen, so wandelt
sich diese Teilnahme in lebhaften Unwillen, wenn man
sieht, wie von diesen Gefangenen viele geprügelt und
verwundet werden. In den Kreisen der Diplomatie und
unter den Ausländern macht dieses Benehmen der Sieger den
denkbar ungünstigsten Eindruck. Auch die massen-
haften Verhaftungen, die seit einigen Tagen zu Hun-
derten
auf die unsichersten Anhaltspunkte hin
vorgenommen werden, beweisen, daß die Jungtürken von den
jüngsten Ereignissen nichts gelernt haben und in die Achmed
Riza-Politik
der Rache und des Hasses zurückver-
fallen. Es sind viele Hunderte von Iildisbeamten, Sekretären,
Adjutanten, Dienern, Köchen, Gärtnern usw., sowie von
Hodschas und Softas und nicht weniger als achthundert
Polizisten
und Spione des alten Regimes verhaftet.
Fast alle, Hodschas, Polizisten und Spione, führten große
Geldmittel mit sich, die -- wie die dreißigtausend Pfund
der verhafteten Soldaten -- unzweifelhaft aus dem Iildis
stammen. Bei den Hodschas allein wurden 12.000 türkische
Pfund, ungefähr 225.000 Mark, gefunden. Nach der Herkunft
des Geldes befragt, zuckten sie stumm die Achseln oder machten
unglaubhafte Angaben.


[Spaltenumbruch]

Unter den hervorragenden Persönlichkeiten, die den Jung-
türken in die Hände fielen, b[e]finden sich: Ali Djewod
Bey,
der erste Sekretär (Chef des Zivilkabinetts) des Sul-
tans; Tahir Pascha, der "Tüfenkoschi Baschi" (Chef der
Büchsenspanner), der Kurde Ahmed Tschausch, der An-
führer der Meuterer, die am 13. April auf dem Platze vor
der Achmedje-Moschee rebellierten, und der schwarze Palast-
eunuche Nadir Aga. Dieser hatte in der letzten Zeit eine
wichtige politische Rolle gespielt und gilt neben dem Prinzen
Buchaneddin und Ahmed Tschausch als der Haupturheber der
Meuterei vom 13. April. In der europäischen Presse wird
er irrtümlich als Obereunuch des sultanischen Harem (Kislar
Aga) bezeichnet.

Konstantinopel ist von Hodschas und Softas entblößt.
Viele Geistliche sind vor dem Truppeneinmarsch Schiff
nach Asien geflüchtet und sollen dabei ungeheuer viel
Geld
mitgenommen haben. Man befürchtet daher, daß sie
die asiatischen Provinzen revoltieren werden.

Der Gouverneur von Tschataldscha wurde gefangen
nach Saloniki gebracht und wird wegen Widerstandes gegen
das Verfassungsheer von dem Kriegsgericht abgeurteilt.

Mussafer Bey, Kapitän des Kreuzers "Peikischefket",
hat aus Verzweiflung über die Niederlage des Sultans
Selbstmord begangen.

Eine Unterredung mit Mohammed V.
(Spezialbericht des Korrespondenten des "Berliner
Lokalanzeiger").

Die Pforten von Dol-
mabagdje, hinter dessen Mauern Reschad seit 33 Jahren in
strenger Gefangenschaft, abgeschnitten von jedem Verkehr mit
der Außenwelt, sein Leben vertrauerte, haben sich heute für
mich, den ersten Europäer, der dieses durch Kunstschätze und
Naturschönheiten einzig dastehende Gefängnis betrat, geöffnet.
Ein vom General Schefket-Pascha ausgestellter Passierschein
ermächtigte mir den Zutritt zur Palastwache. Als ich aber
dem diensthabenden Offizier meinen Wunsch vortrug, Reschad
zu sprechen, wich er ob meiner Kühnheit zurück. Seine Ge-
bärde sagte: "Rimmer mehr!" Ich ließ aber nicht locker
und erreichte zunächst, ins Empfangzimmer geführt zu werden.
Als ich den langgestreckten Hof betrat, erregte meine, die
Anwesenheit eines Europäers, ungeheure Sensation. Die in
einer Ecke zusammengekauerten Eunuchen, die sich ob der
Wandlung der Dinge noch immer nicht fassen können, sprangen
entsetzt empor. Aus allen Gebäuden des Palastes liefen erst
seit drei Tagen eingesetzte, Reschad ergebene, jungtürkische
Würdenträger herbei, und als ich das Empfangszimmer betrat,
waren hier schon anwesend der vor einigen Tagen aus
27jährigem Exil zurückgekehrte Leibarzt Reschads, Dr. Hairi-
Bei, ferner der erste Sekretär Ibrahim-Bei, der seit 33
Jahren nicht aus dem Palast herausgekommen, der Zweite
Sekretär Mahmud-Bei und der Dritte Sekretär Sabit-Bei.
Mein Erscheinen hatte bei allen diesen Herren unbeschreibliche
Freude hervorgerufen. Sie ließen meine Hände nicht frei, und
Sairi-Bei und Sabit-Bei, die glänzend frazösisch sprechen,
riefen ein über das andere Mal: "Das ist die neue
Zeit, die mit Ihnen hereintritt.
Gott segne Sie!"
Dann wurden Koffee, Süßigkeiten und Zigaretten in goldenen
Gefäßen und auf goldenen Tabletten herbeigebracht. Endlich
konnte auch ich zu Wort kommen und meine Bitte vortragen,
von Reschad empfangen zu werden. Hairi-Bei und Ibrahim-
Bei übernahmen es, Reschad meinem Ersuchen geneigt zu
stimmen. Während sie bei Reschad weilten, wagte ich, den
Kommandanten der den Palast bewachenden Gendarmerie,
Kapitän Ethem-Bei, unvermittelt zu fragen; "Wann wird
die Herrschaft übersiedeln?" Und prompt bekam ich die
Antwort: "Hoffentlich morgen". Da kehrten der Arzt und
der erste Sekretär zurück mit der freudigen Botschaft: Seine
Hoheit sei bereit, mich zu sehen. Ich überschritt den Hof
nochmals, und von dem Gefolge Reschads geführt, passierte
ich durch ein Spalier von Eunuchen eine Marmortrepue und
gelangte in eine große Marmorsäulenhalle. Hier sah ich plötz-
lich einen europäisch gekleideten jungen Mann mit blondem
Schnurrbart und einem Panamahut auf dem Kopf. Meine
Begleitung verbeugte sich tief, und Hairi-Bei flüsterte mir zu:
"der älteste Sohn Reschads, Zia Eddin Effendi". Ich machte
meine Referenz, und er, den ich sonst für einen europäischen
Gentleman gehalten hätte, winkte mir lachend einen Gruß
zu und erklärte einer neben ihm stehenden, nach der letzten
europäischen Mode gekleideten Dame, wer ich sei. Da öffnete
sich rechts eine große Tür. Hairi faßte mich an der Hand,
zog mich nach sich, und im nächsten Augenblick stand ich vor
Reschad, der in den nächsten Stunden schon Sultan
und Kalif sein wird. Ein untersetzter, nicht allzudicker
Mann, der die lange Gefangenschaft mit beispielloser Spann-
kraft überstanden hat. Seine Feinde behaupten, er sei kein
großes Kirchenlicht, aber seine lebhaften, klaren, grauen Augen
strafen diese Behauptung Lügen. Trotz des grauen, buschigen
Schnurrbarts, der über die bevorstehende Unterlippe fällt,
sieht man ihm sein Alter von 64 Jahren nicht an. Ich mache
die tiefste Verbeugung, deren ich fähig bin, er richtet mich
aber hoch und schüttelt und streicht mir die Hand, und sein
Gesicht lacht vor Freude. Ich stammle einige Worte, er aber
sagt: "Sie sind ein Journalist, ein deutscher Journalist.
Ich liebe die Journalisten, ich liebe die Presse, denn es ist
ihre Aufgabe, Wissen und Aufklärung unter den Völkern zu
verbreiten und die Menschen dem Glück entgegenzuführen.
Sagen Sie allen Deutschen, die wir so hoch schätzen, daß ich,
solange ich denken kann, für die Konstitution gelebt
habe, immer nur ein treuer Diener der Konstitution
sein werde. Bei ihr ist das Heil des Staates und des Volkes.
Von Euch Europäern habe ich gelernt, und Eure Lehren,
Eure Wissenschaft soll bei uns auf fruchtbaren und dankbaren
Boden fallen. Verkünden Sie, daß ich ein Freund der Mächte
bin und nur den Wunsch hege, daß die Türkei mit allen
Mächten in Freundschaft und Liebe verkehre". Mit Glück-
und Segenwünschen entließ mich Reschad. Ich wurde in das
Empfangszimmer geführt, wo Hairi-Bei zu mir sagte: "Jetzt
haben Sie den Sultan Mehmed Reschad V. gesprochen. Sie
[Spaltenumbruch] beide werden diesen Tag niemals vergessen." Als ich wieder
auf der Straße war, wurden gerade di[e] Proklamationen ver-
teilt, die dem Volke mitteilten, daß Abdul Hamit abgesetzt sei.




Vom Tage.


Sitzung des Abgeordnetenhauses
(Schluß aus dem gestrigen Blatte.)

K.-B. (Tel. der "Cz. Allg. Ztg.")

In fortgesetzter Verhandlung des ruthenischen Dring-
lichkeitsantrages
betreffend die Abschaffung beziehungs-
weise Zweiteilung des galizischen Landsmannministeriums,
dessen erster Teil von den Antragstellern zurückgezogen wurde,
erklärte der Abg. E. von Stransky, seine Partei gebe zu,
daß die Ruthenen einen außerordentlich schweren Kampf zu
führen haben. Redner befaßt sich eingehend mit den Ver-
hältnissen der Deutschen Galiziens.

Abg. Renner erklärt, die Sozialdemokraten werden
für die Dringlichkeit stimmen, weil sie keine Gelegenheit
vorübergehen lassen wollen, ohne die mit den nationalen
Ministerien verbundene Korruption zu beleuchten.

Abg. German betont, daß der galizische Landsmann-
minister der Fürsprecher der Interessen des ganzen Landes
und sämtlicher darin wohnenden Nationen sei, und weist die
Anschuldigungen Stransky's zurück.

Abg. Starek bezeichnet die Institution der Lands-
mannminister für überflüssig.

Abg. Silniger erklärt, die Majorität der slavischen
Union sei gegen die Dringlichkeit des vorliegenden Antrages.
Sie wünschen, daß in Galizien Ruhe und brüderliche Ein-
tracht herrsche. Redner kritisiert in scharfer Weise das Ver-
halten des deutschen Landsmannministers und erklärt, es
wäre sehr wünschenswert, wenn die Böhmen in Wien
und Niederösterreich so gestellt wären wie die Deutschen in
Galizien. Seine Partei werde gegen die Dringlichkeit stimmen.

Die Debatte wurde hierauf geschlossen.

Der Generalredner (pro) Abg. Hudec (Prag) erklärt
die Forderung der Ruthenen nach einem nationalen Vertreter
im Kabinett für berechtigt. Die Sozialdemokraten werden für
die Dringlichkeit stimmen.

Nach tatsächlichlichen Berichtigungen der Abg. Gabel
und Okuniewski und nach dem Schlußworte des Antrag-
stellers Sawicki wurde die Dringlichkeit des Antrages
abgelehnt und zur Tagesordnung, dem Berichte des volks-
wirtschaftlichen Ausschusses betreffend die Abänderung und
Ergänzung einiger Bestimmungen der Gewerbeordnung
übergegangen. Nachdem der Berichterstatter Abg. Licht das
Referat erstattet hatte, wurde die Verhandlung abgebrochen
und die Sitzung geschlossen. Die nächste Sitzung findet
Freitag statt.

(Aus dem Polenklub.)

Im Polenklub macht sich ein
heftiger Widerstand gegen die vom Finanzminister Ritt. von
Bilinski zu unterbreitende Konsumsteuervorlage
geltend. Die Polen werfen dem Finanzminister vor, daß er
das Land materiell und politisch schädige, indem er das
Budgetrecht der Landtage in Bezug auf die Verbrauchsab-
gaben aufhebe und die Wiener Zentralgewalt als eine Kon-
trolle der Landesvertretungen einsetze. Sie wollen die Ein-
bringung der Spiritus- und Biersteuervorlage abwarten und
dann eine Sitzung des Klubs ad hoc einberufen und den
Finanzminister hierzu einladen.




Die ungarische Krise.

KB. (Tel. der "Cz. Allg.
Ztg.")

Im Klub der Unabhängigkeitspartei sprach
Präsident Putsch heute seine Meinung darin aus, er glaube
nicht, daß von Wien aus ein absolutistisches
Kabinett
wurde inauguriert werden. Er sei überzeugt, daß
höheren Ortes der Wille der Parlamentsmajorität werde in
Betracht gezogen werden, der bekanntlich auf die Errichtung
einer selbständigen ungarischen Bank abziele.
Deshalb ermuntere er die Mitglieder der Partei zu weiterer
Ausdauer.

Beratungen der Majoritätsparteien.

Heute begannen die Vorbe-
sprechungen der Führer der Mehrheitsparteien in der Wohnung
des Handelsministers Kossuth. Es wurde über eine neue
Lösung des Problems der Vertagung der Bankverhandlungen,
konferiert. Bekanntlich haben gestern abend sowohl Graf
Andrassy als auch Graf Aladar Zichy erklärt, daß die
Aufrechterhaltung der gegenwärtigen Situation und der ge-
genwärtigen Parteikonstellation die einzig reale Basis, für die
Aufrechterhrltung des gegenwärtigen Regimes bieten. Es
müssen also von allen Seiten Anstrengungen gemacht werden,
um die derzeit auf verschiedenen prinzipiellen Grundlagen
stehenden Parteien zu einer einheitlichen Regierungsmehrheit

Czernowitzer Allgemeine Zeitung. 30. April 1909.

[Spaltenumbruch]

anfänglich enengiſch gegen die Wegführung proteſtierte, ſich
jedoch ſchließlich fügte und ſehr niedergeſchlagen mit kleinem
Gefolge, darunter angeblich ſechs Frauen, unter großer und
ſehr ſtrenger Ueberwachung,
wie ein Gefangener
wegtransportiert wurde.

KB. (Tel. der „Cz.
Allg. Ztg.“)

Nicht nur die Nationalverſammlung
und Schefket Paſcha, ſondern, wie verlautet, auch der
neue Sultan haben Abdul Hamid die Sicherheit
ſeines Lebens
in unzweifelhafter Weiſe zugeſichert.

Wie verlautet, wird der Leibeunuch Nadir Agha
morgen gehängt.

KB. (Tel. der „Cz.
Allg. Ztg.“)

Zur Abreiſe des geweſenen Sultans wird
noch gemeldet: Abdul Hamid ſchien am Bahnhof nicht
mehr deprimiert zu ſein, er unterhielt ſich leutſelig mit
den Anweſenden. Mit ihm reiſten elf Frauen, Prinz
Abdurhamin, ein jüngſt geborener Sohn, ſowie zwei
Eunuchen. Die Frauen waren alle ſichtlich eilig ange-
kleidet, nur halb oder gar nicht verſchleiert. Die Wegführung
des Sultan’s wurde von Huſſein Paſcha und dem
Oberſten Galib überwacht.

(Tel. der „Cz. Allg.
Ztg.“)

Eine maßgebende Perſönlichkeit äußerte ſich über des
enttrohnten Sultans Schickſal folgendermaßen: Er wird ſtreng
bewacht werden und Zeit ſeines Lebens Gefangener
bleiben;
an Mitteln zum Leben ſoll’s ihm nicht fehlen,
aber Geld, um neue Intriguen zu ſtiften, wird er nicht
beſitzen. Sein Leben wird geſchont, doch es iſt nicht unmöglich,
daß der ehemalige Sultan aus Verzweiflung
über ſein Los ſelbſt Hand an ſich legt.




Sultan Mehmed V.

KB. (Tel. der „Cz.
Allg. Ztg.“)

Die Krönung und die Umgürtung
des neuen Sultans mit dem Schwerte in der Moſchee
Ejub erfolgt erſt nach 40 Tagen. Ueber die im Yildiz
vorgefundene Ueberfülle an Waffen und Koſtbar-
keiten
werden intereſſante Angaben gemacht.
Abdul Hamid ſoll nur das erhalten, was ſein Privateigentum
iſt. Alles andere wird Staatsgut.

Die „Voſſiſche Zeitung“ entwirft folgende Charakteriſtik
über den neuen Sultan: „Abdul Hamid iſt jedenfalls abge-
tan. Sein 64jähriger Bruder Reſchad hat als Mehmed V.
den Thron beſtiegen. Er wird als eine behäbige und paſſive
Natur geſchildert, als ein Mann alſo, wie ihn die Jung-
türken brauchen. Sie erhoffen nichts von ihm und befürchten
nichts von ihm. Jemand muß an der Spitze des Staates
ſtehen, und ſei es auch nur dem Namen nach. Reſchad wurde
Sultan, weil nach alter Ueberlieferung der Türkei das älteſte
Mitglied des Hauſes Osman zum Thronfolger auserſehen iſt.
Die türkiſche Verfaſſung hat dieſe Ueberlieferung anerkannt.
Die Jungtürken hielten ſich alſo an die Verfaſſung, als ſie
Reſchad zum Sultan erhoben. Sie werden ihm alle gebührenden
Ehren angedeihen laſſen, doch wird er kaum etwas anderes
ſein, als beſtenfalls ihr Prokuraführer.“

Die Glückwünſche Frankreichs.

K.-B. (Tel. der „Cz. Allg. Ztg.“)

Der Miniſter des Aeußern Pichon erſchien heute in der
türkiſchen Botſchaft und drückte dem Botſchafter die
Glückwünſche zur Thronbeſteigung des Sultans Mehmed V.
aus. Auch die franzöſiſche Regierung ſandte tele-
graphiſche Glückwünſche an die türkiſche Regierung.




Das Strafgericht der Jungtürken.

(Orig.-Korr.)

Nach dem
Siege das Strafgericht. Die Jungtürken gehen auch hierin
überaus gründlich, vielleicht allzugründlich, zu Werke. Große
Trupps von Gefangenen zogen geſtern durch die
Straßen, Mann an Mann gefeſſelt. Es waren weiß-
bärtige Leute, Offiziere und Unteroffiziere unter ihnen. Iſt
ſchon dieſer Anblick geeignet, menſchliches Mitgefühl ſelbſt bei
den Gegnern dieſer Unglücklichen hervorzurufen, ſo wandelt
ſich dieſe Teilnahme in lebhaften Unwillen, wenn man
ſieht, wie von dieſen Gefangenen viele geprügelt und
verwundet werden. In den Kreiſen der Diplomatie und
unter den Ausländern macht dieſes Benehmen der Sieger den
denkbar ungünſtigſten Eindruck. Auch die maſſen-
haften Verhaftungen, die ſeit einigen Tagen zu Hun-
derten
auf die unſicherſten Anhaltspunkte hin
vorgenommen werden, beweiſen, daß die Jungtürken von den
jüngſten Ereigniſſen nichts gelernt haben und in die Achmed
Riza-Politik
der Rache und des Haſſes zurückver-
fallen. Es ſind viele Hunderte von Iildisbeamten, Sekretären,
Adjutanten, Dienern, Köchen, Gärtnern uſw., ſowie von
Hodſchas und Softas und nicht weniger als achthundert
Poliziſten
und Spione des alten Regimes verhaftet.
Faſt alle, Hodſchas, Poliziſten und Spione, führten große
Geldmittel mit ſich, die — wie die dreißigtauſend Pfund
der verhafteten Soldaten — unzweifelhaft aus dem Iildis
ſtammen. Bei den Hodſchas allein wurden 12.000 türkiſche
Pfund, ungefähr 225.000 Mark, gefunden. Nach der Herkunft
des Geldes befragt, zuckten ſie ſtumm die Achſeln oder machten
unglaubhafte Angaben.


[Spaltenumbruch]

Unter den hervorragenden Perſönlichkeiten, die den Jung-
türken in die Hände fielen, b[e]finden ſich: Ali Djewod
Bey,
der erſte Sekretär (Chef des Zivilkabinetts) des Sul-
tans; Tahir Paſcha, der „Tüfenkoſchi Baſchi“ (Chef der
Büchſenſpanner), der Kurde Ahmed Tſchauſch, der An-
führer der Meuterer, die am 13. April auf dem Platze vor
der Achmedjé-Moſchee rebellierten, und der ſchwarze Palaſt-
eunuche Nadir Aga. Dieſer hatte in der letzten Zeit eine
wichtige politiſche Rolle geſpielt und gilt neben dem Prinzen
Buchaneddin und Ahmed Tſchauſch als der Haupturheber der
Meuterei vom 13. April. In der europäiſchen Preſſe wird
er irrtümlich als Obereunuch des ſultaniſchen Harem (Kislar
Aga) bezeichnet.

Konſtantinopel iſt von Hodſchas und Softas entblößt.
Viele Geiſtliche ſind vor dem Truppeneinmarſch Schiff
nach Aſien geflüchtet und ſollen dabei ungeheuer viel
Geld
mitgenommen haben. Man befürchtet daher, daß ſie
die aſiatiſchen Provinzen revoltieren werden.

Der Gouverneur von Tſchataldſcha wurde gefangen
nach Saloniki gebracht und wird wegen Widerſtandes gegen
das Verfaſſungsheer von dem Kriegsgericht abgeurteilt.

Muſſafer Bey, Kapitän des Kreuzers „Peikiſchefket“,
hat aus Verzweiflung über die Niederlage des Sultans
Selbſtmord begangen.

Eine Unterredung mit Mohammed V.
(Spezialbericht des Korreſpondenten des „Berliner
Lokalanzeiger“).

Die Pforten von Dol-
mabagdje, hinter deſſen Mauern Reſchad ſeit 33 Jahren in
ſtrenger Gefangenſchaft, abgeſchnitten von jedem Verkehr mit
der Außenwelt, ſein Leben vertrauerte, haben ſich heute für
mich, den erſten Europäer, der dieſes durch Kunſtſchätze und
Naturſchönheiten einzig daſtehende Gefängnis betrat, geöffnet.
Ein vom General Schefket-Paſcha ausgeſtellter Paſſierſchein
ermächtigte mir den Zutritt zur Palaſtwache. Als ich aber
dem dienſthabenden Offizier meinen Wunſch vortrug, Reſchad
zu ſprechen, wich er ob meiner Kühnheit zurück. Seine Ge-
bärde ſagte: „Rimmer mehr!“ Ich ließ aber nicht locker
und erreichte zunächſt, ins Empfangzimmer geführt zu werden.
Als ich den langgeſtreckten Hof betrat, erregte meine, die
Anweſenheit eines Europäers, ungeheure Senſation. Die in
einer Ecke zuſammengekauerten Eunuchen, die ſich ob der
Wandlung der Dinge noch immer nicht faſſen können, ſprangen
entſetzt empor. Aus allen Gebäuden des Palaſtes liefen erſt
ſeit drei Tagen eingeſetzte, Reſchad ergebene, jungtürkiſche
Würdenträger herbei, und als ich das Empfangszimmer betrat,
waren hier ſchon anweſend der vor einigen Tagen aus
27jährigem Exil zurückgekehrte Leibarzt Reſchads, Dr. Hairi-
Bei, ferner der erſte Sekretär Ibrahim-Bei, der ſeit 33
Jahren nicht aus dem Palaſt herausgekommen, der Zweite
Sekretär Mahmud-Bei und der Dritte Sekretär Sabit-Bei.
Mein Erſcheinen hatte bei allen dieſen Herren unbeſchreibliche
Freude hervorgerufen. Sie ließen meine Hände nicht frei, und
Sairi-Bei und Sabit-Bei, die glänzend frazöſiſch ſprechen,
riefen ein über das andere Mal: „Das iſt die neue
Zeit, die mit Ihnen hereintritt.
Gott ſegne Sie!“
Dann wurden Koffee, Süßigkeiten und Zigaretten in goldenen
Gefäßen und auf goldenen Tabletten herbeigebracht. Endlich
konnte auch ich zu Wort kommen und meine Bitte vortragen,
von Reſchad empfangen zu werden. Hairi-Bei und Ibrahim-
Bei übernahmen es, Reſchad meinem Erſuchen geneigt zu
ſtimmen. Während ſie bei Reſchad weilten, wagte ich, den
Kommandanten der den Palaſt bewachenden Gendarmerie,
Kapitän Ethem-Bei, unvermittelt zu fragen; „Wann wird
die Herrſchaft überſiedeln?“ Und prompt bekam ich die
Antwort: „Hoffentlich morgen“. Da kehrten der Arzt und
der erſte Sekretär zurück mit der freudigen Botſchaft: Seine
Hoheit ſei bereit, mich zu ſehen. Ich überſchritt den Hof
nochmals, und von dem Gefolge Reſchads geführt, paſſierte
ich durch ein Spalier von Eunuchen eine Marmortrepue und
gelangte in eine große Marmorſäulenhalle. Hier ſah ich plötz-
lich einen europäiſch gekleideten jungen Mann mit blondem
Schnurrbart und einem Panamahut auf dem Kopf. Meine
Begleitung verbeugte ſich tief, und Hairi-Bei flüſterte mir zu:
„der älteſte Sohn Reſchads, Zia Eddin Effendi“. Ich machte
meine Referenz, und er, den ich ſonſt für einen europäiſchen
Gentleman gehalten hätte, winkte mir lachend einen Gruß
zu und erklärte einer neben ihm ſtehenden, nach der letzten
europäiſchen Mode gekleideten Dame, wer ich ſei. Da öffnete
ſich rechts eine große Tür. Hairi faßte mich an der Hand,
zog mich nach ſich, und im nächſten Augenblick ſtand ich vor
Reſchad, der in den nächſten Stunden ſchon Sultan
und Kalif ſein wird. Ein unterſetzter, nicht allzudicker
Mann, der die lange Gefangenſchaft mit beiſpielloſer Spann-
kraft überſtanden hat. Seine Feinde behaupten, er ſei kein
großes Kirchenlicht, aber ſeine lebhaften, klaren, grauen Augen
ſtrafen dieſe Behauptung Lügen. Trotz des grauen, buſchigen
Schnurrbarts, der über die bevorſtehende Unterlippe fällt,
ſieht man ihm ſein Alter von 64 Jahren nicht an. Ich mache
die tiefſte Verbeugung, deren ich fähig bin, er richtet mich
aber hoch und ſchüttelt und ſtreicht mir die Hand, und ſein
Geſicht lacht vor Freude. Ich ſtammle einige Worte, er aber
ſagt: „Sie ſind ein Journaliſt, ein deutſcher Journaliſt.
Ich liebe die Journaliſten, ich liebe die Preſſe, denn es iſt
ihre Aufgabe, Wiſſen und Aufklärung unter den Völkern zu
verbreiten und die Menſchen dem Glück entgegenzuführen.
Sagen Sie allen Deutſchen, die wir ſo hoch ſchätzen, daß ich,
ſolange ich denken kann, für die Konſtitution gelebt
habe, immer nur ein treuer Diener der Konſtitution
ſein werde. Bei ihr iſt das Heil des Staates und des Volkes.
Von Euch Europäern habe ich gelernt, und Eure Lehren,
Eure Wiſſenſchaft ſoll bei uns auf fruchtbaren und dankbaren
Boden fallen. Verkünden Sie, daß ich ein Freund der Mächte
bin und nur den Wunſch hege, daß die Türkei mit allen
Mächten in Freundſchaft und Liebe verkehre“. Mit Glück-
und Segenwünſchen entließ mich Reſchad. Ich wurde in das
Empfangszimmer geführt, wo Hairi-Bei zu mir ſagte: „Jetzt
haben Sie den Sultan Mehmed Reſchad V. geſprochen. Sie
[Spaltenumbruch] beide werden dieſen Tag niemals vergeſſen.“ Als ich wieder
auf der Straße war, wurden gerade di[e] Proklamationen ver-
teilt, die dem Volke mitteilten, daß Abdul Hamit abgeſetzt ſei.




Vom Tage.


Sitzung des Abgeordnetenhauſes
(Schluß aus dem geſtrigen Blatte.)

K.-B. (Tel. der „Cz. Allg. Ztg.“)

In fortgeſetzter Verhandlung des rutheniſchen Dring-
lichkeitsantrages
betreffend die Abſchaffung beziehungs-
weiſe Zweiteilung des galiziſchen Landsmannminiſteriums,
deſſen erſter Teil von den Antragſtellern zurückgezogen wurde,
erklärte der Abg. E. von Stransky, ſeine Partei gebe zu,
daß die Ruthenen einen außerordentlich ſchweren Kampf zu
führen haben. Redner befaßt ſich eingehend mit den Ver-
hältniſſen der Deutſchen Galiziens.

Abg. Renner erklärt, die Sozialdemokraten werden
für die Dringlichkeit ſtimmen, weil ſie keine Gelegenheit
vorübergehen laſſen wollen, ohne die mit den nationalen
Miniſterien verbundene Korruption zu beleuchten.

Abg. German betont, daß der galiziſche Landsmann-
miniſter der Fürſprecher der Intereſſen des ganzen Landes
und ſämtlicher darin wohnenden Nationen ſei, und weiſt die
Anſchuldigungen Stransky’s zurück.

Abg. Starek bezeichnet die Inſtitution der Lands-
mannminiſter für überflüſſig.

Abg. Silniger erklärt, die Majorität der ſlaviſchen
Union ſei gegen die Dringlichkeit des vorliegenden Antrages.
Sie wünſchen, daß in Galizien Ruhe und brüderliche Ein-
tracht herrſche. Redner kritiſiert in ſcharfer Weiſe das Ver-
halten des deutſchen Landsmannminiſters und erklärt, es
wäre ſehr wünſchenswert, wenn die Böhmen in Wien
und Niederöſterreich ſo geſtellt wären wie die Deutſchen in
Galizien. Seine Partei werde gegen die Dringlichkeit ſtimmen.

Die Debatte wurde hierauf geſchloſſen.

Der Generalredner (pro) Abg. Hudec (Prag) erklärt
die Forderung der Ruthenen nach einem nationalen Vertreter
im Kabinett für berechtigt. Die Sozialdemokraten werden für
die Dringlichkeit ſtimmen.

Nach tatſächlichlichen Berichtigungen der Abg. Gabel
und Okuniewski und nach dem Schlußworte des Antrag-
ſtellers Sawicki wurde die Dringlichkeit des Antrages
abgelehnt und zur Tagesordnung, dem Berichte des volks-
wirtſchaftlichen Ausſchuſſes betreffend die Abänderung und
Ergänzung einiger Beſtimmungen der Gewerbeordnung
übergegangen. Nachdem der Berichterſtatter Abg. Licht das
Referat erſtattet hatte, wurde die Verhandlung abgebrochen
und die Sitzung geſchloſſen. Die nächſte Sitzung findet
Freitag ſtatt.

(Aus dem Polenklub.)

Im Polenklub macht ſich ein
heftiger Widerſtand gegen die vom Finanzminiſter Ritt. von
Bilinski zu unterbreitende Konſumſteuervorlage
geltend. Die Polen werfen dem Finanzminiſter vor, daß er
das Land materiell und politiſch ſchädige, indem er das
Budgetrecht der Landtage in Bezug auf die Verbrauchsab-
gaben aufhebe und die Wiener Zentralgewalt als eine Kon-
trolle der Landesvertretungen einſetze. Sie wollen die Ein-
bringung der Spiritus- und Bierſteuervorlage abwarten und
dann eine Sitzung des Klubs ad hoc einberufen und den
Finanzminiſter hierzu einladen.




Die ungariſche Kriſe.

KB. (Tel. der „Cz. Allg.
Ztg.“)

Im Klub der Unabhängigkeitspartei ſprach
Präſident Putſch heute ſeine Meinung darin aus, er glaube
nicht, daß von Wien aus ein abſolutiſtiſches
Kabinett
wurde inauguriert werden. Er ſei überzeugt, daß
höheren Ortes der Wille der Parlamentsmajorität werde in
Betracht gezogen werden, der bekanntlich auf die Errichtung
einer ſelbſtändigen ungariſchen Bank abziele.
Deshalb ermuntere er die Mitglieder der Partei zu weiterer
Ausdauer.

Beratungen der Majoritätsparteien.

Heute begannen die Vorbe-
ſprechungen der Führer der Mehrheitsparteien in der Wohnung
des Handelsminiſters Koſſuth. Es wurde über eine neue
Löſung des Problems der Vertagung der Bankverhandlungen,
konferiert. Bekanntlich haben geſtern abend ſowohl Graf
Andraſſy als auch Graf Aladar Zichy erklärt, daß die
Aufrechterhaltung der gegenwärtigen Situation und der ge-
genwärtigen Parteikonſtellation die einzig reale Baſis, für die
Aufrechterhrltung des gegenwärtigen Regimes bieten. Es
müſſen alſo von allen Seiten Anſtrengungen gemacht werden,
um die derzeit auf verſchiedenen prinzipiellen Grundlagen
ſtehenden Parteien zu einer einheitlichen Regierungsmehrheit

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[2/0002] Czernowitzer Allgemeine Zeitung. 30. April 1909. anfänglich enengiſch gegen die Wegführung proteſtierte, ſich jedoch ſchließlich fügte und ſehr niedergeſchlagen mit kleinem Gefolge, darunter angeblich ſechs Frauen, unter großer und ſehr ſtrenger Ueberwachung, wie ein Gefangener wegtransportiert wurde. KB. Konſtantinopel, 28. April. (Tel. der „Cz. Allg. Ztg.“) Nicht nur die Nationalverſammlung und Schefket Paſcha, ſondern, wie verlautet, auch der neue Sultan haben Abdul Hamid die Sicherheit ſeines Lebens in unzweifelhafter Weiſe zugeſichert. Wie verlautet, wird der Leibeunuch Nadir Agha morgen gehängt. KB. Konſtantinopel, 29. April. (Tel. der „Cz. Allg. Ztg.“) Zur Abreiſe des geweſenen Sultans wird noch gemeldet: Abdul Hamid ſchien am Bahnhof nicht mehr deprimiert zu ſein, er unterhielt ſich leutſelig mit den Anweſenden. Mit ihm reiſten elf Frauen, Prinz Abdurhamin, ein jüngſt geborener Sohn, ſowie zwei Eunuchen. Die Frauen waren alle ſichtlich eilig ange- kleidet, nur halb oder gar nicht verſchleiert. Die Wegführung des Sultan’s wurde von Huſſein Paſcha und dem Oberſten Galib überwacht. Konſtantinopel, 28. April. (Tel. der „Cz. Allg. Ztg.“) Eine maßgebende Perſönlichkeit äußerte ſich über des enttrohnten Sultans Schickſal folgendermaßen: Er wird ſtreng bewacht werden und Zeit ſeines Lebens Gefangener bleiben; an Mitteln zum Leben ſoll’s ihm nicht fehlen, aber Geld, um neue Intriguen zu ſtiften, wird er nicht beſitzen. Sein Leben wird geſchont, doch es iſt nicht unmöglich, daß der ehemalige Sultan aus Verzweiflung über ſein Los ſelbſt Hand an ſich legt. Sultan Mehmed V. KB. Konſtantinopel, 28. April. (Tel. der „Cz. Allg. Ztg.“) Die Krönung und die Umgürtung des neuen Sultans mit dem Schwerte in der Moſchee Ejub erfolgt erſt nach 40 Tagen. Ueber die im Yildiz vorgefundene Ueberfülle an Waffen und Koſtbar- keiten werden intereſſante Angaben gemacht. Abdul Hamid ſoll nur das erhalten, was ſein Privateigentum iſt. Alles andere wird Staatsgut. Die „Voſſiſche Zeitung“ entwirft folgende Charakteriſtik über den neuen Sultan: „Abdul Hamid iſt jedenfalls abge- tan. Sein 64jähriger Bruder Reſchad hat als Mehmed V. den Thron beſtiegen. Er wird als eine behäbige und paſſive Natur geſchildert, als ein Mann alſo, wie ihn die Jung- türken brauchen. Sie erhoffen nichts von ihm und befürchten nichts von ihm. Jemand muß an der Spitze des Staates ſtehen, und ſei es auch nur dem Namen nach. Reſchad wurde Sultan, weil nach alter Ueberlieferung der Türkei das älteſte Mitglied des Hauſes Osman zum Thronfolger auserſehen iſt. Die türkiſche Verfaſſung hat dieſe Ueberlieferung anerkannt. Die Jungtürken hielten ſich alſo an die Verfaſſung, als ſie Reſchad zum Sultan erhoben. Sie werden ihm alle gebührenden Ehren angedeihen laſſen, doch wird er kaum etwas anderes ſein, als beſtenfalls ihr Prokuraführer.“ Die Glückwünſche Frankreichs. K.-B. Paris, 29. April. (Tel. der „Cz. Allg. Ztg.“) Der Miniſter des Aeußern Pichon erſchien heute in der türkiſchen Botſchaft und drückte dem Botſchafter die Glückwünſche zur Thronbeſteigung des Sultans Mehmed V. aus. Auch die franzöſiſche Regierung ſandte tele- graphiſche Glückwünſche an die türkiſche Regierung. Das Strafgericht der Jungtürken. Konſtantinopel, 28. April. (Orig.-Korr.) Nach dem Siege das Strafgericht. Die Jungtürken gehen auch hierin überaus gründlich, vielleicht allzugründlich, zu Werke. Große Trupps von Gefangenen zogen geſtern durch die Straßen, Mann an Mann gefeſſelt. Es waren weiß- bärtige Leute, Offiziere und Unteroffiziere unter ihnen. Iſt ſchon dieſer Anblick geeignet, menſchliches Mitgefühl ſelbſt bei den Gegnern dieſer Unglücklichen hervorzurufen, ſo wandelt ſich dieſe Teilnahme in lebhaften Unwillen, wenn man ſieht, wie von dieſen Gefangenen viele geprügelt und verwundet werden. In den Kreiſen der Diplomatie und unter den Ausländern macht dieſes Benehmen der Sieger den denkbar ungünſtigſten Eindruck. Auch die maſſen- haften Verhaftungen, die ſeit einigen Tagen zu Hun- derten auf die unſicherſten Anhaltspunkte hin vorgenommen werden, beweiſen, daß die Jungtürken von den jüngſten Ereigniſſen nichts gelernt haben und in die Achmed Riza-Politik der Rache und des Haſſes zurückver- fallen. Es ſind viele Hunderte von Iildisbeamten, Sekretären, Adjutanten, Dienern, Köchen, Gärtnern uſw., ſowie von Hodſchas und Softas und nicht weniger als achthundert Poliziſten und Spione des alten Regimes verhaftet. Faſt alle, Hodſchas, Poliziſten und Spione, führten große Geldmittel mit ſich, die — wie die dreißigtauſend Pfund der verhafteten Soldaten — unzweifelhaft aus dem Iildis ſtammen. Bei den Hodſchas allein wurden 12.000 türkiſche Pfund, ungefähr 225.000 Mark, gefunden. Nach der Herkunft des Geldes befragt, zuckten ſie ſtumm die Achſeln oder machten unglaubhafte Angaben. Unter den hervorragenden Perſönlichkeiten, die den Jung- türken in die Hände fielen, befinden ſich: Ali Djewod Bey, der erſte Sekretär (Chef des Zivilkabinetts) des Sul- tans; Tahir Paſcha, der „Tüfenkoſchi Baſchi“ (Chef der Büchſenſpanner), der Kurde Ahmed Tſchauſch, der An- führer der Meuterer, die am 13. April auf dem Platze vor der Achmedjé-Moſchee rebellierten, und der ſchwarze Palaſt- eunuche Nadir Aga. Dieſer hatte in der letzten Zeit eine wichtige politiſche Rolle geſpielt und gilt neben dem Prinzen Buchaneddin und Ahmed Tſchauſch als der Haupturheber der Meuterei vom 13. April. In der europäiſchen Preſſe wird er irrtümlich als Obereunuch des ſultaniſchen Harem (Kislar Aga) bezeichnet. Konſtantinopel iſt von Hodſchas und Softas entblößt. Viele Geiſtliche ſind vor dem Truppeneinmarſch Schiff nach Aſien geflüchtet und ſollen dabei ungeheuer viel Geld mitgenommen haben. Man befürchtet daher, daß ſie die aſiatiſchen Provinzen revoltieren werden. Der Gouverneur von Tſchataldſcha wurde gefangen nach Saloniki gebracht und wird wegen Widerſtandes gegen das Verfaſſungsheer von dem Kriegsgericht abgeurteilt. Muſſafer Bey, Kapitän des Kreuzers „Peikiſchefket“, hat aus Verzweiflung über die Niederlage des Sultans Selbſtmord begangen. Eine Unterredung mit Mohammed V. (Spezialbericht des Korreſpondenten des „Berliner Lokalanzeiger“). Konſtantinopel, 28. April. Die Pforten von Dol- mabagdje, hinter deſſen Mauern Reſchad ſeit 33 Jahren in ſtrenger Gefangenſchaft, abgeſchnitten von jedem Verkehr mit der Außenwelt, ſein Leben vertrauerte, haben ſich heute für mich, den erſten Europäer, der dieſes durch Kunſtſchätze und Naturſchönheiten einzig daſtehende Gefängnis betrat, geöffnet. Ein vom General Schefket-Paſcha ausgeſtellter Paſſierſchein ermächtigte mir den Zutritt zur Palaſtwache. Als ich aber dem dienſthabenden Offizier meinen Wunſch vortrug, Reſchad zu ſprechen, wich er ob meiner Kühnheit zurück. Seine Ge- bärde ſagte: „Rimmer mehr!“ Ich ließ aber nicht locker und erreichte zunächſt, ins Empfangzimmer geführt zu werden. Als ich den langgeſtreckten Hof betrat, erregte meine, die Anweſenheit eines Europäers, ungeheure Senſation. Die in einer Ecke zuſammengekauerten Eunuchen, die ſich ob der Wandlung der Dinge noch immer nicht faſſen können, ſprangen entſetzt empor. Aus allen Gebäuden des Palaſtes liefen erſt ſeit drei Tagen eingeſetzte, Reſchad ergebene, jungtürkiſche Würdenträger herbei, und als ich das Empfangszimmer betrat, waren hier ſchon anweſend der vor einigen Tagen aus 27jährigem Exil zurückgekehrte Leibarzt Reſchads, Dr. Hairi- Bei, ferner der erſte Sekretär Ibrahim-Bei, der ſeit 33 Jahren nicht aus dem Palaſt herausgekommen, der Zweite Sekretär Mahmud-Bei und der Dritte Sekretär Sabit-Bei. Mein Erſcheinen hatte bei allen dieſen Herren unbeſchreibliche Freude hervorgerufen. Sie ließen meine Hände nicht frei, und Sairi-Bei und Sabit-Bei, die glänzend frazöſiſch ſprechen, riefen ein über das andere Mal: „Das iſt die neue Zeit, die mit Ihnen hereintritt. Gott ſegne Sie!“ Dann wurden Koffee, Süßigkeiten und Zigaretten in goldenen Gefäßen und auf goldenen Tabletten herbeigebracht. Endlich konnte auch ich zu Wort kommen und meine Bitte vortragen, von Reſchad empfangen zu werden. Hairi-Bei und Ibrahim- Bei übernahmen es, Reſchad meinem Erſuchen geneigt zu ſtimmen. Während ſie bei Reſchad weilten, wagte ich, den Kommandanten der den Palaſt bewachenden Gendarmerie, Kapitän Ethem-Bei, unvermittelt zu fragen; „Wann wird die Herrſchaft überſiedeln?“ Und prompt bekam ich die Antwort: „Hoffentlich morgen“. Da kehrten der Arzt und der erſte Sekretär zurück mit der freudigen Botſchaft: Seine Hoheit ſei bereit, mich zu ſehen. Ich überſchritt den Hof nochmals, und von dem Gefolge Reſchads geführt, paſſierte ich durch ein Spalier von Eunuchen eine Marmortrepue und gelangte in eine große Marmorſäulenhalle. Hier ſah ich plötz- lich einen europäiſch gekleideten jungen Mann mit blondem Schnurrbart und einem Panamahut auf dem Kopf. Meine Begleitung verbeugte ſich tief, und Hairi-Bei flüſterte mir zu: „der älteſte Sohn Reſchads, Zia Eddin Effendi“. Ich machte meine Referenz, und er, den ich ſonſt für einen europäiſchen Gentleman gehalten hätte, winkte mir lachend einen Gruß zu und erklärte einer neben ihm ſtehenden, nach der letzten europäiſchen Mode gekleideten Dame, wer ich ſei. Da öffnete ſich rechts eine große Tür. Hairi faßte mich an der Hand, zog mich nach ſich, und im nächſten Augenblick ſtand ich vor Reſchad, der in den nächſten Stunden ſchon Sultan und Kalif ſein wird. Ein unterſetzter, nicht allzudicker Mann, der die lange Gefangenſchaft mit beiſpielloſer Spann- kraft überſtanden hat. Seine Feinde behaupten, er ſei kein großes Kirchenlicht, aber ſeine lebhaften, klaren, grauen Augen ſtrafen dieſe Behauptung Lügen. Trotz des grauen, buſchigen Schnurrbarts, der über die bevorſtehende Unterlippe fällt, ſieht man ihm ſein Alter von 64 Jahren nicht an. Ich mache die tiefſte Verbeugung, deren ich fähig bin, er richtet mich aber hoch und ſchüttelt und ſtreicht mir die Hand, und ſein Geſicht lacht vor Freude. Ich ſtammle einige Worte, er aber ſagt: „Sie ſind ein Journaliſt, ein deutſcher Journaliſt. Ich liebe die Journaliſten, ich liebe die Preſſe, denn es iſt ihre Aufgabe, Wiſſen und Aufklärung unter den Völkern zu verbreiten und die Menſchen dem Glück entgegenzuführen. Sagen Sie allen Deutſchen, die wir ſo hoch ſchätzen, daß ich, ſolange ich denken kann, für die Konſtitution gelebt habe, immer nur ein treuer Diener der Konſtitution ſein werde. Bei ihr iſt das Heil des Staates und des Volkes. Von Euch Europäern habe ich gelernt, und Eure Lehren, Eure Wiſſenſchaft ſoll bei uns auf fruchtbaren und dankbaren Boden fallen. Verkünden Sie, daß ich ein Freund der Mächte bin und nur den Wunſch hege, daß die Türkei mit allen Mächten in Freundſchaft und Liebe verkehre“. Mit Glück- und Segenwünſchen entließ mich Reſchad. Ich wurde in das Empfangszimmer geführt, wo Hairi-Bei zu mir ſagte: „Jetzt haben Sie den Sultan Mehmed Reſchad V. geſprochen. Sie beide werden dieſen Tag niemals vergeſſen.“ Als ich wieder auf der Straße war, wurden gerade die Proklamationen ver- teilt, die dem Volke mitteilten, daß Abdul Hamit abgeſetzt ſei. Vom Tage. Czernowitz, 29. April. Sitzung des Abgeordnetenhauſes (Schluß aus dem geſtrigen Blatte.) K.-B. Wien, 29. April. (Tel. der „Cz. Allg. 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Silniger erklärt, die Majorität der ſlaviſchen Union ſei gegen die Dringlichkeit des vorliegenden Antrages. Sie wünſchen, daß in Galizien Ruhe und brüderliche Ein- tracht herrſche. Redner kritiſiert in ſcharfer Weiſe das Ver- halten des deutſchen Landsmannminiſters und erklärt, es wäre ſehr wünſchenswert, wenn die Böhmen in Wien und Niederöſterreich ſo geſtellt wären wie die Deutſchen in Galizien. Seine Partei werde gegen die Dringlichkeit ſtimmen. Die Debatte wurde hierauf geſchloſſen. Der Generalredner (pro) Abg. Hudec (Prag) erklärt die Forderung der Ruthenen nach einem nationalen Vertreter im Kabinett für berechtigt. Die Sozialdemokraten werden für die Dringlichkeit ſtimmen. Nach tatſächlichlichen Berichtigungen der Abg. 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Sie wollen die Ein- bringung der Spiritus- und Bierſteuervorlage abwarten und dann eine Sitzung des Klubs ad hoc einberufen und den Finanzminiſter hierzu einladen. Die ungariſche Kriſe. KB. Budapeſt, 29. April. (Tel. der „Cz. Allg. Ztg.“) Im Klub der Unabhängigkeitspartei ſprach Präſident Putſch heute ſeine Meinung darin aus, er glaube nicht, daß von Wien aus ein abſolutiſtiſches Kabinett wurde inauguriert werden. Er ſei überzeugt, daß höheren Ortes der Wille der Parlamentsmajorität werde in Betracht gezogen werden, der bekanntlich auf die Errichtung einer ſelbſtändigen ungariſchen Bank abziele. Deshalb ermuntere er die Mitglieder der Partei zu weiterer Ausdauer. Beratungen der Majoritätsparteien. Budapeſt, 28. April. Heute begannen die Vorbe- ſprechungen der Führer der Mehrheitsparteien in der Wohnung des Handelsminiſters Koſſuth. Es wurde über eine neue Löſung des Problems der Vertagung der Bankverhandlungen, konferiert. Bekanntlich haben geſtern abend ſowohl Graf Andraſſy als auch Graf Aladar Zichy erklärt, daß die Aufrechterhaltung der gegenwärtigen Situation und der ge- genwärtigen Parteikonſtellation die einzig reale Baſis, für die Aufrechterhrltung des gegenwärtigen Regimes bieten. Es müſſen alſo von allen Seiten Anſtrengungen gemacht werden, um die derzeit auf verſchiedenen prinzipiellen Grundlagen ſtehenden Parteien zu einer einheitlichen Regierungsmehrheit

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Amelie Meister: Vorbereitung der Texttranskription und Textauszeichnung. (2018-01-26T13:38:42Z)

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Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




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Zitationshilfe: Czernowitzer Allgemeine Zeitung. Nr. 1588, Czernowitz, 30.04.1909, S. 2. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_czernowitzer1588_1909/2>, abgerufen am 23.11.2024.