Herders Conversations-Lexikon. Bd. 3. Freiburg im Breisgau, 1855.ziemlich vernachläßigt, wenn man es mit dem deutschen vergleicht. Kein Vater kann verpflichtet werden, sein Kind in eine Schule zu schicken, daher wächst auch die Mehrzahl der Kinder der Armen, der Fabrikarbeiter, Seeleute etc. ohne allen Unterricht auf. Daß es in England viele Arme gibt, ist eine bekannte Sache, jedoch sind darüber ganz übertriebene Meinungen im Umlauf. Irland ist allerdings die Heimath der Armuth in Folge der systematischen Beraubung der Irländer unter Elisabeth, Cromwell u. Wilhelm III.; dort mildert sich aber das Uebel durch die massenhafte Auswanderung, die in 10 Jahren über 11/2 Mill. betrug, wodurch die Arbeitslöhne beträchtlich gesteigert wurden. Schottland hat in den Hochlanden und auf den nahen Inseln viele Arme, dagegen sehr wenige im Niederlande, in England endlich gibt es Arme hauptsächlich nur in den Städten. Daß in einem vorzugsweise industriellen Staate, wie England ist, bei Geschäftsstockungen u. Handelskrisen eine vorübergehende allgemeine Arbeitslosigkeit und Noth eintreten kann, wie man sie in weniger industriellen Ländern nicht kennt, leuchtet ein, im Allgemeinen aber lebt der Arbeiter in England viel besser als in irgend einem anderen Lande (s. d. Art. Armentaxe). - Geschichte. Ueber England bis zur Eroberung (1066) durch die franz. Normannen s. "Angelsachsen". Wilhelm I., der Eroberer, vertheilte 60215 Lehen unter seine Waffengefährten, so daß nur wenige Grundeigenthümer ihren Besitz retten konnten; die angelsächs. Nation wurde mit furchtbarer Strenge niedergehalten u. eine Militärherrschaft eingeführt. Die Dynastie Wilhelms I. st. jedoch bald aus und ihr folgte 1154 die verwandte der Plantagenet od. Anjou, die bis 1485 regierte. Heinrich II. (1154-89) besaß in Frankreich die Normandie und Anjou und erheirathete die Guyenne und Poitou, er bezwang auch einen Theil Irlands, errichtete ein stehendes Heer u. ein regelmäßiges Finanzsystem, sein Streben nach der Herstellung der unbeschränkten Königsmacht aber scheiterte an dem Widerstande der Kirche (s. Becket). Sein Sohn Richard I. Löwenherz (1189 bis 99) nahm am 2. Kreuzzuge Theil und wurde nach demselben in Frankreich beschäftigt, dessen Bruder Johann ohne Land (1199-1216) verlor fast alle Besitzungen in Frankreich bis auf Guyenne, verletzte aber alle Stände durch Gewaltthätigkeiten und Untreue, so daß sich alles gegen ihn vereinigte, als er von dem Papste Innocenz III. mit dem Banne belegt wurde. Der Adel erzwang von ihm 1215 die Magna charta, einen Schirmbrief gegen willkürliche Abgaben und Strafen sowie gegen Eingriffe in die Stadtrechte. Unter Heinrich III. (1216-72), der seinem Vater in mancher Hinsicht glich, verwirrte ein wechselvoller Kampf des hohen Adels mit dem Königthum das Reich, eine Art permanenter Revolution; das Geschwornengericht erhielt wieder allgem. Geltung, die Reichsversammlung (Parlament), aber wurde durch die Abgeordneten der Städte vervollständigt (1265). Sein Sohn Eduard I. (1272-1307) regelte das Parlament und die Gesetze, indem die angelsächs. und normänn. in Einklang gebracht wurden, was die Verschmelzung der Angelsachsen und Normannen zu der engl. Nation wesentlich förderte. Er unterwarf auch Wales u. bereitete die Vereinigung Schottlands mit England vor. Nach der schwachen Regierung Eduards II. (1307-27) bezwang Eduard III. (1327-77) die Schotten, fing mit dem Hause Valois in Frankreich den vieljährigen Erbfolgekrieg an, konnte aber trotz der Siege von Crecy und Maupertuis gegen das Ende seines Lebens seine Eroberungen in Frankreich nicht behaupten. Unter Eduard III. begann 1343 die Scheidung des Parlaments in ein Ober- u. Unterhaus u. hörte 1362 die franz. Sprache als Staatssprache auf. Richard II. (1377-99) hatte mit einem großen Bauernaufstand zu kämpfen und wurde nur durch die Bürgerschaft von London gerettet; die Folge war das Erlöschen der Leibeigenschaft; doch ist keine Acte bekannt, durch welche dieselbe förmlich aufgehoben worden wäre. Mit dem Parlamente lebte er fortwährend im Streit und als er die Oberhand zu gewinnen ziemlich vernachläßigt, wenn man es mit dem deutschen vergleicht. Kein Vater kann verpflichtet werden, sein Kind in eine Schule zu schicken, daher wächst auch die Mehrzahl der Kinder der Armen, der Fabrikarbeiter, Seeleute etc. ohne allen Unterricht auf. Daß es in England viele Arme gibt, ist eine bekannte Sache, jedoch sind darüber ganz übertriebene Meinungen im Umlauf. Irland ist allerdings die Heimath der Armuth in Folge der systematischen Beraubung der Irländer unter Elisabeth, Cromwell u. Wilhelm III.; dort mildert sich aber das Uebel durch die massenhafte Auswanderung, die in 10 Jahren über 11/2 Mill. betrug, wodurch die Arbeitslöhne beträchtlich gesteigert wurden. Schottland hat in den Hochlanden und auf den nahen Inseln viele Arme, dagegen sehr wenige im Niederlande, in England endlich gibt es Arme hauptsächlich nur in den Städten. Daß in einem vorzugsweise industriellen Staate, wie England ist, bei Geschäftsstockungen u. Handelskrisen eine vorübergehende allgemeine Arbeitslosigkeit und Noth eintreten kann, wie man sie in weniger industriellen Ländern nicht kennt, leuchtet ein, im Allgemeinen aber lebt der Arbeiter in England viel besser als in irgend einem anderen Lande (s. d. Art. Armentaxe). – Geschichte. Ueber England bis zur Eroberung (1066) durch die franz. Normannen s. „Angelsachsen“. Wilhelm I., der Eroberer, vertheilte 60215 Lehen unter seine Waffengefährten, so daß nur wenige Grundeigenthümer ihren Besitz retten konnten; die angelsächs. Nation wurde mit furchtbarer Strenge niedergehalten u. eine Militärherrschaft eingeführt. Die Dynastie Wilhelms I. st. jedoch bald aus und ihr folgte 1154 die verwandte der Plantagenet od. Anjou, die bis 1485 regierte. Heinrich II. (1154–89) besaß in Frankreich die Normandie und Anjou und erheirathete die Guyenne und Poitou, er bezwang auch einen Theil Irlands, errichtete ein stehendes Heer u. ein regelmäßiges Finanzsystem, sein Streben nach der Herstellung der unbeschränkten Königsmacht aber scheiterte an dem Widerstande der Kirche (s. Becket). Sein Sohn Richard I. Löwenherz (1189 bis 99) nahm am 2. Kreuzzuge Theil und wurde nach demselben in Frankreich beschäftigt, dessen Bruder Johann ohne Land (1199–1216) verlor fast alle Besitzungen in Frankreich bis auf Guyenne, verletzte aber alle Stände durch Gewaltthätigkeiten und Untreue, so daß sich alles gegen ihn vereinigte, als er von dem Papste Innocenz III. mit dem Banne belegt wurde. Der Adel erzwang von ihm 1215 die Magna charta, einen Schirmbrief gegen willkürliche Abgaben und Strafen sowie gegen Eingriffe in die Stadtrechte. Unter Heinrich III. (1216–72), der seinem Vater in mancher Hinsicht glich, verwirrte ein wechselvoller Kampf des hohen Adels mit dem Königthum das Reich, eine Art permanenter Revolution; das Geschwornengericht erhielt wieder allgem. Geltung, die Reichsversammlung (Parlament), aber wurde durch die Abgeordneten der Städte vervollständigt (1265). Sein Sohn Eduard I. (1272–1307) regelte das Parlament und die Gesetze, indem die angelsächs. und normänn. in Einklang gebracht wurden, was die Verschmelzung der Angelsachsen und Normannen zu der engl. Nation wesentlich förderte. Er unterwarf auch Wales u. bereitete die Vereinigung Schottlands mit England vor. Nach der schwachen Regierung Eduards II. (1307–27) bezwang Eduard III. (1327–77) die Schotten, fing mit dem Hause Valois in Frankreich den vieljährigen Erbfolgekrieg an, konnte aber trotz der Siege von Crecy und Maupertuis gegen das Ende seines Lebens seine Eroberungen in Frankreich nicht behaupten. Unter Eduard III. begann 1343 die Scheidung des Parlaments in ein Ober- u. Unterhaus u. hörte 1362 die franz. Sprache als Staatssprache auf. Richard II. (1377–99) hatte mit einem großen Bauernaufstand zu kämpfen und wurde nur durch die Bürgerschaft von London gerettet; die Folge war das Erlöschen der Leibeigenschaft; doch ist keine Acte bekannt, durch welche dieselbe förmlich aufgehoben worden wäre. Mit dem Parlamente lebte er fortwährend im Streit und als er die Oberhand zu gewinnen <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div type="lexiconEntry" n="2"> <p><pb facs="#f0165" n="164"/> ziemlich vernachläßigt, wenn man es mit dem deutschen vergleicht. 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Handelskrisen eine vorübergehende allgemeine Arbeitslosigkeit und Noth eintreten kann, wie man sie in weniger industriellen Ländern nicht kennt, leuchtet ein, im Allgemeinen aber lebt der Arbeiter in England viel besser als in irgend einem anderen Lande (s. d. Art. Armentaxe). – <hi rendition="#g">Geschichte</hi>. Ueber England bis zur Eroberung (1066) durch die franz. Normannen s. „Angelsachsen“. Wilhelm I., der Eroberer, vertheilte 60215 Lehen unter seine Waffengefährten, so daß nur wenige Grundeigenthümer ihren Besitz retten konnten; die angelsächs. Nation wurde mit furchtbarer Strenge niedergehalten u. eine Militärherrschaft eingeführt. Die Dynastie Wilhelms I. st. jedoch bald aus und ihr folgte 1154 die verwandte der Plantagenet od. Anjou, die bis 1485 regierte. Heinrich II. (1154–89) besaß in Frankreich die Normandie und Anjou und erheirathete die Guyenne und Poitou, er bezwang auch einen Theil Irlands, errichtete ein stehendes Heer u. ein regelmäßiges Finanzsystem, sein Streben nach der Herstellung der unbeschränkten Königsmacht aber scheiterte an dem Widerstande der Kirche (s. Becket). Sein Sohn Richard I. Löwenherz (1189 bis 99) nahm am 2. Kreuzzuge Theil und wurde nach demselben in Frankreich beschäftigt, dessen Bruder Johann ohne Land (1199–1216) verlor fast alle Besitzungen in Frankreich bis auf Guyenne, verletzte aber alle Stände durch Gewaltthätigkeiten und Untreue, so daß sich alles gegen ihn vereinigte, als er von dem Papste Innocenz III. mit dem Banne belegt wurde. Der Adel erzwang von ihm 1215 die <hi rendition="#i">Magna charta</hi>, einen Schirmbrief gegen willkürliche Abgaben und Strafen sowie gegen Eingriffe in die Stadtrechte. Unter Heinrich III. (1216–72), der seinem Vater in mancher Hinsicht glich, verwirrte ein wechselvoller Kampf des hohen Adels mit dem Königthum das Reich, eine Art permanenter Revolution; das Geschwornengericht erhielt wieder allgem. Geltung, die Reichsversammlung (Parlament), aber wurde durch die Abgeordneten der Städte vervollständigt (1265). Sein Sohn Eduard I. (1272–1307) regelte das Parlament und die Gesetze, indem die angelsächs. und normänn. in Einklang gebracht wurden, was die Verschmelzung der Angelsachsen und Normannen zu der engl. Nation wesentlich förderte. Er unterwarf auch Wales u. bereitete die Vereinigung Schottlands mit England vor. Nach der schwachen Regierung Eduards II. (1307–27) bezwang Eduard III. (1327–77) die Schotten, fing mit dem Hause Valois in Frankreich den vieljährigen Erbfolgekrieg an, konnte aber trotz der Siege von Crecy und Maupertuis gegen das Ende seines Lebens seine Eroberungen in Frankreich nicht behaupten. Unter Eduard III. begann 1343 die Scheidung des Parlaments in ein Ober- u. Unterhaus u. hörte 1362 die franz. Sprache als Staatssprache auf. Richard II. (1377–99) hatte mit einem großen Bauernaufstand zu kämpfen und wurde nur durch die Bürgerschaft von London gerettet; die Folge war das Erlöschen der Leibeigenschaft; doch ist keine Acte bekannt, durch welche dieselbe förmlich aufgehoben worden wäre. Mit dem Parlamente lebte er fortwährend im Streit und als er die Oberhand zu gewinnen </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [164/0165]
ziemlich vernachläßigt, wenn man es mit dem deutschen vergleicht. Kein Vater kann verpflichtet werden, sein Kind in eine Schule zu schicken, daher wächst auch die Mehrzahl der Kinder der Armen, der Fabrikarbeiter, Seeleute etc. ohne allen Unterricht auf. Daß es in England viele Arme gibt, ist eine bekannte Sache, jedoch sind darüber ganz übertriebene Meinungen im Umlauf. Irland ist allerdings die Heimath der Armuth in Folge der systematischen Beraubung der Irländer unter Elisabeth, Cromwell u. Wilhelm III.; dort mildert sich aber das Uebel durch die massenhafte Auswanderung, die in 10 Jahren über 11/2 Mill. betrug, wodurch die Arbeitslöhne beträchtlich gesteigert wurden. Schottland hat in den Hochlanden und auf den nahen Inseln viele Arme, dagegen sehr wenige im Niederlande, in England endlich gibt es Arme hauptsächlich nur in den Städten. Daß in einem vorzugsweise industriellen Staate, wie England ist, bei Geschäftsstockungen u. Handelskrisen eine vorübergehende allgemeine Arbeitslosigkeit und Noth eintreten kann, wie man sie in weniger industriellen Ländern nicht kennt, leuchtet ein, im Allgemeinen aber lebt der Arbeiter in England viel besser als in irgend einem anderen Lande (s. d. Art. Armentaxe). – Geschichte. Ueber England bis zur Eroberung (1066) durch die franz. Normannen s. „Angelsachsen“. Wilhelm I., der Eroberer, vertheilte 60215 Lehen unter seine Waffengefährten, so daß nur wenige Grundeigenthümer ihren Besitz retten konnten; die angelsächs. Nation wurde mit furchtbarer Strenge niedergehalten u. eine Militärherrschaft eingeführt. Die Dynastie Wilhelms I. st. jedoch bald aus und ihr folgte 1154 die verwandte der Plantagenet od. Anjou, die bis 1485 regierte. Heinrich II. (1154–89) besaß in Frankreich die Normandie und Anjou und erheirathete die Guyenne und Poitou, er bezwang auch einen Theil Irlands, errichtete ein stehendes Heer u. ein regelmäßiges Finanzsystem, sein Streben nach der Herstellung der unbeschränkten Königsmacht aber scheiterte an dem Widerstande der Kirche (s. Becket). Sein Sohn Richard I. Löwenherz (1189 bis 99) nahm am 2. Kreuzzuge Theil und wurde nach demselben in Frankreich beschäftigt, dessen Bruder Johann ohne Land (1199–1216) verlor fast alle Besitzungen in Frankreich bis auf Guyenne, verletzte aber alle Stände durch Gewaltthätigkeiten und Untreue, so daß sich alles gegen ihn vereinigte, als er von dem Papste Innocenz III. mit dem Banne belegt wurde. Der Adel erzwang von ihm 1215 die Magna charta, einen Schirmbrief gegen willkürliche Abgaben und Strafen sowie gegen Eingriffe in die Stadtrechte. Unter Heinrich III. (1216–72), der seinem Vater in mancher Hinsicht glich, verwirrte ein wechselvoller Kampf des hohen Adels mit dem Königthum das Reich, eine Art permanenter Revolution; das Geschwornengericht erhielt wieder allgem. Geltung, die Reichsversammlung (Parlament), aber wurde durch die Abgeordneten der Städte vervollständigt (1265). Sein Sohn Eduard I. (1272–1307) regelte das Parlament und die Gesetze, indem die angelsächs. und normänn. in Einklang gebracht wurden, was die Verschmelzung der Angelsachsen und Normannen zu der engl. Nation wesentlich förderte. Er unterwarf auch Wales u. bereitete die Vereinigung Schottlands mit England vor. Nach der schwachen Regierung Eduards II. (1307–27) bezwang Eduard III. (1327–77) die Schotten, fing mit dem Hause Valois in Frankreich den vieljährigen Erbfolgekrieg an, konnte aber trotz der Siege von Crecy und Maupertuis gegen das Ende seines Lebens seine Eroberungen in Frankreich nicht behaupten. Unter Eduard III. begann 1343 die Scheidung des Parlaments in ein Ober- u. Unterhaus u. hörte 1362 die franz. Sprache als Staatssprache auf. Richard II. (1377–99) hatte mit einem großen Bauernaufstand zu kämpfen und wurde nur durch die Bürgerschaft von London gerettet; die Folge war das Erlöschen der Leibeigenschaft; doch ist keine Acte bekannt, durch welche dieselbe förmlich aufgehoben worden wäre. Mit dem Parlamente lebte er fortwährend im Streit und als er die Oberhand zu gewinnen
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