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Herders Conversations-Lexikon. Bd. 1. Freiburg im Breisgau, 1857.

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darstellt, allezeit an etwas Höheres geknüpft, sei dies nun Moira oder Moira und Zeus, welches niemals neidisch, grausam, schadenfroh erscheint, - wenn gleich die Handelnden nach ihrer subjectiven Einsicht und Lage es zuweilen so nennen, - sondern erhaben und gerecht. Nie erscheint bei ihm das Leiden durch höhere Hand nach Willkür veranlaßt; entweder ist es für eine große Idee mit Freiheit übernommen, oder Wirkung eigener Unbesonnenheit und Leidenschaft, oder auch früherer Verbrechen, deren Folgen sich allerdings auch auf die Nachkommen erstrecken können. Aber im letzten Falle wird der schuldlos Gestrafte meistens für seine Leiden entschädigt. Tritt eine Vorherbestimmung, eine Verkündigung ein, so ist diese doch immer nur bedingt; ohne eigene Mitwirkung des Menschen würde der Erfolg sich nie so ereignen." Wie einerseits dieses religiöse Element den Haupt- und Grundton der Dichtungen des A. bildet, so hat derselbe auch das politische Moment theils polemisch, theils poetisch verklärend in den Kreis seiner Dramen gezogen und es vollkommen verstanden, in großartigen, kühnen Schilderungen alles hervorzuheben, wodurch Patriotismus, Eintracht und Mäßigung und damit Ruhm und Größe seines Vaterlandes gefördert werden konnte. A. war ein sehr fruchtbarer Geist, dem man nicht weniger als 90 Stücke zuschreibt, von welchen nur 7 auf unsere Zeit gekommen sind. Unter ihnen sind besonders merkwürdig der Agamemnon, die Choephoren und Eumeniden. Diese Stücke bilden miteinander ein Ganzes, eine Trilogie, und zwar die einzige, die uns aus dem ganzen griech. Alterthum erhalten ist. Der Gegenstand dieser Trilogie ist die so fruchtbare Orestessage, welche von dem Dichter in wahrhaft künstlerischer Weise behandelt wird, indem der Forderung des Gemüthes, welches nach Versöhnung der Gegensätze ringt, am Ende Genüge gethan wird. Höchst wahrscheinlich waren auch die andern noch vorhandenen Tragödien des A. Glieder solcher Trilogien. Am wahrscheinlichsten ist dies von dem gefesselten Prometheus, einer der tiefsinnigsten und großartigsten Poesien des ganzen Alterthums. Der gefesselte Prometheus bildete offenbar das Mittelstück zu dem feuerentwendenden und dem entfesselten Prometheus. In diesem Stücke herrscht mehr Zeichnung als Handlung, aber die erstere so überwältigend, daß sie alle Handlung ersetzt. Das Ganze ist eine Göttertragödie, in welcher eben darum das Symbolische des Mythus besonders hervortreten mußte. Auch in den Persern waltet keineswegs die Despotie eines blinden, eigenwilligen Schicksals. Ihr Thema ist vielmehr dieß, daß Habsucht, Ehrgeiz und Uebermuth des Xerxes sein Unglück herbeigeführt habe, daß die Gottheit nach dem ewig gleichen Maße des Rechtes einem jeden streng und unerbittlich sein Loos bestimme. Und wollte A. außerdem in den Herzen der Zuschauer durch dieses Stück die großen Gedanken der Freiheit und hingebenden Liebe zum Vaterlande nähren, so sollte es andererseits sie auch lehren, dem eigenen Uebermuthe, zu dem der glückliche Erfolg des Kampfes sie verleiten konnte, Maß und Ziel zu setzen. Die Tragödie: "Die Sieben gegen Theben" athmet einen mehr kriegerischen und epischen als dramatischen Geist und ist dem Dichter, wie Gorgias bei Plutarch sagt, nicht von Dionysos, sondern von Ares eingegeben. In den Schutzflehenden ist der Charakter des Stückes ganz passiv, was seinen Hauptgrund ohne Zweifel darin hat, daß es ursprünglich das Mittelstück einer Trilogie bildete, welche erst im dritten Drama ihre Lösung fand, und im zweiten es lediglich darauf abgesehen hatte, in das Ungewisse des Erfolges, ob die schutzflehenden Jungfrauen aufgenommen werden, die tragische Spannung hineinzulegen. A. bildete offenbar eine Schule. Zu ihr gehören die Söhne des A., Bion, Euphorion und sein Schwestersohn Philokles. Die beiden letztern insbesondere müssen Dichter gewesen sein, die den Geist des A. geerbt hatten, denn beide sind mit Erzeugnissen ihrer Muse sogar gegen Sophokles in die Schranken getreten und haben ihn in einigen Stücken überwunden.


Aesculapius, bei den Griechen Asklepios,

darstellt, allezeit an etwas Höheres geknüpft, sei dies nun Moira oder Moira und Zeus, welches niemals neidisch, grausam, schadenfroh erscheint, – wenn gleich die Handelnden nach ihrer subjectiven Einsicht und Lage es zuweilen so nennen, – sondern erhaben und gerecht. Nie erscheint bei ihm das Leiden durch höhere Hand nach Willkür veranlaßt; entweder ist es für eine große Idee mit Freiheit übernommen, oder Wirkung eigener Unbesonnenheit und Leidenschaft, oder auch früherer Verbrechen, deren Folgen sich allerdings auch auf die Nachkommen erstrecken können. Aber im letzten Falle wird der schuldlos Gestrafte meistens für seine Leiden entschädigt. Tritt eine Vorherbestimmung, eine Verkündigung ein, so ist diese doch immer nur bedingt; ohne eigene Mitwirkung des Menschen würde der Erfolg sich nie so ereignen.“ Wie einerseits dieses religiöse Element den Haupt- und Grundton der Dichtungen des A. bildet, so hat derselbe auch das politische Moment theils polemisch, theils poetisch verklärend in den Kreis seiner Dramen gezogen und es vollkommen verstanden, in großartigen, kühnen Schilderungen alles hervorzuheben, wodurch Patriotismus, Eintracht und Mäßigung und damit Ruhm und Größe seines Vaterlandes gefördert werden konnte. A. war ein sehr fruchtbarer Geist, dem man nicht weniger als 90 Stücke zuschreibt, von welchen nur 7 auf unsere Zeit gekommen sind. Unter ihnen sind besonders merkwürdig der Agamemnon, die Choëphoren und Eumeniden. Diese Stücke bilden miteinander ein Ganzes, eine Trilogie, und zwar die einzige, die uns aus dem ganzen griech. Alterthum erhalten ist. Der Gegenstand dieser Trilogie ist die so fruchtbare Orestessage, welche von dem Dichter in wahrhaft künstlerischer Weise behandelt wird, indem der Forderung des Gemüthes, welches nach Versöhnung der Gegensätze ringt, am Ende Genüge gethan wird. Höchst wahrscheinlich waren auch die andern noch vorhandenen Tragödien des A. Glieder solcher Trilogien. Am wahrscheinlichsten ist dies von dem gefesselten Prometheus, einer der tiefsinnigsten und großartigsten Poesien des ganzen Alterthums. Der gefesselte Prometheus bildete offenbar das Mittelstück zu dem feuerentwendenden und dem entfesselten Prometheus. In diesem Stücke herrscht mehr Zeichnung als Handlung, aber die erstere so überwältigend, daß sie alle Handlung ersetzt. Das Ganze ist eine Göttertragödie, in welcher eben darum das Symbolische des Mythus besonders hervortreten mußte. Auch in den Persern waltet keineswegs die Despotie eines blinden, eigenwilligen Schicksals. Ihr Thema ist vielmehr dieß, daß Habsucht, Ehrgeiz und Uebermuth des Xerxes sein Unglück herbeigeführt habe, daß die Gottheit nach dem ewig gleichen Maße des Rechtes einem jeden streng und unerbittlich sein Loos bestimme. Und wollte A. außerdem in den Herzen der Zuschauer durch dieses Stück die großen Gedanken der Freiheit und hingebenden Liebe zum Vaterlande nähren, so sollte es andererseits sie auch lehren, dem eigenen Uebermuthe, zu dem der glückliche Erfolg des Kampfes sie verleiten konnte, Maß und Ziel zu setzen. Die Tragödie: „Die Sieben gegen Theben“ athmet einen mehr kriegerischen und epischen als dramatischen Geist und ist dem Dichter, wie Gorgias bei Plutarch sagt, nicht von Dionysos, sondern von Ares eingegeben. In den Schutzflehenden ist der Charakter des Stückes ganz passiv, was seinen Hauptgrund ohne Zweifel darin hat, daß es ursprünglich das Mittelstück einer Trilogie bildete, welche erst im dritten Drama ihre Lösung fand, und im zweiten es lediglich darauf abgesehen hatte, in das Ungewisse des Erfolges, ob die schutzflehenden Jungfrauen aufgenommen werden, die tragische Spannung hineinzulegen. A. bildete offenbar eine Schule. Zu ihr gehören die Söhne des A., Bion, Euphorion und sein Schwestersohn Philokles. Die beiden letztern insbesondere müssen Dichter gewesen sein, die den Geist des A. geerbt hatten, denn beide sind mit Erzeugnissen ihrer Muse sogar gegen Sophokles in die Schranken getreten und haben ihn in einigen Stücken überwunden.


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[56/0057] darstellt, allezeit an etwas Höheres geknüpft, sei dies nun Moira oder Moira und Zeus, welches niemals neidisch, grausam, schadenfroh erscheint, – wenn gleich die Handelnden nach ihrer subjectiven Einsicht und Lage es zuweilen so nennen, – sondern erhaben und gerecht. Nie erscheint bei ihm das Leiden durch höhere Hand nach Willkür veranlaßt; entweder ist es für eine große Idee mit Freiheit übernommen, oder Wirkung eigener Unbesonnenheit und Leidenschaft, oder auch früherer Verbrechen, deren Folgen sich allerdings auch auf die Nachkommen erstrecken können. Aber im letzten Falle wird der schuldlos Gestrafte meistens für seine Leiden entschädigt. Tritt eine Vorherbestimmung, eine Verkündigung ein, so ist diese doch immer nur bedingt; ohne eigene Mitwirkung des Menschen würde der Erfolg sich nie so ereignen.“ Wie einerseits dieses religiöse Element den Haupt- und Grundton der Dichtungen des A. bildet, so hat derselbe auch das politische Moment theils polemisch, theils poetisch verklärend in den Kreis seiner Dramen gezogen und es vollkommen verstanden, in großartigen, kühnen Schilderungen alles hervorzuheben, wodurch Patriotismus, Eintracht und Mäßigung und damit Ruhm und Größe seines Vaterlandes gefördert werden konnte. A. war ein sehr fruchtbarer Geist, dem man nicht weniger als 90 Stücke zuschreibt, von welchen nur 7 auf unsere Zeit gekommen sind. Unter ihnen sind besonders merkwürdig der Agamemnon, die Choëphoren und Eumeniden. Diese Stücke bilden miteinander ein Ganzes, eine Trilogie, und zwar die einzige, die uns aus dem ganzen griech. Alterthum erhalten ist. Der Gegenstand dieser Trilogie ist die so fruchtbare Orestessage, welche von dem Dichter in wahrhaft künstlerischer Weise behandelt wird, indem der Forderung des Gemüthes, welches nach Versöhnung der Gegensätze ringt, am Ende Genüge gethan wird. Höchst wahrscheinlich waren auch die andern noch vorhandenen Tragödien des A. Glieder solcher Trilogien. Am wahrscheinlichsten ist dies von dem gefesselten Prometheus, einer der tiefsinnigsten und großartigsten Poesien des ganzen Alterthums. Der gefesselte Prometheus bildete offenbar das Mittelstück zu dem feuerentwendenden und dem entfesselten Prometheus. In diesem Stücke herrscht mehr Zeichnung als Handlung, aber die erstere so überwältigend, daß sie alle Handlung ersetzt. Das Ganze ist eine Göttertragödie, in welcher eben darum das Symbolische des Mythus besonders hervortreten mußte. Auch in den Persern waltet keineswegs die Despotie eines blinden, eigenwilligen Schicksals. Ihr Thema ist vielmehr dieß, daß Habsucht, Ehrgeiz und Uebermuth des Xerxes sein Unglück herbeigeführt habe, daß die Gottheit nach dem ewig gleichen Maße des Rechtes einem jeden streng und unerbittlich sein Loos bestimme. Und wollte A. außerdem in den Herzen der Zuschauer durch dieses Stück die großen Gedanken der Freiheit und hingebenden Liebe zum Vaterlande nähren, so sollte es andererseits sie auch lehren, dem eigenen Uebermuthe, zu dem der glückliche Erfolg des Kampfes sie verleiten konnte, Maß und Ziel zu setzen. Die Tragödie: „Die Sieben gegen Theben“ athmet einen mehr kriegerischen und epischen als dramatischen Geist und ist dem Dichter, wie Gorgias bei Plutarch sagt, nicht von Dionysos, sondern von Ares eingegeben. In den Schutzflehenden ist der Charakter des Stückes ganz passiv, was seinen Hauptgrund ohne Zweifel darin hat, daß es ursprünglich das Mittelstück einer Trilogie bildete, welche erst im dritten Drama ihre Lösung fand, und im zweiten es lediglich darauf abgesehen hatte, in das Ungewisse des Erfolges, ob die schutzflehenden Jungfrauen aufgenommen werden, die tragische Spannung hineinzulegen. A. bildete offenbar eine Schule. Zu ihr gehören die Söhne des A., Bion, Euphorion und sein Schwestersohn Philokles. Die beiden letztern insbesondere müssen Dichter gewesen sein, die den Geist des A. geerbt hatten, denn beide sind mit Erzeugnissen ihrer Muse sogar gegen Sophokles in die Schranken getreten und haben ihn in einigen Stücken überwunden. Aesculapius, bei den Griechen Asklepios,

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Zitationshilfe: Herders Conversations-Lexikon. Bd. 1. Freiburg im Breisgau, 1857, S. 56. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_conversationslexikon01_1857/57>, abgerufen am 12.12.2024.