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Herders Conversations-Lexikon. Bd. 2. Freiburg im Breisgau, 1854.

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des alten Bundes spricht das Vorhandensein des Menschengeschlechtes überhaupt, weil ohne einen göttlichen Mittler die Folge der Sünde das Nichtsein des ganzen Menschengeschlechtes gewesen wäre und ebenso die Nothwendigkeit einer fortgesetzten Offenbarung, welche aus der Hinneigung des Menschen zur Selbstsucht und der daraus erfolgenden Verdunkelung des Erkenntnißvermögens fließt. - In der vorchristlichen Zeit erscheint die Menschheit in 2 sehr ungleiche Hälften, Heiden- und Judenthum, zerspalten. Die Heidenwelt vertrat das Princip der subjectiven Freiheit und seine Entwicklung endigte in dem Satze, daß der Mensch Gott sei, das Judenthum war der Träger des Princips der göttlichen Autorität, näher der Verheissung, daß Gott Mensch werde und seine Geschichte endigte in der Trübung der geoffenbarten Messiasidee, laut welcher der Erlöser nur ein von äußeren Fesseln äußerlich befreiender Held und Stifter eines jüdischen Weltreiches sein sollte. Bei beiden Hälften des Menschengeschlechts erscheint die Trübung der Gottesidee als Folge des sich fortsetzenden Sündenfalles, die Erhaltung derselben überhaupt als Folge der Wirksamkeit des Logos. Während das Gottesbewußtsein der heidnischen Völker in nationalen Religionen zersplitterte und diese mehr oder minder in den Dienst der Selbstsucht und Wirklichkeit gezogen wurden, sank es näh er zur Verehrung der Natur als solcher und von dieser zum Fetischismus geschichtloser Horden und Stämme herab, oder führte wie in China und Indien zur Vergötterung der gesammten Wirklichkeit als wem Abbilde der himmlischen Ordnung, womit tausendjährige Erstarrung die Weihe der Religion erhielt und erleuchteten Männern der Nerv umfassender Wirksamkeit abgeschnitten wurde. Die Träger der heidnischen Geschichte, die geistig hoch begabten Völker längs den Ufern des Mittelmeeres sanken, angeregt von den aus Indien gekommenen Aegyptern und dem Zendvolke, dennoch mit diesen von der Vergötterung der Natur in mehr oder minder idealmenschlichen Gestalten zu der einer allgemeinen Vernunft, alsdann der Wirklichkeit und des einzelnen concreten Menschen herab. Ihre Wissenschaft verlieh dem Entwicklungsgange des äußern Lebens den entsprechenden Ausdruck und einzelne Weise waren wohl im Stande, die Ahnung des wahren Gottes auszusprechen, nicht aber, dieselbe allgemein zu erhalten und dem Siege des Naturgesetzes: Werden, Blühen und Vergehen, Einhalt zu gebieten. Das Heidenthum kam zur Vergötterung der Cäsaren, welche durch den Neuplatonismus wissenschaftliche Rechtfertigung erhalten sollte, gerade als der Einzelne an sich, an den Andern und den alten Göttern verzweifelte und das innere Wehe in ungebändigter Sinnenlust so wenig als in erlogener Resignation zu ersticken vermochte. Der Mensch ist Gott und doch unglücklicher als jedes Thier, rief das Heidenthum und: Gott wird Mensch, denn die Fülle der Zeit ist nahe, antwortete sehnsüchtig zugleich und verzweifelnd das Judenvolk, das Gott zu seinem besondern Eigenthume gemacht und welchem er im Verlaufe seiner Geschichte wiederum näher und näher getreten. Auch nach dem Sündenfalle einzelnen Auserwählten des auserwählten Volkes noch nahetretend (Theophanien), empfing durch den Logos Israel während der patriarchalischen Zeit (1920 bis 1689) ganz bestimmte Verheißungen, welche über Abstammung, Wirksamkeit und Zeit des Auftretens des Helfers und Segenspenders keinen Zweifel übrig ließen. Der allgemeine Begriff desselben steigerte sich durch Vermittlung der mosaischen Periode (1500 bis 1450) zu dem eines Herrschers und Gesetzgebers, eines zweiten Moses der Völker (Num. 24,17-19. Deut. 18,15-18) und durch die Davidische (1050 bis 950) zu dem jenes Königs, dessen Erhabenheit die Psalmen ewig preisen, ohne dessen Leiden zu vergessen. Gottbegeisterte Propheten bilden in den trüben Tagen der Verbannungen (800 bis 520) das messianische Bewußtsein so vollständig aus, daß C. gewissermassen schon sichtbar wirkt. In ihm schaut Jesajas den Priester der Priester, ohne dem verkommenen Volke den Geopferten und dessen Kirche ins Herz pflanzen

des alten Bundes spricht das Vorhandensein des Menschengeschlechtes überhaupt, weil ohne einen göttlichen Mittler die Folge der Sünde das Nichtsein des ganzen Menschengeschlechtes gewesen wäre und ebenso die Nothwendigkeit einer fortgesetzten Offenbarung, welche aus der Hinneigung des Menschen zur Selbstsucht und der daraus erfolgenden Verdunkelung des Erkenntnißvermögens fließt. – In der vorchristlichen Zeit erscheint die Menschheit in 2 sehr ungleiche Hälften, Heiden- und Judenthum, zerspalten. Die Heidenwelt vertrat das Princip der subjectiven Freiheit und seine Entwicklung endigte in dem Satze, daß der Mensch Gott sei, das Judenthum war der Träger des Princips der göttlichen Autorität, näher der Verheissung, daß Gott Mensch werde und seine Geschichte endigte in der Trübung der geoffenbarten Messiasidee, laut welcher der Erlöser nur ein von äußeren Fesseln äußerlich befreiender Held und Stifter eines jüdischen Weltreiches sein sollte. Bei beiden Hälften des Menschengeschlechts erscheint die Trübung der Gottesidee als Folge des sich fortsetzenden Sündenfalles, die Erhaltung derselben überhaupt als Folge der Wirksamkeit des Logos. Während das Gottesbewußtsein der heidnischen Völker in nationalen Religionen zersplitterte und diese mehr oder minder in den Dienst der Selbstsucht und Wirklichkeit gezogen wurden, sank es näh er zur Verehrung der Natur als solcher und von dieser zum Fetischismus geschichtloser Horden und Stämme herab, oder führte wie in China und Indien zur Vergötterung der gesammten Wirklichkeit als wem Abbilde der himmlischen Ordnung, womit tausendjährige Erstarrung die Weihe der Religion erhielt und erleuchteten Männern der Nerv umfassender Wirksamkeit abgeschnitten wurde. Die Träger der heidnischen Geschichte, die geistig hoch begabten Völker längs den Ufern des Mittelmeeres sanken, angeregt von den aus Indien gekommenen Aegyptern und dem Zendvolke, dennoch mit diesen von der Vergötterung der Natur in mehr oder minder idealmenschlichen Gestalten zu der einer allgemeinen Vernunft, alsdann der Wirklichkeit und des einzelnen concreten Menschen herab. Ihre Wissenschaft verlieh dem Entwicklungsgange des äußern Lebens den entsprechenden Ausdruck und einzelne Weise waren wohl im Stande, die Ahnung des wahren Gottes auszusprechen, nicht aber, dieselbe allgemein zu erhalten und dem Siege des Naturgesetzes: Werden, Blühen und Vergehen, Einhalt zu gebieten. Das Heidenthum kam zur Vergötterung der Cäsaren, welche durch den Neuplatonismus wissenschaftliche Rechtfertigung erhalten sollte, gerade als der Einzelne an sich, an den Andern und den alten Göttern verzweifelte und das innere Wehe in ungebändigter Sinnenlust so wenig als in erlogener Resignation zu ersticken vermochte. Der Mensch ist Gott und doch unglücklicher als jedes Thier, rief das Heidenthum und: Gott wird Mensch, denn die Fülle der Zeit ist nahe, antwortete sehnsüchtig zugleich und verzweifelnd das Judenvolk, das Gott zu seinem besondern Eigenthume gemacht und welchem er im Verlaufe seiner Geschichte wiederum näher und näher getreten. Auch nach dem Sündenfalle einzelnen Auserwählten des auserwählten Volkes noch nahetretend (Theophanien), empfing durch den Logos Israel während der patriarchalischen Zeit (1920 bis 1689) ganz bestimmte Verheißungen, welche über Abstammung, Wirksamkeit und Zeit des Auftretens des Helfers und Segenspenders keinen Zweifel übrig ließen. Der allgemeine Begriff desselben steigerte sich durch Vermittlung der mosaischen Periode (1500 bis 1450) zu dem eines Herrschers und Gesetzgebers, eines zweiten Moses der Völker (Num. 24,17–19. Deut. 18,15–18) und durch die Davidische (1050 bis 950) zu dem jenes Königs, dessen Erhabenheit die Psalmen ewig preisen, ohne dessen Leiden zu vergessen. Gottbegeisterte Propheten bilden in den trüben Tagen der Verbannungen (800 bis 520) das messianische Bewußtsein so vollständig aus, daß C. gewissermassen schon sichtbar wirkt. In ihm schaut Jesajas den Priester der Priester, ohne dem verkommenen Volke den Geopferten und dessen Kirche ins Herz pflanzen

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[112/0113] des alten Bundes spricht das Vorhandensein des Menschengeschlechtes überhaupt, weil ohne einen göttlichen Mittler die Folge der Sünde das Nichtsein des ganzen Menschengeschlechtes gewesen wäre und ebenso die Nothwendigkeit einer fortgesetzten Offenbarung, welche aus der Hinneigung des Menschen zur Selbstsucht und der daraus erfolgenden Verdunkelung des Erkenntnißvermögens fließt. – In der vorchristlichen Zeit erscheint die Menschheit in 2 sehr ungleiche Hälften, Heiden- und Judenthum, zerspalten. Die Heidenwelt vertrat das Princip der subjectiven Freiheit und seine Entwicklung endigte in dem Satze, daß der Mensch Gott sei, das Judenthum war der Träger des Princips der göttlichen Autorität, näher der Verheissung, daß Gott Mensch werde und seine Geschichte endigte in der Trübung der geoffenbarten Messiasidee, laut welcher der Erlöser nur ein von äußeren Fesseln äußerlich befreiender Held und Stifter eines jüdischen Weltreiches sein sollte. Bei beiden Hälften des Menschengeschlechts erscheint die Trübung der Gottesidee als Folge des sich fortsetzenden Sündenfalles, die Erhaltung derselben überhaupt als Folge der Wirksamkeit des Logos. Während das Gottesbewußtsein der heidnischen Völker in nationalen Religionen zersplitterte und diese mehr oder minder in den Dienst der Selbstsucht und Wirklichkeit gezogen wurden, sank es näh er zur Verehrung der Natur als solcher und von dieser zum Fetischismus geschichtloser Horden und Stämme herab, oder führte wie in China und Indien zur Vergötterung der gesammten Wirklichkeit als wem Abbilde der himmlischen Ordnung, womit tausendjährige Erstarrung die Weihe der Religion erhielt und erleuchteten Männern der Nerv umfassender Wirksamkeit abgeschnitten wurde. Die Träger der heidnischen Geschichte, die geistig hoch begabten Völker längs den Ufern des Mittelmeeres sanken, angeregt von den aus Indien gekommenen Aegyptern und dem Zendvolke, dennoch mit diesen von der Vergötterung der Natur in mehr oder minder idealmenschlichen Gestalten zu der einer allgemeinen Vernunft, alsdann der Wirklichkeit und des einzelnen concreten Menschen herab. Ihre Wissenschaft verlieh dem Entwicklungsgange des äußern Lebens den entsprechenden Ausdruck und einzelne Weise waren wohl im Stande, die Ahnung des wahren Gottes auszusprechen, nicht aber, dieselbe allgemein zu erhalten und dem Siege des Naturgesetzes: Werden, Blühen und Vergehen, Einhalt zu gebieten. Das Heidenthum kam zur Vergötterung der Cäsaren, welche durch den Neuplatonismus wissenschaftliche Rechtfertigung erhalten sollte, gerade als der Einzelne an sich, an den Andern und den alten Göttern verzweifelte und das innere Wehe in ungebändigter Sinnenlust so wenig als in erlogener Resignation zu ersticken vermochte. Der Mensch ist Gott und doch unglücklicher als jedes Thier, rief das Heidenthum und: Gott wird Mensch, denn die Fülle der Zeit ist nahe, antwortete sehnsüchtig zugleich und verzweifelnd das Judenvolk, das Gott zu seinem besondern Eigenthume gemacht und welchem er im Verlaufe seiner Geschichte wiederum näher und näher getreten. Auch nach dem Sündenfalle einzelnen Auserwählten des auserwählten Volkes noch nahetretend (Theophanien), empfing durch den Logos Israel während der patriarchalischen Zeit (1920 bis 1689) ganz bestimmte Verheißungen, welche über Abstammung, Wirksamkeit und Zeit des Auftretens des Helfers und Segenspenders keinen Zweifel übrig ließen. Der allgemeine Begriff desselben steigerte sich durch Vermittlung der mosaischen Periode (1500 bis 1450) zu dem eines Herrschers und Gesetzgebers, eines zweiten Moses der Völker (Num. 24,17–19. Deut. 18,15–18) und durch die Davidische (1050 bis 950) zu dem jenes Königs, dessen Erhabenheit die Psalmen ewig preisen, ohne dessen Leiden zu vergessen. Gottbegeisterte Propheten bilden in den trüben Tagen der Verbannungen (800 bis 520) das messianische Bewußtsein so vollständig aus, daß C. gewissermassen schon sichtbar wirkt. In ihm schaut Jesajas den Priester der Priester, ohne dem verkommenen Volke den Geopferten und dessen Kirche ins Herz pflanzen

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Zitationshilfe: Herders Conversations-Lexikon. Bd. 2. Freiburg im Breisgau, 1854, S. 112. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_conversationslexikon02_1854/113>, abgerufen am 26.11.2024.